Die wenigen fest installierten Fernsehkameras sind der einzige ruhende Pol im großen Durcheinander. Parlamentarier und Presseleute tummeln sich um die Mikrofone. Ein Statement folgt dem nächsten, Stifte und Blöcke werden gezückt, Stichworte notiert, Journalisten schieben im Gedränge gegeneinander, Fotografen versuchen einen guten Schuss zu bekommen. Im Bundestag stehen die Wahlen auf Fraktionsebene an, die Konstituierung der Ausschüsse und vor allem - es ist der Tag der ersten Regierungserklärung der neuen Kanzlerin.
Auch wenn es hektisch zugeht: Jeder hat seine Aufgabe, weiß, wann er wohin muss, weiß, wann er wie wo etwas sagen soll. Auch Kunstpausen gehören dazu. Für die Routiniers. Unter den Parlamentariern gibt es aber auch Nachwuchspolitiker, die erst einmal die "Codes" lernen müssen und auch mit unerwarteten Widrigkeiten konfrontiert sind. "Es war ganz schön viel Stress in den letzten Wochen", erzählt Michael Leutert am Rande des Jugend-Medienworkshops im Deutschen Bundestag. Der Abgeordnete von der Linkspartei pendelte dauernd zwischen seinem Dresdner Büro und Berlin. "Bis zum 21. November, als ich endlich mein Abgeordnetenbüro bekommen habe, bin ich morgens mit der Reisetasche auf die Toilette, um mich umzuziehen." Dass es so lange dauern würde, bis er richtig loslegen kann, hat er nicht erwartet. "Ich habe Vereine gegründet und wieder aufgelöst, habe an der Uni gearbeitet und war bei der Bundeswehr - ich dachte, ich weiß, was Bürokratie ist."
Zu allem Überfluss stellte der 31-jährige Bundestagsneuling die Verwaltungen vor eine weitere Herausforderung: Er gründete kurzerhand eine Bürogemeinschaft mit seiner Fraktionskollegin Katja Kipping (27). "Wir hatten schon ein paar Schwierigkeiten, das durchzusetzen, vor allem weil wir zu verschiedenen Arbeitskreisen gehören, sie zum sozialpolitischen, ich bin im Menschenrechtsausschuss."
Michael Leutert arbeitet seit 1998 für die Partei, die Realität eines Berufspolitikers ist für ihn nichts Neues. Angst, wegen seines neuen Jobs in eine Parallelwelt zu geraten, hat er nicht. "Ich habe nach wie vor mein WG-Leben in Dresden. Da sind genug Leute, die einem auch mal sagen: Du bist blöd."
Die regelmäßige Rückkehr in den Wahlkreis findet auch Peter Friedrich, Jungabgeordneter der SPD aus Konstanz, wichtig, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren. "Ich bin für fünf bis sechs Tage hier, dann fahre ich in meinen Wahlkreis, meine Heimat - dort ist meine Realität. Dort gibt es keine unterirdischen Gänge, keine Fahrbereitschaft, ich fahre mit dem Bus und dem Rad zur Arbeit." Dennoch - sein Leben ist anders als vor der Wahl. Im Wahlkampf habe er gearbeitet "wie ein Brunnenputzer".
Für Anton Hofreiter von den Grünen ist die Bürokratie keine so große Hürde. Eine "gewisse Anzahl von Formularen" müsse man zwar ausfüllen - aber bei Problemen gebe es von der Verwaltung schnelle Hilfe. Auch das Arbeitspensum sieht er gelassen: "Das wusste man ja vorher", sagt der 35-Jährige, und zuckt mit den Schultern, "und die Bezahlung ist ja auch nicht wirklich schlecht." Das muss bayerische Gemütlichkeit sein. Überraschungsmomente gab es für Hof-reiter aber trotzdem: die Stimmung bei der konstituierenden Bundestagssitzung zum Beispiel. "Aufstehen und ?Guten Morgen, Herr Präsident' sagen, das hat etwas von Schule - und einen nicht ganz ernsthaften Touch", erzählt Hofreiter und lacht.
Ansonsten war vor allem eines neu für ihn: sich in der Situation des Arbeitgebers wiederzufinden. Wie führt man Vorstellungsgespräche, nach welchen Kriterien stellt man Mitarbeiter ein? "Dafür bin ich ja nicht ausgebildet", sagt Hofreiter, der Biologe. Jetzt ist er für Verkehr, Bauen und Wohnen zuständig.
Auch die FDP-Abgeordnete Miriam Gruß hat eine ihrer Prioritäten auf die Einstellung der Mitarbeiter gelegt: "Ich wollte Leute, die selbst noch am Anfang stehen." Das ist gelungen: Ihr Büro ist jung, die Mitarbeiter sind alle Mitte bis Ende 20. Stressig findet Miriam Gruß manchmal die Koordinierung von Terminen: "Sobald eine Sitzung länger dauert, hat man Schwierigkeiten, rechtzeitig zur nächsten zu gelangen." Hinzu kommt, dass Miriam Gruß auch eine Doppelrolle zu erfüllen hat: Die 29-Jährige ist nicht nur Abgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern auch Mutter. Im heimischen Augsburg wartet ihr kleiner Sohn. Seit sie in Berlin ist, bleibt ihr Mann zu Hause und kümmert sich um das Kind. Trotzdem muss sie zwischen manchen Sitzungen auch mal schnell per Handy durchgeben, "wo die Fieberzäpfchen sind". Viel Zeit zum Eingewöhnen gab es in Berlin übrigens nicht: "Man ist schon die Maus im Laufrad. Es ging einfach sofort los."
An diese ersten Tage kann sich auch Julia Klöckner von der CDU noch sehr gut erinnern. Die 32-Jährige sitzt schon seit 2002 im Parlament, dieses Jahr hat sie ein Direktmandat in ihrer Pfälzer Heimat geholt. "Beim ersten Mal war ich von Vielem noch beeindruckt, was ich heute entspannter sehe", sagt sie.
Es ist Mittwochmittag, gerade ist der erste Höhepunkt der neuen Legislaturperiode zu Ende gegangen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre erste Regierungserklärung abgegeben - Hochzeit für Fernseh-Interviews. Es ist wie nach den Fraktionssitzungen, nur voller. Auch Klöckner steht inmitten einer Meute von Journalisten und Parlamentariern. Ihr Verhältnis zu den Medien ist geprägt von ihren eigenen Berufserfahrungen: Sie hat selbst jahrelang als Journalistin gearbeitet, die ehemalige deutsche Weinkönigin war unter anderem Chefredakteurin des Sommelier Magazins. "Wenn heute ein Fernsehteam anfragt und einen Dreiminüter machen will, dann weiß ich, dass mein Vormittag futsch ist."
Der Umgang der jungen Politiker mit den Medien ist geprägt vom Bewusstsein, dass es ein Spiel ist, bei dem der eine den anderen braucht. Auch wenn es zu Lasten der Information geht. "Viel wird verkürzt, zugespitzt", sagt Klöckner und fügt hinzu: "Klar, ich polarisiere auch, wenn es sein muss. Die Medien wollen mit mir arbeiten, dann arbeite ich auch mit ihnen."
Es fehlt die Legitimation
Der Grüne Anton Hofreiter sieht das kritischer. "Ich habe das Gefühl, bestimmte Themen gewinnen in der Presse eine Eigendynamik. Da gibt es seitens der Medien manchmal gar keine Kontrolle mehr." Es stört ihn, wenn Journalisten nicht einfach nur berichten, sondern versuchen, Politik zu machen. "Da fehlt die Legitimation", meint Hofreiter. "Politiker sind immerhin vom Volk gewählt."
Dass die Medien mittlerweile immens wichtig sind, findet auch der SPD-Abgeordnete Peter Friedrich. Die Folge: "Es gibt keine Diskussionen mehr im politischen Raum, Ideen können sich nicht mehr entwickeln, dazu gibt es keine Zeit." Aber Demokratie, so Friedrich, das bedeute auch, dass das Volk und die Volksvertreter diskutierten. Manchmal fragt er sich sogar, ob der Begriff Demokratie noch zutreffend sei. "Wenn die Medien den politischen Diskurs ersetzen, dann haben wir eine Mediokratie."
Barbara Lich und Anne Haeming