Auch alle gegenwärtigen Reformdiskussionen drehen sich letztlich immer um die Rolle des Staates. Die Vorstellung des für die Belange der Gesellschaft umfassend zuständigen, fürsorgenden und hierarchisch lenkenden Staates markiert dabei das eine Extrem. Das andere Extrem stellt die (neo-)liberale Vorstellung des "Nachtwächterstaates" dar, der sich auf wenige Kernaufgaben beschränkt und auf die Selbstregulierung von Gesellschaft und Wirtschaft setzt.
Seit ungefähr zehn Jahren schon findet eine intensive Diskussion um den so genannten aktivierenden Staat statt, der zwischen diesen beiden Extremen einen Mittelweg beschreitet. Das Konzept des aktivierenden Staates setzt auf individuelle Verantwortung und gesellschaftliche Selbstregelung, betont aber auch, dass diese einer aktivierenden Unterstützung von staatlicher Seite bedürfen. Nicht "Deregulierung" oder "Fürsorge" stellen das Leitbild des aktivierenden Staates dar, sondern "Fordern und Fördern".
Das Buch "Ausblicke auf den aktivierenden Staat" zieht eine umfassende Bilanz des Konzeptes. Der Band zeichnet sich dabei vor allem dadurch aus, dass er sich nicht auf die rein wissenschaftliche Diskussion beschränkt. Vielmehr ergänzt er die konzeptionell orientierten Beiträge durch eine Reihe von Kapiteln, welche sich mit der Anwendung des Konzepts auf verschiedenen Politikebenen und in unterschiedlichen Politikfeldern auseinandersetzen.
Dabei wird - auch nach der offenen Ansprache mehrerer das Konzept begleitende Missverständnisse - rasch deutlich, dass es sich beim aktivierenden Staat um mehr als ein Staats-Konzept im engeren Sinne handelt. Es geht um eine umfassende Steuerungsidee, welche gleichermaßen von der lokalen bis hin zur internationalen Politikebene ihre Wirkung entfaltet. Verschiedene Beispiele aus unterschiedlichen Politikfeldern - von der Kulturpolitik über die Gesundheitspolitik bis hin zur Arbeitsmarktpolitik - führen die mit der Umsetzung des Konzeptes verbundenen Chancen vor Augen, benennen aber auch eindeutig Fälle, in welchen die Praxis des "Forderns und Förderns" scheiterte.
Der Mix aus konzeptionellen und anwendungsbezogenen Beiträgen einerseits sowie die aus Wissenschaft und Praxis stammende Autorenschaft - einschließlich bekannter Politiker wie Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück - ergibt einen ungewöhnlich abwechslungsreichen, aber dennoch kohärenten Band. Vor allem aber stellt er für alle am aktivierenden Staat Interessierten ein wohl einmalig umfassendes Kompendium dar, an welchem in der Diskussion um dieses Konzept kein Weg vorbeiführt und dem gerade auch aufgrund der offenen Reflexion der Grenzen des Konzepts Beachtung auch in der breiteren Reformdiskussion zu wünschen ist.
Die einzelnen Kapitel des Bandes sind trotz der heterogenen Autorenschaft durchweg von guter oder sehr guter Qualität. Allein: Ein einzelnes Kapitel zum Verhältnis von aktivierendem Staat und EU kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass an dieser Stelle noch ein erheblicher Nachholbedarf besteht.
So reflektiert kaum ein Autor, dass es sich auch beim aktivierenden Staat längst nicht mehr um ein einheitliches, der Gesellschaft monolithisch entgegenstehendes Gebilde handelt, sondern um einen Staat, dessen Aktivierungsfähigkeit stark davon abhängt, wie stark ihm europäische und internationale Verflechtungen überhaupt noch eigene Gestaltungsspielräume ermöglichen. Hier scheint hinter einigen Beiträgen doch noch ein klassischer Steuerungsoptimismus durch, welcher einer europäisierten und globalisierten Welt kaum mehr angemessen erscheint.
Doch soll diese Kritik nicht zu schwer wiegen: Sie erscheint eher als Forderung nach einem zweiten Band denn als Kritik an einem insgesamt sehr gut gelungenen, umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum aktivierenden Staat und seiner Anwendung in der Praxis.Es kann dabei nicht genug betont werden, dass sich der Band in hervorragender Weise in die gegenwärtige Diskussion um Art und Umfang der Staatstätigkeit unter den Bedingungen knapper Finanzmittel und wachsender globaler Verflechtungen einfügt. Das Konzept und die Praxis des aktivierenden Staates machen deutlich, dass sich die Reaktion des Staates auf diese Bedingungen nicht, wie es in ersten Reaktionen sehr häufig geschieht, auf Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung beschränken darf, sondern parallel von aktivierenden Maßnahmen und Strategien begleitet werden muss.
In diesem Sinne bezeichnet "Fordern und Fördern ein Leitbild, welches sich nicht nur vom Staat an die Gesellschaft, sondern ebenso von der Gesellschaft an den Staat richtet.
Fritz Behrens, Rolf G. Heinze, Josef Hilbert und Sybille
Stübe-Blossey (Hrsg.)
Ausblicke auf den aktivierenden Staat.
Von der Idee zur Strategie.
Reihe "Modernisierung des öffentlichen Sektors", Sonderband 23.
edition sigma, Berlin 2005; 488 S., 24,90 Euro