Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2003 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 03/2003 >
Mai 3/2003
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Die Freiheit der Kultur bewahren

von Michael Naumann

Michael Naumann
Michael Naumann.

Als Gerhard Schröder 1998 das Amt eines Staatsministers für Kultur und Medien beim Bundeskanzler ins Leben rief, griff er eine Idee auf, die Jahrzehnte zuvor von der regierenden Unionspartei debattiert wurde. In ihren Interpretationen von Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungs- und Pressefreiheit) hatte das Bundesverfassungsgericht nicht nur dargelegt, dass die Bundesrepublik sich als „Kulturnation“ verstehe, sondern auch die staatliche Förderung der Künste zur politischen Aufgabe erklärt. Damit beschrieb es die erste Zuständigkeit von Ländern und Kommunen für kulturelle Angelegenheiten, wies jedoch dem Bund gesamtstaatliche Kompetenzen zu.

Mit einem jährlichen Etat von fast einer Milliarde Euro unterstützt der Bund inzwischen kulturelle Institutionen. Nach der Wiedervereinigung stellte sich vor allem die dringende Aufgabe, die über Jahrzehnte hinweg nicht renovierten Museen, Theater und Opern Ostdeutschlands vor dem endgültigen bautechnischen Verfall zu retten. Ohne die Bundeszuwendungen wären zahlreiche kulturelle Einrichtungen verschwunden und Baudenkmäler verfallen.

Besonders in Berlin wäre die Haushaltsmisere vor allem zum Nachteil der kulturellen Institutionen bereinigt worden, hätte der Bundestag 1999 nicht eine Verdoppelung der Hauptstadtzuwendungen im Rahmen eines später gezeichneten Hauptstadt-Kulturvertrages beschlossen. Darüber hinaus nimmt der Bund seine Verpflichtungen gegenüber der ehemaligen Hauptstadt Bonn weiterhin wahr. Die „Museums-Meile“ gegenüber dem alten Bundeskanzleramt repräsentiert die kulturelle und politische Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik.

Bundeskulturförderung richtet ihr Augenmerk auch auf die kulturell relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen des Landes. Die gesetzlichen Harmonisierungszwänge Europas nehmen zunehmend Einfluss auf die kulturellen Traditionen Deutschlands. So war dem Hüter des freien Wettbewerbs der EU-Kommission, Karel van Miert, die 120-jährige Tradition der deutschen Buchpreisbindung ein Dorn im Auge. Dieses Instrument des kontrollierten Wettbewerbs im kulturellen Bereich ist mit dafür verantwortlich, dass es in Deutschland das dichteste Buchhändlernetz der Welt und ein hoch entwickeltes Vertriebssystem gibt.

Die Vielfalt des solchermaßen geschützten Verlagswesens hat außerdem dafür gesorgt, dass in Deutschland der Bevölkerung pro Kopf etwa dreimal so viele Neuerscheinungen zu verzeichnen sind als etwa in den Vereinigten Staaten, die keine Preisbindung kennen und auch deshalb einer Monopolisierung des Verlagsbuchhandels ausgesetzt sind. Der kulturelle Reichtum Deutschlands war durch die drohende Aufhebung der Buchpreisbindung gefährdet. Erst der lebhafte politische Widerstand des Bundes, aber auch eine Verfestigung des Wettbewerbsgesetzes, konnte den Brüsseler Vorstoß abwehren.

Die neuere Bundeskulturförderung manifestiert sich außerdem in der Novellierung des Filmförderungsgesetzes, des Urhebervertragsrechts, der novellierten Gesetzgebung zur Künstlersozialversicherungskasse – und im neuen Stiftungsrecht.

Der Bund steht in der Verantwortung, in Verhandlungen insbesondere mit Russland die mehr als fünf Millionen Bücher, Artefakte und Kunstgegenstände zurückzuführen, die nach 1945 von den Siegermächten konfisziert wurden. So sind die bedeutenden gotischen Kirchenfenster der Marien-Kirche von Frankfurt an der Oder an ihren Ursprungsort zurückgekehrt.

Bundeskulturförderung, die seit 1998 unter der parlamentarischen Kontrolle des Kulturausschusses im Bundestag stattfindet, ist Bestandteil einer Regierungspolitik geworden, die sich aufgehoben weiß im Kontext des deutschen Föderalismus. Weder ist sie eine Bedrohung der kommunalen und der Landeskulturpolitik, noch darf sie es sich zur Aufgabe machen, die Kulturschaffenden über ihre Subventionen in Abhängigkeit von tages- oder parteipolitischen Interessen zu stellen. Sie ist dazu aufgefordert, die Freiheit der Kultur vor allen Anfechtungen des politischen Alltags zu schützen.



Michael Naumann wurde 1941 in Koethen/Sachsen-Anhalt geboren. Er habilitierte sich in Politischer Wissenschaft und ist Honorarprofessor an der Humboldt-Universität. Als Journalist arbeitete er für „Die Zeit“ und für den „Spiegel“. 1985 übernahm er die Verlagsleitung der Rowohlt-Verlage. 1995 ging er nach New York, um dort zunächst den Verlag Metropolitan Books zu gründen und dann den Henry-Holt-Verlag zu leiten. Im Oktober 1998 berief ihn Gerhard Schröder als Staatsminister für Kultur und Medien. 2001 wechselte Michael Naumann als Chefredakteur und Herausgeber zur Wochenzeitung „Die Zeit“.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0303/0303003
Seitenanfang
Druckversion