Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2000 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 04/2000 >
April 04/2000
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

UNTERRICHTUNG DURCH DIE UNABHÄNGIGEN BEAUFTRAGTEN

Stasi-Akten: Sündenfall der Speicherung

(in) Vom Sündenfall der Speicherung der Stasi-Akten sprach der Vorsitzende des Innenausschusses, Willfried Penner (SPD), als er am 12. April die unterschiedlichen Rechtspositionen der Gauck-Behörde und des Datenschutzbeauftragten vor den Ausschussmitgliedern und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zusammenfasste. Penner betonte, kaum ein Gesetz sei vom Deutschen Bundestag so sorgfältig bedacht und abgewogen worden. Nachdem man sich entschlossen habe, die .Stasi-Akten zu verwenden, könne niemand die Gauck-Behörde von einer Ausübungspflicht befreien, die an Sachverhalten und nicht an Strafverhalten orientiert sei.

V.l.n.r.: Willfried Penner (SPD), Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Joachim Gauck, Peter Busse, Joachim Jacob.
V.l.n.r.: Willfried Penner (SPD), Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Joachim Gauck, Peter Busse, Joachim Jacob.

Zuvor hatten Joachim Gauck als unabhängiger Beauftragter des Bundes für die Verwendung von Stasi-Akten gemäß dem Stasiunterlagengesetz (StUG) und Joachim Jacob als unabhängiger Beauftragter des Bundes für den Datenschutz ihren rechtlichen Dissens bei Verwendung von Stasiakten gegenüber den Mitgliedern des Innenausschusses dargelegt.

Keine Schlussstrichmentalität

Gauck erläuterte, man habe sich mit breitem Konsens und in dem Bewusstsein, rund 70 Prozent der Stasi-Akten seien "grob rechtsstaatswidrig" gewonnen worden, dazu entschlossen, die Unterlagen aufzubewahren und zur Klärung offener Sachverhalte im Interesse der Menschen zu nutzen. Es sei allen klar gewesen, dass das Verfahren das Grundsgesetz verfassungsrechtlich tangiere – aber man habe dokumentieren wollen, dass es keine Schlussstrichmentalität zugunsten der Oberen geben könne. Gauck erläuterte, die Unterlagen lägen als Tonbänder, als Abhörprotokolle und als Zusammenfassungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vor. Die Herausgabe würde durch den Verwendungszweck bestimmt, die Betroffenen hätten ein "sehr weit gehendes Recht" auf Herausgabe, während die amtliche Verwendung absolut sicher von allen persönlichen Details bereinigt sei.

Jacob stellte fest, die Herausgabe von Akten durch die Gauckbehörde decke sich nicht mit dem vereinbarten Verwendungsauftrag. Nach seiner Auffassung seien die Akten grundsätzlich nur zur Rehabilitierung von Opfern, zum Nachweis von Täterbeteiligung und der Verstrickung in Stasiangelegenheiten zu verwenden, zulässig auch zum Aufspüren und Sichern von DDR-Vermögen, zur Abwehr möglicher Gefahren sowie zur Aufklärung und Verhütung von Straftaten. Bei der Aufklärung nicht strafbewehrter Gesetzesverstöße, wie etwa im Fall der Parteienfinanzierung, sei dieser Tatbestand nicht gegeben. Jacob verwies auf den Grundsatz, wonach rechtswidrig aufgenommene Informationen irgend-.eines Nachrichtendienstes "zu keiner Zeit" von einem Gericht oder einem Untersuchungsausschuss der Bundesrepublik Deutschland als Information oder Beweismittel akzeptiert oder zugelassen worden wären. Mit der Herausgabe wie auch durch die Interpretation des Stasiunterlagengesetzes stelle sich die Gauc-Behörde über die verfassungsrechtlichen Werte des Grundgesetzes.

Nicht bei Parteienfinanzierung

Die F.D.P. stützte die Haltung des Datenschutzbeauftragten, die Verwertung der Stasi- Unterlagen außerhalb des Stasi-Bezugs abzulehnen. Angesichts der Einmaligkeit rechtswidrig erworbener Daten dürfe deren Nutzung zur Wahrheitsermittlung "nicht um jeden Preis stattfinden". Der im Ausschuss festgestellte Dissens wurde bedauert, da Vorwürfe die großartige Arbeit der Gauck-Behörde in Mitleidenschaft zögen.

Die Union begrüßte die rechtliche Begründung des Datenschutzbeauftragten und verwies gleichzeitig darauf, es gehe ihr nicht um Personen. In Anerkennung der Verdienste der Gauck-Behörde wolle man sich nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen, wenn die grundgesetzlichen Vorgaben nun neu zu klären seien. Dem Unions-Vorwurf, er könne sich seiner Aufsichtspflicht nicht entziehen, hielt Innenminister Otto Schily (SPD) entgegen, angesichts der rechtlich gewährleisteten Unabhängigkeit des Stasi-Beauftragten sei seine Basis dafür sehr schmal. Man habe aber erwogen, angesichts des Dissenses "zweier in ihrer Arbeit sehr anerkannter unabhängiger Bundesbeauftragter" einen neutralen Sachverständigen für ein Gutachten heranzuziehen. Schily warnte, die Materie eigne sich nicht dazu, Polemik und parteipolitische Interessen ins Spiel zu bringen.

Die SPD bestätigte den seinerzeitigen Konsens, die Stasi-Akten zu bewahren, und warnte davor, aus aktueller Interessenlage das Amt zu beschädigen. Man sei zu jedem vernünftigen Gespräch bereit, um zu klären, wie man in besonderen Lagen mit besonderen Akten umgehe – aber wegen einer Person werde das Stasiunterlagengesetz nicht geändert.

Hoher Aufklärungswert

Die Bündnisgrünen erklärten, der Aufklärungswert der Akten sei so hoch, dass es keinen Anlass gebe, die bisherige Handhabung zu ändern. Niemand könne vorab feststellen, welche Unterlage für welchen Ausschuss in Frage komme. Erst wenn Informationen zur Verfügung stünden, könnte man die damit verbundenen Nachteile abwägen. Zur Frage des Gesamtumfangs der Stasi-Akten und im Hinblick auf die Parteienfinanzierung verwendbarer Materialien hatte Gauck erklärt, insgesamt gebe es 730 laufende Meter Dokumente, davon 120 Meter Abhörprotokolle. Fünf Meter – mit möglichen

Informationen zur Parteienfinanzierung oder über westdeutsche Politiker – seien noch nie geöffnet worden. Bislang könne er nur vermuten, wisse aber von keiner einzigen Akte über Helmut Kohl. Obwohl sie damals dagegen gestimmt habe, plädierte die PDS nun für Fortführung, weil sie die Arbeit der Gauck-Behörde für in sich stringent halte. Betroffenheit zeige sich jedoch, wenn man im Vergleich zum Fall Gysi feststellen müsse, dass es eine sehr unterschiedliche Bewertung und große Unterschiede in der Akzeptanz gebe.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0004/0004019
Seitenanfang
Druckversion