Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 05-06 / 31.01.2005
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Ursula Homann

Zeugen und Werkzeuge des erbarmungslosen Massenmords

Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz

Auschwitz - und kein Ende"? Das fragt sich gewiss mancher, wenn er Titel und Thema des hier vorzustellenden Buches erfährt. Gleichwohl ist auch dieses Buch, so deprimierend und beklemmend es stellenweise ist, dass man es nicht in einem Zug durchlesen kann, wichtig und notwendig, stellt es doch eine Gruppe vor, die noch heute oft dämonisiert wird und von deren Leiden und Qualen bisher wenig bekannt ist.

Es geht um jene jüdischen Häftlinge, aus denen die SS-Führer im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ein spezielles Arbeitskommando gebildet hatten. Ihm gehörten zwischen 1942 und 1945 über 2.000 Männer an. Nur etwa 100 von ihnen haben die schlimme Zeit überlebt. Denn auch diese Häftlinge, die die SS zu grauenhaften Taten missbraucht hatte, waren hilflose Opfer. Als Arbeitsklaven mussten sie mit dazu beitragen, dass im Vernichtungslager der Massenmord an Männern, Frauen und Kindern immer perfekter ablief.

Es war zwar die SS, die mordete, aber alle anderen Arbeiten, die mit der vollständigen Beseitigung der Leichen verbunden waren, mussten die Häftlinge des Sonderkommandos verrichten. Außerdem hatten sie die Aufgabe, die zum Tod bestimmten Menschen vor den Gaskammern zu empfangen und ihnen beim Auskleiden behilflich zu sein. Nicht wenige mussten mitansehen, wie ihre Familienangehörigen, die eigenen Eltern, die eigene Frau und die eigenen Kinder ins Gas getrieben wurden. Wer Widerstand leistete oder zu fliehen versuchte, wurde erschossen oder von Hunden zerfleischt. Im Oktober 1944 wagte das Sonderkommando sogar einen Aufstand, der indes - wie könnte es anders sein - blutig niedergeschlagen wurde.

Die Häftlinge des Sonderkommandos waren Zeugen und hilflos ausgelieferte Werkzeuge der Massenvernichtung und lebten ständig mit dem Gedanken, dass auch sie eines Tages von den Deutschen ermordet würden. Sie irrten sich nicht. Gegen Ende des Krieges, als das Lager aufgelöst wurde und ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wurde, ereilte viele von ihnen dieses Schicksal.

Einige der Überlebenden dieses Kommandos haben nach dem Krieg über ihre Leidenszeit als Arbeitssklaven im Konzentrationslager Zeugnis abgelegt - in Interviews, Büchern und Prozessen. Andere Häftlinge hatten schon vorher im Zentrum der Vernichtung ihre Erlebnisse heimlich zu Papier gebracht und ihre Aufzeichnungen bei den Krematorien vergraben.

Wer überlebte, wurde oft bis ins hohe Alter von Schamgefühlen heimgesucht. Immerhin war ihnen in Auschwitz-Birkenau die Erfahrung aufgezwungen worden, dass der Mensch im Kampf um das eigene Überleben zu unmenschlichen und brutalen Handlungen fähig ist, die jenseits aller Vorstellungskraft liegen.

Eric Friedler, Barbara Siebert und Andreas Kilian beschreiben detailliert Aufbau und Einrichtung des Lagers und die "Erfindung" des Massenmords mit Zyklon B. Sie schildern, wie der Mord am laufenden Band in Birkenau funktionierte, sowie viele andere Ungeheuerlichkeiten und belegen alles mit genauen Daten. Sie erzählen ferner davon, wie sich SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch damit brüstete, die Methode mit Zyklon B zur gleichzeitigen Ermordung hunderter Menschen "erfunden" zu haben, und wie sich Lagerkommandant Höß geradezu erleichtert zeigte, als das Problem einer geeigneten Mordmethode durch eine "humane" Tötungsart endlich gelöst war.

Wie zynisch und kaltschnäuzig die SS vorgegangen war, sieht man auch daran, dass bei den Erschießungen stets darauf geachtet wurde, dass die Menschen sich vor der Ermordung auszogen. Denn die Kleidung sollte weiter verwertet werden und daher keinesfalls durch Blut verschmutzt oder durch Einschusslöcher unbrauchbar werden.

Während nur wenige Häftlinge aus dem Sonderkommando die Todesmärsche gegen Ende des Krieges überstanden haben, lebten im Mai 1945 noch etwa 6.300 ehemalige SS-Angehörige, die in Auschwitz eingesetzt waren. Nicht mehr als 15 Prozent von ihnen wurden vor ein Gericht gestellt. Doch keiner wurde von Schuldgefühlen geplagt, im Gegenteil, die meisten fühlten sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Aber woher sollte das Unrechtsbewusstsein auch kommen bei Menschen, die, wie sich Eichmann später erinnerte, auf der Wannsee-Konferenz "fröhlich" ihre Zustimmung zum Judenmord gegeben hatten und froh darüber gewesen waren, sich an der "Endlösung der Judenfrage" beteiligen zu dürfen?

Eric Friedler, Barbara Siebert, Andreas Kilian

Zeugen aus der Todeszone.

Das Jüdische Sonderkommando in Auschwitz.

zu Klampen Verlag, Lüneburg 2002; 412 S., 25,- Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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