Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 11 / 14.03.2005
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Claudia Heine

Im "Kaufrausch" nach Frankfurt

Sitzung des Visa-Untersuchungsausschusses

Während der Vernehmung des vierten und letzten Zeugen musste Jerzy Montag die Wogen glätten: "Herr Zeuge, ich werde an sie kritische Fragen stellen, aber das ist nicht persönlich gemeint." Mit diesen besänftigenden Worten setzte der Grünen-Obmann im Visa-Untersuchungsausschuss die Befragung von Clemens Ulbrich fort, die zuvor von einem heftigen Streit zwischen den Ausschussmitgliedern unterbrochen worden war. Ulbrich war als Richter am Landgericht Memmingen für ein Schleuser-Urteil vom November 2004 mit verantwortlich. Das Gericht hatte damals einen ukrainischen Staatsangehörigen und zwei seiner Helfer verurteilt, weil sie in großem Umfang und mit kriminellen Methoden Visa für die Bundesrepublik Deutschland erschlichen und diese gewinnbringend an ihre Landsleute verkauft hatten. Insgesamt ging es um 2.800 Fälle. Zwar wurden die drei Männer zu Haftstrafen verurteilt, erhielten jedoch einen Strafrabbatt, weil nach Ansicht der Richter die Ausländerbehörden "auf politischen Wunsch" der Bundesregierung die Einreiseanträge "wohlwollend" und nicht "kritisch" behandelt hätten. Am vergangenen Donnerstag versuchte der Visa-Untersuchungsausschuss, Einzelheiten des Prozesses zu beleuchten und die Umstände der Urteilsbegründung zu klären.

Vor den Grünen war die SPD an der Frage-Reihe. Deren Obmann Olaf Scholz konnte seine Verwunderung nicht verbergen, als ihm der Richter erklärte, eigentlich nur den Kernsatz des umstrittenen Volmer-Erlasses ("im Zweifel für die Reisefreiheit") und diesen auch nur aus den Medien gekannt zu haben. Gleichzeitig bestätigte er jedoch, die Kammer hätte in dem Erlass strafmildernde Gründe für ihr Urteil erkannt. Scholz verstand für einen kurzen Moment die Welt nicht mehr. Der aber war lang genug, um die emotionalen Befindlichkeiten der Parteien im Europa-Saal des Paul-Löbe-Hauses zu spüren. Der Sozialdemokrat, gerade im Begriff, aus dem Richter einen Zeitungsleser zu machen, wurde lautstark von seinen CDU-Kollegen unterbrochen: "Hinter diesen Medienberichten steck-ten bereits acht Monate Parlamentsarbeit in Form von zahlreichen Anfragen an die Bundesregierung! Da können sie nicht so tun, als seien die Presseberichte vom Himmel gefallen und den Zeugen als Zeitungsleser kritisieren", erregte sich Clemens Binninger. Sein Parteifreund Eckart von Klaeden heizte die Stimmung noch etwas an: "Sie sind einfach unzufrieden, Herr Scholz, aber das ist hier kein Schauprozess!"

Ausgefeilte Techniken

Der mildere Tonfall, in dem Jerzy Montag dann die Befragung Ulbrichs fortsetzte, sollte nicht von langer Dauer sein. Wiederholte Male, zunehmend drängender, wollte er von dem Richter wissen, auf welche Beweise sich das Gericht denn bei der Anerkennung der Strafmilderung stützte, erhielt aber nur vage Antworten: "Wir sind davon ausgegangen, dass sich untergeordnete Behörden an den Vorgaben übergeordneter Dienststellen orientieren", so Ulbrichs einzige Begründung. Er räumte außerdem ein, dass das Gericht auf eine diesbezügliche Beweisaufnahme verzichtet habe, da die Angeklagten voll geständig gewesen seien.

Hierin lag nicht die einzige Ursache für die Verwirrung bei den Koalitionsfraktionen. Hatten sie nicht von dem dritten Zeugen eine ganz andere Aussage gehört? "Für mich haben die Erlasse nie eine Rolle gespielt", hatte eine halbe Stunde zuvor noch Wolfgang Maier, Beisitzender Richter in dem Memminger Verfahren, sehr zum Gefallen von SPD und Grünen erklärt. Noch waren andere die Unzufriedenen: "Das klingt für mich sehr abenteuerlich, was wir hier hören", wandte sich Hellmut Königshaus (FDP) energisch an Maier. Dieser hatte nämlich außerdem betont: "Es ist für mich nicht zwingend, dass eine Erschleichung von Visa automatisch mit einer Weiterschleusung der Menschen zur Arbeitsaufnahme oder Zwangsprostitution verbunden sein muss. Wir hatten keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier um Opfer handelt."

Ermittlungen des Bundesgrenzschutzes

Diese Ansicht vertraten auch zwei Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS), die vor den Richtern in den Zeugenstand geladen worden waren. Der BGS hatte im Februar 2001 aufgrund eines Verdachtsfalls am Münchner Flughafen mit seinen Ermittlungen gegen den später im Verfahren hauptverdächtigen Ukrainer begonnen. Anschaulich sprachen die Beamten über die ausgefeilten Techniken der Schleuser. Diese hatten, in Zusammenarbeit mit einem Kiewer Reisebüro, fingierte Reiseprogramme nach Deutschland erstellt, unter anderem eine einwöchige Tour nach Frankfurt am Main mit einem Besuch des Zeppelin-Museums und einem Programmpunkt "Kaufrausch". "Das waren ganz simple Kopien aus Katalogen, die die Täter den Visaunterlagen beigelegt haben", sagte der Polizeihauptmeister Maik Hövelmeier. Außerdem fälschten die Schleuser Hotelbuchungen und Reiseversicherungen. "So konnten wir die Reisezwecke eindeutig widerlegen", erläuterte Oliver Runte, Polizeioberkommissar im BGS. Nicht beweisen konnten sie dagegen den Zusammenhang von Visaerschleichung und organisiertem Menschenhandel im vorliegenden Fall: "Wir hatten keinerlei Hinweise, dass unser Täter Teil eines solchen Räderwerkes war. Für ihn war die Angelegenheit mit der Visabeschaffung beendet. Was anschließend mit den Leuten passierte, interessierte ihn nicht mehr", so Hövelmeier. Dennoch fanden die Beamten heraus, dass die meisten der Ukrainer mit deutschem Touristenvisum nach Italien, Spanien und Portugal weiterreisten, um dort auf Baustellen zu arbeiten. Zum Teil hätten sie dort sogar ein Arbeitsvisum erhalten, sagte Runte.

Die gegenteiligen Aussagen der Richter versetzten die Ausschussmitglieder wieder einmal in die Lage, sich in ihren unterschiedlichen Auffassungen bestätigt zu fühlen. Doch letztlich zählen Beweise, und die lassen sich wohl nur in den Akten finden. Bisher habe das Auswärtige Amt jedoch erst 17 von 200 zugesagten Aktenordnern zur Verfügung gestellt, kritisierte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Hans-Peter Uhl (CSU), vor der Sitzung. Das Außenministerium sprach hingegen von 29 überstellten Akten.

Union und Koalition einigten sich nach längerem Streit darauf, sechs zusätzliche Sitzungen bis zu Sommerpause einzuberufen, um den immensen Arbeitsaufwand schneller zu bewältigen. In den nächsten Wochen wird sich der Ausschuss mit weiteren Schleuser-Prozessen befassen. Es müsse geklärt werden, wie es zu der "modernen Form des Sklavenhandels" habe kommen können, sagte Uhl. Erst nach dem Themenkomplex "Prozesse" sollen Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden und anschließend der Botschaft in Kiew gehört werden. Weiter unklar bleibt der Termin für die Aussage von Bundesaußenminister Joseph Fischer. Die rot-grüne Koalition besteht darauf, den Minister erst nach Akteneinsicht zu laden.


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