Diese Einsicht ist lange Zeit vergessen worden. Erst in jüngerer Zeit findet eine "Entzauberung" der Männer statt. Entscheidenden Anteil daran hat die Kritik männlicher Herrschaft durch die Frauenbewegung. Zwar dominieren Männer nach wie vor die Zentralen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Macht, doch setzt sich die männliche Herrschaft "nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen" durch, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu konstatiert. Sie unterliegt einem stetig stärker werdenden Rechtfertigungsdruck.
Traditionelle Männerbilder verlieren an Orientierungskraft. Hierfür sind vor allem folgende Entwicklungen verantwortlich: 1. die durch die Frauenbewegung betriebene Kritik männlicher Herrschaft, 2. der Strukturwandel der Familie, in dessen Verlauf das Modell des Mannes als Ernährer der Familie zunehmend obsolet wird, 3. die größeren Erfolgen von Mädchen und Frauen im Bildungssystem und 4. der Wandel der Strukturen der Erwerbsarbeit im Zuge des Übergangs von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft. Diese Prozesse haben teileweise gravierende Veränderungen der traditionellen Männerrolle zur Folge, ganz unabhängig davon, ob die Männer dies wollen oder nicht. Für die allermeisten Männer stellen sich diese Veränderungen als eine "erlittene Emanzipation" (Ulrich Beck) dar.
Einstellungswandel
Die Kritik der Frauenbewegung hat zumindest eines bewirkt: einen Einstellungswandel unter Männern. Vergleicht man aktuelle Studien mit Befragungen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren durchgeführt wurden, dann findet man heute eine wesentlich größere Orientierung an egalitären Werten und eine höhere Gewichtung des Engagements in der Familie. Es ist bekannt, dass mit diesem Einstellungswandel noch keine gleichermaßen veränderte Praxis korrespondiert. So machen nur rund zwei Prozent der berufstätigen Väter von dem Recht auf Elternzeit Gebrauch. Skeptisch betrachtet könnte man sagen: Es hat sich eine Rhetorik der Gleichheit durchgesetzt, nicht aber eine egalitäre Praxis.
Wir können eine zunehmende Pluralisierung von Familienformen beobachten. Die traditionelle bürgerliche Kleinfamilie, in der dem Mann die Rolle des Familienernährers zukommt und die Frau für die Haus- und Familienarbeit zuständig ist, ist weder im quantitativen Sinne noch als Leitbild weiterhin die Norm. Andere Ehe- und Familienformen haben sich etabliert und werden in wachsendem Maße als Alternativen anerkannt. Mit der Pluralisierung der Familienformen schwindet die Basis männlicher Dominanz in der Familie. Unter jungen Vätern gewinnt ein neues Verständnis einer aktiven Vaterschaft an Boden. Allein in der Ernährerfunktion in der Familie präsent zu sein genügt ihnen nicht mehr. Allerdings muss man genau hinschauen. Das wachsende Bedürfnis, an der Erziehung der Kinder aktiv teilzuhaben, erstreckt sich noch kaum auf die mühsamen und mitunter lästigen Routinen der alltäglichen Versorgung (Hausaufgaben, Pflege, Waschen). Im Vordergrund stehen eher kreative und angenehme Tätigkeiten, vor allem das Spielen mit den Kindern. Gleichwohl, das sich verändernde Verständnis von Vaterschaft markiert einen Bereich, in dem am deutlichsten ein Wandel von Männlichkeit sichtbar wird.
Gravierende Veränderungen sind im Bildungsbereich zu verzeichnen. Die besseren schulischen Leistungen der Mädchen sind in jüngster Zeit ein Dauer-thema der Presseberichterstattung. Jungen geraten in diesem Bereich ins Hintertreffen. Das erzeugt bei vielen Verunsicherungen und Ressentiments. Auch wenn die männliche Herrschaft fraglich geworden ist, bestimmt das Leitbild einer hegemonialen Männlichkeit weiterhin die männliche Geschlechtsidentität: Schlechter als Mädchen abzuschneiden wird vor diesem Hintergrund als Entwertung der eigenen Männlichkeit erfahren.
Vermutlich werden die jungen Männer, die heute mit schlechteren Noten die Schule verlassen, in zehn bis 15 Jahren in ihrer beruflichen Karriere weiter vorangekommen sein als ihre Mitschülerinnen. Aber das kann sich ändern, sollte sich der Trend der letzten Jahre fortsetzen; und dann wäre eine zentrale Säule männlicher Herrschaft - Beruf und Karriere - ernsthaft einsturzgefährdet.
Der Wandel der Strukturen der Erwerbsarbeit im Zuge des Übergangs von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft bringt gravierende Veränderungen mit sich. Eine diskontinuierliche Erwerbsbiografie, also ein häufiger Wechsel zwischen Phasen der Vollbeschäftigung, Arbeitslosigkeit, Teilzeitbeschäftigung und Minijobs, wird für immer mehr Beschäftigte zu einer Basiserfahrung. Ein großer Teil typischer Frauenarbeitsplätze war immer schon mehr oder weniger davon gekennzeichnet. Neu ist, dass dies eine geschlechterübergreifende Normalität zu werden beginnt, die in wachsendem Maße auch die Erwerbslage von Männern kennzeichnet. Um die Bedeutung dessen zu ermessen, muss man berücksichtigen, in welch hohem Maße männliche Hegemonie und männliche Geschlechtsidentität auf der festen Verankerung in einem Beruf beruhen. Mit dem skizzierten Strukturwandel der Erwerbsarbeit ist die zentrale Basis traditioneller Männlichkeit und männlicher Dominanz gefährdet. Für eine wachsende Zahl von verheirateten Männern ist damit verbunden, dass sie zumindest temporär von den ökonomischen Versorgungsleistungen ihrer Frauen abhängig werden.
Obsolete Lebensentwürfe
Fazit: Die Lebensbedingungen von Männern ändern sich, zum Teil durchaus dramatisch. Dadurch werden traditionelle männliche Lebensentwürfe in wachsendem Maße obsolet. Das erzeugt Verunsicherungen. Diese äußern sich vielfach in einer Rück-Orientierung am status quo ante, aber auch in Suchbewegungen auf neuem Terrain. Die gewiss noch zaghaften Schritte in Richtung eines aktiven Verständnisses von Vaterschaft zählen hierzu. Bislang erreichen die Suchbewegungen nur selten ihr Ziel. Gewiss gibt es Bemühungen, neue Formen von Männlichkeit zu entwickeln.
Gleichwohl sind die Konturen eines alternativen, nicht an Dominanz orientierten Leitbildes von Männlichkeit noch kaum zu erkennen - erst recht nicht eines Bildes, dem gesellschaftliche Anerkennung zuteil werden würde. Solange diese Anerkennung fehlt, dürfte es den meisten Männern nur schwer zu vermitteln sein, dass es sich lohnt, in die Entwicklung und Aneignung eines Männlichkeitsbildes zu investieren, dessen "Rendite" in Gestalt von sozialer Anerkennung und Erfolg allerdings äußerst schwer zu kalkulieren ist.
Dr. Michael Meuser ist Privatdozent für Soziologie an der Universität Bremen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Essener Kolleg für Geschlechterforschung der Universität Duisburg Essen.