Seit Jahren schon leiden viele entnervte Eltern unter dem modernen "Marken-Terror", dem sie und noch mehr ihre Kinder ausgesetzt sind. Sie müssen ihren Sprösslingen Markenkleidung bereitlegen, sollen diese auf dem Spielplatz oder in der Schule nicht als Außenseiter gelten. "No-Names" sind nicht gefragt und führen allenfalls dazu, den Unterschied zwischen Kindern aus ärmeren und reicheren Familien hervorzuheben. In vielen Ländern gehören daher Schuluniformen zum Alltag, um zumindest hier die vorhandenen Unterschiede nicht allzu sehr sichtbar werden zu lassen.
Nun scheinen aber gerade die Deutschen eine ausgesprochene Aversion gegen Uniformen zu besitzen, wenngleich sie sich - dem jeweiligen Modetrend entsprechend - in der Alltagsrealität tatsächlich häufig uniform gekleidet zeigen. Unbestritten ist, dass sich in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich immer mehr vertieft. Ist die Schere aber schon so weit geöffnet, dass es eine Bereitschaft zur Einführung von Schuluniformen gibt?
Die Abgeordnete Grietje Bettin spricht in diesem Zusammenhang davon, dass "der Druck der sozialen Identifizierung und Diskriminierung über die Kleidung auf den Jugendlichen in Deutschland lastet". Dabei handele es sich um eine Frage der Chancengerechtigkeit, und nicht erst seit dem PISA-Schock setze sich grüne Bildungspolitik für die Bedürfnisse sozial schwacher Schülerinnen und Schüler ein. Eine zusätzliche Benachteiligung von ohnehin schon benachteiligten Jugendlichen, deren Kleidung nicht den modischen Ansprüchen der Gleichaltrigen entspricht, ist daher für die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen nicht akzeptabel und verlangt dringend nach Lösungen. Für Grietje Bettin gibt es demnach Grund genug, "um eine einheitliche Schulkleidung in Modellversuchen für mindestens ein Jahr in ganzen Schulen oder Schulgemeinden unter wissenschaftlichen Kriterien zu testen". Ziel solcher Versuche, an denen es bisher mangele, müsse es sein, herauszufinden, ob die einheitliche Schulkleidung identitätsstiftend wirke und soziale Unterschiede zumindest optisch ausgleichen könne. Auch die offenen Fragen der konkreten Umsetzung müssten geklärt werden, wozu insbesondere der Kostenaspekt gehöre. Denn zahlten die Eltern die Schulkleidung, werde der gewünschte Effekt konterkariert: "Während die reicheren Eltern ihren Kindern die Kluft regelmäßig erneuern können, sieht man Kindern aus ärmeren Familien ihre soziale Herkunft an der gebrauchten Kleidung an. Für die erfolgreiche Einführung der Schulkleidung ist daher eine elternunabhängige Finanzierung notwendig."
Der Auffassung, dass die Einführung einer einheitlichen Schulkleidung in vielen Fällen einen Ausweg aus dem "Markenwettbewerb" unter den Schülern bieten könne, der viele Familien belaste oder einzelne Schüler aus dem Klassenverband ausgrenze, ist auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Hellmut Königshaus. Für eine solche einheitliche Kleidung spreche zudem, dass sie die Identifikation mit der eigenen Schule fördere und das Selbstwertgefühl hebe. Andererseits hätten manche Eltern Angst um die Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Kinder, wenngleich dies sicherlich Einzelfälle seien. Viele Schulen hätten bereits ein Angebot an Schul-T-Shirts und Pullovern, das freiwillig und gern genutzt werde, auch das sei ein gangbarer Weg. Allerdings, so Hellmut Königshaus, sei das deutsche Bildungssystem bereits überreguliert und überbürokratisiert. Es wäre grotesk, wollten Politik oder Bürokratie den Schulen nun auch noch Vorschriften über die Schulkleidung machen. Überhaupt sollte die Ausgestaltung des Lehrbetriebes den Schulleitungen - natürlich unter Beteiligung von Eltern, Lehrern und Schülern - überlassen werden. Sie könnten und sollten gemeinsam entscheiden, was richtig gerade für ihre Schule mit den von Fall zu Fall unterschiedlichen Gegebenheiten sei. Das gelte insbesondere für die Frage der Schulkleidung. Welcher Weg für die jeweilige Schule der richtige sei, sollte nicht "von oben herab" entschieden werden.
Besseres Sozialklima
"Schuluniformen können durchaus positiv wirken. Sie können Eltern wie Kindern soziale Entlastung bringen". Dieser Überzeugung stellt Katharina Reiche die Erkenntnis voran, dass es an den Schulen viel zu früh um Markenkleidung gehe. Die CDU-Bundestagsabgeordnete bringt es auf den Nenner: "Das Klassenzimmer wird als Laufsteg missbraucht. Schüler, die nicht mithalten können, werden als ?Aldi-Kinder' stigmatisiert." Darüber hinaus fehle Schülern oft das Gespür für Anlass und Situation, sagt die Parlamentarierin und nennt als Beispiel die Feierstunde anlässlich des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953 im Landtag Brandenburg, an der Schülerinnen in bauchfreier Kleidung teilgenommen hätten. Wissenschaftliche Studien belegten, dass in Klassen in denen Schüler eine einheitliche Kleidung trügen, ein besseres Sozialklima herrsche und sich die Schüler besser auf den Unterrichtsstoff konzentrieren könnten. Einheitliche Schulkleidung bringe die gemeinsame Identität mit der Schule zum Ausdruck. Sie könne zudem das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken und Schülerinnen und Schüler befähigen, ihren angemessenen Platz in der und Verantwortung für die gesamte Gesellschaft zu entwickeln. Bei allen Aspekten, die für eine einheitliche Schulkleidung sprechen, sagt Katharina Reiche aber auch: "Sie darf kein Muss sein. Wenn aber Schüler, Eltern und Lehrer sich dafür aussprechen und sie einführen möchten, sollten sie unterstützt werden und auch von den Schulbehörden Rat und Hilfe erhalten."