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14. Wahlperiode
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Deutscher Bundestag Protokoll 14/36 und 14/23

14. Wahlperiode
Rechtsausschuss (6. Ausschuss)
Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

Protokoll * der
36. Sitzung des Rechtsausschusses und der
23. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
vom 1. Dezember 1999, 14.00 bis 18.00 Uhr im Plenarbereich Reichstagsgebäude, Saal 3 N 001

Öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung
- Drucksache 14/1247 -


federführend: Rechtsausschuss
mitberatend: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

___________________
* Redaktionell überarbeitete Tonbandabschrift


Berichterstatter des Rechtsausschusses :

Berichterstatter des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:



Liste der Sachverständigen zu der Anhörung des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwoch, dem 1. Dezember 1999, 14.00 Uhr
("Ächtung der Gewalt in der Erziehung")

Anwesenheitsliste*

Mitglieder des Ausschusses
Ordentliche Mitglieder des Ausschusses Stellvertretende Mitglieder

SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN F.D.P. PDS
Ministerien Fraktionen und Gruppen

Bundesrat

Vorsitzender Rupert Scholz (CSU/CSU): Ich eröffne die 36. Sitzung des Rechtsausschusses und die 23. Sitzung des Ausschusses für Familien, Senioren, Frauen und Jugend als gemeinsame Anhörung beider Ausschüsse zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Ich begrüße die anwesenden Sachverständigen und gebe zunächst Frau Barkey von der Staatsanwaltschaft Bielefeld das Wort.

Dorothea Barkey: Ich bin Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld und dort im Sonderdezernat für Sexualdelikte zuständig, wozu insbesondere auch der sexuelle Missbrauch von Kindern gehört. Dieses Delikt stellt eine besondere Form der Gewalt gegenüber Kindern dar, wobei die Grenzen zwischen rein sexuellem oder aggressivem Verhalten sicherlich fließend sind. Ich möchte mich in meiner Stellungnahme zu dem vorliegenden Gesetzentwurf darauf beschränken, die Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderungen in § 1631 Abs. 2 BGB auf die Strafverfolgung aufzuzeigen.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die beabsichtigte Änderung des § 1631 Abs. 2 BGB führt meines Erachtens im Strafrecht zu keiner Änderung der bereits jetzt geltenden Rechtslage. Gewalt in der Erziehung kann in erster Linie unter dem Aspekt der Körperverletzung nach §§ 223 ff. StGB strafbar sein. Abgesehen von den hier nicht so interessierenden Fällen der Gesundheitsschädigung, liegt eine Körperverletzung vor bei einer üblen, unangemessenen Behandlung, die zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens führt. An dem Kriterium der Erheblichkeit fehlt es bei dem sogenannten Klaps. Der Klaps ist also schon nicht tatbestandsmäßig. An dieser Beurteilung ändert auch die geplante Gesetzesänderung des § 1631 Abs. 2 BGB nichts. Wenn man hingegen die übrigen Fälle von schärferen Sanktionsmaßnahmen in der Erziehung betrachtet, die sogenannten Züchtigungsmittel, also Ohrfeigen oder Prügel, ist festzustellen, dass sie alle den Tatbestand der Körperverletzung nach der oben genannten Definition ohne weiteres erfüllen. Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit einer Körperverletzung war lange Zeit ein sogenanntes Züchtigungsrecht der Eltern anerkannt, welches aus einem familienrechtlichen Erziehungsrecht abgeleitet wurde. Nun ist der § 1631 Abs. 2 BGB aber bereits durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 geändert worden und zwar dahingehend, dass körperliche Misshandlungen als entwürdigende Erziehungsmaßnahmen für unzulässig erklärt wurden. Nach dieser Vorgabe im Familienrecht kann das Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund meines Erachtens nicht mehr aufrecht erhalten werden, denn das Züchtigungsrecht wurde ja ursprünglich gerade aus dem Erziehungsrecht der elterlichen Sorge hergeleitet. Wenn das Familienrecht im § 1631 Abs. 2 BGB heute körperliche Misshandlungen als unzulässig erklärt, kann im Strafrecht aus diesem Erziehungsgedanken kein Rechtfertigungsgrund mehr hergeleitet werden. Auch in dieser Hinsicht ändert der vorliegende Gesetzentwurf eigentlich nichts an der bestehenden Rechtslage.

Alles in allem ist daher festzuhalten, dass Befürchtungen, die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs würde zu einer zunehmenden Kriminalisierung in der Familie führen, meines Erachtens nicht gerechtfertigt sind. Aus Sicht eines bei der Staatsanwaltschaft arbeitenden Juristen ist noch eines hinzuzufügen. Schwere körperliche Misshandlungen von Eltern gegenüber Kindern werden natürlich mit allem Nachdruck verfolgt. Die weniger gravierenden Fälle, wie Ohrfeigen z. B., sind ausgesprochen selten Gegenstand von Ermittlungsverfahren. Das liegt zum einen oft an der fehlenden Anzeigebereitschaft der Betroffenen oder an ausreichenden Beweisen oder auch am fehlenden öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Solche Verfahren werden daher meistens eingestellt. Ich danke Ihnen.

Sven Borsche: Für mich ist der heutige Tag damit verknüpft, dass ich eine neue berufliche Tätigkeit beginne. Ich bin seit heute Sekretär des Bundesjugendkuratoriums, sodass die Bezeichnung, die in der Einladung aufgeführt ist, nicht mehr stimmt, selbst wenn ich in den alten Funktionen hier eingeladen worden bin. Das zur Einleitung. Ich bin der Auffassung, dass diese Klarstellung, Weiterentwicklung, hauptsächlich dazu dient, das Leitbild für die elterliche Sorge weiter zu konkretisieren bzw. zu verdeutlichen. Für meine Begriffe geht es um einen Bewusstseinsbildungsprozess, der weiterhin vorangetrieben werden muss. Hierzu kann diese Gesetzesinitiative einen wichtigen Anstoß geben, wenn sie erfolgreich publiziert wird. Um diesen Leidbildcharakter noch klarer zu stellen, sollte das Recht auf gewaltfreie Erziehung sogar im Grundgesetz verankert werden.

Der zweite Punkt ist folgender: Sie wollen § 16 KJHG ändern. Ich schlage eine analoge Entwicklung wie beim § 1626 Abs. 2 BGB vor, der 1980 in das elterliche Sorgerecht Eingang gefunden hat und 1990 in den allgemeinen Teil des KJHG übernommen wurde. Dadurch wurde die Beteiligung der Kinder entsprechend ihrer wachsenden Selbständigkeit auch Vorgabe für sämtliche Angebote der Jugendhilfe. Und ich fände es gut, wenn die gewaltfreie Erziehung alle Angebote der Jugendhilfe, von der Kindertagesstätte bis zur Erziehungsberatung, von den Hilfen zur Erziehung über die Familienberatung bis hin zur Familienbildung, erfassen würde. Die gewaltfreie Erziehung sollte deshalb in den § 9 KJHG als Ergänzung aufgenommen werden und nicht in den § 16.

Problematisch ist meines Erachtens auch der Begriff der Gewalt. Mittlerweile ist er in der Rechtsprechung sehr weit gefasst worden. Er umfasst fast jede Beeinträchtigung des Willens oder der Absicht eines anderen gegen dessen Willen. Ich meine, dass es problematisch ist, diesen weiten Gewaltbegriff jetzt hier für ein spezifisches Verhältnis aufzunehmen, nämlich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Jede notwendige Grenzziehung bei der Kindererziehung kommt dann in den Bereich der Gewalt. Deshalb sollte im Strafrecht ein anderer Gewaltbegriff zugrunde gelegt werden, als in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern.

Dieser Punkt wird insbesondere dann interessant, wenn wir ein Aktionsprogramm starten wollen, in dem wir die Bevölkerung darüber aufklären, was eigentlich Gewalt ist. Das hat nichts damit zu tun, dass es in der Gesellschaft zu viele körperliche und psychische Gewalt gibt. Das soll damit überhaupt nicht abgestritten werden. Dass Sie dieses Problem aufgegriffen haben, entnehme ich der Tatsache, dass Sie in Ihrem Gesetzentwurf zunächst von körperlicher Gewalt reden; erst nachher kommen alle anderen Formen der Gewalt. In der Problemstellung zum Gesetzentwurf steht als erstes: Wegen der zu vielen Anwendung von körperlicher Gewalt. Später wird dies ausgedehnt, ohne das Problem genau zu definieren. Für mich kommt es entscheidend darauf an, ob wir dieses Problem lösen können. Nur dann wird dieser Gesetzentwurf in der Bevölkerung einen Bewusstseinswandel erreichen können. Danke schön.

Dr. Jörg Dieterich: Ich möchte Ihnen zunächst, die Sie hier sitzen, ein großes Kompliment machen. Ich habe in der Vorbereitung die Protokolle durchgelesen und festgestellt, dass Sie die Probleme gründlich erarbeitet haben. Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen hier um die Sache der Kinder geht. Jetzt komme ich zu meiner Person: Im Grunde genommen bin ich Wissenschaftler; ich habilitiere mich zur Zeit in der Pädagogik und mache nebenher diese Kinder- und Therapiearbeit an unserem Beratungszentrum freiwillig. Wahrscheinlich so ähnlich, wie Sie sich auch freiwillig mit dieser Thematik auseinandersetzen.

Jetzt kommt mein erster Aspekt. Ich sag mal so: Wenn Sie gackern, dann müssen Sie auch ein Ei legen. Sie haben einen Gesetzesentwurf gemacht, der meiner Auffassung nach sehr gut ist. Aber Sie haben sehr hohe Vorsätze gefasst. Sie möchten, dass tatsächlich in unserem Land weniger Gewalt geschieht. Es reicht eben nicht, wenn Sie das nur mit einem Gesetz machen. Sie nennen das flankierende Maßnahmen. Ich halte gerade diese Maßnahmen für wesentlich wichtiger, als das Gesetz an sich. Das Gesetz an sich ist für mich, da ich juristischer Laie bin, eigentlich nur eine Marginalie in der Änderung. Ich bin der Meinung, diese Bundesregierung oder dieser Staat sollten tatsächlich Verantwortung zeigen. Deshalb mein Vorschlag, jedem neugeborenen Kind und seinen Eltern ein kleines Büchlein zu schenken, in dem die unterschiedlichen Auffassungen von unterschiedlichen Sachverständigen oder Pädagogen aufgeführt sind, wie ich mein Kind erziehen soll. Ich weiß es als Wissenschaftler, dass das schwierig ist. Man kann fünf unterschiedliche Ansätze darstellen und dann haben die Eltern etwas. Wissen Sie, ich habe mich im Vorfeld sehr sehr viel mit Eltern aus meiner Therapie und Ärzten auseinandergesetzt. Die haben zu mir gesagt: "Die machen immer nur Gesetze. Aber so ein Buch".... Wir bekommen immer nur Werbepäckchen von Seifenfirmen, wenn mal ein Kind geboren wird. Aber wie ich mein Kind erziehen soll, da muss ich mir irgendwelche Bücher zusammenkaufen. Deswegen mein Vorschlag, zeigen Sie in diesem Sinne Verantwortung.

Das zweite: Wenn sich ein Kind entwickelt, dann entwickeln sich sukzessive das Denken, die Moral, die Fähigkeit der Perspektivenübernahme. Ein Kind ist kein kleiner Erwachsener. Sie können nicht davon ausgehen, dass Sie mit einem Kind, z. B. im Alter von vier Jahren , auf logisch-korrektem Niveau argumentieren können. Je jünger ein Kind ist, desto körpernäher sind die Erziehungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie bitten, die Frage nach Gewalt entwicklungsbezogen zu beurteilen. Es ist dumm, wenn man sagt, einen 10-jährigen kann ich nur mit Schlägen zur Vernunft bringen. Das ist unklug, denn ein 10-jähriger kann denken. Aber bei einem 4-jährigen oder 5-jährigen brauch ich noch etwas, was wir manchmal Gewalt nennen.

Jetzt mein letzter Punkt, bei dem ich ein bisschen Bauchschmerzen habe. Denn da rühre ich an einem Thema, von dem ich selber noch nicht so ganz genau weiß, was ich davon denken soll. Ich habe in meinem Papier das Stichwort Demütigung genannt. Wer von Ihnen ist noch nie gedemütigt worden? Ein Kind muss lernen, mit Demütigungen so umzugehen, dass es sie wegsteckt. Ich frag Sie ganz polemisch: Warum sollte ich nicht das Thema Demütigung den liebenden Eltern überlassen? Warum sollte ich nicht sagen, ein Elternteil darf sein Kind schlagen, wenn er es liebt? Wenn es die Eltern nicht tun, dann macht es jemand anderes und der liebt dieses Kind garantiert weniger. Natürlich gibt es auch Leute, die ihre Kinder verdreschen. Aber ich spreche auch für Eltern, die ihre Kinder lieben und die ihren Kindern das Thema Demütigung beibringen möchten, und zwar in einem guten Sinn. Mein Vater ist Professor für Pädagogik. Ich selber werde es vielleicht mal. Ich wünsche es mir. Der hat mich gehauen und ich liebe ihn und er hat mir was beigebracht. Denken Sie darüber nach!

Dr. Peter Güttler: Ich bin Erziehungswissenschaftler und möchte in dieser Eigenschaft hier einige Bemerkungen machen. Wir verständigen uns heute über eine sehr begrüßenswerte Initiative der klaren Normsetzung des Verbots elterlicher Gewaltausübung durch § 1631 Abs. 2 BGB. Damit wird uns die Möglichkeit gegeben, erstens zur Gewalt gegen Kinder in Deutschland grundsätzlich und in aller Öffentlichkeit Stellung zu nehmen. Zweitens können wir verdeutlichen, dass dieses Gesetzesvorhaben zum Schutz der Kinder und ihrer gesunden Entwicklung nicht ausreichend ist, wenn nicht im gleichen Zuge konsequent Aufgaben benannt und Maßnahmen eingeleitet werden, die auf die Schaffung entsprechend günstiger Lebensverhältnisse der Kinder sowie auf die Förderung ihrer eigenen Kräfte zielen, was insbesondere eine Stärkung der Kinderrechte einschließt.

Es ist meines Erachtens eine viel bestätigte Tatsache, dass die Mädchen und Jungen in ihrer Entwicklung, Erziehung, Sozialisation längerfristig weniger von dem beeinflusst sind, was ihnen unmittelbar gesagt wird bzw. womit oder wodurch sie von Erwachsenen beschäftigt werden. Vielmehr reagieren die Heranwachsenden darauf, wie die von Ihnen wahrnehmbare Umwelt, wie die gesellschaftliche Wirklichkeit beschaffen ist. Entscheidend ist, was die Kinder und Jugendlichen selbst in initiativreicher, unmittelbarer Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit für Erfahrungen machen. Kinder und Jugendliche erarbeiten sich bzw. konstruieren aktiv ein eigenes Bild vom menschlichen Zusammenleben in dieser Welt. Diese eigenständigen Interpretationen und Deutungen von Alltagserscheinungen in unserer Erwachsenenwelt durch Kinder und Jugendliche und das damit einhergehende Problembewusstsein, besonders die Wahrnehmung von Widersprüchen, werden im wesentlichen ignoriert. Erwachsene sind oft sehr betroffen von unerklärlichen,

auffälligen Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen und reagieren unmittelbar in dieser Betroffenheit. Zu wenig wird dabei gefragt, nachgedacht, erörtert, welche Bedeutung ein bestimmtes Verhalten für das jeweilige Kind hat, welche Probleme aus der Sicht des Kindes den Hintergrund bilden. Den Erwachsenen bereitet es nicht selten Schwierigkeiten, mit der Autonomie und Eigenständigkeit von Kindern und Jugendlichen umzugehen. Damit sind erhebliche Defizite und Störungen in der Kommunikation zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden verbunden. Darauf beruhen vielfältige Formen von Verweigerungen gegenüber der Erwachsenenwelt, die sich unter Kinder und Jugendlichen zunehmend ausbreiten. Die Reaktion der Erwachsenen darauf hat viele Gesichter, unter anderem Hilflosigkeit, Ängste und nicht selten sind es auch gewaltförmige Verhaltensweisen.

Ein zweiter Gedanke: Kinder müssen herausfinden, was Menschlichkeit bedeutet, was das menschliche in den Beziehungen ist, was die Maßstäbe humanen Handelns sind. Dafür müssen Ihnen Menschen begegnen. Wichtige, für sie bedeutende Menschen und nahe Personen, die Stellung nehmen und Menschlichkeit vorleben. Erwachsene können, wenn sie sensibel mit Kindern umgehen, bei den Kindern selbst viel entdecken, was für humane Beziehungen, für menschliches Zusammenleben bedeutsam ist: Direktheit, Offenheit, Echtheit, Spontanität und Phantasie, das, was in der Welt der Erwachsenen oft unterdrückt bzw. seine Basis zu verlieren scheint. Der Verantwortung der erwachsenen Generation gemäß wäre also zunächst eine selbstkritische Betrachtung unserer Gesellschaft. Eine ehrliche Analyse der Aufwachsbedingungen der Kinder in einer Gesellschaft, die sich zu wenig nach Maßstäben des menschlichen Befindens orientiert, die nahezu ausschließlich den Prinzipien ökonomisch-technischer Perfektionierung und des Marktes folgt. In diese Hinsicht ist meines Erachtens eine wertvolle Arbeit in Hinblick auf Analysen der Aufwachsbedingungen im Rahmen des 10. Kinder- und Jugendberichtes geleistet worden. Wollen wir wirklich Veränderungen, die an den Wurzeln der Gewalt gegen Kinder ansetzen, brauchen wir eine öffentliche Orientierung auf die Vielfalt der

strukturellen Faktoren, die auf die Entstehung von Gewaltphänomen Einfluss haben. Damit entgeht man auch dem Verdacht, dass man mit einem moralischen Zeigefinger auf Eltern, die Gewalt in der Erziehung praktizieren, zeigt, ohne die wirklich belastenden Bedingungen zu verändern.

Gestatten Sie mir, auf einige wesentliche strukturelle Gewaltfaktoren hinzuweisen, die belastend bzw. schädigend auf die psycho-soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen Einfluss haben. Ich will sie nur kurz stichpunktartig nennen. Ungleichheit der körperlichen, seelischen und sozialen Machtverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern. Sie wissen vielleicht, dass Kinder eine Grunderfahrung machen, indem sie sich ständig mit der Größe des Erwachsenen auseinandersetzen müssen. Da sind Trennungserfahrungen, da sind Raumstrukturen, räumliche Enge, Bewegungsmängel, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, aber auch sozial-strukturelle Faktoren: Armutsbedingungen, soziale Differenzierungsschichtung. Es gibt strukturelle Faktoren in den Institutionen, sowohl in der vorschulischen als auch in der schulischen Sozialisation, Zeitstrukturen, Leistungs- und Kontrollstrukturen. Gewaltfaktoren im medizinischen Bereich sind zu nennen, Konsum- und Marktstrukturen und nicht zuletzt die medialen Strukturen, die oft Leitbilder der Aggressivität und der Gewalt vermitteln. Vielfältige Untersuchungen, ich möchte besonders hier die Untersuchung von Horst Petri hervorheben, verweisen heute auf eine enge Wechselwirkung von personaler und struktureller Gewalt.

Wenn im vorliegenden Gesetzentwurf ein Recht des Kindes auf gewaltfreies Aufwachsen eingeräumt wird, müssen vielfältige flankierende Maßnahmen für die Öffentlichkeit sichtbar eingeleitet werden. Ich meine, dass eine breite öffentliche Diskussion um einen umfassenden gesellschaftlichen Konsens in der Frage der Ächtung der Gewalt in der Erziehung anzustreben ist. Die Ergebnisse der Universität Bielefeld verweisen auf positive Einstellungsentwicklungen in Hinblick auf Ächtung der Gewalt, wenn auch das Verhalten dem oft entgegensteht.

Zweitens meine ich, dass es einen Handlungsbedarf gibt in folgenden Schwerpunkten: Ich denke, wir sollten gründlich darüber nachdenken, in Artikel 6 des Grundgesetzes im Sinne der Empfehlung des 10. Kinder- und Jugendberichtes das Recht des Kindes auf Förderung seiner Entwicklung zu verankern. Weiterhin ist der Kinderschutz durch die Gewährleistung eigener Kinder- und Jugendlichenrechte auszugestalten: Antragsrechte, Anspruchsinhaberschaft, mit dem 12. Lebensjahr ein eigenes Aufenthaltsbestimmungsrecht u. ä.. Darüber wäre nachzudenken. Darüber hinaus ist ganz im Sinne auch des 10. Kinder- und Jugendberichtes auf Seite 276 die Weiterentwicklung der Krisenintervention auszugestalten. Abschließend will ich noch auf den Ausbau einer umfassenden Infrastruktur der Beratung und Hilfe für Eltern, Kinder und Jugendliche aufmerksam machen.

Heinz Hilgers: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss jetzt von einer liebgewordenen Gewohnheit abweichen. Normalerweise sage ich nichts, was ich schon aufgeschrieben habe. Aber ich habe festgestellt, dass die zweite Seite unserer Stellungnahme Ihnen nicht übermittelt wurde. Ich gebe Ihnen die für das Protokoll und trage sie hier vor.

Als erstes will ich feststellen, dass wir, der Deutsche Kinderschutzbund, aber auch das Unicef Kinderhilfswerk und das Deutsche Kinderhilfswerk, ihren Gesetzesentwurf, der hier vorliegt, ausdrücklich begrüßen und uns darüber freuen. Damit wird der Artikel 19 der UN Konvention konsequent umgesetzt. Wir finden es auch richtig, dass das Recht auf gewaltfreie Erziehung als Kinderrecht festgeschrieben wird. Wir hätten nur lieber die Formulierung - aber daraus machen wir keinen Glaubenskrieg -... ?jedes Kind hat ein Recht...?. Sie kennen es aus anderen Gesetzen, die Sie beschlossen haben. Jedes Kind hat z. B. ein Recht auf einen Kindergartenplatz. Da hat man auch nicht geschrieben, "Kinder haben das Recht", sondern ?jedes Kind?. Das macht aus unserer Sicht die Subjektstellung des Kindes und den Rechtsanspruch deutlicher als im Gesetzesentwurf.

Der zweite Punkt ist: Es ist eben davon gesprochen worden, dass konkrete Maßnahmen erforderlich sind, Werbemaßnahmen, aber auch Elternkurse, Fortbildungen und Unterstützungen. Wir sehen das auch so und alle vier Organisationen bieten ihre Hilfe dabei an. Wir wollen aber trotzdem feststellen, dass zur Prävention und auch zur Generalprävention nicht nur das Strafrecht geeignet ist. Präventive Arbeit ist auch die Veränderung von Werten und Normen in der Gesellschaft. Deswegen ist es auch wichtig, dass dies durch eine entsprechende Gesetzesänderung geschieht. Das sehen im übrigen auch die Kinder so. Bei der durchgeführten Kinderrechtswahl anlässlich des 10-jährigen Bestehens der UN-Konvention, die wir mit vier Organisationen bundesweit durchgeführt und an der sich immerhin 110.000 Kinder beteiligt haben, haben die Kinder selbst dies zum zweitwichtigsten Recht erklärt und gesagt, aus ihrem konkreten Lebensumfeld heraus werde es am zweitmeisten verletzt. Ich denke, wer Kinder ernst nimmt, der sollte an dieser Stelle auch auf sie hören.

Wir haben einen zweiten kleinen Änderungsvorschlag in der Formulierung. Der betrifft den § 16 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Da steht: ?Sie sollen Wege aufzeigen, wie Eltern Kinder gewaltfrei erziehen können.? Das wird bezogen auf Konfliktsituationen. Auf diesen Satz möchten wir gerne verzichten. Es soll doch klargestellt werden, dass es nicht akzeptiert wird, den Kindern auf die Finger zu hauen, damit sie etwas lernen. Das ist noch nicht unbedingt eine Konfliktsituation, aber es ist leider noch Lebensalltag in Deutschland. Deshalb schlagen wir vor, auf das Wort"Konfliktsituation" zu verzichten.

Des weiteren würde ich Sie herzlich bitten, im § 9 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes eine vierte Position anzufügen, wonach die Grundsätze der gewaltfreien Erziehung einzuhalten sind und körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind. Ich denke, auch die Jugendhilfe muss sich diesem Auftrag stellen. Das ist im übrigen auch ein Vorschlag, der von der Arbeitsgemeinschaft der Jugendhilfe in Deutschland gemacht wird.

Das sind unsere Änderungsvorschläge. Im großen und ganzen sind die für uns nicht von so großer Bedeutung, dass wir uns jetzt darüber streiten müssten. Hauptsächlich freuen wir uns über den Gesetzesentwurf und wünschen uns, dass er baldmöglichst beschlossen wird und dass man dann einen neuen Startschuss für eine Arbeit für gewaltfreie Erziehung in unserem Land durchführen kann.

Irene Johns: Kinderschutzzentren sind Facheinrichtungen für Fragen der Gewalt. Sie leisten Hilfe in Krisensituationen und therapeutische Unterstützung für Kinder, die körperlich oder sexuell misshandelt oder vernachlässigt worden sind. Zusätzlich leisten sie Fortbildungen für Fachkräfte, die mit Kinder zu tun haben und Gewalterfahrungen machen. Wenn ich alleine unser Kinderschutzzentrum anschaue, dann haben wir im Jahr etwa 400 Meldungen von Kindern, die Gewalterfahrungen haben machen müssen und wir haben etwa 6000 Anrufe über unser Kinder- und Jugendtelefon. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen begrüßen wir natürlich ein Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung sehr. Ihnen liegt ja die schriftliche Stellungnahme vor. Ich möchte trotzdem auf einiges hier noch einmal eingehen.

Ich denke, es ist insbesondere wichtig, dass es sich hier um eine Leitbildfunktion handelt. Die Konkretisierung im Gesetzentwurf durch körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und andere entwürdigende Maßnahmen wird zu einer ganz klaren Haltung in der Erziehung und in der Einstellung zur Gewaltanwendung führen. Das heißt, über diesen Weg wird jede Ambivalenz in diesen Fragen, zumindest rechtlich, beendet. Wir denken, dass dieses eine bedeutsame präventive Wirkung haben kann. Gewichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse einer deutschen Studie - das wird sicher Herr Prof. Pfeiffer noch ausführen. Diese Studie deckt sich mit den Ergebnissen einer schwedischen Studie. Danach ist festzustellen: Je häufiger bzw. intensiver Jugendliche in ihrer Kindheit Gewalt seitens ihrer Eltern erfahren, desto positiver bewerteten sie selbst die Anwendung von Gewalt.

In der Begründung zu dem Gesetzentwurf sind alle weiteren Argumente genannt bis auf eines, was ich hier noch hinzugefügt habe. Nämlich, dass Bestrafung immer das Risiko einer Eskalation in sich birgt. Ich denke, das ist besonders wichtig, wenn wir über die Frage diskutieren: Schadet ein Klaps? Oft ist es so, dass Eltern versuchen, gerade Säuglinge und Kleinkinder durch einen Klaps vor Schädigungen zu bewahren, und dass Eltern in der Regel nicht sehen können, dass hier das Risiko der Eskalation vorliegt. Es gibt eine Langzeituntersuchung der Universität Nottingham in Großbritannien, die das an über 700 Familien sehr deutlich aufzeigt. Danach nimmt bei denjenigen Eltern, die bereits ihren Säuglingen Klapse gegeben haben, sowohl die Häufigkeit als auch der Schweregrad der körperlichen Bestrafung zu. Viele Eltern, die auch nach dem 7. Lebensjahr noch ihre Kinder schlugen, benutzten nicht mehr nur die bloße Hand. Ich denke, das zeigt auch, dass der Übergang von körperlicher Bestrafung zu Kindesmisshandlung ein fließender sein kann.

Ich hatte letzte Woche Gelegenheit, in Stockholm mich noch einmal gründlich über die 20jährigen Erfahrungen mit dem dortigen Gesetz zu informieren. Die

Ergebnisse der Studien, die inzwischen vorliegen, zeigen ganz deutlich, dass der Prozentsatz der Eltern, die ihre Kinder körperlich bestrafen, gravierend gesunken ist. Wir haben hier Zahlen von 1979, die bei 50 % liegen, und inzwischen betragen sie

30 %. Einen Aspekt fand ich noch ganz wichtig: Die Ergebnisse dieser Erhebungen in Schweden weisen auch darauf hin, dass Einwandererkinder aufgrund eines kulturellen Hintergrundes, in dem elterliche Züchtigungen in höherem Maße akzeptiert sind, einer höheren Belastungssituation ausgesetzt sind. Das heißt, je länger ein Kind in Schweden gelebt hat, desto weniger akzeptiert es die körperliche Bestrafung. Das ist noch einmal eine starke Bekräftigung dieses Gesetzes.

Was müssen flankierende Maßnahmen berücksichtigen? Wir müssen uns sehr stark vergegenwärtigen, dass wir es letztlich mit zwei Gruppen von Eltern zu tun haben, wobei es da natürlich eine große Schnittmenge gibt. Auf der einen Seite Eltern, die aus Überzeugung körperlich strafen, und auf der anderen Seite Eltern, die aus Belastungssituationen heraus strafen. Es ist ja auch mehrfach auf den 10. Kinder- und Jugendbericht eingegangen worden. Darin ist sehr deutlich geworden, dass Anfragen nach Unterstützung bei eskalierenden Konflikt- und Gefährdungssituationen in den letzten Jahren in sehr hohem Maße zugenommen haben. Stichworte: Kinderarmut, Arbeitslosigkeit. Ich denke, der Gesetzentwurf wird uns sicherlich dort weiterhelfen, wo Eltern auch heute noch denken, es sei notwenig, körperlich zu strafen und damit zu erziehen. Handelt es sich um extreme Belastungssituationen, denke ich, muss es auch zukünftig zu weiteren sozialpolitischen Umsetzungen kommen.

Flankierende Maßnahmen: Ich weiß nicht, ob ich da auf dem allerneuesten Stand bin. In Stockholm hat man mir gesagt, dass man sich 1997 im wesentlichen darauf beschränkt habe, erst einmal das Gesetz bekannt zu machen über Fernsehen, über Aufschriften auf Milchtüten, über Informationsbroschüren an Schulen und Haushalten. Und das ist ganz wichtig: Sie bieten heute jedem, der nach Schweden einwandert, im Schwedischkurs auch gleich eine Bekanntmachung dieses Gesetzes an. Ich denke, wir sollten uns nicht darauf beschränken, nur das Gesetz zu veröffentlichen, sondern wir sollten auch eine öffentliche Diskussion über Erziehung in Gang bringen. Ich denke da weniger an Broschüren, sondern ich glaube, wir brauchen starke Medienpartner im Bereich Fernsehen, Hörfunk und Tagespresse, weil wir dann eine breitere Bevölkerungsschicht erreichen. Ich glaube auch, dass wir nicht nur die Eltern erreichen sollten, sondern auch an Kinder und Jugendliche in dieser Diskussion herantreten sollten. Wir können diese Diskussion nur gemeinsam führen und Veränderungen können wir nur gemeinsam schaffen, z. B. durch Spots in der Sesamstraße, über Schulen usw.

Sie haben in ihrer Begründung Hilfe statt Strafe sehr stark hervorgehoben. Das freut uns natürlich sehr, weil das auch unsere Herangehensweise stützt und weil ich denke, dass nur das eine Veränderung bringen wird. Es steht aus unserer Sicht zu erwarten, dass der Beratungsbedarf bei Eltern und auch bei Fachkräften, die zunächst vielleicht nicht mehr ganz sicher sind, was denn nun gewaltfreie Erziehung ist, sehr groß sein wird. Auch heute ist es schon Auftrag verschiedenster Institutionen, Unterstützung anzubieten, wenn es um Konfliktsituationen geht. Deshalb möchte ich mich auch dem Vorschlag von Herrn Hilgers anschließen und noch einmal darauf hinweisen, dass es notwendig ist, Eltern Wege aus einer Eskalation aufzuzeigen. Deshalb plädiere ich dafür, den Satz, der dem § 16 Abs. 1 angefügt werden soll, wie folgt zu ändern: Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Eltern Kinder gewaltfrei erziehen können. Der Grundsatz der gewaltfreien Erziehung sollte sicher etwas sein, was für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe gelten soll.

Josef Niehaus: Ich spreche für die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe. Diese unterstützt und begrüßt die Gesetzinitiative, die darauf abzielt, die Ächtung der Gewalt in der Erziehung in das Gesetz aufzunehmen. Wohlwissend, dass es ganz schwierig bis unmöglich sein wird, die Gewalt in der Erziehung zu definieren und dies so, dass die Definition auf jede Situation in dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern anwendbar sein wird. Da denke ich, werden wir mit einem Mangel leben müssen. Das scheint mir aber auch nicht das entscheidende Problem zu sein. Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe schlägt hinsichtlich der Verortung dieser Initiative eine Alternative vor, die ich Ihnen ganz kurz erläutern möchte.

Zum einen schlägt die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe vor, nicht den 1631 BGB zu ändern, sondern 1626 Abs. 2 zu ergänzen. Deshalb, weil 1626 Abs. 2 eigentlich einen Grundsatz aufzeigt, der deutlich macht, dass es in der Erziehung zwischen Eltern und Kindern nicht mehr um ein Oben und Unten geht, sondern um ein Gegenüber. Und zwar ein Gegenüber, das dazu führt, dass Eltern sich auch zurücknehmen, dass sie sozusagen dem wachsenden Eigeninteresse und der Selbstständigkeit der Kinder entsprechen. Und dem läuft die Gewalt in der Erziehung zuwider. Insofern wäre nach Meinung der AGJ der 1626 Abs. 2 der geeignete Paragraph, in dem diese Gewaltfreiheit in der Erziehung zu verankern wäre. Zweitens: Hinsichtlich der Verordnung im Kinder- und Jugendhilfegesetz geht die AGJ davon aus, dass die vorgeschlagene Ergänzung im § 16 SGB VIII notwendig ist, aber zu kurz greift.

Die AGJ schlägt vor, diese Vorschrift, die Sie an jener Stelle vorgesehen haben, in einer ähnlichen Formulierung in die allgemeinen Vorschriften zu übernehmen. Und zwar deshalb, weil das Prinzip der Gewaltfreiheit in der Erziehung für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe gilt. Das ist ja von einigen Vorrednerinnen und Vorrednern schon gesagt worden. Da greift eine bloße Ergänzung der BGB-Normen zu kurz. Erstens müsste Jugendhilfe aufgrund einer solchen gesetzlichen Neuregelung gute Ansätze einer Kooperation der Einrichtungen und Organisationen, die zum Wohle der Kinder tätig sind, weiterentwickeln.

Zweitens müsste - und das wäre ein originärer Auftrag für die Jugendhilfe - die Jugendhilfe dazu beitragen, dass die beteiligten Akteure bei aller Respektierung ihrer eigenen Aufgabe zu einer Fallkonferenz an einen Tisch kommen. Das scheint uns ein ganz wichtiger Punkt zu sein. Die gesetzlichen Grundlagen dafür reichen nach unserer Meinung aus. Es könnte vielleicht ein Anstoß kommen, dass die Jugendhilfe diese Aufgabe auch stärker wahrnimmt. Etwa wie beim sexuellen Missbrauch.

Ein dritter Punkt noch im Sinne der Anregung: Wenn wir von Jugendhilfe oder Jugendamt sprechen, dann meinen wir nicht nur die Verwaltung, sondern meinen auch den Kinder- und Jugendhilfeausschuss vor Ort. Dieser Jugendhilfeausschuss ist nach unserer Überzeugung ein ganz wichtiger politischer Ort, wo dieses Thema auch vor Ort öffentlich gemacht werden muss. Das passiert nur zum Teil. Darin sehen wir eine politische Aufgabe des Kinder- und Jugendhilfeausschusses vor Ort. Dies auch deshalb, weil es ja nicht nur um eine Addition von Einzelfällen, sondern auch um Lebensbedingungen von Kindern konkret vor Ort geht. Da müsste sich der Jugendhilfeausschuss zum Wohle der Kinder stärker einmischen im Politikbereich, der Einfluss nimmt auf die Lebenswirklichkeit von Kindern und deren Familien. Das zusammen genommen führt zu der Einschätzung, dass eine Ergänzung des BGB zu kurz greift, und wir deshalb dafür plädieren, das SGB VIII zu ändern, aber in den allgemeinen Vorschriften. Vielen Dank!

Prof. Christian Pfeiffer:

Was ich Ihnen hier als Kurzvortrag zeige, können Sie in einem 8-seitigen Text nachlesen, den wir heute morgen per E-Mail an das Sekretariat geschickt haben. Er enthält ausführliche Darlegungen unserer neuen Erkenntnisse zum Umfang der Gewalt gegen Kinder in der Familie und zu deren Auswirkungen.

Zunächst ein Vergleich der Häufigkeit innerfamiliärer Gewalt zu der Jugendgewalt, die die Jugendlichen in der Schule oder in der Freizeit erlebt haben: Ganz klar, der primäre Ort von Gewalt ist in Deutschland die Familie und nicht die Schule oder die Freizeit. Schwere Elterngewalt, das sind dann Misshandlungen und massive Schläge mit Gegenständen, ist mit 15,9 % deutlich häufiger, als die selbst erfahrene Gewalt im Kreise der Jugendlichen.

Nun zu den Häufigkeiten im Einzelnen: 18.000 Jugendliche wurden in drei Kleinstädten und fünf Großstädten in Ost-, West-, Süd- und Norddeutschland befragt. Das Ergebnis ist, dass in der Kindheit vor dem 12. Lebensjahr 43,3 % ohne Gewalterfahrung geblieben sind. 20,7 % Ohrfeigen, 17,1 % Schläge mit Gegenständen. Maximal war das Beispiel des Gartenschlauches in der Hand des Vaters. Misshandlungen, also Fausthiebe und sonstiges, haben 4,5 % selten und 5,3 % häufig erlebt. In dem letzten Jahr vor dieser Befragung hatten wir Neuntklässler, also 14- bis 16-jährige befragt. Dort waren es 58 %, die gar keine Gewalt abbekommen haben. Mit steigendem Alter nimmt das also ab. Die männlichen Befragten könnten vielleicht auch zurückschlagen. Die weiteren Zahlen: leichte Züchtigung: 26,7 %, Schläge mit Gegenständen: 8,1 %, seltene Misshandlungen: 4,6 % und häufige Misshandlungen 2,6 %. Also insgesamt immer noch über 7 %, die Misshandlungen erfahren haben. Das ganze erhöht sich drastisch im Vergleich, wenn Eltern arbeitslos werden: die massiven Misshandlungen stehen im Verhältnis 6 : 2, sind also dreimal so häufig, die seltenen stehen im Verhältnis 7 : 4 und sind damit fast doppelt so oft. Erst bei den anderen beiden Formen von körperlicher Gewalt gegen Kinder gleicht sich das dann weitgehend an. Aber massive Arbeitslosigkeit wirkt sich offenkundig aus auf diese Formen der Gewalt.

Ganz entscheidend war für uns die Unterscheidung nach ethnischen Gruppen, weil wir zu klären hatten, warum junge Ausländer erheblich häufiger Gewalt verüben, als junge Deutsche. Da zeigen sich gravierende Unterschiede schon in der Kindheit. 7 % der deutschen Kinder erzählten über Misshandlungen ihrer Eltern und 16,7 % über Prügel. Bei eingebürgerten Türken waren es 24,8 %, das ist dann fast das 4fache an Misshandlungen.16,5 % erlebten auch noch sehr häufige Prügeleien. Sie werden fragen, warum das bei den eingebürgerten Jugendlichen schlimmer ist? Weil sie länger in Deutschland leben. Je länger sie in Deutschland leben, um so größer wird in der Familie der Kulturkonflikt. Die Mädchen wollen sich plötzlich schminken und den Minirock anziehen und mit den Deutschen mithalten. Die Jungs wollen auch deutscher sein, als ihre Eltern sind. Dann ergeben sich massive Konflikte, die die Eltern mit Gewalt austragen. Von da her ist es ein Ergebnis der Aufenthaltsdauer. Mit der Folge übrigens, dass mit steigender Aufenthaltsdauer die Gewalt der Jugendlichen selber zunimmt. Am höchsten ist sie bei den hier Geborenen der zweiten Generation, die auch in höchstem Maße der innerfamiliären Gewalt ausgesetzt sind. Sie haben im Durchschnitt 2,5 mal so hohe Raten von Misshandlungen gegenüber den Deutschen.

Bei der Befragung im Jahre 1997 ergab sich: 5 % der Deutschen wurden misshandelt, aber 18 % der eingebürgerten Türken. 17,8 % der noch Ausländertürken und auch alle anderen Einwanderergruppen haben hier Raten, die mindestens um das 1,6fache über den der einheimischen Deutschen, meistens aber doppelt so hoch liegen. Und am Rande haben wir auch noch gefragt: Hast du gesehen, dass deine Eltern sich untereinander prügeln? Das haben 5 % der Deutschen häufig gesehen und 4,8 % selten im letzten Jahr, aber bei den Türken waren es 21,5 % bei den eingebürgerten und bei den nichteingebürgerten 14 %.

Auch bei allen anderen zeigten sich deutlich höheren Raten an innerfamiliärer Gewalt von Männern gegen Frauen. Türken sind häufiger arbeitslos. Uns hat dann natürlich interessiert, ob das die Erklärung dafür ist, dass in den Emigrantenfamilien häufiger geschlagen wird. Sie ist es nur partiell. Hier haben wir die Nichtarbeitslosen alle befragt und da sehen Sie die Unterschiede von den Deutschen zu den Türken: Das Verhältnis liegt bei 12 : 27. Und wenn wir die Arbeitslosen nehmen, dann steigt es bei den Deutschen von 12 auf 19 und bei den Türken von 27 auf 47. Also kann man für alle beobachten, dass die Arbeitslosigkeit für alle Emigranten und die Deutschen das Risiko beträchtlich erhöht, aber es ist nicht die Erklärung.

Zu den Auswirkungen: Wer elterliche Gewalt, massiv oder weniger massiv, erfahren hat, übt häufiger Gewalt aus. Folgende Zahlen ergaben sich: 16,6 % selbstberichtete Gewalttaten von denen, die nie Opfer von Gewalt geworden sind, 22 % von denen, die geohrfeigt wurden, 30 % der schwer Gezüchtigten, 35 % bei denen, die selten misshandelt wurden, und 43 % bei denen, die gehäuft misshandelt wurden.

Noch massiver sind diese Auswirkungen, wenn wir die Mehrfachtäter betrachten. Bei Jugendlichen, die mindestens fünf Gewalttaten im letzten Jahr begangen haben, waren 4,3 %, die nie irgendwelche Gewalt in der Familie erfahren haben; 6,6 %, die nur in der Kindheit Gewalt erfahren haben; 8,0 %, die nur in der Jugend Gewalt erfahren haben und 14,7 %, die in Kindheit und Jugend massiver Elterngewalt ausgesetzt waren. Das ist der dreifache Wert.

Wir haben auch elterliche emotionale Beziehungen zu den Kindern erfasst. Wir wollten wissen, ob die elterliche Zuwendung eine Rolle spielt. Natürlich spielt sie eine Rolle. Aber bei wem ist sie wichtig? Gemessen haben wir das mit der Frage: Haben deine Eltern dich in deiner Kindheit regelmäßig, häufig, selten oder nie in den Arm genommen? Regelmäßig, häufig, selten oder nie mit dir geschmust? Dich gelobt oder dich getröstet, wenn du geweint hast? Etwa 15 % erzählen, dass ihre Mutter sie selten oder nie in den Arm genommen oder andere erfreuliche Dinge mit ihnen getan hat. 20 % berichten dies von ihrem Vater. Also kommen 15 - 20 % der Jugendlichen emotional zu kurz in den Familien. Das wurde dann ergänzend zu dem Schlagen gemessen.

Bei nichtschlagenden Eltern variiert die Zuwendungsintensität von sehr hoher Zuwendung bis schlechter Zuwendung. Und Sie sehen: Die Gewaltrate steigt drastisch an. Bei den Ohrfeigenkindern steigt die Kurve ganz extrem an. Für die, die sowohl Ohrfeigen abbekommen haben als auch ganz wenig Zuwendung, wird es immer schlimmer. Und am Ende sehen Sie, dass die Zuwendung keine Rolle mehr spielt. Egal, wie liebevoll die Eltern sein mögen: Wenn sie häufig misshandelt werden, kann das durch nichts mehr ausgleichen werden. Wenn wir dann fragen: Wie viel Taten hast du denn begangen und setzen den Wert der glücklichen Kinder, die nie geschlagen und liebevoll erzogen wurden, mit 1, dann haben wir 5,1mal so viel Delikte, die im letzten Jahr begangen wurden durch die massiv geschlagenen, wenig geliebten Kinder.

Und jetzt kommt das problematischste Bild überhaupt: Hier unterscheiden wir nach dem Geschlecht der Jugendlichen und nehmen als erstes die Deutschen und fragen: Bist du jemand, der zehn Delikte, monatlich also fast 1, im letzten Jahr begangen hat? Dies sind die Mehrfachtäter, die ein hohes Risiko haben, dass sie die Gerichte und die Polizei beschäftigen. 3,5 % der deutschen Jungs gegen 1 % der deutschen Mädchen sind Mehrfachtäter. Dann gehen wir zu den Aussiedlern und sonstigen Eingebürgerten. 5,7 % zu 0,9 % bei Mädchen. Dann gehen wir zu allen sonstigen Ausländern und es geht auf 8 % zu 1,6 %. Dann gehen wir zu den Türken und dann sind es 11,6 % der männlichen Türken, die Mehrfachtäter der Gewalt sind, gegen 1,6 % der weiblichen. Bei den Mädchen haben wir dann weiter durch Multifaktorenanalysen festgestellt, dass die vermeintliche Ursache des Fremderwerdens in der Kultur ein Kunstprodukt ist. Wenn wir nämlich Armut kontrollieren und Bildungsgrad, dann haben wir völlig gleiche Raten. Ergebnis: Türkische Mädchen unterscheiden sich von deutschen Mädchen nicht im Gewaltverhalten. Oder anders gesagt: Deutsche Mädchen sind in der selben sozialen Lage wie die Türken, haben die selben hohen Gewaltraten. Bei den Jungen ist das anders. Bei türkischen ausgeprägter als bei jugoslawischen. Wenn wir da die sozialen Faktoren konstant halten, haben wir einen ethnischen Aspekt. Das hat primär nichts mit der Nationalität an sich zu tun. Sondern mit der Kultur der Männlichkeit, die dem Vorkriegsmodell entspricht und in der Türkei noch sehr in ist. Die Türkei ist insofern eine Machokultur. Und das hat seine Auswirkungen, wenn diese Jungs nach Deutschland kommen oder hier aufwachsen unter der Fuchtel eines Vaters, der sich noch mit voller Überzeugung als Patriarch und so aufführt, wie die deutschen Väter vielleicht vor 100 Jahren.

Da liegt ein enormes Maß an Arbeit vor uns, denn das kann man nicht durch Gesetz ändern. Zwar ist das Gesetz eine große Hilfe. Aber man kann es nur ändern durch geduldige Auseinandersetzung. Ich bin z. B. gerade mit einem Vortrag in türkischen Gemeinden Deutschlands unterwegs, aber auch in den türkischen Medien und in der Türkei selber präsent. Daneben forschen wir in Ismir, aber auch in Ljubljana oder in Wolgograd mit dem selben Fragebogen, den wir in Deutschland eingesetzt haben.

Schließlich möchte ich Ihnen noch die Auswirkungen elterlicher Gewalt auf die Gewaltbefürwortung der Jugendlichen zeigen. Wir haben nachgewiesen, dass mit steigender Intensität elterlicher Gewalt die Fähigkeit drastisch abnimmt, bei Konflikten konstruktiv zu reagieren. Die Konfliktkompetenz nimmt also ab. Demgegenüber nimmt die Gewaltbefürwortung bei der Lösung von Konflikten ebenso drastisch zu, wie die Feindseligkeitszuschreibung, bei der man bei einem Rempler auf der Treppe sofort erst einmal guckt, ob der andere es böse gemeint hat. Derjenige, der in hohen Maße familiärer Gewalt ausgesetzt war, schlägt sofort zu, weil seine Ehre tangiert ist und weil er dem anderen von vorneherein böse Absicht und Feindlichkeit unterstellt. Diese Neigung nimmt drastisch zu, je mehr Gewalt man erfahren hat.

Mein letzter Punkt zu den Auswirkungen ist in meinen Augen fast der spannendste und niemand hat ihn bisher erwähnt. Jüdische Organisationen in Amerika haben 1980 wissen wollen, was die Menschen auszeichnet, die im Dritten Reich Juden versteckt haben: 400 lebten noch, die man in Deutschland, Holland, Frankreich, Norwegen und sonst wo gefunden hat, wo immer Juden versteckt wurden vor dem Zugriff der Deutschen. Sie haben ihr Leben riskiert, sie haben extrem Zivilcourage bewiesen. Was also zeichnet die 400 Menschen aus, mit denen man Interviews geführt hat?

Es waren Atheisten darunter und Katholiken und Evangelisten, sodass sich bei der Religion keine Unterschiede ergaben. Große Unterschiede bestanden aber beim sozialen Status, bei Intelligenz und Herkunft. Jedoch gab es eine Gemeinsamkeit über alle Nationen: Gewaltlose Erziehung zeichnete die Menschen aus, die sich so couragiert verhalten haben. Das Buch, in dem das dargestellt ist, hat einen Kernsatz. Der heißt: "Gewaltlose Erziehung fördert den aufrechten Gang". Wenn es also noch eines Grundes bedurft hat, warum dieses Gesetz, das jetzt beschlossen werden soll, richtig ist, dann ist es - neben der Gewaltprophylaxe - dieser.

Wie bringt man nun die Menschen dazu, dass sie sich entsprechend des Gesetzes verhalten? Das Gesetz ist erst einmal zentralbedeutsam, weil wir eine ganz andere Botschaft gegenüber z. B. den türkischen Familien haben, wenn wir deutlich machen, dass jede Form von Gewalt gegen Kinder in Deutschland schlicht nicht mehr erlaubt ist.

Zweiter Punkt: Man muss früh ansetzen. Bestes Beispiel dafür ist Australien, die an den Kindergärten Elternschulen angedockt haben. Dort wurden mit Videofilmen, mit Einzelberatung und Gruppendebatten auf völlig freiwilliger Basis 100.000 Eltern schon dazu gebracht, dass sie diese Chance aufgreifen. Man arbeitet zudem mit phantastischen Filmen, die auf Wunsch der Leute zweimal wiederholt wurden zur besten Sendezeit des australischen Fernsehens. Prof. Halweg von der Universität Braunschweig importiert das ganze z. Zt. als Modellversuch nach Braunschweig.

Diese Maßnahmen wirken zu einem Zeitpunkt, wo die Eltern sich noch nicht negativ festgefahren haben in falschen Verhaltensweisen und wo sie selber auch noch Fragen stellen, weil sie junge Eltern sind.

Zweitens gibt es, wie z. B. in Schweden, Infoaktionen. Die müssen sein, denn man muss die Dinge unter das Volk bringen. Und da wir relativ wenig Gegnerschaft gegen dieses Gesetz haben, werden wir keine überbordende Debatte mehr im Bundestag dagegen erleben. Das war in Schweden 1977 anders. Da waren 70 % der Bevölkerung gegen die Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts und es gab Riesendebatten. Die werden wir hier nicht haben. Deswegen, meine ich, muss man um so intelligenter verfahren, um hier die Öffentlichkeit zu mobilisieren und diese neue Erkenntnis, die wir verbreiten können, unter das Volk zu bringen. Da denke ich an Kindergärten, Schulen und natürlich die Medien; vielleicht auch an die Milchflasche oder die Milchtüte. Man muss sich was einfallen lassen. Das ist das ganz Zentrale.

Letzter Punkt. Das ist die schlimmste Botschaft, die ich Ihnen geben kann. Wir haben von den misshandelten Kindern immerhin 7 % im letzten Jahr, wissen wollen, mit wem sie darüber geredet haben. 4 % haben mit dem Kinderschutzbund geredet, 3,5 % mit dem Jugendamt, 2,5 % sind letztlich bei der Polizei gelandet. Wir sind kein Kinderschutzland. Wir mögen ein gutes Tierschutzland sein, aber im Kinderschutzbereich sind wir Entwicklungsland. In Schweden ist das anders. Die sagen: Aufsuchende Hilfe ist das entscheidende. Deshalb hat man in den Schulen Helfer, die in die Klassen gehen, sich vorstellen und sagen: Ich heiße sowieso und bin vom Kinderschutzbund Schweden und an mich könnt ihr euch wenden. Der zentrale Unterschied zu Deutschland ist folgender: Die Helfer sagen zu den Jugendlichen ganz klar: Ich gehe erst zu einer Behörde, Jugendamt oder sonst wem, wenn du es mir erlaubst. Ich halte ganz strikt Schweigsamkeit ein mit allem, was du mir berichtest, egal wie schlimm es ist. Du entscheidest über dein Leben; du entscheidest, ob Behörden das erfahren. Von daher gesehen kann ich nur aufrufen, dass wir wegkommen von diesem Prinzip der Notrufnummern. Das machen die Kinder nicht. Geht hin zu ihnen! Geht in die Schulen! Da hat man sie alle! Wir testen das gerade in einem Modellversuch über die Bürgerstiftung Hannover und sind gespannt, was da rauskommen wird. Ich sehe es als den besten Weg an. Die Schweden haben es uns vorgemacht.

Zum Gesetz: Das finde ich großartig. Es ist eine historische Tat, dass das jetzt kommt. Und ich schließe mich dem Vorschlag an, den Ihnen Frau John bereits nahegelegt hat, indem sie sagt: "Wege zur gewaltfreien Erziehung sollten gefördert werden". Das hat deswegen Bedeutung, weil damit auch finanzielle Konsequenzen verknüpft sein können. Da mag es dann so sein, dass die Jugendhilfe sich leichter tut, Geld einzufordern für Maßnahmen parallel zu Kindergärten. Es ist also außerordentlich wichtig, dass Sie diese kleine Änderung vornehmen, weil Sie damit den Weg, den man in Australien oder Schweden mit großem Erfolg gegangen ist, leichter machen. Vielen Dank!

Dr. Robert Sauter: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Meine schriftliche Stellungnahme liegt Ihnen vor. Ich möchte mich deswegen auf einige wesentliche Punkte beschränken.

Schwerere Formen von körperlicher Gewalt sind strafrechtlich sanktioniert. Insofern bedarf es eigentlich keiner gesetzlichen Änderung. Auch Formen von Beeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen, die zu Entwicklungsstörungen führen, tragen bei entsprechender Schwere dazu bei, dass eventuell das elterliche Sorgerecht überprüft, entzogen oder beschränkt wird. Also gibt es auch insoweit heute schon eine Sanktionierungsmöglichkeit und insofern auch keinen zusätzlichen gesetzlichen Bedarf. Das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf jetzt zusätzlich in die Wege leiten wollen, kann aus meiner Sicht deswegen nicht funktionieren, weil sie den Begriff der Gewaltfreiheit im vollen Sinn nicht in den Griff bekommen werden.

Ich habe sehr sorgfältig die Materialien studiert, die im Umfeld der Einbringung dieses Gesetzentwurfs entstanden sind, und möchte nur bei dem kleinen bescheidenen Punkt des Klapses darauf aufmerksam machen, dass der Kinderbeauftragte der SPD, Herr Stöckel, sagte: Mit diesem Gesetzentwurf soll genau dieser Klaps abgeschafft werden, obwohl der PSt Dr. Pick sagte, um den Klaps gehe es nicht. Das ist nur ein kleines Beispiel. Wenn man Eltern ein neues Leidbild anbieten oder ihnen vorstellen will, dann müsste dazu gehören, dass man wenigstens halbwegs einvernehmlich wüsste, worum es eigentlich geht. Eine Gewaltfreiheit im vollen Sinne des Wortes würde ja letztlich jedes sanktionierende Eingreifen von Eltern unter den Verdacht stellen, dass es eigentlich nicht erlaubt wäre. Also müssen wir darüber diskutieren, ob der gelegentliche Hausarrest noch oder nicht mehr Bestandteil einer gewaltfreien Erziehung ist, wie es sich mit dem Fernsehverbot verhält usw.. Die Fragen der Erziehung stellen sich für Eltern und Familien ja ganz praktisch und nicht abstrakt, sie stellen sich im jeweiligen Alltag der Familien. Hier, denke ich, bedarf es dann konkreter, deutlicher, nachvollziehbarer Hinweise, was eigentlich tatsächlich gewollt ist. Meine Befürchtung ist, und hierzu böte die Analyse der pädagogischen Literatur vielfältige Hinweise, dass Gewaltfreiheit positiv eigentlich nicht definiert werden kann. Wir beschreiten hier deshalb einen Weg, auf dem jedes Versagen elterlicher Erziehung, bei der das Kind nicht so hat handeln können, wie es eigentlich wollte, auch als Versagen der Familie definiert wird. Ich weise darauf hin, dass die Familien und insbesondere die Eltern heute im privaten Bereich ohnehin schon die Hauptlast der Belastungen zu tragen und zu verarbeiten haben, die eine eher diffuser werdende Gesellschaft mit sich bringt. Und diese Belastung hat kein Äquivalent in Form entsprechender Unterstützung oder Hilfen. Deshalb habe ich, auch um der Leitbildfunktion des BGB in einer anderen Weise Rechnung zu tragen, vorgeschlagen, dass man dieses ohnehin schon im § 1626 Abs. 2 eher positiv angelegte Leitbild ergänzt und formuliert: "Bei der Pflege und Erziehung achten und schützen die Eltern die körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit des Kindes" und dann fortfährt im bisherigen Text. Das böte eine aktivierende, eine positive Formulierung an und würde den Eindruck vermeiden, bei den Eltern in den Familien handele es sich um wilde Tiere, die man an die Kette legen muss.

Ausgesprochen ärgerlich finde ich aus der Sicht der Jugendhilfe, dass im Gesetzentwurf bei dem Punkt Kosten steht, es gebe zwar einen Mehrbedarf, der aber nicht bezifferbar sei. Das ist natürlich falsch und verhängnisvoll. Wenn in einer derart weitreichenden Weise, wie das hier im Gesetzentwurf beabsichtigt ist, zusätzliche Ausbildung, Bildung, Fortbildung, Begleitung, Unterstützung, Beratung von Eltern erfolgen soll, dann erfordert das natürlich einen erheblichen personellen Mehraufwand in den Jugendämtern oder bei den freien Trägern; und der ist auch zu beziffern. Wenn Sie eine Modellrechnung aufmachen, dann ist diese präventive Aufgabe weit im Vorfeld von den Jugendämtern nahezu nicht zu leisten. Man ist in den Jugendämtern bei der derzeitigen Situation und Ausstattung schon froh, wenn man mit den Kernaufgaben, mit den schwierigen Fällen halbwegs über die Runden kommt. Diese weitläufige, präventive, vorausgehende Begleitung und Unterstützung durch die Jugendhilfe würde pro Jugendamt, von den Großstadtjugendämtern spreche ich hier nicht, also mindestens eine zusätzliche Personalstelle erfordern. Wenn Sie das hochrechnen bei ungefähr 680 Jugendämtern, dann kommen Sie auf 75 Millionen Mark. Also schreiben Sie das bitte in ihren Gesetzentwurf hinein: Mehrkosten von mindestens 75 Millionen Mark. Ich werde Ihnen dann sagen, was passiert: Die kommunalen Kostenträger, die kommunalen Spitzenverbände sind ohnehin dabei, gerade das Gegenteil zu machen, nämlich die Kosten in der Jugendhilfe zu begrenzen. Die meisten Jugendämter klagen über Deckelungen oder über Einschnitte in den Jugendhilfehaushalten aus welchen Gründen auch immer.

Und wenn Sie nun die kommunalen Spitzenverbände als die Kostenträger fragen, ob sie dem Gesetzentwurf, der 75 Millionen Mark kostet, zustimmen, dann werden die sagen: Es ist gleich, ob wir dem Gesetzentwurf zustimmen oder nicht, aber 75 Millionen Mark gibt es nicht. Das ist die politische Realität. Deswegen halte ich es eigentlich für unredlich, lassen Sie mich das so sagen, so zu tun, als ob man durch eine Erweiterung des § 16 im SGB VIII die Situation der Beratung und Unterstützung von Familien durch die Jugendhilfe verbessern würde. Man verbessert überhaupt nichts, weil die personelle Ausstattung und die materielle Ausstattung derzeit jedenfalls nicht zustande kommen wird. Das ist das Problem. Und ich denke, Sie wären und sind wenigstens den Familien gegenüber zur Ehrlichkeit verpflichtet. Danke schön!

Dr. Horst Schetelig: Meine Damen und Herren! Ich bin Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichentherapeut und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.

In der Begründung zum vorliegenden Gesetzentwurf wird ausgeführt, ich zitiere: "Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie sollen allen Müttern und Vätern angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter und Väter ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können". Ich finde das großartig, und ich muss Sie ausdrücklich dazu beglückwünschen. Man fragt sich, warum dieses Thema erst jetzt zur Debatte kommt. Etwas anderes ist die Frage, ob dazu wirklich ein neues Gesetz notwendig ist. Bislang ist Eltern nicht einmal die bisherige und bereits geltende gesetzliche Grundlage hinsichtlich entwürdigender Erziehungsmaßnahmen und körperlicher wie seelischer Misshandlungen hinreichend bekannt. Die wissen gar nicht, wie sehr sie sich möglicherweise jetzt schon strafbar machen. Im therapeutischen Alltag, meine Damen und Herren, werden uns immer wieder schlimme Situationen berichtet und ich möchte Ihnen das, was Prof. Pfeiffer Ihnen kurz als Grafik verdeutlicht hat, ein bisschen schildern.

Da werden Kinder von Eltern soweit geprügelt, dass man sie als Sachverständiger gutachterlich vergleichen muss mit einem Menschen, der bei 50 km/h einen Unfall hatte mit dem Auto. Es kommt zu Nasenbeinbrüchen, Augenverletzungen, Rippenbrüchen. Eltern, die diese oder ähnliche Dinge früher selbst an sich haben erleben müssen, sind bereits in höchstem Maße allergisiert gegenüber jedweder Anwendung von Gewalt in der Erziehung. Sofern solche Eltern ein ähnliches Verhalten, z. B. in der Nachbarschaft, beobachten, fühlen sie sich unmittelbar aufgerufen, hier korrigierend einzuschreiten. Und es ist richtig und notwendig, dass diese körperlichen Misshandlungen auch strafrechtlich geahndet werden.

Andererseits erscheint es jedoch fraglich, ob durch eine Verschärfung bereits geltender gesetzlicher Maßnahmen das Ziel einer gewaltfreien Erziehung innerhalb der Familie wird erreicht werden können. Sicherlich ist bei manchen Eltern eine Bewusstseinsveränderung erforderlich, doch sollte im Sinne der Akzeptanz positiver Erziehungsmittel das Konzept ?Erziehung statt Strafe? auch für die Eltern Anwendung finden können. Denn Angst und Druck, die zweifelsohne bei Eltern mit dieser Gesetzesinitiative auch erzeugt werden, sind durchaus keine guten Voraussetzungen, um Einsichten zu wecken und Eltern gerade in schwierigen Erziehungssituationen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Wenn nun schon bei Klapsen in die Familie hineinregiert wird und sich Eltern zu sehr kontrolliert fühlen, besteht vielmehr die Gefahr, dass sie sich dann innerlich aus der Erziehung verabschieden und ausklinken, wenn sie z. B. von Mitarbeitern des Jugendamtes zur Rechenschaft und zur Verantwortung gezogen werden. Im Alltag dürfte die Abgrenzung von Klapsen und darüber hinausgehenden Maßnahmen, außerordentlich schwierig sein, denn Misshandlungen sind ja ohnehin bereits strafbar. Immerhin halten laut der Forsa-Umfrage 3/4 der Deutschen einen Klaps auf den Po für ein geeignetes Erziehungsmittel. Das angestrebte Gebot, jegliche Art von seelischen Verletzungen zu unterlassen, erscheint aus therapeutischer Sicht außerordentlich wünschenswert. Seelische Verletzungen sind für Kinder oft mindestens so grausam, wie körperliche Misshandlungen, wenn Demütigungen z. B. über Jahre hinweg ertragen werden müssen. Wie aber soll dieser Begriff der seelischen Verletzung definiert werden? Manche Kinder beklagen sich bei ihren Eltern schon über seelische Verletzungen, wenn die Eltern ihnen etwas verbieten. Seelische Verletzungen bei Kleinkindern werden andererseits tagtäglich durchaus hingenommen, wenn die Kinder weinend und schreiend in einer Krippe o der bei Tagesmüttern abgegeben werden und wir diese Maßnahme steuerlich auch noch subventionieren. Man muss das manchmal aus der Sicht des Kindes betrachten. Als Maßnahmen zur Hilfe bei der Erziehung werden im Entwurf zum Beispiel Erziehungsberatung, aber auch Heimerziehung als ein differenziertes Instrumentarium vorgeschlagen, um in Not- und Konfliktsituationen ohne Repressionen oder stützend tätig werden zu können. Wie kann man aber annehmen, dass die Androhung von Heimerziehung keine Repression ist?

Beinahe täglich behandeln wir in der Praxis erwachsene Patienten mit jahrelangen massiven Angststörungen, denen genau damit früher Angst gemacht wurde. Denen mit der Drohung, dass sie weggegeben und in einem Heim erzogen werden sollten, seelisches Leid zugefügt wurde. Manchen dieser jahrelang leidenden Patienten, die sich ausgestoßen fühlten, wäre eine klärende Ohrfeige ihrer Eltern möglicherweise sicher lieber gewesen, als sich immer wieder aufs Neue von Liebesentzug bedroht

fühlen zu müssen. Ich bitte mich nicht miss zu verstehen: Ich möchte keineswegs diesem Erziehungsmittel das Wort reden. Mit der vorliegenden Gesetzesinitiative wird Kindern aber ein Rechtsanspruch gegen ihre Eltern eingeräumt. Ein Recht auf Hilfe gegen die Eltern. Sinnvoller erschiene es, Familien präventiv, das klang hier bereits verschiedentlich an, zu stützen und nicht erst tätig zu werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, und dafür zu werben, dass Konflikte gemeinsam und miteinander gelöst werden. Wir sehen aus der täglichen Praxis, der Therapie-, Erziehungs- und Konfliktberatung, keinen anderen wirklich helfenden Ansatz, als den, nach gemeinsamen Möglichkeiten der Verständigung zu suchen. Brücken zu bauen, ist sinnvoller und notwendiger, als ständig neue Gräben aufzureißen und Rechtsansprüche durchzusetzen. Androhungen von Zwangsmaßnahmen sind keine Basis zu einer inneren Öffnung und zur Bereitschaft, Dinge anzunehmen und auch ändern zu wollen. Erst auf einer solch gemeinsamen, verstehenden Basis werden Eltern dann bereit, eigene Fehlverhaltensweisen einzugestehen, und sie sind motiviert, sich selbst zu ändern und ihrem Kind zu helfen. Wir sehen, dass der vorliegende Gesetzentwurf positive Einwirkungsmöglichkeiten im Sinne einer seelischen Gesundheit der Kinder zu erreichen versucht. Wir meinen aber, dass man beachten muss, hier nicht neue Konflikte zwischen Eltern und Kindern aufzureißen. Ich danke Ihnen!

Marion Simon: Auch ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen. Ich arbeite im Verein "Frauen helfen Frauen" Warendorf. Diesen Verein gibt es seit 20 Jahren. Er unterhält ein Frauenhaus und eine Frauenberatungsstelle. Ich glaube, ich bin hier heute eingeladen, weil das Thema "Theorie und Praxis" doch immer zwei Welten sind und unsere Erfahrungen mit den bestehenden Gesetzen nicht gerade positiv sind. Das gilt auch für das Kindschaftsrecht.

Aber ich möchte doch erst mal sagen, dass wir das neue Gesetz sehr begrüßen, aber eben auch darauf hinweisen möchten, dass gerade die flankierenden Maßnahmen das Wichtige an diesem Gesetz sind. Es nützt uns nämlich gar nichts, wenn diese Gesetze, die dazu gemacht werden, dass Kinder und Eltern im Einvernehmen miteinander leben, dort, wo sie nicht eingehalten werden, bagatellisiert werden. Dass Gewalt bagatellisiert wird, ist nämlich ganz oft unsere Erfahrung. Bei uns im Frauenhaus gibt es Mütter und Kinder, die über lange Zeit seelische und körperliche Gewalt erfahren haben. Es ist nicht nur so, dass die Kinder geschlagen werden. Sondern es ist auch sehr oft so, dass Mütter geschlagen werden und Kinder über Jahre gesehen haben, was männliche Gewalt für Auswirkungen hat. Nämlich, dass die Mutter sich nicht wehren kann und auch nicht in der Lage ist, ihre Kinder vor dieser Gewalt zu schützen. Wir haben in unserer Tischvorlage deshalb gerade bei den flankierenden Maßnahmen Ideen und Vorschläge aufgezählt, weil wir in der Praxis ganz oft die Erfahrung haben, dass betroffene Kinder vor uns stehen, die nicht nur Gewalt, sondern auch erlebt haben, dass sie nicht geschützt werden. Wir als Institution Frauenhaus sehen uns da auch als Öffentlichkeit. Und wenn uns bekannt ist, dass ein Kind misshandelt ist, und ich rede hier wirklich von Misshandlung, dann ist es um so schwerer, zu sehen, dass Mütter die Entscheidung treffen, wieder zurückzugehen, weil es in dieser Gesellschaft immer noch sehr schwierig ist, einen eigenen Lebensweg aufzubauen.

Da demgegenüber für die Jungs vorzugsweise das Vorbild des Vaters gilt, der aber die Gewalt ausgeführt hat und nicht bestraft wird, wird ihm auch kein Stoppschild gesetzt. Wir sind also auch eher für Hilfe und Unterstützung. Aber da, wo Straftaten vorliegen, wollen wir auch, dass sie geahndet werden. Denn wir machen sogar bei diesem neuen Kindschaftsrecht die Erfahrung, dass es selbst da, wo die Gewalt öffentlich ist bei Kindern, Ausnahmeregelungen gibt. Die wenigen, die man dann versucht, scheitern an der Realität. Man darf nicht vergessen, dass es wenn, es ein behütetes Umgangsrecht gibt, erst mal die Frage gibt: Wieso hat dieser Mann, dieser Vater, der sein Kind geschlagen oder vor den Augen des Kindes immer wieder die Mutter gedemütigt und geschlagen hat, ein Recht? Dieses Kind erlebt jetzt, dass der Vater das Recht hat, das Kind zu sehen. Das Kind erlebt, dass der Vater den Aufenthaltsort erfährt, dass er folglich kein Stoppschild gesetzt bekommt. Gewalt erscheint so legitim. Ich habe als Frau nachher nur noch die Möglichkeit, Gewalt zu ertragen.

Wir finden es im übrigen besonders wichtig, dass in den Ausbildungsverordnungen für Juristen, Pädagogen, Erzieher und alle, die mit Kindern arbeiten oder auch mit dieser Problematik konfrontiert werden, Gewalt in der Familie ein Thema ist und ein anderer Umgang dort angewandt wird.

Dann war hier noch Thema, was gerade diese flankierenden Maßnahmen kosten. Es liegt uns bisher eine Studie aus Holland vor, wonach Gewalt umgerechnet auf deutsche Verhältnisse 293 Mio. DM kostet. Wenn man da mal bedenkt, was es für Therapien gibt und was an Gewalt öffentlich ist, ist das noch wenig. Wir haben Frauenhäuser, wir haben Frauenberatungsstellen und wir geben in dieser Gesellschaft Unmengen von Geld aus für die Folgen von Gewalt. Ich aber finde, wir sind alle gefragt, diesen Kreislauf zu unterbrechen und eben im Vorfeld für die Präventionen, für die Ausbildung, dieses Geld auszugeben mit dem Ziel, dass gewaltfreie Erziehung Norm dieser Gesellschaft wird.

Klaus Weber: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren. Ich bin Präsident des Landgerichts Traunstein seit zwei Jahren. Zuvor war ich vier Jahre lang Leiter der Staatsanwaltschaft Traunstein. Sie werden sich vielleicht fragen, wo das liegt. Es liegt zwischen Salzburg und München und beherbergt, was niemand weiß, den viertgrößten Landgerichtsbezirk in Bayern. Es ist also kein kleiner Bezirk, er umfasst großstädtische Bereiche, vorstädtische Bereiche von zwei Großstädten, aber auch einen ländlichen Bezirk. Zuvor war ich über lange Jahre Ministerialbeamter in Bonn, München und Dresden. In meiner Münchener Zeit habe ich beruflich, ich sage das bewusst, weil ich ja schon ein etwas älterer Vater bin, erstmals mit dem Problem Gewalt in der Familie zu tun gehabt. Das hat mir damals Anlass gegeben, in Augsburg und Passau einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zu initiieren. Wir haben damals ausprobiert, was eine sensible Strafverfolgung bewirken kann; vor allem, um diese Unkultur des Wegschauens zu beseitigen. Das heißt, wir wollten die Anzeigebereitschaft dadurch etwas stärken, dass wir dem Anzeigeerstatter, z. B. einem Lehrer oder Arzt, sagen können: Diese Familie bricht aufgrund dieser Anzeige nicht völlig auseinander. Sondern wir können die Strafverfolgung so sensibel handhaben, dass man die beiden Leute oder den Mann, der es ja meistens ist, zur Eheberatung oder Erziehungsberatung schickt und das Verfahren dann nachher einstellt. Das war die Philosophie dieses Versuchs und es hat auch gut funktioniert. Die Folge war, dass wir dann bei allen bayerischen Staatsanwaltschaften Spezialdezernate eingeführt haben, nicht nur für die sexuelle Gewalt, wie es bei Ihnen ist, Frau Kollegin, sondern für die Gewalt im Sozialnahraum insgesamt. Seit der Zeit hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich hatte dann als Vorsitzender einer Beschwerdekammer an meinem Gericht auch immer wieder mit diesen Fällen der Sorgerechtsentziehung zu tun.

Wie sehe ich das nun? Ich betrachte das Gesetz vor allem einmal aus der strafrechtlichen Sicht. Deswegen bin ich hier benannt worden und ich kann Herrn Prof. Pfeiffer eigentlich in allem zustimmen. Leider nur nicht in einem wesentlichen Punkt. Ich kann dieses Gesetz nicht begrüßen so wie es ist. So sympathisch mir dieses Ziel ist, aber der Weg und die Mittel, die es einsetzt, die funktionieren nicht. Sie werden, wenn das Gesetz so in Kraft tritt wie es jetzt ist, eine ganz breite Strafbarkeit der Familien bekommen. Und zwar der normalen Familien, in denen ein Klaps gegeben wird, in denen aber vielleicht auch zu anderen Erziehungsmaßnahmen gegriffen wird. Wir haben ja immer nur die Körperverletzung im Auge. Aber es gibt auch noch die Nötigung. In der Nötigung kommt das Wort Gewalt vor. Nun kann natürlich der Gesetzgeber sagen, unter Gewalt verstehe ich einmal das und einmal das. Aber dann können Sie es immer noch nicht vermeiden, dass über diese Ziel-Zweck-Relation, die im § 240 Abs. 2 drin ist, die gesetzgeberische Philosophie, wonach jegliche Gewalt geächtet ist, mit einfließt. Dasselbe gilt übrigens auch bei der Körperverletzung. Da kann ich Ihnen nicht zustimmen, Frau Kollegin, wenn Sie sagen, das Gesetz führe nicht zu einer Erweiterung der Strafbarkeit. Was ist eine Misshandlung nach dem Strafgesetzbuch? Es ist ein übles, unangemessenes Behandeln. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich selber Vater bin. Und ich leide noch heute darunter, dass einem mal die Hand ausgerutscht ist. Aber ich möchte doch nicht, dass diese Eltern sich vorm Staatsanwalt befinden. Wenn der Gesetzgeber sagt, Gewalt ist geächtet, dann werden die Juristen immer die Angemessenheit mit einfließen lassen. So ist es. Das haben nicht Sie in der Hand, sondern das bestimmen die Gerichte. Und die werden das so machen. Genauso werden sie es machen bei der Nötigung.

Dann haben wir noch den Bereich der Freiheitsberaubung. An den hat auch noch niemand gedacht. Ein weiteres Gebiet ist das der Notwehr oder der Nothilfe. Notwehr ist immer zulässig gegen jeden rechtswidrigen Angriff. Er muss nicht strafbar sein. Dann schlagen vielleicht demnächst meine Nachbarn oder Freunde zurück. Schon haben Sie die Schlägerei im Kinderzimmer. Das, meine ich, muss sich der Gesetzgeber gründlich überlegen.

Gegen das Vorhaben spricht aus meiner Sicht auch, dass nicht klar wird, was der Entwurf überhaupt unter Gewalt versteht. Wenn ich die Begründung lese, komme ich damit nicht klar. In der Begründung auf Seite 7 könnte man meinen, die Begriffe körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und entwürdigende Maßnahmen, definierten die Gewalt. Aber der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, der es ja wohl besser weiß, versteht das nur als Beispiel. Dies zeigt, welche Probleme die Juristen und vor allem die Strafjuristen mit diesem Gesetz haben werden, wenn es so kommt, wie es hier drinsteht. Darüber muss man sich im Klaren sein und sich das sehr gründlich überlegen. Sicher kann der Gesetzgeber, der Souverän, die Gewalt definieren wie er mag. Aber er muss es dann klipp und klar sagen. Nur damit kann die Praxis leben. So, wie es hier steht, ist das Gesetz ein Ansatzpunkt für eine Weiterausdehnung der Strafverfolgung, die wir alle nicht wollen und die Sie auch nicht wollen.

Prof. Siegfried Willutzki: Auch wenn ich dort hinten ein eigenes Mikrophon hatte, bin ich doch nach vorne gegangen, damit man mir nicht den Vorwurf macht, ich sei den Abgeordneten in den Rücken gefallen mit meiner Stellungnahme. Ich bin im Gegensatz zu dem Herrn Richterkollegen vor mir 35 Jahre Richter gewesen, habe mich aber in meinem Richterdasein weitgehend vom Strafrecht ferngehalten. Ich denke, es ist mir nicht ganz schlecht bekommen. Ich bin rund 20 Jahre Familienrichter gewesen, bevor ich vor etwas mehr als 3 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand gegangen bin, der sich allerdings etwas anders entwickelt hat, als ich es mir vorgestellt habe.

Der § 1631 Abs. 2, der ja eine Präzisierung und Verschärfung zu Gunsten der Kinder bringen soll, hat ja eine lange Geschichte, die weit vor der Kindschaftsrechtsreform begonnen hat. Es mag auf den ersten Blick überraschend anmuten, dass wir uns ein knappes Jahr, nachdem die Kindschaftsrechtsreform eine Veränderung des § 1631 Abs. 2 gebracht hat, erneut mit einer Umgestaltung dieser Norm beschäftigen. Doch wer die Studien von Christian Pfeiffer und Peter Wetzels kennt, und Christian Pfeiffer hat ja die wesentlichen Ergebnisse hier eindrucksvoll demonstriert, der wird die Notwendigkeit der erneuten Beschäftigung mit dieser Norm zugestehen müssen. Wenn ich nur an dem Umfang familiärer Gewalt, die Problemfamilien und den Teufelskreis in der Weitergabe von Gewalt denke, den wir aus diesen Studien erlebt haben, zwingt uns dies, uns erneut mit diesem Problem zu befassen. Ich denke, die lange Diskussion über die Kindschaftsrechtsreform und die dort erlebte Kodifizierung des § 1631 Abs. 2 hat der Problemlösung gut getan. Denn die Fassung des Entwurfs, die uns jetzt vorliegt, stellt in meinen Augen eine deutliche Verbesserung gegenüber allen Entwürfen dar, die wir ja auch in anderer Fassung, als sie in der Reform Gesetz geworden ist, bisher erlebt hatten. Ich halte es für sehr wesentlich, dass dieser Entwurf die Tendenz der Kindschaftsrechtsreform aufnimmt, nämlich kindschaftsrechtliche Regelungen aus der Perspektive des Kindes zu gestalten, sie als ein Recht des Kindes zu begreifen. Das tut dieser Entwurf, der ja ähnlich wie im § 1684 das Kind in den Mittelpunkt stellt, jedoch keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch schafft. Frau Fischbach hatte ja in der ersten Lesung dieses Gesetzes noch Bedenken angemeldet, ob aus dieser Fassung des Gesetzes nicht Probleme entstehen könnten. Ich glaube aber, wir sollten uns davor hüten, diese Fassung als Appell zu sehen, in dieser Formulierung einen justiziell durchsetzbaren Rechtsa nspruch des Kindes wiederzufinden. Vielmehr geht es darum, dass hier, was die Kindschaftsrechtsreform ja insgesamt wollte, Bewusstseinsbildung angestrebt wird. Ferner geht es darum, das Persönlichkeitsrecht des Kindes zum Ausdruck zu bringen, wie wir es ja im Artikel 19 der Kinderrechtskonvention und in den Artikeln 1 und 2 unseres Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht haben. Schließlich halte ich die Formulierung auch deshalb für vorteilhaft, weil sie in der jetzigen Fassung nicht mehr auf die Vorgabe eines Erziehungsstils abstellt. Wer sich aus der Geschichte des Familienrechtes noch an die massiven Diskussionen und den ideologischen Streit erinnert, den wir um die Fassung von 1626 Abs. 2 und die Berücksichtigung der wachsenden Entwicklung des Kindes sowie die Beteiligung der Kinder an erzieherischen Entscheidungen hatten, der wird mir zustimmen, dass diese Formulierung jetzt eine positive Änderung gegenüber den früheren Fassungen darstellt. Schließlich glaube ich auch, dass die Konkretisierung der gewaltfreien Erziehung durch den Verweis auf die Unzulässigkeit der körperlichen Bestrafung der Norm gut getan hat, weil damit sehr deutlich die Abgrenzung vorgenommen worden ist gegenüber Schutzmaßnahmen für das Kind. Dies mit dem Ziel, dass diese unsinnige Diskussion darüber aufhört, ob nicht durch diese Formulierung in Zukunft verboten ist, dem Kind die Hand festzuhalten, die es auf die heiße Herdplatte legen möchte. Das ist wirklich eine Diskussion, deren Aberwitz mir nie eingeleuchtet hat.

Nur: Die schönste Regelung im BGB ist nicht ausreichend. Ich denke, wir dürfen nicht erwarten, dass die bloße Aufnahme in das BGB nun zu dem gewünschten Ergebnis führt. Wir brauchen notwendig flankierende Maßnahmen aus dem KJHG. Das ist der Sinn, den dieser Gesetzesentwurf in der Summierung seiner beiden Regelungen darstellt. Es geht nicht um eine Verschärfung des Strafanspruches. Ich denke, jeder, der in Familiensachen gearbeitet hat, wird immer von dem Grundsatz "Hilfe vor Strafe" ausgehen. Das schließt nicht aus, dass in Fällen schwerer Misshandlungen auch der Strafanspruch zum Zuge kommt. Da bin ich mir mit Frau Simon durchaus einig. Aus dieser Formulierung aber nun den Schluss zu ziehen, dass der Klaps künftig ebenfalls die Strafbarkeit auslösen soll, halte ich für verfehlt. Die Notwendigkeit der flankierenden Maßnahmen ergibt sich auch aus dem hohen Anteil an Problemfamilien, in denen Gewalt in der Familie vorkommt, wie Christian Pfeiffer ja deutlich aufgezeigt hat. Ich meine allerdings, wir sollten uns nicht mit der vorgesehenen Verweisung auf die Wegweisung durch die Jugendhilfe beschränken.

Ich möchte zusätzlich gerne zwei Dinge in dieses Gesetz aufgenommen sehen. Das ist zum einen der eindeutige Hinweis auf die Hilfen des KJHG aus 27 ff., denn dieses Gesetz ist ja nicht nur gemacht für den Sozialarbeiter an der Front, sondern auch für den Kämmerer, der Mittel für diese Arbeit zur Verfügung stellen muss. Und ihm muss deutlich gemacht werden in dieser Verknüpfung, was es bedeutet. Das wird sich natürlich, Herr Sauter, auch in Zahlen niederschlagen, die zeigen, was dieses Gesetz kosten wird. Ferner wäre es für mich sehr hilfreich, wenn wir es schafften, eine Mitteilungspflicht in diesen Dingen zu installieren, um sicherzustellen, dass das Jugendamt auch eingeschaltet wird. Dies, damit wir nicht die fatale Situation erleben, dass die Geschichte nur zum Staatsanwalt geht, dort aber eingestellt wird und auf diesem Weg genau das entgegengesetzte Ergebnis dessen erzielt wird, was eigentlich angestrebt worden ist. Das sollten wir, glaube ich, auch schaffen können. Ich vertraue da auf die hohe Formulierungsgabe der Referenten des Bundesjustizministeriums und die Hilfestellung des Rechtsausschusses. Ich bin mir natürlich bewusst, dass wir in diesem Bereich mit dem Widerstand der kommunalen Spitzenverbände zu rechnen haben, denn die Kosten bleiben natürlich in dem Bereich hängen und da sollten wir auch ehrlich und offen sagen, dass das etwas kostet.

Für ganz wichtig halte ich im übrigen Aufklärungsaktionen. Nicht aber nur wegen des großen Erfolges in Schweden, wie es in der Begründung des Gesetzentwurfes dargestellt worden ist. Vielmehr meine ich, dass es hier notwendig ist, Erwachsenenbildung und Schule einzusetzen, um diese Aufklärung voranzubringen. Mit Erlaubnis des Herrn Vorsitzenden darf ich uns aus einem Referat zitieren, das Jutta Limbach auf dem 4. Deutschen Familiengerichtstag 1981 gehalten hat. Die Referentin war zu jener Zeit noch nicht zu den höchsten Spitzen dieses Staates aufgestiegen, sondern Rechtssoziologieprofessorin in Berlin. Zu dem Thema der Veranstaltung, dem Verhältnis von Scheidung, Scheidungsrecht und Rechtsbewusstsein, sagte sie " übertragbar auf unser Problem -: "Eine grundlegende Annahme der Rechtssoziologie besagt, dass die Durchsetzbarkeit des Rechts von der breitgestreuten Anerkennung der Norm als richtig abhängt. Dass sozialer Wandel unter bestimmten Umständen durch Recht initiiert und gefördert werden kann, ist eine weitere grundlegende These der Rechtssoziologie. Nun ist es vorzugsweise Sache des Gesetzgebers und nicht des Richters, vorausschauend zu erwägen, ob und inwieweit er eine den Reformgesetzen günstige öffentliche Einstellung allmählich schaffen kann.? Ich denke, ich bin mir mit Jutta Limbach einig, wenn ich den Standpunkt vertrete, dass diese Aufklärungsarbeit und diese Arbeit an den Einstellungen in der Bevölkerung sich für den Gesetzgeber vor allen Dingen dann aufdrängt, wenn es, wie hier, um appellatives Recht geht. Nur muss natürlich deutlich gemacht werden, dass eine solche Aufklärungsaktion Geld kostet. Ich weiß nicht, ob die Medien bei uns in einem solchen Maße wie in Schweden und in einer Weise wie etwa bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus bereit sind, große Schlagzeilen zu bringen, um das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen. Ob uns das gelingt, diese Be reitschaft bei den Medien kostenlos zu wecken, scheint mir etwas fraglich. Insofern würde ich in dem Gesetzesentwurf gerne auch etwas mehr zu den Kosten dieser Sache sehen.

Abschließend darf ich die Warnung vor kurzfristigen Erfolgserwartungen aussprechen. Ich denke, dass es sich hier um Bewusstseinsänderungen handelt und die brauchen ihre Zeit. Und, Frau Simon, das gilt auch für die Kindschaftsrechtsreform. Auch da sollten Sie dem Reformwerk etwas mehr Zeit geben, bevor Sie abschließend negative Beurteilungen dazu aussprechen. Ich denke, wir sollten bescheiden werden und sagen: Jedes Kind mehr, das gewaltfrei in der Familie aufwachsen kann, ist ein Erfolg, der sich in der Generationsfolge potenzieren wird. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten und dafür, denke ich, ist dieses Gesetz ein guter und wichtiger Schritt. Vielen Dank!

Margot von Renesse (SPD): Bei einem sozialen Sachverhalt, der in der rechtlichen Behandlung so zwischen Bagatellisierung und unangemessener Verschärfung von Strafrecht zu schwanken scheint, richtet sich meine Frage an Frau Barkey. Wenn die Keule des Strafrechts, die ja zweifellos sehr scharf ist und vielen von uns in vielen Fällen nicht als die angemessene erscheint, durch Einstellung beendet wird, gibt dieses Gesetz oder dieser Gesetzentwurf dann Impuls genug, dass es zu einer mindestens von einem Sachverständigen angeregten Fallkonferenz kommt? Kommt es also zu einer Weiterleitung oder Mitteilung an das Jugendamt, damit strafrechtlich ungeahndete, unsanktionierte Gewalt jedenfalls bei den zuständigen Stellen bekannt ist und das Stopschild kommt?

Die zweite Frage geht an Herrn Borsche. Ich habe mit großem Interesse gehört, dass mit dem Gewaltbegriff im 1631 schwierig umzugehen ist in einem Eltern-Kind-Verhältnis. Dies hat auch in manchen Sachverständigen-Stellungnahmen eine Rolle gespielt. Wäre es nach Ihrer Auffassung besser, wenn die Paragraphen 1626 und 1631 mit ihren strafrechtlichen Konsequenzen so blieben, wie sie sind, und die Initiative mit dem Ziel gewaltfreier Erziehung und dem Anspruch des Kindes auf gewaltfreie Erziehung dem 1626 Abs. 2 zugeordnet würde, der ja eine Prozesshaftigkeit im Entwicklungsverlauf eines Kindes impliziert und damit auch auf einem Boden steht, den das Strafrecht nicht betritt?

Die dritte Frage geht an Herrn Prof. Pfeiffer. Sie haben nun sehr deutlich dargestellt, und ich finde das gut, bei der Wahrheit zu bleiben, wie sich das Problem Gewalt in der Familie auswirkt bei Emigranten und Aussiedlern. Dies kommt noch erschwerend hinzu. Denn die Machogesellschaften haben in der Regel auch ihre Sozialsysteme, mit denen z. B. die Töchter von Familien geschützt werden. Bei der Emigration geht das verloren und das Neue ist noch nicht da. Würde ein solches Rechtssystem, wenn es sehr stark propagiert würde auf jedem Kindernahrungsmittel, nicht möglicherweise die Stigmatisierung von Emigrantenfamilien vergrößern?

Dorothea Barkey: Wenn es sich nicht um absolute Bagatellfälle handelt, werden die Verfahren regelmäßig den Jugendämtern bekannt gegeben. Und die leisten Hilfe in der Familie und führen Gespräche durch. So ist mir das bekannt.

Sven Borsche: Frau von Renesse, Sie sprechen eine ganz komplexe Fragestellung an. Ich denke, dass die Gewaltbestimmung oder auch die Strafbarkeit von Gewalt und auch die weite Ausdehnung dieses Gewaltbegriffes im Grunde genommen auf einem Vertragsverhältnis von freien und gleichen Bürgern beruht. Das ist aber zwischen Eltern und Kindern anders. Von daher können wir mit diesem Gewaltbegriff aus dem Strafrecht nicht automatisch auch die Beziehung zwischen Eltern und Kinder erfassen. Entweder müssen wir Gewalt in diesem Verhältnis anders definieren als im Strafrecht, oder wir müssen versuchen, das in 1626 anzusiedeln und in den gesamten Prozess der Gestaltung des elterlichen Sorgerechtes einzubeziehen. Ob man dann lieber davon spricht, dass die körperliche und psychische Unversehrtheit unangetastet bleiben soll im Rahmen des Erziehungsprozesses oder ob man im Rahmen des Erziehungsprozesses sagt, dort soll gewaltfrei erzogen werden, will ich mal so dahingestellt lassen.

Wir müssen sehen, dass hier der Begriff des Grenzenziehens, der Begriff der Strukturvorgaben, der Wertvorgaben eine Rolle spielt. Das heißt ja überhaupt nicht, dass Eltern Kinder schlagen und Gewalt ausüben dürfen gegen Kinder. Das ist nicht der Punkt. Sondern der Punkt ist, wie wir vermitteln, dass hier eine Verantwortung und ein besonderes Verhältnis besteht. Wir haben im Verhältnis von Eltern zu Kindern eine andere Beziehung. Wir haben, das will ich noch mal sagen, im 10. Jugendbericht auch von der Besonderheit der Kinderrechte gesprochen. Es macht keinen Sinn, die Kinder insoweit den Erwachsenen gleichzustellen. Damit kommen wir nicht weiter und das ist eine sehr differenzierte Geschichte. Die gewaltfreie Erziehung ist als Aktionsprogramm nach draußen natürlich sehr viel leichter zu verkaufen. Ob man aber damit an die eigentlichen Problemstellungen herankommt, ist die große Frage, die man im weiteren Prozess der Gesetzgebung vielleicht differenzieren müsste.

Ich will auch noch einmal hinweisen auf die Begründung in der Denkschrift in Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention, obwohl ich da unverdächtig bin, die alte Bundesregierung gefördert zu haben. Diese Begründung sagt eindeutig, dass die Formulierung des Art. 19 nicht der Auseinandersetzung darüber enthebt, was im Verhältnis von Eltern und Kindern als Gewalt zu verstehen ist. Da müssen wir uns intensiv auseinandersetzen.

Ich glaube, dass bei all den Erscheinungsformen heute auch die Angst der Eltern eine Rolle spielt, gegenüber Kindern was durchzusetzen. Das ist heute das Problem. Wir haben nicht mehr das Problem einer mehr autoritär indoktrinierten Elternschaft, die aus den 50er - 60er Jahren gekommen ist und gesagt hat: Wir wissen, wie es geht und wenn ihr das macht, was ich euch sage, dann geht es euch gut. Das haben wir ja heute nicht mehr. Die 80er - 90er Jahre haben ein ganz anderes Verhältnis von Eltern und Kindern gebracht aufgrund von veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In diesem Kontext ist zu überlegen, was denn da eigentlich Gewalt ist, die nicht angewendet werden darf. Da gibt es ja die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 239, 240. Im Zweifel muss strafrechtlich sanktioniert werden. Aber was dies im Verhältnis von Eltern und Kindern bedeutet, das ist eine ganz spannende Frage. Von daher finde ich es sinnvoll, das Ganze nicht losgelöst zu sehen, sondern in § 1631 BGB zu integrieren.

Prof. Christian Pfeiffer: Stigmatisierung kann in zweifacher Form geschehen. Entweder dadurch, dass nun vermehrt Emigranteneltern vor Gericht kommen, weil sie als Schläger erkannt sind in ihren Familien. Würde das stigmatisieren? Ich denke, es lohnt sich, einen Blick nach Österreich zu tun. Von Traunstein ist Salzburg ja nicht weit entfernt. So würde ich Herrn Weber den Rat geben, kurz mal die Nachbarn in Salzburg zu besuchen und zu fragen, wie sich das dort im Strafverfahren ausgewirkt hat, dass in Österreich die elterlichen Züchtigungsrechte abgeschafft worden sind. Es wird für unzulässig erklärt, Gewalt einzusetzen. Das ist derselbe Wortlaut wie bei uns in dem vorgesehenen Gesetz. Es hat in Österreich keine signifikante Steigerung von Strafverfahren gegen Eltern gegeben. Das ist auch bei uns nicht zu befürchten. aus verschiedensten Gründen, auf die ich später noch mal gründlicher eingehen kann. Ich will es hier ganz kurz machen und sagen: Ich halte diese Steigerung für eine Hypothese, die sich weder in Schweden noch in Österreich noch in Norwegen oder einem der anderen europäischen Länder, die die Gewalt von Eltern gänzlich verboten haben, bestätigt hat. Bei uns ist es in einem vergleichbaren Bereich ja nicht anders: Obwohl wir wissen, dass es jährlich an die 100.000 Männer sind, die ihre Frauen vergewaltigen, haben wir nicht einmal 20 bis 30 Verfahren gegen vergewaltigende Männer bekommen. Das hat Gründe, zu denen ich jetzt viele Ausführungen machen könnte. Wir haben nicht die Befürchtung, dass es zu massiven Verfahren in großer Zahl kommen wird. Einige wenige symbolische, das mag sein. Damit hat es sich dann auch. Das Gesetz ist eher eines, was nicht in Richtung Stigmatisierung durch Verfahren wirken wird, sondern als Appell an die Bevölkerung, der darauf gerichtet ist, zu begreifen, dass es wichtig ist, gewaltlose Erziehung anzustreben.

Zweitens: Vergrößern wir das Stigma, indem wir das alles in die Öffentlichkeit bringen? Auch da sage ich: Es gibt nur einen Weg, nämlich die Wahrheit zu sagen. Wenn wir das unterdrücken würden, dass wir ein Problem haben, sind wir selber mit Schuld.

Von daher sage ich Ihnen nun mal was Kritisches: Ich habe diese Daten vor einiger Zeit an die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung geschickt. Ich hätte erwartet, dass sie sich auch schützend vor die Kinder und Frauen der Emigranten stellt und dazu Stellung nimmt in der Öffentlichkeit. Bisher habe ich kein Wort von ihr gehört. Ich sehe das als eine übertriebene political correctness. Es ist richtig, die Dinge beim Namen zu nennen, und wir haben die Mehrheit der Türken auf unserer Seite. Ich erlebe das ja ständig, weil ich in Auseinandersetzungen bin in türkischen Medien, in türkischen Universitäten, in türkischen Gruppierungen in Deutschland und das ist spannend. Da wird man angegriffen - klar. Die Mehrheit sagt, der ist doch bloß Bote. Wir dürfen doch den Boten nicht totmachen wie im alten Sparta wegen dem, was ihm die türkischen Jugendlichen aufgetragen haben, über ihre Leiden in den Familien nach draußen zu tragen. Den können wir doch nicht steinigen, weil er die Wahrheit sagt über das, was die türkischen Jugendlichen ihm berichtet haben. So komme ich gut durch und so wird es auch weiterhin sein. 50 % der türkischen Eltern prügeln ihre Kinder überhaupt nicht und wenn wir nach Zuwendung fragen, dann zeigen sie im Durchschnitt mehr Liebe, als die deutschen Eltern, sodass in diesen Emigrantenfamilien sogar mehr Zuwendungsintensität herrscht. Bei allen Südländern ist das so. Das ist die positive Seite. Und dann haben wir die negative. Da aber bin ich dafür, dass wir die Debatte in diese Gruppen hineintragen und sie das selber lösen müssen. Das Mittel des Strafrechts wird da nicht sehr viel helfen. Ich habe nicht die Sorge von Herrn Weber, dass die Staatsanwälte jetzt plötzlich fürchterlich viel Arbeit bekommen werden.

Vielen Dank!

Maria Eichhorn (CDU/CSU): Es hat sich bei der Anhörung bis jetzt gezeigt, und das ist gerade wieder bestätigt worden, dass der Begriff der gewaltfreien Erziehung schwer zu definieren ist. Und aus den Ausführungen ist für mich deutlich geworden, dass zu befürchten ist, dass die beabsichtigte Gesetzesänderung und die Gesetzeseinfügungen in der Praxis nichts bringen werden. Für mich zeigt sich, dass Prävention und Maßnahmen im Bereich der Jugendhilfe wohl das ausschlaggebende sind und ich behaupte, dass das mit dem bestehenden Gesetz auch möglich wäre. Ich frage jetzt die Frau Simon, Herrn Niehaus und Herrn Sauter jeweils das Gleiche: Welche Maßnahmen sind Ihrer Ansicht nach geeignet, um Eltern bei der Erziehung zu helfen, um ihre Erziehungskompetenz zu stärken, damit genau das erreicht ist, was wir alle gemeinsam erreichen wollen, nämlich eine gewaltfreie Erziehung?

Norbert Weiss: Herr Pfeiffer, ich möchte ausdrücklich noch mal unterstreichen, dass es überhaupt keine Frage ist, dass Ihre Forschungsergebnisse, auch was die Ergebnisse der Ausländerfamilien und insbesondere der türkischen Familien betrifft, hier in aller Offenheit genannt werden dürfen. Es hat keinen Sinn, davor abzutauchen. Wir müssen uns diesen Problemen stellen. Das hat nichts mit political correctness oder mit irgendetwas sonst zu tun. Sondern wir haben als Deutscher Bundestag und zuständiger Ausschuss dafür Sorge zu tragen und unseren Beitrag zu leisten, dass solche Abweichungen von der Norm künftig vielleicht nicht mehr so möglich sind oder sich so ereignen, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Da wäre es natürlich auch noch interessant, die Unterschiedlichkeit der Regionen mit hereinzunehmen. Vielleicht können Sie dazu auch noch irgend etwas sagen, wie das regional vielleicht unterschiedlich ist. Denn auch das gehört zum Gesamtbild dazu.

Nun meine Frage: Wir hatten ja in der letzten Legislaturperiode schon ausgiebig über dieses Problem "Gewalt in den Familien" und insbesondere auch ?Gewalt gegen Kinder? diskutiert. Das ist heute nicht das erste mal, dass wir das tun. Und wir haben uns auch sehr um die Formulierungen, Herr Willutzki, Sie wissen das, bemüht. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine Formulierung gefunden, die ich nicht für so schlecht gehalten habe und auch heute für nicht so schlecht halte, wenn man sie einmal von ihrem juristischen Gehalt und der Möglichkeit her beleuchtet, abgrenzend gegenüber einem allzu weitschweifigen Gewaltbegriff zu wirken und von der Praxis her das Problem in den Griff zu bekommen. Es heißt in diesem 1631 im Augenblick, entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere seelische und körperliche Misshandlungen, sind unzulässig. Mit entwürdigenden Erziehungsmaßnahmen ist aber eigentlich genau das gemeint, an das wir alle denken. Keiner von uns meint ernsthaft, dass es der Polizei unmöglich gemacht werden soll, ein Kind, das morgens nicht in die Schule will, aber seiner Schulpflicht nachkommen muss, mit polizeilicher Gewalt in das Polizeiauto zu bringen, um es in die Schule zu fahren. Das ist Ausübung von hoheitlichen Gewalt, wie man sie sich eigentlich stärker gar nicht vorstellen kann. Wir wollen alle, dass das in Zukunft auch möglich ist. Das wissen wir. Daher meine Frage: Kommen wir mit diesem Gewaltbegriff, wie er jetzt formuliert ist, in dem uns vorliegenden Gesetzentwurf wirklich aus? Oder ist er nicht wirklich zu weitschweifig? Müssen wir es nicht erst der Rechtsprechung überlassen, was darunter nun konkret zu verstehen ist? Herr Borsche hat ganz klar gesagt, dass ein Unterschied zu machen ist zwischen der Gewalt allgemein und der Gewalt im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Da ist dieser Gewaltbegriff anders zu beurteilen, weil da natürlich in einer anderen Weise vorgegangen wird, a ls beispielsweise gegenüber Erwachsenen. Da kann man sich nicht das gleiche erlauben. Meine Frage also: Können Sie uns nicht helfen bei der Formulierung? Viele von Ihnen haben kritisiert. Aber ich habe auch Vorschläge gehört, beispielsweise § 1326 Abs. 2 BGB dort aufzunehmen. Können Sie uns eine Formulierung nennen, die diesen 1631 Abs. 2, so wie er uns jetzt als Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, enger fasst, sodass er praktikabel ist? Meine Frage richte ich nochmals an Herrn Borsche, Herrn Weber, Herrn Pfeiffer und Herrn Willutzki.

Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wie könnten Sie sich anfreunden mit der Bundesratsformulierung ?Kinder sind gewaltfrei zu erziehen?? Das ist meine erste Frage, weil die Sorge mit dem Satz 1 in der Bundesregierungsvorlage, glaube ich, der eigentliche Punkt ist. Die Frage zwei hängt mit dieser Frage zusammen, die ich gerne an die Vertreter der Staatsanwaltschaften richten würde. Noch einmal sehr präzise: In dem Satz 1 der Vorlage der Bundesregierung heißt es, ?Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung?. Hat dieser Satz, so formuliert, Auswirkungen auf möglicherweise stattfindende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren?

Und die dritte Frage, die ich auch gerne an Herrn Professor Willutzki richten möchte: Ist die vorgefundene Formulierung der Bundesregierung zum 8. Buch des SGB nicht die minimalistischste Formulierung dafür, was wir, notwendigerweise und unabhängig davon, ob dieses Gesetzvorhaben im materiellen Teil des BGB tatsächlich erfolgt, schon vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtslage brauchen. Welchen konkreten Vorschlag hätten Sie aufgrund Ihrer Praxiserfahrung und Ihrer Arbeit beim Familiengerichtstag, hier zu Formulierungen zu kommen, die tatsächlich deutlich machen, worum es im Bereich der Beratung im umfassenden Sinne geht?



Marion Simon: Mir galt die Frage, welche Möglichkeiten wir sehen, dass Eltern ihre Kinder anders erziehen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es Eltern, auch gerade Väter gibt, die nicht aus Hilflosigkeit in der Erziehung schlagen, sondern aus Machtmissbrauch. Man muss unterscheiden: Wir hatten so viele Jahre das Züchtigungsrecht, das ist ein Gewohnheitsrecht geworden. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir erst einmal die neuen Gesetze öffentlich machen, damit es eine gesellschaftliche Norm werden kann, gewaltfrei zu erziehen. Dazu benötigen wir auch unbedingt die Presse und die Medien, weil diese auch immer wieder so etwas wie Gewaltverherrlichung veröffentlichen. Und wir wissen, dass nicht nur in der Familie, sondern auch in den Medien oder durch die Medien Sozialverhalten bei Kindern ausgebildet wird. Ich bin sehr für den Vorschlag von Professor Pfeiffer, erziehungsunterstützende Maßnahmen auch im Kindergarten anzusiedeln, weil uns längst klar ist, dass Erziehung im Kleinkindalter anfängt. Gerade da brauche ich nicht den Klaps für das Kind. Ich denke, das ist der Anfang allen Übels. Wenn ich da den Klaps toleriere, wird sich das fortsetzen. Je älter das Kind, je größer das Fehlverhalten und desto mehr wird sich dieser Klaps verändern. Es muss nicht so sein, aber die Zahlen zeigen uns, dass es doch oft so ist. Wir haben also die Erziehungspräventionen in Kindergärten und Schulen anzusiedeln.

Wir haben im Frauenhaus sehr gute Erfahrungen gemacht. Dort ist es so, dass Mütter sehr oft Gewalt anwenden, um Ihre Kinder zu erziehen, weil diese Kinder genau das kennen. Das gehört für sie zum Alltag, und Gewalt ist dann die Grenze, auf die sie hören. Wir wissen, wenn Kinder über Jahre so erzogen worden sind, ist es sehr, sehr schwierig, das zu unterbrechen. Und dafür gibt es speziell als Hilfestellung für die Mütter Maßnahmen, damit sie andere Konfliktlösungsmöglichkeiten erlernen können: im Rollenspiel und in der Auseinandersetzung mit Erzieherinnen, auch in der Auseinandersetzung direkt mit ihrem Kind. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir einen sehr, sehr hohen Aufwand bei Pflege- und Adoptionsfamilien schon längst betreiben.

Ich bin selber Mutter von 2 Kindern und habe ein weiteres Kind angenommen. Ich war immer sehr verwundert, mit welchem Aufwand jetzt Schulungen durchgeführt werden, damit ich meine mütterlichen Pflichten bei diesem Pflegekind oder dann Adoptionskind auch wahrnehmen kann. Ich dachte, dass ich doch eigentlich schon Mutter bin und Erfahrung habe - wer stellt das immer in Frage? Nun muss man bedenken, dass wir nicht voraussetzen können, dass Eltern dadurch, dass sie Eltern werden, auch diese Fähigkeiten haben. Und wenn man bedenkt, welche schlechten Vorbilder auch unsere Generationen haben, ist es ganz wichtig, Hilfestellungen zu geben. Ich möchte noch einmal die Kosten ansprechen. Die 293 Millionen DM, die uns Gewalt kostet, müssten umverteilt werden. Im Vorfeld würde uns ein Teil ? so, wie Herr Sauter sagte, 75 Millionen, schon helfen. Ich denke, es geht auch um die Entscheidung, das zu tun.

Dann noch ganz kurz: Wir haben auch oft die Erfahrung gemacht, dass Gewalt offen angewendet worden ist. Es fehlt ganz offensichtlich das ?Stop-Schild? für die Täter, auch gerade für die Erziehung der Kinder, ob das im Kindergarten oder in der Schule ist. Diese Aufgabe wird in erster Linie immer noch von Müttern wahrgenommen, obwohl die Gewalt in erster Linie von den Vätern ausgeführt wird. Auch da ist es ganz wichtig zu sagen, erzieherische Aufgaben betreffen nicht nur die Mütter. Sie betreffen die Eltern. Und das heißt auch: Maßnahmen für beide. Wenn Gewalt vorliegt, haben wir hier als Vorschlag sozialpädagogische Familienhilfen. Aber diese müsste es bei Gefährdung des Kindeswohls dann auch im Zuge der Anordnung geben. Es kann nicht sein, wenn das öffentliche Interesse bei einem Gewaltdelikt nicht ausreicht und der Fall von der Justiz nicht weiter verfolgt wird, dass es dann für dieses Kind heißt: Es ist zwar offensichtlich geworden, aber mir hilft keiner. Und wir haben sehr oft die Erfahrung gemacht, dass die Kinder formulieren: Ich hab es doch gesagt, aber ich möchte meinen eigenen Vater nicht anzeigen. Genauso trifft dieses Problem immer wieder die Mütter, dann verantwortlich dafür zu sein, dass aus dem Vater ihrer Kinder ein Täter wird, indem sie es öffentlich machen.

Die Verantwortung, die trägt ganz klar der Mann, aber das wird von den betroffenen Personen so nicht empfunden. Wir haben auch schon ?Krisenwohnungen?, aber das wäre für mich das letzte Mittel als Unterstützung, dann wenn Gewalt schon vorgelegen hat. Auch dieses im Zuge der Anordnung.

Josef Niehaus: Die Frage von Frau Eichhorn war die, was ist zu tun. Zum einen glaube ich, dass es darum geht, Bildung und Beratung, Hilfe und Unterstützung zu organisieren, zum einen in Richtung auf die individuellen Situationen hin und zum andern auch in einer öffentlichen Diskussion. Ich glaube, es wurde vorhin schon einmal gesagt, dass wir auch mit etwas Geduld an diese Dinge herangehen müssen. Ich will es an dem Beispiel - der Frage des gemeinschaftlichen Sorgerechtes - deutlich machen. Für viele Frauen und Männer ist das unvorstellbar, im Gegensatz zu anderen Ländern, wo das inzwischen mehrheitlich auch mitgetragen wird. So ähnlich wird es hier auch sein. Wir müssen uns als Verantwortliche diese Leitbilder sozusagen buchstabieren, wir müssen sie auch vermitteln. Ich glaube auch, dass eine öffentliche Diskussion darüber notwendig ist. Diese Hilfe im Einzelfall, da gibt es eine ganze Menge Leute in der Szene vor Ort, die dort tätig sind. Was mir im Verhältnis zu anderen Ländern auffällt, ist, dass wir in Deutschland sehr stark in einzelnen Aufgabenfeldern arbeiten, und auch in Trägerstrukturen denken. Wenn ich in andere Länder fahre, in westliche oder nach Skandinavien, habe ich den Eindruck; sie haben dort andere Vorzeichen, und wir müssen auch neu lernen, Kooperationsfelder zu entwickeln und die nicht sofort wieder einzuschränken. Ich mache es an einem Beispiel deutlich: Schule und Jugendhilfe ist in Nordrhein-Westfalen, wo ich zu Hause bin, ein Schwerpunkt in der Jugendpolitik. Was ich aber feststelle, ist, dass es sich stärker auf Betreuung reduziert. Ich halte das für einen sehr verkürzten Ansatz. Schule und Jugendhilfe und andere müssen so kooperieren, dass es den Familien zu Gute kommt und nicht dazu führt, dass Familien noch stärker überfordert werden, dass sie mit neuen Erwartungen konfrontiert werden. Und da glaube ich, wir müssen die Strukturen der K ooperation zwischen Jugendhilfe und anderen verändern, und zwar so, dass die Familie im Blickpunkt steht, die Kinder und die Eltern und nicht die Institutionen mit ihren Interessen. Die sind natürlich auch völlig legitim, aber stehen nicht in erster Linie im Vordergrund. Da, glaube ich, müssen wir auch Dinge verändern.

Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass diese Angebote ausschließlich professionell organisiert werden müssen; sie müssen koordiniert und auch begleitet werden. Aber die Hilfeleistung selbst, die darf sich nicht auf rein professionell getragene Angebote begrenzen, glaube ich. Das heißt: Der Raum der öffentlichen Erziehung ist nach meiner Erfahrung auch nicht beliebig zu erweitern. Da muss auch in diesen Kooperationsbündnissen, etwa Schule, Jugendhilfe und andere, darauf gesehen werden, wie man die professionellen Angebotsstrukturen mit bürgerschaftlichem Engagement vor Ort sozusagen verknüpfen kann, auch im Sinne von Patenschaften entwickeln und dergleichen. Ich habe oft den Eindruck, dass wir vorschnell Schluss machen, wenn es um Entwicklung von Hilfemaßnahmen geht. Und da denke ich auch, dass es wichtig ist, den Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen als Ganzes in den Blick zu nehmen. Dazu sind in besonderer Weise Schule und Jugendhilfe auch verpflichtet. Was ich noch sagen wollte, ist, dass wir stärker aufgabenfeld- und trägerübergreifend Dinge entwickeln müssen. Wir müssen sie stärker dahin tragen, wo diese Kinder und Eltern leben. Das heißt, eine Wiederentdeckung des sozialräumlichen Ansatzes, der zumindest in den Großstädten stark vorangekommen ist. Ich weiß es aus Dortmund. Dort gibt es in den Stadtbezirken 78 Arbeitsgemeinschaften, und dort arbeiten die verschiedensten Träger in Aufgabenfeldern so zusammen, dass der Blick viel einfacher und schneller auf die Lebenssituation von den Kindern insgesamt fällt und nicht nur Träger von Jugendarbeit zusammen sitzen. Insgesamt halte ich das bei allen Schwierigkeiten, die die Träger auch haben, für eine sinnvolle Weiterentwicklung. Ich denke, da müsste noch mehr geschehen.

Dr. Robert Sauter: Was die konkreten Maßnahmen anbelangt, muss ich nochmals abheben auf die Rahmenbedingungen, unter denen Familien heute leben. Weil nach allen einschlägigen Untersuchungen manifeste, schwere Formen von Gewalt an Kindern sehr häufig - nicht immer, aber sehr häufig - einhergehen mit beengten Wohnverhältnissen, mit Arbeitslosigkeit oder deprimierenden materiellen Verhältnissen, mit dem Fehlen von stützendem, sozialem Milieu oder einer sozialfeindlichen, kinderfeindlichen Umwelt. Mir fiel gerade ein: Man könnte, wenn man beim BGB ist, auch ein weiteres Verbot aufnehmen, nämlich das ?Verbot für das Spielen von Kindern auf öffentlichen Grünanlagen und Wohnanlagen? zu verbieten. Ich möchte nicht wissen, was das für eine Diskussion auslösen würde. Lieber verbietet man die Gewalt in den Familien, bevor man das ?Verbot von Spielen auf Wohnanlagen und Plätzen? verbietet.

Gut, diese Rahmenbedingungen sind im Hinblick auf Ausprägungen von Gewalt in Familien zentral, und wenn wir darüber reden, dass wir die Gewalt in den Familien bekämpfen, in welcher Form auch immer, dann gehören diese Rahmenbedingungen auch zentral dazu. Ich nenne sie deswegen, weil ich immer wieder den Eindruck habe, man kommt, was diese Rahmenbedingungen anbelangt, nicht weiter, aber die Familie kann man auf alle Fälle in die Verantwortung nehmen. Das sind sozusagen diejenigen, die sich am wenigsten dagegen wehren können, und das finde ich nicht in Ordnung.

Pädagogische begleitende Maßnahmen der Jugendhilfe betreffend, denke ich, geht es insgesamt um eine Verbesserung, eine aufmerksame Begleitung durch entsprechende Beratungsstrukturen und Selbsthilfeangebote. Und zwar ginge es - aber dazu fehlen der Jugendhilfe jedes Mittel und jede Perspektive ? darum, das ausbauen zu können. Es ginge eigentlich um den Ausbau einer Gehstruktur. Wir haben zur Zeit die Situation, dass das Personal gerade so weit ausreicht, dass diejenigen, die zur Jugendhilfe kommen, d.h. in das Jugendamt, in die Erziehungsberatungsstelle usw., halbwegs ordentlich versorgt werden. Wir sind mit der personellen Ausstattung nicht in der Lage, präventiv hinzugehen, etwa systematisch alle jungen Familien in einem Jugendamtsbezirk zu besuchen, in der Erwartung: hoffentlich wollen die nichts von mir was, was mein Landrat nicht bezahlen möchte. Derjenige Mitarbeiter müsste natürlich hingehen können zur jungen Familie mit der Frage: ?Was kann ich für Sie tun?? Von diesen Möglichkeiten sind wir, was die Ausstattung anbelangt, wirklich meilenweit entfernt. Nehmen Sie das bitte sehr ernst, weil das die Situation in den Jugendämtern ist. Wir müssen hier über finanzielle Ausstattungsdimensionen reden. Ich habe ja das Minimum einer solchen Ausstattung genannt, die nur geeignet wäre, wenigstens die Milieus aufzusuchen, in denen wir seitens der Jugendhilfe vermuten würden, dass es dort vordringlicher ist als vielleicht in anderen, ohne irgendwelche schichtspezifischen Sortierungen zu machen. Das können durchaus auch gemischte Milieus sein. Eine solche Gehstruktur in der frühzeitigen Beratung und Unterstützung von jungen Familien, wäre eigentlich das, was als Vision zu nennen wäre, wenn es darum geht, wirkliche wirksame Hilfestellungen anbieten zu können. Alles andere ist zu wenig nachhaltig. Sie können natürlich auch eine öffentlichkeitswirksame Aktion machen. Solche Aktionen gab es immer wieder . ?Keine Gewalt gegen Kinder?, war eine Aktion der ?Aktion Jugendschutz in Bayern? schon 1970 oder 1973 - solche Aktionen gab es immer wieder. Das Problem ist die Frage der Nachhaltigkeit, also wie nachhaltig kann, wenn eine gewisse Sensibilisierung erfolgt ist, der konkrete Beratungs- und Unterstützungsbedarf in den Familien geleistet werden. Da bricht es dann in der Regel, was die Ausstattung anbelangt, ab.

Prof. Christian Pfeiffer: Herr Weiß hatte mir zwei Fragen gestellt. Einleitend wollte er wissen, ob es regionale Unterschiede gibt. Das kann ich bestätigen, und sie sind auch leicht begründbar. Ich will es am Beispiel München gegen Hamburg deutlich machen.

Die Arbeitslosenrate von türkischen Eltern Arbeitslosigkeit/Sozialhilfeempfänger, also soziale Randgruppe zu sein - war in Hamburg 22 v. H., in München 9 v. H. Die Deutschen - Arbeitslosenrate war in Hamburg 9 v. H., in München 5 v. H.- Arbeitslosigkeit/Sozialhilfe. Wir hatten die scheinbar absurde Situation auf den ersten Blick, dass es den Türken in München in dieser Hinsicht etwas besser ging, als den Deutschen in Hamburg. Also gravierende soziale Unterschiede in punkto Randgruppenexistenz. Und das hat seine Auswirkungen mit der Folge, dass sich München und Hamburg hinsichtlich der Gewaltkriminalität der Jugendlichen Deutschen nicht sehr unterscheiden, aber extrem bei den Türken. Wir hatten sehr hohe Gewaltraten der türkischen Jugendlichen in Hamburg und mittelmäßige, immer noch deutlich über den Deutschen, aber nicht so gravierend unterschiedlich, in München. Eine Quelle ist, dass Arbeitslosigkeit - wie wir vorhin schon gesehen haben - innerfamiliäre Gewalt stark fördert. Und das ist in München eben seltener der Fall. Insoweit haben wir regionale Unterschiede, die sich auch leicht nachvollziehen lassen über das, was ich vorhin vorgetragen habe.

In dem anderen Punkt möchte ich Ihnen widersprechen, von den Erwartungen her, die Sie an mich richten. Sie sagen ja: ?Haben wir es nicht gut gemacht im letzten Jahr?? Und da haben Sie formuliert: ?Misshandlungen sind unzulässige, körperliche Misshandlungen?. ?Sind unzulässig?, das reicht nicht in meinen Augen. Das ist ja im Grunde nur die Festschreibung des geltenden Rechts. Damit wird nichts gewonnen an mehr gewaltfreier Erziehung, und wir meinen, es ist dringend nötig, dass der Staat ganz klar macht: Gewaltfreie Erziehung muss das Ziel sein, auch wenn man sehr wohl weiß, dass Eltern aus der Erregung des Augenblicks auch mal die Hand ausrutschen kann. Das mag dann entschuldigt werden, aber rechtswidrig ist es.

Und dieses eindeutige Signal zu geben, meine ich dazu, ist der Staat verpflichtet, wenn er sich nicht mitschuldig machen will an innerfamiliärer Gewalt. Bisher heißt es doch, bestimmte Formen von Gewalt sind rechtens, und damit sagt sich der Bürger, was Recht ist, ist doch wohl auch richtig. Das muss man durchbrechen, um diese symbolische Gesetzgebung geht es. Ich kann nur wiederholen: Sie ist nicht so gefährlich, wie das hier an die Wand gemalt wurde, die anderen Länder haben es uns vorgemacht. Und ein Zweites aber ist deutlich: Aufgrund der radikalen Gewaltfreiheitsformel, die der Staat in diesen Ländern verlangt, gibt es dann sehr viele Debatten. Die Position von Herrn Weber - ich schätze ihn sonst sehr -: wir haben jetzt nur einen kleinen Streit - können Sie im schwedischen Parlament und auch im österreichischen im Protokoll nachlesen. Genau das wurde auch dort befürchtet. Trotzdem haben sich die Länder dazu durchgerungen, die weite Formulierung zu fassen aus Klarheitsgründen, um unmissverständlich den Bürgern zu signalisieren, dass Gewalt gegen Kinder falsch und dass immer nachvollziehbar ist, wenn es dann doch mal passiert. Wir sind alle Menschen, wir können alle mal Fehler begehen.

Zweiter Punkt. Die Frage war aufgetaucht, ob der erste Satz vielleicht zu weit ist? Da würde ich sagen , der erste Satz in seiner Klarheit, in seinem Appellcharakter, ?Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung?, überzeugt mich zunächst einmal. Aber, wenn dann irgendwo Kompromisse gemacht werden müssen im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens, könnte ich mit der Formulierung, die Sie gemacht haben, natürlich auch leben, weil sie letztlich dasselbe ist. Ich bin auch Jurist, aber wenn mir die Fachjuristen dann sagen: ?Dieses Recht ist ja kein einklagbares? dann ist da ja eh kein Unterschied - also da kann man auch Ihre Formulierung wählen. Daran unterscheidet sich richtig oder falsch für mich in dieser Gesetzgebung nicht, aber sehr wohl beharre ich auf dem klaren Appell, deutlich zu machen, dass jede Gewalt verkehrt ist.

Sven Borsche: Ich hatte vorhin schon einmal versucht zu sagen, wo das Problem kompliziert ist. Ich beneide etwas, das sage ich auch ganz offen, diejenigen, die unabhängig von diesen von mir geschilderten Problemen eindeutige Position beziehen können. Ich verweise auf meine Stellungnahme, worin für beides nach einer Formulierung gefragt ist. Ich verweise auf meine Stellungnahme, in der ich gesagt habe, ich bin nicht gegen die Formulierung.

Und aus den Gründen - da unterstreiche ich auch, was Herr Pfeiffer gesagt hat - ich sehe überhaupt kein Problem in der Richtung, dass die Staatsanwälte mehr machen werden.

Ich sehe zweitens, das habe ich vorhin auch gesagt, für eine Kampagne ist da leichter mit dieser Formulierung etwas zu machen. Von daher habe ich auch im Augenblick keine bessere Formulierung, als die, die dort gewählt ist.

Wir haben eigentlich ein Problem auch darin, diese aus dem Blickwinkel zu sehen, dass wir die vorhandene Form von Gewalt eigentlich verringern wollen. Wir wollen sagen, soviel Gewalt darf eigentlich nicht mehr sein. Dann ist diese Formulierung gut.

Wenn wir es als Leitbild haben, dann wird es etwas problematisch. Ich will das aber nicht noch einmal wiederholen. Als Appellcharakter und als Ausdruck der Subjektstellung von Kindern halte ich auch diese Formulierung für hilfreich.

Man muss deutlich machen, dass dies in der konkreten Umsetzung nicht bedeuten kann, dass Gewalt mit Gewalt in jeder Weise, in jedem Verhältnis von Menschen untereinander gleichgesetzt werden kann. Und das ist zu vermitteln und deutlich zu machen. Ich habe vorhin gesagt, warum das so ist, aber ich möchte das gerne auch von der Formulierung her. Da kann man etwas mit der Stellung relativieren.

Ich weise noch einmal auf die UN-Kinderrechtskonvention hin. Dort steht im englischen ?Violence?, das ist ein sehr enger, ein englischer Begriff, in dem zitierten Oxford Dictionary: ?Violence is unlawful use of force?. Das ist nicht das, was im deutschen alles unter Gewalt subsumiert wird, und da liegt eine gewisse Problematik. Aber ich denke, wenn man es historisch sieht, ist es im Grunde ein Fortschritt, dass die Formulierung noch einmal in die Diskussion kommt. Ich frage allerdings noch einmal nach: Was ist denn eigentlich mit der Zwischenstufe, in dem §1631 Abs. 2 BGB, eigentlich regierungspolitisch gemacht worden? Gibt es überhaupt schon irgendwelche Erfahrungen? Ist mit der neuen Formulierung, die wir ja vor einem Jahr oder vor ein einhalb Jahren in der Kindschaftsrechtsform gefunden haben, denn z.B. vom Justizministerium irgend etwas gemacht worden, um eine Kampagne in die Wege zu leiten? Denn es wäre auch die Frage, was hatte das denn für Wirkungen? Aber es war zu wenig Zeit, und wir hatten die Bundestagswahlen dazwischen usw.. Aber es ist schon ein gewisses Problem. Ehe man überhaupt einmal die Auswirkungen erfahren hat, geht man schon zum nächsten Schritt, d.h. im Zwischenschritt kann man gar nichts genau bewerten. Ich bleibe trotzdem dabei, ich bin nicht gegen den Gesetzentwurf. Ich halte ihn aufgrund aller historischen Entwicklungen usw. für eine vernünftige Formulierung, mit der man dann auch Kampagnen machen kann.

Klaus Weber: Traunstein ist gewissermaßen ein Vorort von Salzburg, und die österreichischen Verhältnisse sind mir sehr gut bekannt. Wir haben ständig Kontakt mit unseren Kollegen und ich kenne auch die dortige Formulierung und auch die Entwicklung der Mitarbeit bei der Vergewaltigung in der Ehe. Ich meine auch nicht, dass wir eine uferlose Strafverfolgung haben werden, sondern wir werden die Akzeptanz dieses Entwurfs deutlich mindern, wenn wir den Eltern nicht klipp und klar sagen können, die Strafbarkeit wird nicht ausgeweitet. Und sie sagen es ja selbst im Entwurf, es ist ja gar nicht das Ziel, die Strafbarkeit. Da sind wir uns ja alle einig darüber, dass sie nicht ausgeweitet werden soll, und ich sage nur, mit den jetzt vorhandenen Formulierungen besteht die Gefahr, dass die Strafbarkeit tatsächlich erheblich ausgeweitet wird.

Aber, Frau Abgeordnete von Renesse, schon die Stellung im Gesetz kann eine ganz gewaltige Menge verändern. Wenn Sie so ein Leitbild oder so etwas in eine andere Vorschrift hineinschreiben, wie den §1626 Abs. 2 BGB, dann hat das schon ein ganz anderes Gesicht. Früher hieß ja der ganze Abschnitt ?elterliche Gewalt? und niemand ist auf die Idee gekommen, dass das etwas mit der Gewalt im Sinne der Nötigung oder so etwas zu tun hat. Mit dem Strafrecht hat man es eigentlich nicht verquickt. Also eine solche Umstellung kann schon sehr viel bewirken, Sie haben ja vorgeschlagen, es bei der geltenden Fassung des §1631 Abs. 2 BGB zu belassen, dann könnte der Gesetzgeber klipp und klar sagen, dass es keine Ausweitung der Strafbarkeit gibt. Die Strafbarkeit wird wie bisher bestimmt durch den §1631 Abs. 2 BGB aber das, was wir wollen, als Leitbild, als Ziel, das schreiben wir an eine andere Stelle hin. Ich glaube, dass damit ein Strafrechtler durchaus leben könnte. Der §1631 Abs. 2 BGB - auch hier muss ich leider Herrn Prof. Pfeiffer widersprechen -, der ist eine Ausweitung der Strafbarkeit - die geltende Fassung gegenüber dem früheren Recht. Denn jetzt ist tatsächlich das Züchtigungsrecht abgeschafft, so ist es nun einmal. Und wir haben nur einen relativ kleinen Bereich, wo wir alle nicht wollen, dass da jedes Mal der Staatsanwalt im Kinderzimmer steht.

Es lässt sich möglicherweise noch etwas besseres finden, aber mir erscheint das jedenfalls auf den ersten Blick als etwas, was mir deutlich weniger fragwürdig erscheint, als der jetzige Text.

Prof. Siegfried Willutzki: Ich plädiere dafür, den Gewaltbegriff so wie er jetzt in dem Entwurf vorgesehen ist, beizubehalten mit der Modifikation, dass ich mit einer Verlagerung der wesentlichen Teile der Vorschriften in den §1626 BGB ohne weiteres leben könnte. Es kommt mir auf den Appellcharakter bei dieser Geschichte an. Und dieser kann im §1626 BGB - weil wir da ja auch gerade zum Umgangsrecht den Appellcharakter in die Magna Charta des Umgangsrechts aufgenommen haben -, durchaus gut angesiedelt sein. Die Diskussion um den Gewaltbegriff, die wir hier führen, finde ich ein wenig gespenstisch. Denn ich denke, die Verunsicherung, die hier hineingekommen ist, ist doch dadurch entstanden, dass wir den Gewaltbegriff völlig gleichsetzen mit dem strafrechtlichen Gewaltbegriff. Und ich finde, da müssen wir differenzieren, Herr Weiss. Jetzt muss der Nichtstrafrechtler versuchen, eine strafrechtliche Begründung zu geben, das bereitet mir schon Bauchschmerzen. Ich denke, wir haben die Möglichkeit, durch die strafrechtliche Fassung des § 223 StGB die Abgrenzung im Rahmen des Umfanges der Gewalt vorzunehmen. Und damit ist und bleibt der Klaps auch in Zukunft aus dem Straferfassungsbereich draußen. Aber wir wollen uns doch nicht nur auf das Verbot der strafbaren Gewalt als Erziehungsmittel beschränken, sondern wir wollen gerade Gewalt komplett aus der Erziehung verbannen. Und deshalb brauchen wir diesen Begriff. Mit der Modifikation der Überschreibung in § 1626 BGB kann ich wirklich sehr gut leben.

Zu den Fragen von Herrn Pofalla. Zunächst zu der ersten: § 1631 Abs.1 BGB, nämlich Betonung des Rechtes des Kindes auf gewaltfreie Erziehung gegenüber dem Entwurf, wie er in dem Sachsen-Anhalt/Hamburg-Gesetzesentwurf enthalten ist. Meine Präferenz für den Entwurf, wie wir ihn jetzt vorliegen haben, beruht darauf, dass ich einerseits darin hervorragend die Tendenz eines Kindschaftsrechtes, nämlich des Rechtes des Kindes zum Ausdruck zu bringen, widergespiegelt sehe. Wobei natürlich Ihr Einwand kommt: ist das denn nun ein durchsetzbarer Rechtsanspruch oder nicht, Frau Fischbach. Damit denke ich, haben wir es aber auch mit § 1684 BGB zu tun, und wir kommen damit in der Kindschaftsrechtsreform eigentlich ganz gut zurecht. Wichtig ist mir dieser Appellcharakter, und der Appellcharakter, das will ich Ihnen zugeben, Herr Pofalla, kommt auch in der anderen Formulierung zum Ausdruck. Meine Präferenz beruht darauf, dass ich die Diskussion um die Fragen der verfassungsrechtlichen Berechtigung des Staates, Erziehungsstile vorzuschreiben in unheilvoller Erinnerung habe. Und diese Diskussion würde ich nicht gerne erneut erleben. Wenn Sie mir zusichern, dass diese Formulierung verfassungsrechtlich so fantastisch abgesichert ist, dass diese Diskussion nicht entsteht, dann könnte ich auch mit der Formulierung aus dem Sachsen-Anhalt/Hamburg-Entwurf leben. Aber so lange diese Gewähr nicht gegeben ist, und ich meine, sie ist schwer zu geben, verdient die Formulierung, wie wir sie in diesem Entwurf vorgelegt bekommen haben, bevorzugt zu werden.

Die zweite Frage, die Sie angeschnitten haben, betrifft den jugendhilferechtlichen Aspekt, und da fragen Sie nach konkreten Pflichten. Ich denke, je umfangreicher und intensiver die Aufklärungsaktion läuft, die ich ja eben als ganz wichtiges Element der Umsetzung der Zielsetzung bezeichnet habe, je präziser und intensiver sie läuft, desto weniger brauchen wir im präventiven Bereich konkrete Regelungen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir konkretere Regelungen, die ich ja eben auch schon angemahnt habe, etwa im Rahmen von EU 17 und 28 -, ansiedeln könnten. Da werden sicherlich die Jugendhilferechtler bessere Formulierungshilfe geben können als ich. Ganz wichtig ist mir aber aus den Bedenken, die von Herrn Sauter genannt worden sind - Widerstand der kommunalen Spitzenverbände gegen die Übertragung der Aufgaben -, dass nicht vor Ort der Sozialarbeiter an der Front den Kampf austragen muss, sondern dass wir ihm hier per Gesetz die Hilfestellung geben, indem wir klar sagen: Verweisung auf die konkreten Hilfen aus §27 SGB VIII folgende. Da haben wir ja eine ganze Menge, die dann, wenn die Konfliktsituation auftritt, eingreifen können. Und deshalb gehört das dort mit hinein.

Dorothea Barkey: Die Frage war: Wenn die Befürchtung besteht, dass der Gesetzentwurf in Satz 1 des § 1631 Abs. 2 BGB, also ?Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung?, zu einer Ausweitung der Strafbarkeit führen könnte, ob die vorgeschlagene Formulierung im Bundesrat, also ?Kinder sind gewaltfrei zu erziehen?, besser wäre, also, eine Erweiterung der Strafbarkeit verhindert, ist das zu verneinen.

Entscheidend ist nämlich der Begriff der Gewalt. Die Formulierung ?Kinder sind gewaltfrei zu erziehen?, ist in dieser Hinsicht nicht anders zu bewerten, als der Satz ?Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung?. Der Gewaltbegriff ist in beiden Formulierungen enthalten und könnte strafrechtlich im Bereich der Nötigung von Bedeutung sein. Wenn dies nicht gewünscht ist, müsste eben der Gewaltbegriff ganz gestrichen werden. Meines Erachtens wird aber der Gesetzentwurf nicht zu einer Ausweitung der Strafbarkeit führen.

Klaus Haupt (F.D.P.): Die ganze Diskussion dreht sich ja logischerweise um den Gewaltbegriff. Da wird auch ganz entscheidend sein, wie wir in der Öffentlichkeit den ?Sinneswandel? vollziehen können. Deswegen meine drei Fragen als Nichtjurist, obwohl einiges schon teilweise mit angesprochen ist, aber ich möchte noch einmal präzise nachhaken: Herr Weber, ist es zu befürchten, dass es aufgrund der Diskussion, die wir auch heute um den Gewaltbegriff erleben, zu weitreichenden Auslegungsaktivitäten an den Gerichten kommt? Herr Professor Willutzki, meine konkrete Frage an Sie: Ist zu befürchten, dass dieses Gesetz zu einem Druckmittel bei Unterhalts- und Sorgerechtsstreitigkeiten genutzt werden kann? Frau Barkey, ich frage noch einmal nach Ihrer Einschätzung: Sind die vorgesehenen Sanktionen bei dem Vorstoß gegen gewaltfreie Erziehung, wie er hier als Intention im Gesetzentwurf steht, aus Ihrer Sicht klar genug angezeigt?

Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ich frage auch ganz kurz und knapp. Die erste Frage geht an Herrn Professor Pfeiffer, ich habe von den anderen Kollegen gehört, dass gerade der Begriff der Gewalt der komplizierte ist. Der Kollege Niehaus sagte auch, man könne ihn gar nicht definieren. Herr Professor Pfeiffer, Sie haben gesagt, aus Klarheitsgründen brauchen wir die Formulierung ?ein Recht auf gewaltfreie Erziehung?, und deshalb frage ich ganz einfach: definieren Sie doch dann bitte Ihr Verständnis von gewaltfreier Erziehung. Die zweite Frage geht an Herrn Professor Willutzki und an Frau Barkey: Ich habe gerade gehört, es besteht kein justitiabler Rechtsanspruch. Wir nehmen aber ein Recht in das BGB auf, dann müsste es doch meines Erachtens - ich bin Laie und Sie können mir da helfen - Möglichkeiten geben, wie Kinder im Streitfalle dieses Recht dann auch verwirklichen bzw. durchsetzen können? Und da hätte ich gerne von Ihnen gewusst, von Ihnen beiden, welche Möglichkeiten bestehen, für wie praktikabel halten Sie diese Möglichkeiten, und wer könnte z. B. die Kinder dann auch in einem Streitfalle vertreten?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Frage geht an Herrn Professor Willutzki. Sie hatten sich positiv zu dem Gesetz geäußert, haben gesagt, es seien flankierende Maßnahmen notwendig. Da frage ich Sie, könnten Sie diese näher beschreiben, können Sie die nennen und rechnen Sie mit einer Zunahme der Beratungsgespräche? Bietet dieser Vorschlag, den wir zum KJHG im Gesetz vorgesehen haben, denn auch hier tatsächlich, dass der Bedarf anerkannt und finanziert wird?

Die zweite Frage geht an Herrn Dieterich, Sie sagten: Kinder brauchen Demütigung und Kinder brauchen auch Schläge, wenn sie überlegt und liebevoll gegeben werden. So habe ich es auch noch einmal nachgelesen bei Ihnen. Nun haben Sie ja sehr eindrucksvoll von Herrn Pfeiffer gesehen, wie Gewalt auf Kinder wirkt und dass Gewalt, wiederum Gewalt erzeugt und diese Spirale immer weitergeht. Darum meine Frage an Sie: Können Sie überhaupt dieses Argument noch halten, wenn Sie sehen, wie tatsächlich in ganz ernstzunehmenden Studien und Untersuchungen genau diese Gewalt sich immer weiter entwickelt?

Die dritte Frage ist an Herrn Schetelig gerichtet: Ich glaube, ich habe Sie vorhin falsch verstanden, deshalb würde ich Sie bitten, das zu korrigieren. Sie haben gesagt: Kinder, die zu Tagesmüttern gehen, und dann dort weinen, waren seelisch gestört, und das sei Gewalt an diesen Kindern. Ich würde Sie einmal bitten, das klarzustellen, ob Sie das tatsächlich so gemeint haben? Wenn das so wäre, dann verstände ich das nicht. Und vielleicht noch einmal ein Einwand an Frau Johns: Sie hatten gesagt, eine Werbung auf Kindernahrungsmittel oder auf Milch sei der richtige Weg. Also, Milch, die die Kinder sehen, wo sie dann den Hinweis auf Gewalt, die Eltern nicht ausüben dürfen, sehen, ist, glaube ich nicht der richtige Weg. Vielleicht müsste man dieses dann auf Zigarettenpaketen oder auf Alkoholflaschen nehmen, dann wäre die Gruppe auch erfasst, die Sie tatsächlich meinen.

Klaus Weber: Ich bin der Meinung, dass der Gewaltbegriff, so wie er hier jetzt steht in dem Gesetzentwurf, zu erheblichen Schwierigkeiten in der Praxis führen wird. Sie ergeben sich schon daraus, dass nicht geklärt ist , wie das Verhältnis des Satzes 1 zum Satz 2 ist.

Wenn ich die Begründung lese, könnte man auf den Gedanken kommen, der Satz 2 enthält die Definition der Gewalt. So könnte man es lesen, so steht es jedenfalls auf Seite 7. Das wäre natürlich ein neuer Begriff, den der Gesetzgeber entdecken kann oder erfinden kann, aber er wäre zu eng oder er wäre zu weit in manchen Bereichen. Er wäre zu eng gerade im Kernbereich der Gewalt, nämlich der körperlichen Zwangseinwirkung, weil er nämlich nur die körperliche Bestrafung erfasst. Das ist doch etwas, was ohnehin gegen den Satz 2 spricht und weswegen das geltende Recht vorzugswürdig wäre, dass nicht auf das Ziel des Eingriffs abgestellt wird, sondern auf die Einwirkung.

Man könnte überspitzt sagen: Eine körperliche Bestrafung lässt ein präventives Prügeln zu, denn das ist ja keine Strafe, wenn ich präventiv prügle. Das ist sehr spitz formuliert, das wollen wir alle nicht, da sind wir uns sicher einig. Und so weit ist der Begriff - natürlich soweit er die diese seelischen Verletzungen mit einbezieht und die entwürdigenden Behandlungen. Das kann einmal Zwang sein, aber hat per se nichts mit Zwang zu tun, sondern das ist eine Verletzung der Menschenwürde und eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Ich glaube, wenn das so bleibt, wie es im Entwurf vorgesehen ist, wird die Praxis große Schwierigkeiten damit haben. Aber auch wenn man den Gewaltbegriff, den Satz 1, eigenständig stehen lässt, neben dem Satz 2, ergeben sich Probleme daraus, dass der Entwurf überhaupt nichts zu dem Satz 1 sagt, was er unter Gewalt im Sinne des Satzes 1 versteht. Er verliert darüber kein einziges Wort. Er sagt nur, das ist mit dem strafrechtlichen Gewaltbegriff nicht gleichzusetzen. Alles andere müsste die Praxis tun. Ich glaube, dass das keine gute Gesetzgebung wäre, aber es scheinen sich ja Möglichkeiten aufzutun, wie man das vielleicht entzerren kann. Die Konsequenzen für die Jugendhilfe bleiben natürlich wohl gleich, egal, ob ich das im § 1631 Abs. 2 mache oder im § 1626 Abs. 2 BGB. Diese Konsequenzen, die bleiben, und das Geld, was es kostet, wobei man darüber streiten kann, ob es gut angelegt ist oder weniger gut.

Prof. Siegfried Willutzki: Zunächst einmal die Frage, könnte die neue Fassung des Gesetzes benutzt werden, um bei entsprechendem Fehlverhalten als Druckmittel eingesetzt zu werden bei der Durchsetzung von Unterhaltsforderungen. Natürlich kann alles als Druckmittel eingesetzt werden. Wir haben das Problem bisher ja schon gehabt, im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch, der ja Gott sei Dank, inzwischen seine Spitzenposition als Einwand gegen das Umgangs- und Sorgerecht des Mannes verloren hat, weil inzwischen eine vernünftige Aufklärung in dem Bereich gelaufen ist. Das Druckmittel, das wirklich effektive Druckmittel, könnte ja wirklich nur die Strafanzeige sein. Da wir aber nach meiner Überzeugung den Umfang der Strafbarkeit nicht erweitern, erweitern wir ja auch die Druckmittelgeschichte nicht. Und damit, denke ich, ist die Frage beantwortet. (Zwischenrufe)

Darf ich jetzt fortfahren? Recht des Kindes, Frau Fischbach? Wir haben im Zusammenhang mit dem § 1684 BGB, den Entwurf des Landes Sachsen-Anhalt und Hamburg gehabt. Um dieses Recht etwas mehr zu konkretisieren und auch wirklich für Kinder durchsetzbarer zu machen, haben wir die Anregung in diesem Gesetzesentwurf gehabt, dass den Kindern ab dem vollendeten 12. Lebensjahr ein eigenes Antragsrecht gewährt werden sollte.

Das ist herausgeflogen, und das ist denke ich, auch zu Recht herausgeflogen. Das heißt mit anderen Worten, wir beschränken uns in all diesen Bereichen auf den appellativen Charakter dieses Rechtes, um den Eltern deutlich zu machen: Wenn Ihr hier gegen diese Bereiche verstoßt, sei es den Umgang stört, sei es die Erziehung nicht gewaltfrei gestaltet, dann greift ihr in Rechtspositionen des Kindes ein. Und das ist das Wesentliche, was dahinter steht.

Dorothea Barkey: Es ging einmal um die Frage, ob die Sanktionen klar genug formuliert sind in § 1631 BGB, und aus strafrechtlicher Sicht kann es das ja gar nicht. Die Sanktionen sind aus Sicht der Staatsanwaltschaft natürlich im StGB niedergelegt, und das BGB kann in der Hinsicht keine Änderung mehr herbeiführen.

Die nächste Frage war, wenn kein justizieller Rechtsanspruch entstehe, wie diese Kinder dann den Anspruch auf gewaltfreie Erziehung durchsetzen können. Ich meine auch, dass die Vorschrift allenfalls Appellcharakter hat, und es ist nicht vorstellbar, wie ein Kind einen entsprechenden Anspruch vor Gericht durchsetzen soll.

Prof. Christian Pfeiffer: Die Frage ist eigentlich von mir schon beantwortet. Ich sage es noch einmal, um es klarzustellen: Eine Ohrfeige ist für mich danach rechtlich nicht mehr möglich. Eine Ohrfeige verletzt aus meiner Sicht die Würde des Kindes. Wir müssen ganz klar sagen: Dieses ist in Zukunft nicht mehr erlaubt. Und nur, wenn wir mit dieser Klarheit an die Öffentlichkeit treten, bewirken wir eine Änderung im Vergleich zum Jetzigen. Das heißt dann, wenn ich höre, in § 1626 BGB diesen Appell reinnehmen, prima! Aber dann muss der §1631 BGB diese Klarheit ebenfalls enthalten, da darf es dann nicht heißen, dass nur die Misshandlungen unzulässig sind, sondern es muss heißen ?Körperstrafen sind unzulässig?. Das müsste dann auch klargelegt werden, es reicht dann nicht aus, den Appell, die Klarheit, nur in § 1626 reinzunehmen. Es muss dann auch eine Umsetzung in § 1631 BGB erfahren, dass Ohrfeigen in Zukunft unzulässig sind als Körperstrafen.

Dr. Jörg Dieterich: Sie haben eine relativ provokative Frage gestellt. Ich muss jetzt gegen eine empirische Studie irgend etwas sagen. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Empirie und, ich sage einmal, Geisteswissenschaft. Das Empirische, was er herausgearbeitet hat, das kann ich nicht anzweifeln. Erstens kenne ich diese Studie so genau nicht. Ich weiß nicht, wie das gemacht worden ist, wie das durchgeführt worden ist. Meine Antwort kommt von Seiten eines Menschen, der sehr viel mit Einzelfällen zu tun hat, und das sehr intensiv. Ich möchte Ihnen ein Beispiel bringen, wo ein Vater zu mir in die Therapie kommt und sagt, er schafft es nicht mehr, seine Tochter zu umarmen, weil er die Angst hat, er würde sie dann sexuell missbrauchen.

Das ist jetzt ein Beispiel für einen Sachverhalt, der mir immer wieder begegnet, nämlich, dass Eltern, die es mit ihren Kindern sehr ernsthaft meinen, und ich glaube deswegen sprechen wir von zwei unterschiedlichen Gruppen, dass diese Eltern in große Not kommen. Ich habe selber keine Kinder, ich bin nur Pädagoge. Ich berichte das im Auftrag von vielen Eltern, die zu mir kommen und die mit dieser Problematik ihre große, liebe Not haben, die sagen: Ich darf meine Kinder aus meiner Sicht aufgrund dieses Gesetzes nicht mehr schlagen. Ich habe nicht das Gefühl, dieses Gesetz will das, aber ich möchte Sie warnen vor Eltern, die durch dieses Gesetz massiv verunsichert werden. Und ich habe das Gefühl, es gleitet mir gerade im Moment ein bisschen zu sehr auf das Allgemeine und geht weg vom Einzelfall. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich habe ganz konkrete Bilder im Kopf, für die ich hier auch stehe.

Ich habe diesen Menschen versprochen: Ich sage, so einfach kann man es sich nicht machen. Ich möchte, dass ?meine? Eltern, die zu mir in die Therapie kommen, von mir nicht im Unterschied zu Ihrer Auffassung gesagt bekommen, sie dürfen ihr Kind nie mehr ohrfeigen.

Das mache ich bei ?meinen? Kindern, solange diese Gesetz noch nicht durchgeführt worden ist, das kann ich ?meinen? Eltern, die zu mir in die Therapie kommen, nicht zumuten.

Ich stelle fest, dass es Situationen gibt, ich sage es jetzt ganz deutlich, wo ein Elternteil die Möglichkeit besitzen muss zu einer drastischen Maßnahme. Doch, ich meine jetzt im Sinne von einem Klaps. Es kommt darauf an, wie man den Klaps auslegt. Das Zweite, was Sie mich gefragt haben: das Stichwort ?Demütigung?. Ich glaube, dass es in der Erziehung gewisse Situationen gibt, wo ein Kind auch die unangenehmen Seiten diese Lebens lernen muss. Und ich frage Sie, soll ich so etwas aus der Erziehung ausklammern? Von daher sage ich, möglicherweise muss ich mit diesem Thema auch arbeiten.

Dr. Horst Schetelig: Ich glaube, Sie hatten mich richtig verstanden. Ich darf noch einmal zitieren. Seelische Verletzungen und Deformationen von Kleinkindern, finden tagtäglich statt, wenn sie z. B. in Krippen oder bei Tagesmüttern abgegeben werden. Ich habe dies angeführt als ein Beispiel, dass hier auch von Erwachsenen gegenüber Kleinkindern Gewalt, und darum diskutieren wir, angewandt wird. Diese Thematik war ja vor einigen Jahren in diesem Hause auch einmal diskutiert worden, z. B. mit dem Modellprojekt. Wir haben das nachuntersucht und uns sehr ausführlich damit beschäftigt. Die Ergebnisse sind damals relativ eindeutig interpretiert worden, wenn Sie die Zahlen nachsehen, können Sie genau verfolgen, dass Kinder, die in diesen Einrichtungen betreut werden, und das sagt Ihnen auch die gesamte Krippenforschung, deutlich schlechtere Aufwuchsbedingungen haben, als Kinder, die in Familien aufwachsen. Das ist der Punkt.

Rolf Stöckel (SPD): Ich würde gerne Frau Johns fragen, die hier über die Erfahrungen in Schweden gesprochen hat und darüber, dass das Gesetz und die Kampagne sehr erfolgreich waren. Können Sie etwas darüber sagen, wie genau die Formulierung in Schweden war und etwas über die Konflikte, sowohl was die Rechtsprechung angeht, als auch die Familienkonflikte. Es gibt ja offensichtlich im Zentrum die Formulierungsfrage und für mich die Frage nach Erfahrungen, die in Schweden darüber existieren. Ob es tatsächlich zu den hier beschworenen Konflikten in der Rechtsauslegung kommt und auch, ob die Konflikte, die mit solchen Formulierungen in die Familien getragen werden, existieren. </>

Dann möchte ich Herrn Hilgers noch einmal fragen, und diese Frage geht auch an Herrn Pfeiffer. Können Sie sich vor dem Hintergrund der konkreten Erfahrungen und Untersuchungen, die Sie gemacht haben, vorstellen, dass es eine Alternative dazu gäbe? Könnte man jetzt jetzt auf ein Gesetz verzichten, und mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen auf ein erfolgreiches Zurückgehen der elterlichen Gewalt in den Familien hofften, der Gewalt schlechthin auch, die dann in Schulen und in der Öffentlichkeit wieder Gewalt produziert, wäre das möglich?

Ekin Deligöz (B90/DIE GRÜNEN): Herr Willutzki, auch ich habe eine Frage an Sie. Haben Sie das Gefühl, dass sich im Bezug auf die juristische Wahrnehmung von Kindern in der Gesellschaft etwas verändert hat, und dass dies Gesetz in dieser Folge auch eine Konsequenz dieser Wahrnehmungsänderung ist? Die zweite Frage richtet sich an Frau Johns. Ich möchte einmal ein bisschen in die Praxis hineingehen. Welche Konsequenzen erwarten Sie von diesem Gesetz für Ihre Praxis? Glauben Sie, dass die Beratungsgespräche für Eltern zunehmen werden und bietet dies auch eine Grundlage dafür, dass ein solcher Bedarf auch anerkannt und finanziert wird, oder was versprechen Sie sich von diesem Gesetzentwurf? Die dritte Frage geht an Herrn Hilgers: Zum einen, glauben Sie auch, dass Kinder in der Erziehung - Sie haben ja die Kinderrechtswahlen gerade durchgeführt und haben ausführliche Ergebnisse - so etwas wie eine Demütigung in der Erziehung brauchen? Die zweite Frage ist: Kann man die Kosten der Gewalt überhaupt beziffern? Kommt es uns gesellschaftlich nicht teurer, wenn wir auf so ein Gesetz verzichten, als wenn wir es einführen?

Hanna Wolf (SPD): Meine Fragen sind an Herrn Pfeiffer und an Frau Johns gerichtet.

Aber vorweg noch eine Bemerkung. Wir hatten im Kindschaftsrecht den Vorschlag gemacht, dass Kinder gewaltfrei zu erziehen sind. Es wundert mich, da Herr Profalla damals diesem nicht zugestimmt hat, warum er jetzt den Vorschlag macht. Es wäre damals sehr nützlich gewesen, er hätte diesen Weg schon damals bestritten. Zweite Bemerkung, ich habe wirklich große Probleme, mit dem, was die Therapeuten uns heute gesagt haben, weil ich nicht nachvollziehen kann, dass man Kindern in der Therapie beibringen muss, dass sie sich demütigen lassen dürfen. Dazu dann meine Frage an Herrn Pfeiffer und Frau Johns.

Ich berichte erst einmal eine Begebenheit: Vor kurzem hatte ich eine Schülerklasse, etwa 14-15Jährige, mit zwei Betreuern zu Besuch. Es stellte sich heraus, dass diese in einer Nachmittagsbetreuung sind, weil sie aus Problemfamilien kommen. Es war für mich überhaupt nicht möglich, sie zu einem politischen Gespräch zu bekommen, bis zu dem Moment, als ich gesagt habe, wir machen gerade ein Gesetz, was verlangt, dass Kinder gewaltfrei zu erziehen sind. Alle waren auf einmal im Gespräch. Und jetzt kam die Frage dieser Kinder - und ich denke, wir haben diese Antwort gegeben mit unserem Gesetz. Wer sagt es meinen Eltern?? Sie haben das verklausuliert, sie haben selber zu erkennen gegeben, jetzt bin ich dran. ?Wer sagt das meinen Eltern oder wer sagt es den Eltern, dass ich gewaltfrei erzogen werden will, muss, darf; dass ich ein Recht dazu habe, aber sie nicht verlieren will?? Also ganz lebensnahe Bedürfnisse. Ich möchte die Eltern behalten, aber bitte schön, ich möchte auch gewaltfrei leben. Und ich denke, unser Gesetz hier sagt deutlich: Kinder sind gewaltfrei zu erziehen, haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, dass wir die Anwälte der Kinder sind, dass wir den Kindern sagen: Ihr habt dieses Recht. Und die Kinder können ihren Eltern sagen: Ich habe das Recht; und jetzt müssen andere den Eltern sagen: Du hast auch die Pflicht. Die Kinder haben auch zu erkennen gegeben, meine Eltern brauchen Hilfe, aber denen müssen auch Grenzen gesetzt werden. Und deshalb meine Frage an Sie: Kann dieses Gesetz das signalisieren, eben durch die Methoden, die man hier auch durch andere Studien erfährt, oder vorschlägt, damit Kinder wirklich sagen können: "Hier, ich habe Rechte".

Rosel Neuhäuser (PDS): Ich möchte gerne noch zwei kurze Fragen anschließen. In den verschiedenen Ausführungen wurde schon oftmals auf den § 27 im KJHG verwiesen, und ich finde es auch sinnvoll, dass der Zusammenhang zwischen dem Gesetz ?Recht auf gewaltfreie Erziehung? und dem KJHG hergestellt wird. Ich stelle in diesem Zusammenhang die Frage, ob es dann auch richtig ist, dass das KJHG daraufhin modifiziert werden muss, dass dann auch darin das Recht des Kindes auf Hilfen verankert sein müsste. Wer regelt dann für Kinder entsprechende Dinge? Das frage ich Herrn Hilgers und Herrn Sauter. Herrn Prof. Willutzki, sie möchte ich noch fragen: Könnten Sie nähere Äußerungen dazu machen, wie die von Ihnen angesprochene Mitteilungspflicht rechtlich auszugestalten ist?

Irene Johns: Die erste Frage war zur Informationskampagne: Ich habe nicht eine Informationskampagne über Kindernahrung gefordert. Das Wort Kindernahrung ist von meiner Seite nicht gefallen. Ich habe über die Kampagne in Schweden, das Gesetz auf Milchtüten zu veröffentlichen, berichtet. Ich habe eigentlich nur über das, was in Schweden passiert ist, berichtet. Und ich denke, das ist überhaupt keine schlechte Idee, dass wir über diesen Weg den Kindern ihre eigenen Rechte veröffentlichen - man kann es ja auch einmal so sehen. Aber es ging in Schweden eigentlich nur darum, dies möglichst in alle Haushalte zu transportieren. Lange Broschüren, das wissen Sie, lesen die wenigsten.

Die zweite Frage zu Schweden: die Formulierung steht einmal in der Bundestags-drucksache. Ich habe die Formulierung auch noch einmal auf englisch und direkt die schwedische Gesetzesfassung. Und die ist identisch mit der Übersetzung. Im englischen Text sehe ich keinen anderen Wortlaut. Hier steht es ja deutlich drin: Das Kind hat ein Recht auf Fürsorge, Sicherheit und eine sorgfältige Erziehung. Ein Kind soll mit Achtung vor seiner Person und seiner Eigenart behandelt werden und darf keiner körperlichen Bestrafung oder einer sonstigen kränkenden Behandlung ausgesetzt werden. Letztlich genau das, was auch in Ihrem Gesetzentwurf steht. Und Schweden hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Im englischen steht auch wörtlich das Gleiche.

Schweden hat sehr gute Erfahrung damit gemacht. 1979 gab es noch eine ziemlich große Ablehnung des Gesetzes mit fast 70 V. H., und heute sind wir bei 10 v. H. Es zeigt eigentlich die große Akzeptanz des ganzen. Und ich finde, das bestärkt einen noch einmal sehr in diesem ganzen Vorhaben.

Die dritte Frage zum Beratungsbedarf: Es ist schon zu erwarten, dass der Beratungsbedarf mit der Umsetzung steigt, und zwar - das habe ich, glaube ich vorhin auch gesagt -, sowohl auf Seiten der Eltern als auch auf Seiten der Fachkräfte und der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich. Um deutlich zu machen, wo ich den Bedarf sehe, vielleicht ein Beispiel: Ein zwölfjähriges Mädchen, das körperlich und psychisch von ihrer Mutter misshandelt worden ist, sitzt mit dieser zusammen. Ich sage beiden, sie sollen jeder getrennt sprechen, nicht gleichzeitig. Irgendwann fängt das Mädchen an zu weinen und sagt: Ich weiß gar nicht, wie das geht? Bei uns wird immer nur zusammengeredet und wir streiten uns nur. Das macht auch deutlich, über welchen Weg es in dieser Familie immer wieder zu Eskalationen kommt und wie Veränderungsprozesse in Gang zu bringen sind. Das heißt, was ich jetzt beschreibe, fällt dann KJHG-mäßig in § 27 folgende. Ich habe mich aber vorhin dafür stark machen wollen - und das möchte ich immer noch -, dass wir auch schon im Vorfeld mit Informationen und Aufklärung an Eltern gehen, und das würde dann in den Bereich des §16 KJHG fallen.

Zur vierten Frage: Es ist ganz wichtig, dass das Gesetz in seiner Aussage sehr klar ist, und dass zukünftig jegliche Ambivalenz vermieden wird, also keine Möglichkeit gelassen wird, darüber weiter zu diskutieren: Ist Körperstrafe möglich, ja oder nein, dient sie der Erziehung, ja oder nein. Ich denke es ist wichtig, dass wir das ganz deutlich machen. Und dass die Kinder das wollen und auch brauchen, zeigt nicht zuletzt ihre eigene Aussage. Wenn wir einmal davon absehen, was wir in der therapeutischen Arbeit erfahren, und wo ich auch sagen würde: das ist einfach das, was wir zwingend brauchen.

Dann haben wir auch in den Aussagen zur Kinderrechtswahl gehört, was die Kinder geantwortet haben und da war an oberster oder an zweiter Stelle die Aussage: Wir möchten, dass körperliche Bestrafungen aufhören. Ich weiß nicht, ob ich Ihre Frage damit ganz beantwortet habe? Ja, also es ist absolute Voraussetzung, dass es hier nicht um Strafgesetzänderungen geht, sondern dass das straffrei ist. Dass es darum geht, Hilfe anzubieten, wie Eltern und Kinder gemeinsam etwas verändern können, damit sie zukünftig gewaltfreier miteinander leben können.

Heinz Hilgers: Meine Damen und Herren, Herr Borsche hat über seine Tätigkeit berichtet. Ich will ebenfalls berichten. Ich war bis 1985 zehn Jahre lang Leiter eines großen Jugendamtes im Erftkreis in der Nähe von Köln (mit 63 000 Einwohnern), in den letzten Jahren Hauptverwaltungsbeamter. Daher ist mir die kommunale Jugendhilfepraxis nicht fremd. Ich kann sehr gut die Frage nach dem Zusammenhang beantworten, wie es auch rechtlich zu sehen ist und wie Jugendhilfe dazu beitragen kann, aus dem Gesetz Lebensrealität zu machen.

Warum wir darauf bestehen und es wünschen, dass der § 1631 BGB geändert wird, mit einem Kinderrecht und nicht mit einem programmatischen Grundsatz, das hat exakt mit dem Zusammenwirken von §1666, § 1666a und mit § 1631 BGB zu tun. Und warum wir möchten, dass der § 16 KJHG geändert wird; und zwar als genereller Auftrag präventiver Arbeit. § 27 folgende KJHG hat da nichts zu suchen, er beschreibt die Methoden der Jugendhilfe, die Methoden der Hilfe zur Erziehung, aber nicht ihre Anlässe und auch nicht ihre Zielsetzung. Dort steht, was man alles als Hilfe zur Erziehung einsetzen kann. Der Zusammenhang ist so: Wenn es die konkrete Beschwerde, nehmen wir einmal an, eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft gäbe ? über ein eingestelltes Verfahren - z. B. in Nordrhein-Westfalen per Erlass des Justizministers vorgeschrieben, dass das an die Jugendämter mitzuteilen ist - dann hätte das Jugendamt nach § 1666a BGB alle offenen Hilfen in der Familie anzubieten, auszuprobieren, durchzutesten. Ich weiß nicht, wie der Ausbaustand der Jugendhilfe in anderen Städten ist, ich kann Ihnen nur berichten. Als ich mein Amt als Hauptverwaltungsbeamter angetreten habe, hatten wir 63 Heimunterbringungen in unserem Jugendamt, und ich habe in der Präventionsarbeit einen Mitarbeiter eingestellt, der ausschließlich zum Thema gewaltfreie Erziehung gearbeitet hat und einen weiteren Mitarbeiter, der im Thema Partizipation tätig war. Ich habe die sozialpädagogische Familienhilfe usw. ausgeweitet, und das hat alles zusammen 1,7 Mio. DM jährlich gekostet, aber der Unterbringungsetat ist von 63 auf 19 Mio. zurückgegangen mit einer Einsparung von 5 Mio. DM. Darin sind die Zusammenhänge zu sehen, und es ist einfach nicht richtig, dass man sagt, dass präventive Arbeit keinen Beitrag leisten kann zur Verminderung anderer Jugendhilfekosten.

Jede Heimunterbringung in schwierigen Fällen kostet durchaus einen sechsstelligen Betrag im Jahr, ist also teurer als eine einzelne Personalstelle. Ich will das sehr deutlich darlegen. Und dann wäre natürlich die ultima ratio, wenn der Täter dies nach wie vor nicht tut, über den § 1666 BGB zur Sorgerechtsentziehung zu kommen. Aber erst, nachdem über Jahre hinweg alle Hilfeangebote gelaufen sind, nach der Methode: ?Helfen statt Strafen? kooperiert und versucht worden ist, Hilfe in der entsprechenden Form zu leisten. Man kann dies danach als ultima ratio durchziehen, das heißt, das Kinderrecht im § 1631 BGB ist mit Hilfe der Jugendhilfe nicht völlig ?zahnlos?, wie eben dargestellt worden ist.

Beim § 16 KJHG ist die Frage gestellt worden, ob generell präventiver arbeiten sinnvoll ist. Es ist absolut vernünftig, wenn ein Jugendamt spätestens ab 50.000 Einwohner sich auch hauptamtlich in die Kriminalprävention und in die Gewaltprävention einbinden lässt, sie organisiert und durchführt. Ich habe es eben an Kostenbeispielen dargelegt. Man leistet damit einen Beitrag. Das Entscheidende ist, und das will ich doch noch einmal sagen, weil Herr Pfeiffer von seiner Untersuchung berichtet hat: Wir haben mit unserer Umfrage, die auch in regionale Details geht - ich kann sie Ihnen komplett zur Verfügung stellen -, 110.000 Kinder beteiligt. Das ist eine gewaltige Zahl, das ist weit mehr als alle sonstigen Untersuchungen. Und es ist wirklich erschreckend, dass die Kinder erstens sagen: Das Recht auf gewaltfreie Erziehung wird am zweit häufigsten verletzt. Und zweitens sagen: Nach dem Recht auf Gleichheit ist es das zweit wichtigste Recht. Übrigens, es ist spannend, danach kommt gleich die freie Meinungsäußerung.

In einer Atmosphäre, in der Gewalt herrscht, ist es schwierig mit der freien Meinungsäußerung. Und aus diesem Zusammenhang die herzliche Bitte: lassen Sie es bei dem Kinderrecht in § 1631 BGB, damit es bei dem Zusammenhang bleibt. Es hat Appellationscharakter, aber es hat ihn nicht nur über den § 1666 BGB, es hat aus meiner Sicht auch keinerlei Verbindung zum Strafrecht. Im Übrigen, aus der Jugendhilfe käme es sowieso nicht. Sehen Sie, Sie haben ja auch den § 223 STGB nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen, sondern dem Opportunitätsprinzip. Dies weil Sie selbst wissen, dass es nicht sinnvoll ist, und auch der Bundestag es so gesehen hat, jeden Fall von Gewalt in der Familie mit der Staatsanwaltschaft zu verfolgen.

Dr. Robert Sauter: Also zu der Frage § 27 und oder §16 SGB VIII 8. Ich denke man muss einfach einmal den Zusammenhang herstellen. Der § 27 begründet, unter welchen Voraussetzungen Hilfe zur Erziehung als konkreter individueller Anspruch für die Personensorgeberechtigten gewährt werden kann. Und die Hilfe zur Erziehung setzt voraus, dass eine dem Wohl des Kindes, des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist, und dass diese Hilfe für seine Entwicklung notwendig ist. Wenn also körperliche Misshandlungen, Vernachlässigungen oder andere Dinge vorliegen und eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht mehr gewährleistet ist, dann besteht Anspruch auf Hilfen zur Erziehung. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie man so etwas jetzt noch verdeutlichen und ergänzen kann. Die Dinge sind klar. Aus dem § 27 SGB VIII - Anspruch der Hilfen zur Erziehung- sind die Dinge klar. Die laufen aber nicht über den § 1666a BGB dorthin, sondern die Richtung ist umgekehrt. Das heißt aber, dass der § 27 eine im konkreten Einzelfall bestehende Gefährdung des Kindes voraussetzt. Das ist keine Grundlage für allgemein präventive Aktivitäten. Die allgemeinen präventiven Angelegenheiten, die werden im § 16 SGB VIII behandelt. Wo es also um eine Angebotsstruktur geht, um eine Unterstützungsstruktur, um eine Beratungsstruktur. Diese werden im § 16 ff dann für konkrete Konfliktsituationen und Problemsituationen beschrieben. Und auch hier sind eigentlich all die Aktivitäten möglich, um die es heute Nachmittag ging. Und Sie dürfen versichert sein, wenn heute eine junge Mutter, oder ein junger Vater in eine Beratungsstelle kommen und ein Erziehungsproblem vortragen, dass dann natürlich die Beratung im Sinne eines gewaltfreien Umgangs mit dem Kind erfolgt.

Die Vorstellung, man müsse den Psychologen und Sozialarbeitern per Gesetz hinschreiben, sie sollten künftig gewaltfreie Wege aufzuzeigen, weil sie das eventuell jetzt nicht tun würden, halte ich allerdings für irrig. Natürlich wird versucht, soweit das möglich ist, solche Wege aufzuzeigen. Insofern ändern Sie mit dem Zusatz, der im Gesetzentwurf steht, nichts. Das Problem ist nicht das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage, sondern das Problem ist die Ausstattung, weil diese im Bereich des § 16 SGB VIII außerordentlich dürftig ist.

Da sind wir natürlich nicht nur in der Jugendhilfe, das wäre auch zu adressieren in Richtung Erwachsenenbildung, das wäre zu adressieren in Richtung Altersselbsthilfe. Da gibt es ?da kommen wir dann auf den Teil aus dem KJHG, in den schwierigen Komplex der sogenannten Leistungen,- ein Ausstattungsdefizit, kein gesetzgeberisches Regelungsdefizit, und darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen: Im SGB VIII brauchen Sie nichts zu ändern, Sie müssen die Jugendämter und die Träger besser ausstatten.

Vorsitzende Christel Hanewinckel (SPD): Jetzt die beiden letzten Antworten, Herr Willutzki auf die Fragen von Frau Deligöz und von Frau Neuhäuser und dann Herr Pfeiffer auf die Fragen von Herrn Stöckel und Frau Wolf.

Prof. Siegfried Willutzki: Die Frage war, ob die Wahrnehmung der Richter zu den Bedürfnissen des Kindes sich so verändert habe, dass das jetzt auch dazu führt, dass dieses Gesetz zum besseren Schutz der Kinder sinnvoll ist und auch von den Richtern getragen wird. Ich habe selbst Probleme, für die Familienrichter zu antworten, denn ich gebe zu, dass meine Wahrnehmung sicherlich eingeschränkt ist, durch die Kenntnis der Einstellungen der Richter, die sich im Familiengerichtstag betätigen, und das ist sicherlich eine etwas andere als die generell der Richter. Nur darf ich darauf verweisen, dass im Zusammenhang mit den Vorarbeiten zum Kindschaftsrechtsreformgesetz, als es um die Setzung des Verbundprinzips bei der Sorgeregelung durch das reine Antragsmodell ging, es gerade die Richterseite war, die massiv darauf gedrängt hat, das Kind nicht aus dem Gesichtsfeld zu verlieren und dass gerade die Richter Wert darauf gelegt haben, dass zumindest die Situation des Kindes mit den Eltern erörtert werden müsste. Das war ja dann der Niederschlag im § 1613 BGB und im § 52 FGG, und darüber hinaus ist gerade von der Richterseite auch immer wieder betont worden, - auch im Zusammenhang mit der Kind-schaftsrechtsreform ? dass auch, wenn kein Antrag gestellt wird, aber andere Anhaltspunkte da sind, die Notwendigkeit der Anhörung des Kindes weiter gegeben ist. Und in diese Richtung, denke ich, geht nun auch die Wahrnehmung der Rechte in § 1631 BGB.

Zu Ihrer Frage, wie können wir diese Vernetzung zur Jugendhilfe herstellen? Für den Bereich der Strafsachen kann ich nicht sagen, ob es da bereits eine solche Mitteilung in Strafsachen gibt. Wenn eine solche festgelegt wird, dann muss sie sicherstellen, dass zum frühest möglichen Zeitpunkt die Mitteilung gegeben wird, damit die Vernetzung so früh wie möglich stattfindet. Das haben wir beispielsweise im Scheidungsverfahren ja in § 1703 BGB geregelt. Dort muss so früh wie möglich die Mitteilung an das Jugendamt gegeben werden, damit Beratung im frühest möglichen Zeitpunkt einsetzt. Und in Zivilsachen sieht es so aus: Wenn der Verstoß gegen gewaltfreie Erziehung im Rahmen eines Verfahrens nach § 1666 BGB bekannt wird, ergibt sich die Beteiligung des Jugendamtes, weil das Jugendamt ein natürlich Verfahrensbeteiligter kraft Gesetzes nach § 49 a FGG ist. Das haben wir bereits.

Ich denke, eine sinnvolle Ergänzung dieser Mitteilungen wäre in den Bereichen, aus denen eine Anregung an das Familiengericht kommt, dass da etwas schief läuft mit der gewaltfreien Erziehung. Wenn es nicht zur Einleitung eines Verfahrens nach § 1666 BGB kommt, dann müsste trotzdem eine Mitteilung an das Jugendamt gehen, damit das Beratungsangebot so früh wie möglich an die Eltern herangetragen werden und damit auch die Vernetzung der verschiedenen professionell Beteiligten eintreten kann.

Vorsitzende Christel Hanewinckel (SPD): Vielen Dank. Herr Pfeiffer bitte jetzt zu den Fragen von Herrn Stöckel und Frau Wolf.

Prof. Christian Pfeiffer: Herr Stöckel, es gibt aus unserem Institut aus dem Jahre 1992 eine Untersuchung, in der wir die Möglichkeit hatten, sowohl 60jährige als auch 16-jährige und 18jährige zu befragen: Wie war es in deiner Kindheit? Daher wissen wir, dass die deutschen Kinder in den Zeiten nach dem Kriege oder im Dritten Reich, deutlich mehr misshandelt und massiv geprügelt wurden, als in der Bundesrepublik. Und je jünger die Befragten wurden, um so niedriger war die Misshandlungsrate. Es gab bei relativ unveränderten gesetzlichen Regelungen einen Prozess der schrittweisen, langsamen Abnahme ohne dass es je eine Gegenbewegung gegeben hat. Von daher kann man darauf vertrauen, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist und dass sich gewaltfreie Erziehung innerhalb der einheimischen Deutschen immer weiter durchsetzen wird. Da mag dann ein solches Gesetz noch einmal den ?Kick? in dieser Richtung ein bisschen verstärken, weil es Debatten gibt, und Argumente, dass sogar Ohrfeigen, wenn sie gekoppelt sind mit ganz wenig Liebe, ganz massive Gewaltfolgen haben. Ich habe es vorhin gezeigt, dass diese nicht so harmlos sind, wie die Leute meinen. Die Diskussion ist noch einmal förderlich, aber aus meiner Sicht brauchen wir das Gesetz vor allem wegen unserer ausländischen Mitbürger.

Daraus ergibt sich eine spannende Debatte. In der Türkei ist vor drei Jahren das Recht der Männer abgeschafft worden, die Frauen zu schlagen. Im Augenblick debattieren sie über eine Gesetzesänderung, dass im Familienrecht der Mann nicht mehr die Dominanz hat, sondern Mann und Frau sich einigen müssen, dass die Mutter rechtlich gleichrangig wird mit dem Vater. Also das Vorrecht des Mannes, die Dinge im Streitfall zu entscheiden, wird jetzt möglicherweise aufgelöst. Das ist eine ganz andere Kultur, d. h. mein Problem ist, wenn ich mit deutschen Vätern über diese Fragen debattiere, von denen ich weiß, dass sie schlagen, dann bin ich bei sehr ?kaputten? Menschen, die Alkoholprobleme haben, die selber in größten Schwierigkeiten sind. Mit diesen ist es schwer, ins Gespräch zu kommen ist, weil sie selber im Gunde therapiebedürftig sind.

Wenn ich mit Türken rede, die schlagen, dann sind das stolze Männer mit hohem Selbstbewusstein und sind gestandene Kerle. Es sind Leute, von denen man nicht einfach so sagen kann, ?der ist kaputt?. Nein, der hat das Selbstbewusstsein eines Deutschen, der in einer schlagenden Verbindung des Jahres 1899 war, und der selbstverständlich Gehorsam zu Hause eingefordert hat. Ich will damit nur diesen Typus Mann charakterisieren, darum geht es, um den Dialog mit denen zu suchen, die jetzt in unser Land gekommen sind und das Schlagen für richtig halten. Und hier das Signal zu geben: Hier seid ihr in einem Land, in dem ein ganz anderer Appell an die Eltern herangetragen wird. Das fördert die Debatte, und da bin ich mir mit türkischen Freunden einig. Ich mache alles parallel mit türkischen Sozialberatern, mit türkischen Wissenschaftlern, mit türkischen Freunden, die wollen, dass sich das ändert. Und die sagen: Ihr würdet uns helfen, wenn so ein eindeutig klares Signal kommt und gesagt wird, das Misshandeln ist verboten.

Es ist dann dehnbar, diese Männer behaupten: Ich misshandele doch nicht, das geschieht doch aus Liebe, oder ist doch nötig gewesen. Also, die Klarheit in der Auseinandersetzung mit denen, denn da haben wir einen Unterschied, und den will ich noch einmal betonen. Je länger sie in Deutschland sind, desto häufiger wird das Schlagen, weil die Konflikte in den Familien immer größer werden, weil die Kinder sich eben nicht mehr fügen wollen im alten Stil. Da brauchen wir, um das zu ändern, wirklich einen deutlichen Appell, und den kriegen wir über dieses Gesetz. Ohne das Gesetz würden wir ?weiterwursteln?. Vor allem ist dann wichtig, wenn Sie das Gesetz so erlassen sollten, wenn auch mit kleinen Änderungen, aber in der Klarheit der Aussage muss es unverändert sein. Wenn Sie das Gesetz erlassen, dann müssen Sie dafür sorgen, dass das auch in türkisch vervielfältigt wird, in serbisch und in den anderen Sprachen der Einwanderer, weil es dort eigentlich die eigentlichen Adressaten hat. Nämlich die selbstbewussten Eltern, die meinen das sei recht und richtig. Und es muss gekoppelt werden, mit den Informationen, die Sie in Ihrer Begründung haben.

Die zweite Frage, die debattieren wir laufend. Unsere Forschungsergebnisse stellen wir ja nicht nur Ihnen dar, sondern wir gehen in Schulklassen und debattieren auch mit Schulklassen. Und jede hundertste Klasse etwa, in der wir die Resonanz wissen wollen - und dann kommt genau Ihr Konflikt - und dann sage ich als Antwort: Nein, wir wollen nicht, dass dein Vater in das Gefängnis kommt, oder bestraft wird und öffentlich stigmatisiert wird, wir wollen ihn auffordern mit seiner Frau gemeinsam in einen Selbsterfahrungskurs für schlagende Eltern zu kommen. Und in den Selbsterfahrungskurs, sage ich den Kindern wird, von dem Psychologen, der das leitet, nicht mit dem Finger auf sie gewiesen: Was macht ihr mit euern Kindern? Nein, da wird gefragt, nach dem schwedischen Vorbild. Wie war es in ihrer Kindheit? Wollen sie mal bitte berichten? Und dann kommt heraus, dass die schlagenden Eltern Opfer waren, von schlagenden Vätern und Müttern und von daher gibt es wirklich eine ganz andere Ansprache und die Kinder begreifen, dann würde ja mein Vater vielleicht einmal in das Reden kommen, dass sein Großvater ihn so fürchterlich geprügelt hat und dann würde er sich erinnern an sein Leiden durch den Großvater. Und da wird der Vater vielleicht begreifen, wie ich unter ihm leide. Also mit solchen Appellen, kriegt man dann die Kinder durchaus auf die Seite. Und dann gibt es ein letztes Argument, was ich vorhin aus Versehen vergessen habe, was ich den Kindern sage, das sage ich vor allem aber auch den Eltern. Wir haben eine Forschung gemacht über Gewalt im Alter, gefördert von der früheren Bundesregierung, das war eine ganz tolle Forschung 1992. Da haben wir 7.500 alte Menschen gefragt, wie es denn so zu Hause ist, mit den Kindern? Wenn sie nicht im Altenheim leben, sondern zu Hause, und dann kommt heraus - jetzt sage ich etwas ganz böses: Jeder kriegt im Alter, was er verdient. Die Menschen, die liebevoll mit ihren Kindern umgegangen sind, das haben wir ja v orher gefragt, da wussten sie noch gar nicht, dass am Ende die Frage kommt: Ob die Kinder sie prügeln, ob die Kinder sie misshandeln, sie beklauen, sie beschimpfen, verbal aggressiv sind. Die Eltern, die einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern hatten, hatten ein schönes Alter. Und die Eltern, die ihre Kinder selber nach eigenen Angaben vorher geprügelt hatten, die kriegten im Alter etwas zurück. Und daher ist das noch ein anderes Argument, das den Leuten deutlich macht, sie gestalten ihr eigenes Alter, liebevoll und positiv, wenn sie liebevoll und positiv mit ihren Kindern umgehen.

Vorsitzende Christel Hanewinckel (SPD): Wir sind heute am Ende unserer Anhörung, uns bleibt in den Ausschüssen die Aufgabe, all das aufzuarbeiten und dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. Herzlichen Dank für das Engagement der Sachverständigen und für das Engagement der Abgeordneten. Zum Schluss noch eine Bitte an Herrn Hilgers. Ihre Untersuchung, die Sie vorhin uns ja noch einmal angeboten haben, könnten Sie die bitte an beide Ausschüsse leiten. Wir könnten sie dann ja entsprechend vervielfältigen, das wäre eine Hilfe und es gibt sicherlich auch ein großes Interesse, damit weiterzuarbeiten. Herzlichen Dank und Ihnen allen einen guten Nachhauseweg.

Ende der Sitzung: 18.00 Uhr

Vorsitzende Christel Hanewinckel, MdB
Vorsitzender Prof. Dr. Rupert Scholz, MdB

Quelle: http://www.bundestag.de/ausschuesse/archiv14/a13/a13_anh/a13_anh23
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