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Der Außenminister Dominique Galouzeau de Villepin und Joschka Fischer. |
Künftige Zusammenarbeit
Gemeinsam für das Europa von morgen
Die vierzigjährige enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich hat ihre Kraft immer wieder unter Beweis gestellt. Mit der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union, die bald eine eigene Verfassung haben soll, stehen neue Herausforderungen vor der Tür. Deutschland und Frankreich wollen sich ihnen stellen, wollen gemeinsam für das Europa von morgen Verantwortung tragen. Das ist auch bei der gemeinsamen Sitzung des Bundestages und der Nationalversammlung in Versailles deutlich geworden.
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Soldaten des Eurokorps. | ||||||||||
Beide Länder wissen: So wie sie in der Vergangenheit in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden waren, ist auch die gemeinsame Zukunft nicht von der Europäischen Union zu trennen. Deshalb sind die Regierungen und Parlamente in Paris und Berlin entschlossen, ihre Rolle als Motor in der Europäischen Union voll wahrzunehmen, den Partnern eine gemeinsame Vision des Europas von morgen vorzuschlagen, ihre bilaterale Zusammenarbeit zu intensivieren und so den Aufbau der Union voranzutreiben. Die enge Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland muss nicht zu einem Sonderverhältnis erhöht werden. Ihre Notwendigkeit ergibt sich indes aus der realpolitischen Erkenntnis, dass Lösungen in der Europäischen Union ohne eine vorherige Einigung der beiden größten EU-Mitgliedstaaten schwer vorstellbar sind.
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Die
Finanzminister Hans Eichel und Laurent Fablus während einer Tagung. |
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Ziel der gemeinsamen Anstrengungen ist ein Europa, das nach innen allen europäischen Bürgern Freiheit und Rechtssicherheit, Wohlstand und Solidarität sichert. Deshalb wollen Frankreich und Deutschland eine starke, demokratische, solidarische und effiziente Union schaffen, in der die Charta der Grundrechte in die neue Verfassung übernommen wird. Damit wird ihre Legitimität gestärkt und eine wirkliche Union der Bürger errichtet. Zur Stärkung der äußeren Sicherheit wollen Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf eine neue Stufe stellen, damit die Union ihrer Rolle auf internationalem Gebiet voll und ganz nachkommen und im Einklang mit ihren Werten weltweit Freiheit, Frieden, Demokratie und Entwicklung fördern kann. Langfristig treten beide Länder für die Schaffung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion ein.
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Verleihung
des Adenauer-de-Gaulle-Preises am 18. Oktober 2000. |
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Durch die historische Erweiterung der Europäischen Union, die zur Wiedervereinigung des Kontinents beiträgt, wächst Europa in eine neue Dimension hinein. Dabei wollen Frankreich und Deutschland den Beitrittsländern helfen, ihren Platz in der EU zu finden und auszufüllen. Aber auch im erweiterten Europa wird und muss es einen Raum verstärkter deutsch-französischer Zusammenarbeit geben. Keinen exklusiven Raum, sondern ein Raum, der Beispiel sein und für die Mitwirkung der Partnerländer offen bleiben soll. Deshalb haben Frankreich und Deutschland eine stärkere Zusammenarbeit nicht nur ihrer nationalen Regierungen, sondern auch ihrer Parlamente verabredet. Zusätzlich werden neue Bindungen zwischen den deutschen Bundesländern und den französischen Regionen zur Entwicklung eines grenzüberschreitenden Gemeinschaftsgefühls angestrebt. Parallel sollen die Beherrschung der Partnersprache sowie die Kenntnis der Kultur des jeweils anderen Landes weiterhin intensiv gefördert werden. Um das Bewusstsein der engen Partnerschaft zu stärken, haben sich Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder entschlossen, den 22. Januar zum „deutsch-französischen Tag“ zu erklären. Künftig soll an diesem Tag, an dem im Jahr 1963 General de Gaulle und Konrad Adenauer mit dem Élysée-Vertrag eine Ära beispiellos enger Zusammenarbeit eröffneten, an Schulen und Universitäten über die bilateralen Beziehungen und die Möglichkeiten, die sie gerade für junge Menschen bieten, nachgedacht werden.
Frankreich und Deutschland sind zum weiteren Ausbau der außenpolitischen Zusammenarbeit entschlossen. Dies erfordern die globalen Herausforderungen, vor denen die Europäische Union steht, sowie die Rolle, die sie bei der Friedenserhaltung, dem Schutz der Menschenrechte und der Steuerung der Globalisierung spielt. Frankreichs Staatspräsident und der deutsche Regierungschef setzen sich deshalb dafür ein, die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erweitern und zu vertiefen. Dadurch soll auch der europäische Pfeiler der NATO gestärkt werden.
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Gerhard
Schröder und seine Beraterin Brigitte Sauzay. |
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Vor Stellungnahmen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wollen sich Frankreich und Deutschland künftig systematisch enger austauschen. Auch in anderen internationalen Gremien soll es gemeinsame Standpunkte und abgestimmte Strategien geben. Dazu wollen beide Länder ihren Personalbestand, ihre Programme und diplomatischen Netzwerke besser ergänzen und aufeinander ausrichten.
Deutschland und Frankreich sind füreinander die mit Abstand wichtigsten Handelspartner. Deutschland führte im Jahr 2001 rund elf Prozent seiner Ausfuhren nach Frankreich aus, Frankreich setzte 14 Prozent seines Gesamtexports nach Deutschland ab. Der intensive Handelsaustausch hat zu erheblichen Direktinvestitionen in beiden Ländern geführt. Zu einer engen wirtschafts- und forschungspolitischen Zusammenarbeit haben auch die zahlreichen deutsch-französischen Fusionen, vor allem im Hochtechnologiebereich, geführt. Schwerpunkt und Motor dieser Zusammenarbeit bleiben die Weltraumforschung und Weltraumtechnik sowie die Kernenergie.
Die starke Verflechtung von Wirtschaft, Handel, Forschung und Finanzen führte einerseits zu starken Konvergenzen zwischen beiden Ländern, erfordert auf der anderen Seite aber auch eine weitere kontinuierliche und intensive Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzsysteme. Um die Wettbewerbsfähigkeiten beider Volkswirtschaften weiter zu steigern, wollen Frankreich und Deutschland ihre industrielle Zusammenarbeit so ausbauen, dass sich aus ihr auch eine europäische Strategie entwickeln lässt. Dazu wird ein deutsch-französischer Energie-, Industrie- und Technologierat geschaffen, der die Arbeit des deutsch-französischen Wirtschafts- und Finanzrats ergänzen soll. Mit Nachdruck wollen beide Regierungen auch den deutsch-französischen Forschungsraum weiterentwickeln und dazu Forscher, aber auch den wissenschaftlichen Nachwuchs zu mehr Mobilität und Austausch ermutigen.
Von Beginn an war die kulturelle Verständigung zwischen den Bürgern Frankreichs und Deutschlands wesentliche Grundlage der bilateralen Beziehungen. Dies gilt auch in Zeiten der europäischen Einigung. Menschen in beiden Ländern sollen, darüber sind sich die Regierungen einig, Deutschland und Frankreich als eine kulturelle Gemeinschaft erfahren und als Raum eigener kultureller Entfaltung nutzen können. Um die vielfältigen Initiativen im deutsch-französischen Kulturaustausch stärker zu fördern, gibt es Überlegungen zu einer deutsch-französischen Kulturstiftung. Die bisherige administrative kulturelle Kooperation zwischen dem französischen Kulturminister und einem als Bevollmächtigten handelnden Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes bleibt bestehen.
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Wolfgang
Thierse und Jean-Louis Debré bei einem Treffen in Berlin im Oktober 2002. |
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Die Grundidee, dass nur eine Verständigung zwischen und mit anderen Völkern zur Entwicklung eines globalen Verantwortungsbewusstseins führt, wird auch auf europäischer Ebene weiter verfolgt. Dazu wollen Frankreich und Deutschland den kulturellen Austausch mit allen Partnerländern innerhalb und außerhalb der Grenzen der Europäischen Union suchen. Mit dieser europäischen Zielsetzung sollen gemeinsame deutsch-französische Kulturprojekte in Drittstaaten sowie gemeinsame Programme der Auslandsrundfunkanstalten beider Länder gefördert werden. Erstes konkretes Beispiel hierfür wird die beabsichtigte gemeinsame Unterbringung der Kulturinstitute Frankreichs und Deutschlands in der russischen Hauptstadt Moskau sein.
Bildung und Sprache sind wesentliche Voraussetzungen für ein tieferes Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Partnerlandes. Deshalb wollen beide Seiten den Austausch in den Bereichen Jugend, Schule, Bildung, Sport und Kultur weiter vertiefen. Dieser Austausch soll durch gemeinsame Programme in Form eines Freiwilligendienstes auch in Drittländern ergänzt werden. Zur weiteren Erleichterung der Mobilität in Ausbildung und Beruf streben Frankreich und Deutschland die grundsätzliche Anerkennung und Entsprechung von beruflichen Abschlüssen an.
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Vertreter
des Bundestages und der National- versammlung in Berlin im Oktober 2001. |
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Besonderes Augenmerk wird weiter auf das Erlernen der jeweiligen anderen Sprache gerichtet. Denn die Beherrschung der Partnersprache bleibt wichtige Grundlage für das gegenseitige kulturelle Verständnis. Um dem Rückgang der Sprachkenntnisse entgegenzuwirken, rufen beide Länder zu einem neuen Impuls und zur Optimierung des Unterrichts in der Partnersprache auf.
Trotz der insgesamt dichten deutsch-französischen Beziehungen bleiben in der Verwaltungs- und Gesetzeszusammenarbeit Defizite. Um diese zu verringern, soll die Kenntnis der Verwaltungspraxis beider Länder durch einen intensiveren Austausch von Beamten und durch gemeinsame Ausbildungsgänge gefördert werden.
Die Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften sollen ebenfalls neu in Angriff genommen werden. So gibt es bislang keine wechselseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen im Familienrecht; auch werden notarielle Beurkundungen häufig nicht anerkannt. Die nacheilende Strafverfolgung gilt ebenfalls als unterentwickelt. Um zumindest in den Bereichen, die das Leben der Menschen unmittelbar betreffen, zu einheitlichen Rechtsverhältnissen zu kommen, wollen beide Regierungen vorrangig das Familien-, Gesellschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht angleichen.
Um die weitere Annäherung der beiden Länder zu fördern, haben sich Frankreich und Deutschland auf einen verstärkten Abstimmungsprozess geeinigt. So sollen die regelmäßigen Treffen des französischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundeskanzlers institutionalisiert werden und die gemeinsamen Gipfeltreffen die Form eines deutsch-französischen Ministerrates annehmen. Im Bedarfsfall sollen Minister des Nachbarlandes an Kabinettssitzungen der anderen Seite teilnehmen. Auch sind gemeinsame deutsch-französische Kabinettsvorlagen denkbar. Für die Vorbereitung, Durchführung und Weiterbehandlung von Beschlüssen wird in jedem Land ein Generalsekretariat für die deutsch-französische Zusammenarbeit geschaffen. Als „zivilgesellschaftliche Säule“ soll parallel ein deutsch-französischer „Rat der Weisen“ aus zwölf französischen und deutschen Persönlichkeiten benannt werden, die jeweils vom Staatspräsidenten und vom Bundeskanzler ernannt werden. Sie sollen Vorschläge zur Annäherung beider Länder und ihrer Gesellschaften formulieren.
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Vertrag
über den Verteidigungs- und Sicher- heitsrat vom 22. Januar 1988. |
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Von großer Bedeutung für die deutsch-französischen Beziehungen war und bleibt die interparlamentarische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. So haben sich beide Parlamente in einer einstimmig angenommenen Resolution im unmittelbaren Vorfeld des europäischen Gipfels von Laeken für die Einsetzung eines Europäischen Konvents und dessen mehrheitlich parlamentarische Zusammensetzung ausgesprochen. Bei dem letzten Treffen der Auswärtigen und der Europaausschüsse beider Parlamente im Dezember 2001 wurden außerdem die Intensivierung der auswärtigen Kulturpolitik und eine stärkere Förderung des Sprachunterrichts angemahnt. Sowohl die französische Nationalversammlung als auch der Deutsche Bundestag beabsichtigen, ihre Kooperation fortzusetzen und zu verstärken. Mit der Gemeinsamen Erklärung zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages wurde diese Zusammenarbeit erneut bekräftigt.
So soll die jährliche Tagung der Leitungsgremien von Nationalversammlung und Bundestag – des Bureau und Präsidiums – auf weitere Organe beider Versammlungen ausgeweitet werden. In erster Linie wird dies die Fachausschüsse für Europafragen betreffen. Sie sollen Informationen austauschen und gemeinsame Sitzungen abhalten, bevor die zuständigen Stellen der Europäischen Union Entscheidungen treffen. Im Gespräch ist auch die Einrichtung von „Europastunden“ in den beiden Parlamenten.
Um die Arbeiten im Europäischen Konvent zu fördern, unterstützen beide Parlamente die Koordinierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit in diesem wichtigen Bereich.
Sönke Petersen