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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Dirk Hansen, FDP Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU >>

Berlin oder Bonn? Für mich, einen neuen Abgeordneten und einen Westdeutschen aus Niedersachsen, ist das keine Frage. Die Hauptstadt Deutschlands heißt Berlin, und damit ist es auch Sitz von Parlament und Regierung.

Der Deutsche Bundestag gehört auf jeden Fall dorthin.

Die Grundsatzentscheidung ist heute zu fällen. Einzelheiten der konkreten Umsetzung stehen heute nicht an. Meine Devise dazu heißt »Berlin 2000«. Politik und Verwaltung haben so genügend Zeit -- mehr als zwei Legislaturperioden --, den vielfach verteufelten Umzug vorzubereiten und zu organisieren.

Niemanden braucht zu verwundern, daß die Meinungen in diesem Hause zu dieser Frage gespalten sind, denn sie sind es auch in der Bevölkerung. Welch schöner Einklang zwischen dem Volk und seinen Repräsentanten! Daher wäre es auch ein Trugschluß, daß ein eventueller Volksentscheid Konsens stiften bzw. Streit beilegen könnte -- wohl eher im Gegenteil. Die Erfahrung zeigt vielmehr, daß die Emotionalität dann einen höheren Stellenwert einnähme. Politik aber sollte möglichst rational begründet werden.

Warum also entscheide ich mich für Berlin? Neben manchem anderen -- und es gibt viele gute oder schlechte Gründe sowohl für Berlin wie für Bonn oder jede andere Stadt -- hier meine vorrangigen Gesichtspunkte:

Erstens das Argument der Glaubwürdigkeit oder: Die historische Lüge als Staatsfundament. 40 Jahre lebt die Bundesrepublik Deutschland, Bürgerschaft wie Politik, unter der »raison d'etre«, unter dem Auftrag des Grundgesetzes, »in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden«, unter der Devise, Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen, unter dem Druck, eben diese vor allen anderen herausgehobene Stadt zu stützen, zu subventionieren, ja überhaupt lebensfähig zu halten, nach der Maxime, dieses »Schaufenster« der Freiheit eines Tages wieder frei zu bekommen von Bedrohung, Erpressung und Fremdbestimmung. 40 Jahre bekennen sich alle, aber auch fast alle dazu, Bonn sei Provisorium oder ein Transitorium, denn am Tage der Einheit werde es wieder abgelöst von Berlin. Und jetzt, da die Einheit wieder da ist, da so tun, als ob die Bekenntnisse von gestern nichts wert seien? Nein, das kann und will ich nicht mitmachen. Eine solche historische Lüge unterzeichne ich nicht. Auf ein solches Fundament von Unernst, Unglaubwürdigkeit, Traditionslosigkeit, ja geradezu Unmoral will ich das neue, geeinte Deutschland nicht stellen. Und es ist keineswegs eine Frage von -- wie vielfach in diesen Wochen behauptet -- Symbolik, wenn die Politik in dieser Frage der Bürgerschaft deutlich macht, wie sie heute mit ihren Aussagen von gestern umgeht. Es ist eine tiefgehende, nicht nur mental, sondern psychologisch zu bewertende Kategorie, wenn die bekannte, uns Politikern vielfach vorgeworfene These »Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?« zum Kernsatz politischen Handelns wird. Nein, eine solche Selbstverleugnung will ich nicht für mich in Anspruch nehmen.

Zweitens das Argument der Fakten: die Einheit akzeptieren und Europa öffnen.

Innerlich wie äußerlich -- wir müssen uns entscheiden: Wollen wir die Einheit, das größere Deutschland, eine veränderte Bundesrepublik, akzeptieren oder nicht?

Mich erschreckt die geistige und materielle Behäbigkeit -- gerade auch in der jüngeren Generation --, sich doch 40 Jahre lang so schön im Westen eingerichtet zu haben und jetzt keine Paradigmenwechsel vornehmen zu wollen. Teilen und das Ganze sehen ist angesagt. Den Westen konservieren und dem Osten Almosen -- allerdings in Milliardenhöhe -- geben, das geht wohl auf Dauer nicht. Berlin jahrzehntelang zu subventionieren kann für die neuen Bundesländer insgesamt kein Muster sein. Die Strukturen haben sich verändert. Der Osten ist nicht nur »angeschlossen« und will es auch nicht sein. Der »reiche Onkel« aus dem Westen und der »Besserwessi« trifft zu Recht auf erhebliche Skepsis. »Teilen« heißt auch für uns, uns selbst zu befragen -- d. h. durchaus nicht, sich in Frage zu stellen -- und bereit zu sein, die realen Veränderungen in Deutschland, in Europa, im Ost-West-Verhältnis in Betracht zu ziehen. Die Volten von Habermas möchte ich nicht mitmachen. Plötzlich die »Westorientierung« über alles zu stellen heißt doch, eine eigene neue »Lebenslüge« zu formulieren.

Es geht dabei nicht um idealistische oder meta-materielle Gründe, sondern sehr wohl um handfeste Interessen und reale politische Beziehungen. Weimar bliebe eine von Almosen abhängige, jedoch mit Lippenbekenntnissen verseuchte Stadt; Görlitz bliebe am »Ende der Welt«, wenn wir nicht den Osten der neuen Bundesrepublik als Teil Mitteleuropas begriffen. »The trade follows the flag«: die politische Entscheidung für Berlin hat Signalwirkung -- und zwar keineswegs nur für die betroffene Stadt. Es ist ein rationales Kriterium, die auch materielle Überlebensfähigkeit von 16 Millionen (Ost)Deutschen strukturell zu sichern und die Haushaltspolitik der anderen 60 Millionen auch langfristig von den -- dem Konsum bestimmten -- Subventionen zu befreien. Das sogenannte Kostenargument gegen einen Umzug läßt sich also auch umdrehen. Denn ein östlicher

»Dauertropf« würde am Ende auch finanzielle, soziale und politische Schwierigkeiten bereiten. Berlin ist keine Insel mehr, es ist Teil eines Ganzen, eines Umlandes, das -- wenn es entwickelt wird -- anders als bisher rückstrahlen wird auf diese Stadt.

Leider sehe ich noch viele Leute hier im Westen, die meines Erachtens noch immer nicht begriffen haben, daß wir in eine neue Etappe deutscher Geschichte eingetreten sind. Auch die Geographie bestimmt die Politik. So wie die Entscheidung für Berlin eben auch die Wahrnehmung der Interessen für die fünf neuen Bundesländer bedeutet, so verschiebt sich auch die nach Osten gerückte Bundesrepublik mehr von West- nach Mitteleuropa. Und Berlin liegt mitten drin. Oder will jemand behaupten, die Polen verstünden sich als Osteuropäer? Nehmen wir unsere gewachsene Verantwortung wahr! Deutsche Politik von Berlin aus zu formulieren heißt dann auch, die Grenzen im Geist und bei der menschlichen Begegnung mit Polen, Tschechen oder Ungarn zu öffnen. Es gilt, die Einheit Europas in freier Selbstbestimmung nunmehr zu erreichen.

Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_132
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