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100/1999
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JOHANNES RAU IM ZWEITEN WAHLGANG ZUM NEUEN BUNDESPRÄSIDENTEN GEWÄHLT

Berlin: (hib) Der nächste Bundespräsident heißt Johannes Rau. Der SPD-Politiker und ehemalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens wurde heute im zweiten Wahlgang mit 690 Stimmen der 11. Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude gewählt. Er wird damit Nachfolger Roman Herzogs (CDU). Die Vereidigung ist für den 1. Juli 1999 in Bonn vorgesehen. Von insgesamt 1.333 Stimmen entfielen 572 auf die Kandidatin der CDU/CSU, die Naturwissenschaftlerin Dagmar Schipanski, und 62 Stimmen auf die Kandidatin der PDS, die Theologin Uta Ranke-Heinemann. 1 Stimme war ungültig, 8 Wahlmänner bzw. -frauen enthielten sich der Stimme. Für die Wahl zum Bundespräsidenten waren mindestens 670 Stimmen erforderlich.

In einer kurzen Rede bedankte sich Rau bei allen, die ihn gewählt haben, und bekundete seinen Respekt für jene, die sich für eine der Mitbewerberinnen entschieden haben, denen er seinen Respekt nicht versage. Der SPD-Politiker betonte, es sei für ihn nicht nur eine selbstverständliche Pflicht, sondern auch eine persönliche Verpflichtung, von seinem Amtsantritt an über alle Grenzen und Unterschiede hinweg der Bundespräsident aller Deutschen zu sein und Ansprechpartner all derer, "die ohne deutschen Paß bei uns leben und arbeiten". Rau erinnerte an den Tag des Mauerfalls vor fast zehn Jahren. Es sei denen zu verdanken gewesen, die sich freigemacht haben "von einem System, in dem sie nicht mehr leben wollten". Dabei müsse jedoch gesehen werden, daß dies nicht allein das Verdienst der deutschen Bürgerrechtsbewegung gewesen sei, sondern auch der Bewegungen und Veränderungen in den Staaten Osteuropas. Daraus sei zu lernen, daß die deutsche Einheit und der europäische Einigungsprozeß zwei Seiten einer Medaille seien. Bei allen Kontroversen und politischen Streitigkeiten müsse man sich immer wieder besinnen auf die Festlegung in der Verfassung, daß die Würde des Menschen unantastbar sei. Und dies gelte nicht nur für die Würde der Deutschen. Rau verwies in diesem Zusammenhang auch auf die im Grundgesetz vorgeschriebene Chancengleichheit von Frauen und Männern und darauf, daß privates Eigentum zugleich dem Allgemeinwohl dienen solle. Rau hob hervor, sich als Patriot und nicht als Nationalist zu verstehen. Letzterer stelle die eigene Nation über die der anderen. Die Deutschen aber "wollen ein Volk der guten Nachbarn sein". Er hoffe, daß die gemeinsamen Bemühungen, zu einem Frieden in Europa zu gelangen, bald Erfolg haben werden und mit seinem Amtsantritt der Krieg auf dem Balkan beendet sein werde.

Zu Beginn hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse darauf hingewiesen, daß mit dieser Bundesversammlung eine Besonderheit verbunden sei. Der zu wählende Bundespräsident werde der erste sein, der vom Amtsantritt an seinen Sitz in Berlin einnehmen werde. Und noch wichtiger sei, daß dieser Umstand "für uns alle schon eine Selbstverständlichkeit geworden ist". Dies sei gut so, denn es drücke Wichtiges darüber aus, wie in "unserer Bürgergesellschaft" mit dem Verhältnis von Veränderung und Kontinuität umgegangen werde. Thierse erklärte weiter, der Wechsel vom Rhein an die Spree bedeute für die deutsche Politik keine radikalen Veränderungen, schon gar keinen Bruch. Im Gegenteil: "Alle unsere politischen Grundkoordinaten aus fünf Jahrzehnten bleiben unverändert gültig". Die parlamentarische Demokratie werde sich in einem Europa der Völker auch künftig einsetzen für Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung der Menschenrechte.

Das zu wählende Staatsoberhaupt, so Thierse weiter, repräsentiere in besonderer Weise das, "was uns Deutsche verbindet, aber auch, wie wir draußen in der Welt wahrgenommen werden", und drücke aus, was den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern jenseits aller Unterschiede gemeinsam ist. Dennoch sei das Amt des Bundespräsidenten keinesfalls ein rein repräsentatives oder gar unpolitisches. Im Gegenteil: alle bisherigen Bundespräsidenten hätten in ihrer Amtsführung deutlich gemacht, wie man auch und gerade als Staatsoberhaupt politische Akzente setzt und politisches sowie gesellschaftliches Handeln einfordert. Abschließend betonte Thierse, kurz vor der Jahrtausendwende stünden Deutschland und Europa vor großen politischen Aufgaben und Herausforderungen. Um sie zu bewältigen, seien in der Bürgergesellschaft die Beiträge jedes einzelnen "unverzichtbar". Die parlamentarische Demokratie stelle die Würde des Menschen in den Mittelpunkt allen staatlichen Handelns. Gerade deshalb "braucht sie den aktiven Einsatz, setzt sie das kritische Engagement des mündigen Individuums in der Bürgergesellschaft voraus". Seinen ausdrücklichen Dank sprach Thierse dem noch amtierenden Bundespräsidenten Roman Herzog und dessen Frau Christiane für deren "unermüdlichen Einsatz" aus. Die Bürgerinnen und Bürger wüßten, "auf welch vorbildliche Weise" Roman Herzog das höchste Amt im Staat in den vergangenen fünf Jahren ausgefüllt habe und "wie sehr das Ansehen unserer parlamentarischen Demokratie im In- und Ausland durch seine Arbeit gemehrt worden ist".



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Quelle: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/1999/9910001
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