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Mai 3/2003
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Der Bundestag und der Krieg im Irak

Verantwortung für den Frieden

Verantwortung für den Frieden
Kinder Soldat Bundestagsplenum

Der Krieg im Irak hat im Bundestag zu lebhaften und kontroversen Debatten geführt. Doch in einem Punkt sind sich die Abgeordneten einig: Eine Zukunft für die Menschen im Irak ist nur in einer demokratischen Nachkriegsordnung möglich. Bereits zu Beginn des Krieges hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Verantwortung Deutschlands für eine friedliche und demokratische Zukunft im Nahen Osten betont.

Um 3.35 Uhr flogen US-Kampfflugzeuge erste Angriffe auf Ziele in Bagdad, um 9.00 Uhr wollte der Bundestag an diesem 20. März 2003 eigentlich seine Haushaltsberatungen fortsetzen – und tat es natürlich nicht. Denn was die Völker der Welt bewegt, lässt auch die Volksvertreter nicht zur Tagesordnung übergehen. Das Parlament brachte in einer Runde von Stellungnahmen seine tiefe Betroffenheit zum Ausdruck und unterbrach seine Sitzung danach sofort wieder, damit sich die Fraktionen näher mit dem beschäftigen konnten, was Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu Beginn der Sitzung auf den Punkt brachte. Er beschrieb die auch im Bundestag vorgebrachten Hoffnungen in den zurückliegenden Monaten und verwies auf die parlamentarischen Herausforderungen in Gegenwart und naher Zukunft.

„Die Bemühungen, den Konflikt friedlich zu lösen und den Diktator zu entwaffnen, haben den Krieg nicht verhindern können“, sagte Wolfgang Thierse zu Beginn der Sitzung. Er sprach damit die vielfältigen Anstrengungen an, die sich auch in den Beratungen und Debatten des Parlamentes und seiner Ausschüsse in den vorangegangenen Wochen und Monaten widergespiegelt hatten. Insbesondere der Auswärtige Ausschuss war von der Bundesregierung über den Gang der Dinge auf dem Laufenden gehalten worden. „Wir haben in jeder Sitzung einen Bericht verlangt“, berichtet Volker Kauder, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion. Und natürlich auch erhalten. Insofern saßen die Abgeordneten mitten drin im Geschehen, denn Deutschland war nicht bloß Zuschauer in der entscheidenden Phase des Ringens um den Irak. Deutschland ist derzeit nicht-ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates. Und im Februar führte die Bundesrepublik sogar den Vorsitz. Immer wieder pendelten Bundesaußenminister Joschka Fischer und seine Spitzendiplomaten zwischen East River und Spree und bemühten sich auch in direkten Kontakten mit Verbündeten und Freunden, eine friedliche Lösung zu finden.



„Der militärische Sieg muss in einen Gewinn für die ganze Region verwandelt werden, denn es geht jetzt darum, den Frieden wieder zu bekommen und Stabilität in der Region zu schaffen.“

Gerhard Schröder



Darüber sprachen die Außenpolitik-Experten des Bundestages in den vertraulichen Ausschusssitzungen. Damit beschäftigte sich aber auch das Plenum in öffentlichen Debatten, die sich vor allem aus den Beratungen des Kanzleretats im Zuge der Haushaltsgeneralaussprache, unter anderem aber auch aus Regierungserklärungen in zunehmender Häufigkeit entwickelten. Dieses diplomatische Ringen ist klassisches Feld exekutiver Tätigkeit. „In dieser Phase hat die Regierung das Heft des Handelns in der Hand“, erläutert Wilhelm Schmidt, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Deshalb sieht er rückblickend auch eine eher „vorsichtige“ Annäherung des Parlamentes an dieses „unbequeme und unangenehme“ Thema, das bis zur letzten Sekunde vor Kriegsbeginn quer durch alle Fraktionen in erster Linie mit der Hoffnung verknüpft gewesen sei, dass es den Regierungen doch noch gelingen möge, die gewaltsame Entwaffnung zu vermeiden, einen Krieg zu verhindern und damit auch die damit unvermeidlich verbundenen Folgen für Leib und Leben vieler unschuldiger Opfer.

Für Volker Beck, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, war es besonders wichtig, genau diese Dimension aufgezeigt und klar gemacht zu haben: Dass die Drohung mit Gewalt zur Durchsetzung legitimer Forderungen hochgefährlich ist. Krieg ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Trotz unterschiedlicher Herangehensweise sei dieser dramatische Hintergrund in den Debatten immer deutlicher geworden. „Alle haben zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dieser Entwicklung unglücklich sind, auch diejenigen, die vorher gesagt hatten, sie stünden zum Ultimatum mit allen Konsequenzen.“

Verantwortung für den Frieden
Die Debatten im Bundestag über den Irak-Krieg werden auch von Angehörigen der Bundeswehr verfolgt.

Gerhard Schröder Angela Merkel Angehörige der Bundeswehr

Beistands- und Bündnispflicht

Aber nicht alle waren sich in der Einschätzung einig, wie weit die eigenständige Handlungsfreiheit der Regierung reicht und wo auch parlamentarische Beschlüsse notwendig werden. Denn die konstante Haltung der Bundesregierung, diesen Krieg abzulehnen und sich auf keinen Fall daran zu beteiligen, bedeutete nicht, Beistands- und Bündnispflichten zu verletzen oder aber das Engagement im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu vernachlässigen. Ganz im Gegenteil: Deutschland sagte zu, gemeinsam mit den Niederlanden die Leitung der internationalen Friedensmission (Stabilisierungsunterstützung: ISAF) in der afghanischen Hauptstadt Kabul zu übernehmen und dafür die Präsenz der Bundeswehr auf 2.500 Soldaten und Soldatinnen zu verdoppeln. Und selbstverständlich kam Deutschland auch der israelischen Bitte nach, zur Abwehr möglicher irakischer Angriffe wie im ersten Irak-Feldzug 1991 Patriot-Raketenabwehrsysteme zu liefern.

Neben die Bewachung amerikanischer Kasernen und anderer US-Militäreinrichtungen durch mehrere tausend Bundeswehrsoldaten trat auch die Beteiligung an einer Überwachung des türkisch-irakischen Grenzraumes durch AWACS-Aufklärungsflugzeuge der NATO, wie dies der Bündnispartner in Ankara angefordert hatte. Und schließlich wurde auch das deutsche ABC-Abwehrkontingent in Kuwait verstärkt, das ebenfalls im Rahmen der Antiterrormission „Enduring Freedom“ in das Nachbarland des Iraks verlegt worden war. Die beiden letzten Aspekte deutschen Engagements beurteilten die Fraktionen im Bundestag unterschiedlich. Und zwar nicht, weil sie etwa von einer Mehrheit der Abgeordneten in Frage gestellt worden wären. Alle Fraktionen unterstützten die Missionen. Vielmehr verlangte die Opposition, dass der Bundestag dem Tätigwerden der Bundeswehr in Kuwait und in der Türkei mit einem veränderten beziehungsweise neuen Mandat zustimmen müsse.

Klare Einsatzgrundlagen

Die Bundesregierung – und mit ihr die Koalitionsfraktionen – ging davon aus, dass das schon bestehende Mandat für die ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait unverändert als Einsatzgrundlage dienen könne, da sie lediglich zum Schutz der Bevölkerung und der dort stationierten US-Soldaten zum Einsatz kommen sollten und dies genau der bereits über ein Jahr zuvor vom Bundestag beschlossenen und inzwischen verlängerten Mandatierung entspräche. Dagegen meinten Politiker der Opposition, dass sich die Gefährdungssituation für die Bundeswehrsoldaten mit einem angloamerikanischen Angriff auf den Irak verändern würde und das Parlament Gelegenheit haben müsse, im Licht dieser möglichen Entwicklung noch einmal darüber zu beraten.

Das Mitfliegen von jeweils acht Bundeswehrangehörigen in den vier NATO-Aufklärungsflugzeugen AWACS wurde sogar bis hin zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes verfolgt. Für die Bundesregierung handelte es sich um einen ganz gewöhnlichen AWACS-Einsatz, der lediglich dem Schutz des Bündnisgebietes diene. Eine darüber hinausgehende Beteiligung, etwa als Teil eines Zielleitsystems im Zusammenhang mit amerikanischen oder britischen Angriffen, sei definitiv ausgeschlossen, und damit erübrige sich auch die Einschaltung des Bundestages.

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Erste Hilfeleistungen durch britische und amerikanische Soldaten.

Iraker mit Hilsgütern Familie auf der Flucht Erste Hilfeleistungen durch britische und amerikanische Soldaten

Die Union forderte jedoch die Bundesregierung auf, genau dies zu tun, weil – so Volker Kauder – nicht zuletzt sich die Soldaten selbst klare Einsatzgrundlagen gewünscht und eine Trennung zwischen Überwachung und indirekter Beteiligung an Angriffen für schwer möglich gehalten hätten. Das Verteidigungsministerium widersprach dieser Darstellung. Um jedoch zu einer schnellen Klärung zu kommen, beantragte die FDP-Fraktion beim Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren, dass die Bundeswehr an den AWACS-Flügen nur weiter beteiligt sein dürfe, wenn der Bundestag dem zugestimmt habe. Die Verfassungsrichter lehnten diesen Eilantrag am 25. März ab – ohne freilich inhaltlich detailliert über die Rechte des Parlamentes oder die Pflichten der Regierung in diesem Zusammenhang zu entscheiden. Denn bei solchen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht stets nur abzuwägen, welche Entscheidung schwerer wiegt: Eine sofortige Verletzung der Entscheidungsfreiheit der Regierung, falls diese später in einem Hauptsacheverfahren doch Recht bekäme, oder eine aktuelle Verletzung der Mitwirkungsrechte des Parlamentes, falls die FDP später bei der Sachklärung Recht bekäme. Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten der Regierung: Ihre ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit habe in ihrem von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereich auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands „ein besonderes Gewicht“ (Az: BverfG, 2 BvQ 18/03).

Entsendegesetz

„Wir haben jedoch zwei Dinge parallel gemacht“, unterstreicht Jörg van Essen, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, im Zusammenhang mit der AWACS-Entscheidung des Gerichtes. Schon seit langem verfolge die FDP das Ziel, in einem Gesetz die künftigen Beteiligungen des Bundestages an internationalen Einsätzen der Bundeswehr zu regeln. Der ins Parlament eingebrachte FDP-Entwurf sei bereits im November erstmals im Plenum beraten worden. Es gehe darum, den administrativen Abläufen bei der Vorbereitung von Einsätzen etwa im Rahmen der Europäischen Union oder der Nato besser Rechnung zu tragen und die Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten des Bundestages durch einen besonderen Ausschuss, etwa für geheime Einsätze, zu stärken. Es zeichnet sich ab, dass auch die anderen Fraktionen diese Belange durch ein so genanntes Entsendegesetz in absehbarer Zeit gesetzlich fixieren wollen.



„Nach dem Ende des Diktators Saddam Hussein geht es jetzt darum, den Menschen im Irak beim Aufbau eines demokratischen und freiheitlichen Staates zu helfen.“

Angela Merkel



Schlüsselerlebnisse

Welche persönlichen Schlüsselerlebnisse verbinden die vier Manager des Parlamentsgeschäftes mit diesem Krieg? Für Wilhelm Schmidt (SPD), der zugleich Kirchenbeauftragter ist, war es der Augenblick, als sich der US-Präsident seinen Kriegsentschluss mit einem Plazet der amerikanischen Kirchenvertreter untermauern ließ: „Das hat mich tief bewegt, denn da war dann auch bei mir alles an Hoffnung weg, was mich in den Wochen und Monaten zuvor geleitet hatte.“ Für Volker Beck (Bündnis 90/Grüne) war es das Gefühl der Ohnmacht, „weil man irgendwann gemerkt hat, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach völlig egal ist, was Deutschland macht, was die UN-Inspekteure finden oder eben nicht finden, weil der Krieg beschlossene Sache war“.

Für Jörg van Essen (FDP) wurde ein Besuch bei den Bundeswehrsoldaten im Camp Doha in Kuwait zum Schlüsselerlebnis: „Dieses Bild in der Wüste hat sich mir besonders eingeprägt – wie es den Soldaten geht, wie sie eingebunden sind, wie die zivile Situation vor Ort aussieht.“ Außerdem hätten ihm die schon im Oktober vergangenen Jahres in großer Zahl dort vorhandenen gepanzerten amerikanischen Fahrzeuge „sehr deutlich vor Augen geführt, dass es zu einem kriegerischen Einsatz kommen würde“. Und Volker Kauder (CDU/CSU) wird die schrecklichen Bilder von den Opfern des Krieges niemals vergessen: „Das hat mich sehr betroffen gemacht.“ Als Politiker habe er zudem zuvor fassungslos verfolgt, wie die Bundesregierung die transatlantischen Beziehungen zerschlagen, zur Spaltung Europas beigetragen und kein Wort dazu verloren habe, als Frankreich die Beitrittsländer zur Europäischen Union „wie Schulbuben abgebürstet“ habe.

Verantwortung für den Frieden
Internationale Einsätze der Bundeswehr.

Soldaten in einem AWACS-Aufklärungsflugzeug Spürpanzer der deutschen ABC-Abwehrtruppe in Kuwait Schnellboote der Marine am Horn von Afrika

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse brachte die Meinung des ganzen Bundestages zum Ausdruck, als er wenige Stunden nach Kriegsbeginn weiter feststellte: „Wir sind uns einig in der Sorge über die möglichen, die wahrscheinlichen Opfer. Wir hoffen gemeinsam, dass es nicht zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen kommt und dass das verbrecherische Regime des Diktators Saddam Hussein schnell beendet werden kann.“ Zugleich wies Thierse auf die anstehenden Beratungen des Parlamentes in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten hin, als er feststellte: „Wir sind uns der Verantwortung auch Deutschlands für eine geordnete, friedliche, demokratische Zukunft im Nahen Osten bewusst.“

Gregor Mayntz

Zum Eilantrag der FDP-Fraktion vergleiche: www.bundesverfassungsgericht.de



Chronik des Krieges

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0303/0303004
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