Der Kölner Oberstaatsanwalt war nicht nur äußerlich gut vorbereitet: "Meine Frau hat mir extra einen neuen Anzug gekauft", betonte Egbert Bülles scherzhaft. Doch am Ende seiner fünfstündigen, mit detaillreichen Schilderungen versehenen Vernehmung war klar: Er hätte auch noch noch weitere Stunden Auskunft geben können über den Kölner Schleuser-Prozess, der mit einem Urteil vom Februar 2004 den Stein der Visa-Affäre überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Was Bülles in oft sehr lockerer Weise beschrieb, musste in den Ohren der rot-grünen Ausschussmitglieder jedoch weniger lustig klingen. Nicht nur er, sondern auch der ihm nachfolgende Zeuge, der Vorsitzende Richter am Landgericht Köln, Ulrich Höppner, bestätigten am 17. März noch einmal ihre Auffassungen und belasteten mit ihnen die Bundesregierung schwer.
In ihrer Urteilsbegründung von 2004 kamen die Richter zu dem Schluss, dass dem hauptangeklagten Ukrainer strafmildernde Umstände zuerkannt werden müssten. Die deutschen Behörden hätten dem Angeklagten die Straftaten "sehr leicht" gemacht. Unter anderem heißt es in dem Urteil, die Mitarbeiter der Botschaft in Kiew hätten sich durch den so genannten Volmer-Erlass verpflichtet gefühlt, "Visaanträge besonders großzügig zu bearbeiten, um Deutschland als weltoffenes Land erscheinen zu lassen". Der Erlass vom März 2000 hatte den Ermessensspielraum der deutschen Vertretungen erheblich erweitert. In der Prüfung von Reisezweck und Rückkehrbereitschaft, beides Voraussetzungen für eine Visaerteilung, wurden die Auflagen erheblich gelockert. Statt acht erhielt der Angeklagte wegen bandenmäßiger Menschenschleusung deshalb lediglich eine Haftstrafe von fünf Jahren.
Vor dem Visa-Unterschungsausschuss, der sich mit dem wohl bekanntesten und folgenreichsten Schleuser-Prozess in Deutschland beschäftigte, kritisierte Bülles einige Bundesbehörden schwer. Konkret ging es um die Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt (AA) und dem Bundesinnenministerium (BMI). Beide Behörden hätten auf Anfragen der Kölner Staatsanwaltschaft viel zu spät reagiert, sagte er. Erst nach mehrmaligen Bitten und zudem erst fünf Tage vor der Urteilsverkündung seien die angeforderten Unterlagen des Innenministeriums eingetroffen. Somit hätten sie für den Fortgang des Verfahrens keine Rolle mehr spielen können. Dies wäre aber, so Bülles weiter, nach heutigem Kenntnisstand durchaus sinnvoll gewesen. In einem Brief vom September 2002 habe er das AA darüber hinaus "um Unterlagen gebeten, die möglicherweise erklären können, worauf die von uns untersuchten Schleuser-Fälle zurückzuführen sein könnten. Auf meine Frage, ob in den Ministerien entsprechende Kenntnisse vorliegen, bekam ich zunächst keine Antwort." So habe er erst im November 2003 Akten des AA erhalten, die Hauptverhandlung hatte aber bereits im Februar 2003 begonnen. "Da wurde mehr vernebelt als klargestellt", resümierte der 58-jährige Oberstaatsanwalt, der während des Prozesses die Anklage vertreten hatte.
Außerdem bekräftigte er seinen Vorwurf, dass die massenhafte Schleusung von Menschen aus der Ukraine aufgrund der Erlasse des AA und "mit Hilfe und Kenntnis der Ministerien" erfolgt sei. Zu dieser Erkenntnis habe ihn aber erst der Angeklagte selbst veranlasst, sagte Bülles: "Nur durch dessen Hartnäckigkeit hat das Ganze solche Auswirkungen bekommen. Denn er hat darauf bestanden, nur so gehandelt zu haben, wie es der deutsche Staat gewollt habe. Das habe ich zunächst nicht geglaubt." Schließlich sei er diesen "Spinnereien" dann doch nachgegangen, da der Angeklagte in seitenlangen Ausführungen auf seiner Behauptung beharrte. Zwar sagte Bülles nun, die Praxis der Anwendung des umstrittenen Volmer-Erlasses sei "rechtswidrig" gewesen, allerdings beurteilte er den Erlass selbst juristisch nicht.
Egbert Bülles vermied es, Verantwortliche persönlich zu benennen. Dies könne er auch gar nicht, "weil ich damals ja nicht wusste, wer in den Ministerien wofür verantwortlich war". In deutlichen Worten sprach der Experte für Bekämpfung von Menschenhandel und Schleusungen jedoch von einer "Blauäugigkeit" von Seiten der Politik, die denke, "wir machen mal die Grenzen auf und lassen alle rein, und wenn es schief geht sind Polizei und Staatsanwaltschaft schuld". Um flotte Sprüche schien der Jurist allerdings in keine Richtung verlegen.
Vorwürfe an das Auswärtige Amt
Etwas weniger zugespitzt formulierte Ulrich Höppner ähnliche Vorwürfe an die Bundesregierung: "Die Kammer des Landgerichts fühlte sich in ihrer Arbeit durch das Auswärtige Amt massiv behindert. Es fehlten uns nicht nur wichtige Akten. Es wurden außerdem Aussagegenehmigungen von Zeugen aus den Ministerien mit rechtswidrigen Argumenten verweigert." So hätte das AA die Aussage einer Mitarbeiterin mit dem Hinweis abgelehnt, gegen diese werde Morddrohungen ausgestoßen und ihre Sicherheit könne nicht garantiert werden. Gegenüber einem Kollegen Höppners hat diese Frau jedoch bestätigt, von einer solchen Bedrohung nichts zu wissen. "Wir haben das dann nicht weiter verfolgt, weil das unsere Arbeit auch behindert hat", sagte Höppner. "Es wäre außerdem sehr wichtig gewesen, die Unterlagen früher zu haben, weil wir diese dann den Zeugen hätten vorhalten können. Aber die kamen ja teilweise aus Peking. Die konnten wir dann nicht noch einmal vorladen."
Trotz mehrmaliger Nachfragen von Vertretern der Union vermied es auch Höppner, jemanden persönlich für die deutsche Visa-Vergabepraxis verantwortlich zu machen. "Es war nicht Gegenstand unseres Verfahrens, politische Verwantwortlichkeiten zu klären. Wir mussten nur feststellen: Ist dem Angeklagten die Arbeit erleichtert worden oder nicht?" Dies sei durch die Erlasse geschehen, indem sie den Botschaftsmitarbeitern die Möglichkeit eröffneten, auf eine Bonitätsprüfung zu verzichten: "Wir meinen, das ist rechtswidrig." Augrund der Zeugenaussagen kamen die Richter zu der Erkenntnis, dass die Erlasse bei den Mitarbeitern der ohnehin schon überlasteten Visa-Stellen, etwa in Kiew, den Eindruck erweckt hätten, das sei "politisch von oben" so gewollt und "wenn es von oben kommt, dann machen die das eben".
In den nächsten Sitzungen wird sich der Aussschuss mit weiteren Schleuser-Prozessen befassen. Offen bleibt immer noch der Termin für eine Vorladung von Außenminister Joseph Fischer.