Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 48 / 22.11.2004
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Susanne Balthasar

Goldader getroffen

Mit 50 zu alt für den Arbeitsmarkt?
Wolfgang Rauschenbach sagt, er hätte keinen Pfifferling auf die Anzeige gegeben. "Mit 45 zu alt, mit 55 überflüssig" titelte eine Firma keck, die Ingenieure ab 55 Jahre suchte. Kann das denn sein? Wolfgang Rauschenbach, damals 59 Jahre alt und seit einem Jahr arbeitslos, hatte die Erfahrung gemacht, "wie schwer es ist, als älterer Arbeitnehmer eine Stelle zu finden". Von den meisten Firmen bekam er überhaupt keine Rückmeldung, nur eine Telefonstimme gab eine klare Antwort: "Ihr Berufsbild ist fantastisch. Wie alt sind sie denn?" " 57." "Danke, dann hat sich das erledigt."

Die Anzeige, in der die Maschinenbau-Firma Fahrion Engineering im Baden-Württembergischen Kornwestheim gezielt ältere Arbeitnehmer suchte, nahm Wolfgang Rauschenbach also nicht wirklich ernst und war umso überraschter, als er nicht nur ein Vorstellungsgespräch, sondern auch die Stelle bekam. Seit drei Jahren arbeitet er nun in der Firma, die Fabrikanlagen plant und realisiert, und seither 26 Arbeitnehmer im 50+Alter eingestellt hat. Die Beweggründe des Unternehmers Otmar Fahrions sind keine sozialen, er sagt: "Das rechnet sich."

Die allgemeinen Ansichten über Bewerber kurz vor der Rente ist eine andere: Unflexibel, nicht auf dem neuesten Stand, wenig lernfähig, also zu teuer. Junge Leute dagegen, glaubt man, bringen das allerneueste Wissen, körperliche Belastbarkeit und jede Menge Einsatzbereitschaft mit, die sich auszahlt. So hat auch Otmar Fahrion mal gedacht, und so war es ja auch immer gewesen: Neue Ingenieure stellte die Maschinenbau-Firma im Alter von 28 ein, und die blieben dann bis zur Rente. Genug Zeit also, um in die Aufgaben in einem mittelständischen Betrieb hinein wachsen: Wer bei Fahrion Engineering Projektleiter werden will, muss ein Allrounder sein, also Aufträge im Fahrzeug-, Flugzeug- und Schiffbau betreuen zu können. Soviel Erfahrung braucht ihre Zeit, das heißt zwischen sechs und zwölf Jahren. "Ein steiniger Weg", sagt Otmar Fahrion. Aber so funktionierte der Betrieb seit 1975 störungsfrei. Spätestens im Jahr 2000 fing es im System allerdings hörbar an zu knirschen. Da kündigten gleich ein paar 38-Jährige der Firma auf einen Schlag - denn im Stuttgarter Speckgürtel werden junge Ingenieure von allen Seiten abgeworben. Und die Firma blieb auf den "Ausbildungskosten" von 150 bis 200.000 Euro pro Person sitzen. Für den Chef ist das nicht nur ein finanzielles Problem: "Ich kann doch nicht zu den Auftraggebern sagen: Wartet zehn Jahre, und dann haben wir wieder die Leute beisammen."

Wo kommen also Leute auf die Schnelle her, die aus dem Stand heraus ein Projekt übernehmen können? Leute mit hoher Fachkompetenz, Managementfähigkeit, Sprachkenntnissen, sofortiger Verfügbarkeit und so weiter? Eine Anzeige schalten. Das Resultat: 17 Bewerbungen, von denen nur eine das geforderte Profil erfüllte - und das mit Abstrichen. Der Anreiz für junge und erfahrene Ingenieure, in einem mittelständischen Unternehmen anzufangen ist nicht eben groß, wenn sie genauso gut bei einem Global Player einsteigen können. Allerdings waren zwei perfekte Bewerber schon vorher und per Zufall bei Otmar Fahrion gelandet. Ehemalige Kunden, die ihre Stelle verloren hatten, das Metier kannten und sofort voll einsteigen konnten. Warum also nicht ähnliche Fälle suchen? Ältere Arbeitnehmer, die die nötigen Erfahrungen schon gesammelt haben? Was sich logisch anhört, musste sich erst einmal erfolgreich gegen alle Überzeugungen stemmen und war aus einer zweijährigen, und mühsamen Analyse hervor gegangen. Das Resultat war besagte 50+Anzeige, deren Rücklauf alle erstaunt hat: 527 Bewerbungen aus der ganze Welt, den USA, China, den Kapverdischen Inseln, von denen 180 gepasst haben. Noch heute bekommt Fahrion Engineering täglich zwei Initiativbewerbungen. Otmar Fahrion resümiert: "Wir sind auf eine Goldader gestoßen."

Zumal sich die Zusammenarbeit bewährt und auch der Chef inzwischen alle persönlichen Bedenken ausgeräumt hat: "Dass 50+Leute unflexibel sind, ist ein Vorurteil: Bei uns sind allein fünf 50+Wochenendpendler aus der ganzen Republik beschäftigt. Menschen sind in dem Alter wieder abkömmlich. Sie sind nicht an schulpflichtige Kinder und ein frisch gebautes Eigenheim gebunden." Oder an sonst etwas. Als Otmar Fahrion den Mitarbeitern zwischen 30 und 40 anbot, ein sechsmonatiges Projekt in den USA zu übernehmen, kamen drei Absagen. Ein Häuslebauer muss-te die Handwerker beaufsichtigen, eine Frau war schwanger, ein Basketballspieler der Oberliga wollte seinen Verein nicht im Stich lassen. Am Ende fuhr ein 62-Jähriger - hoch motiviert. Wie alle ehemaligen Arbeitslosen, die unverhofft eine späte Chance bekommen. Auch das Gerücht, dass ältere Arbeitnehmer nicht lernfähig sind, kann Fahrion nicht bestätigen: "Die meisten brauchen eine Schulung in CAD, Modellzeichnen am Computer, aber nach drei Wochen beherrschen sie das und können voll einsteigen." Dann beginnt seiner Einschätzung nach die Rechnung aufzugehen.

Statt in die Lehrzeit der Unifrischlinge investieren zu müssen, kann der Arbeitgeber die Erfahrung der Älteren ernten - und das zum Sondertarif: Ein arbeitsloser Neuzugang bezieht weniger Gehalt als ein Mitarbeiter mit 40 Jahren Firmenzugehörigkeit. "Das ist eine rein ökonomische Überlegung", betont Fahrion noch einmal. Aber natürlich ärgert sich der 64-Jährige auch über die Anti-Altersmentalität auf dem Arbeitsmarkt: "Mit 35 herrscht doch in der Industrie Einstellungsverbot. Und dann brüsten sich Unternehmer, die selber kurz vor der Rente stehen am Stammtisch, dass sie keinen Tag krank waren, aber den Mitarbeitern wird das nicht zugetraut." Und: "Die Manager großer Konzerne sind doch schon so weit in den 50ern, dass sie in die eigene Firma nicht mehr herein kommen würden." Sein eigenes Umdenken in dieser Frage führt Fahrion auch auf die besondere Situation des Arbeitsmarktes zurück. Nämlich den Jugendwahn einerseits und die hohe Arbeitslosigkeit von älteren Fachkräften, die die Globalisierung produziert hat, andererseits.

Aber ist die Lage wirklich eine einmalige? Oder ist sie nicht vielmehr das erste Zeichen einer Zukunft, die jetzt schon die Mittelständler in boomenden Regionen erwischt? Wenn von heute aus gesehen im Jahr 2040 die Zahl der Erwerbstätigen von etwa 41 Millionen auf 34 Millionen im Jahr 2040 zurück gegangen sein sollte, wird sich der Mangel an Arbeit unter Umständen in einen Mangel an Arbeitskräften verkehrt haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden jedenfalls zu wenige junge Mitarbeiter einen Job suchen, als dass man mit ihnen die leeren Stellen besetzen könnte. Dann bleibt nicht mehr viel übrig als auf die Alten zurück zu greifen. Otmar Fahrion ist einer der ganz wenigen Unternehmer, die dieses Modell bereits in der Gegenwart erproben, und hat es mittlerweile zu seinem Thema gemacht. Wenn er darüber Vorträge hält, hören viele interessiert zu, winken dann aber ab. Doch das stört ihn nicht: "Die sind alle noch nicht so weit, die wird's auch noch erwischen." Spätestens in 20 Jahren schätzt er, werden auch die großen Firmen sein Modell übernommen haben. Was dann wie eine Neuerung aussieht, ist aus einer anderen Perspektive eine Rückkehr zum Status Quo. Wolfgang Rauschenbach sagt: "Als ich in den 60ern angefangen habe zu arbeiten, war es völlig normal, das Junge und Alte in einem Team zusammen gearbeitet haben." Otmar Fahrion jedenfalls ist schon mit dem nächsten Projekt beschäftigt: Altersgerechte Arbeitsplätze. Also die Regale bis zur Mitte zu füllen und nicht bis ganz oben, die Etiketten lesbar zu machen. Die Zukunft hat begonnen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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