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189/2006
Datum: 19.06.2006
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heute im Bundestag - 19.06.2006

Aufenthaltsrechtliche Besserstellung für Opfer von Zwangsehen befürwortet

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Anhörung)/

Berlin: (hib/SAS) Überwiegend kritisch geäußert haben sich in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses über "Zwangsverheiratungen" am Montagvormittag die Sachverständigen zu einem Gesetzesvorstoß des Landes Baden-Württemberg, "Zwangsehen" als einen eigenständigen Straftatbestand im Strafgesetzbuch aufzunehmen. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie Opfer von Zwangsverheiratungen insbesondere strafrechtlich besser geschützt werden können. Während Befürworter eines solchen Straftatbestandes wie Christian Storr, Stabstellenleiter des Ausländerbeauftragten Baden-Württemberg, sich davon ein Schließen rechtlicher Lücken versprach, etwa, dass Fälle von so genannten "Ferienverheiratungen" geahndet werden könnten, hielt Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund die Einführung eines solchen Straftatbestandes für "nicht erforderlich". Sie zweifelte daran, dass ein eigener Straftatbestand für sich genommen etwas verändern würde und forderte, die im vergangen Jahr in Kraft getretenen Regelungen erst einmal wirken zu lassen, wonach die Zwangsehe im Strafgesetzbuch als Teil der Nötigung geahndet werden kann. Grundlage der Diskussion im Ausschuss bildeten drei Anträge der Opposition ( 16/1156, 16/1564, 16/61), deren Ziel eine Stärkung der materiellen sowie aufenthaltsrechtlichen Stellung der Opfer von Zwangsehen, Heiratsverschleppung und Heiratshandel ist. Dabei geht es um den Sachverhalt, dass bei muslimischen oder türkischen Frauen zumeist die Familien die Auswahl des Ehepartners, den Zeitpunkt der Eheschließung und den Ort festlegen und dies in einer großen Zahl der Fälle gegen den Willen der Eheleute geschieht. Die in der Türkei geborene Autorin Necla Kelek machte sich gleichermaßen für die Einführung eines Straftatbestandes "Zwangsehe" und für die Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehepartnerinnen auf das 21. Lebensjahr stark. Anders als das Gros der Experten unterschied sie nicht zwischen einer arrangierten Ehe, bei der die künftige Gattin einen von den Eltern vorgeschlagenen Ehepartner ablehnen kann und zwischen Zwangsehe, bei der keiner der Ehepartner eine Entscheidungsmöglichkeit hat: "Die Zwangsverheiratung beginnt mit einer arrangierten Ehe" und sei keine unabhängige Entscheidung einer mündigen Bürgerin, erklärte sie. Nach Auffassung von Kelek sollte vor Einreise des Ehepartners sichergestellt sein, dass er ein für den Familienunterhalt ausreichendes Einkommen durch Arbeit bezieht und einen eigenen Haushalt führt. Damit könnte einer "üblichen Praxis" bei türkischen Migranten ein Riegel vorgeschoben werden, die "Importbräute" als kostenlose Haushaltshilfen im Familienhaushalt einzusetzen. Für Kelek sind Zwangs- und arrangierte Ehen der türkisch-muslimischen Gemeinschaft das größte Hindernis für die Integration von Türken und anderer muslimischen Gemeinschaften in Deutschland. In scharfen Worten wandte sich Sidar Demidögen vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. gegen den Eindruck, der Großteil der Migrantinnen hierzulande lebe in einer Zwangsehe. Man dürfe nicht den Blick auf die Integrationserfolge verlieren; die Debatte der vergangenen Wochen habe zu einer "unnötigen Stigmatisierung" eines Großteils der muslimischen Community geführt. Sie zeigte sich erfreut darüber, dass die Sachverständigen sich mehrheitlich gegen die Erhöhung des von Kelek geforderten Nachzugsalters aussprachen. Demirdögen selbst hielt einen entsprechenden Vorschlag für "absurd". Storr warnte davor, dass die Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehepartner aus dem Ausland für die immer zahlreicher werdenden binationalen Ehen eine Wartezeit bedeuten würde. Damit würde man "weit über das Ziel hinausschießen". Er plädierte dafür, das Nachzugsalter auf das 18. Lebensjahr festzulegen. Freudenberg hielt die Heraufsetzung des Nachzugsalters auf das 21. Lebensjahr für verfassungsrechtlich bedenklich. Überwiegend Einigkeit herrschte unter den Experten bei Fragen zu Änderungen des Aufenthaltsrechts: So hielt die Rechtsanwältin Marina Walz-Hildenbrand eine Verlängerung des bestehenden Aufenthaltsrechts von sechs Monaten auf drei Jahre für notwendig, um Heiratsverschleppungen entgegenzuwirken. Die Opfer von Heiratsverschleppungen hätten in vielen Fällen nicht die Möglichkeit innerhalb eines halben Jahres nach Deutschland zurückzukehren, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern und seien anschließend von Abschiebung in das Land bedroht, in dem sie zwangsverheiratet wurden. Auch forderte sie ein Recht auf Wiederkehr im Aufenthaltsrecht für junge Menschen, die in ihren Herkunftsländern nicht zurechtkommen - unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts. Kritik übte die Rechtsanwältin an der Härtefallregelung im Aufenthaltsrecht. Möchte sich eine türkische Ehefrau innerhalb von zwei Jahren nach Eheschließung von ihrem Mann scheiden lassen, so liegt es im Ermessen der Ausländerbehörde, ob sie in ihr Herkunftsland zurückkehren muss, wo sie Diskriminierungen ausgesetzt seit oder ob sie eine besondere Härte geltend machen. Storr trat für einen Hinweis in den Verwaltungsvorschriften ein, der als einheitliche Entscheidungsgrundlage für die Ausländerbehörde gelten könne. Für eine materielle Besserstellung machte sich Heiner Bielefeld vom Deutschen Institut für Menschenrechte stark. Er berief sich auf die Kriseneinrichtung "Papatya" in Berlin, die den Zugang zu materiellen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII für die Betroffenen von Zwangsverheiratungen für am wichtigsten halten. Dabei sollten nicht nur Minderjährige, sondern auch junge Volljährige Anspruch auf solche Leistungen erhalten.
Quelle: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_189/02
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