Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 08.05.2006
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Detlev Lücke

Auf dem Platz wird Geld verdient

Verliert der Fußball mit Merchandising seine Seele?

Die Seele eines Fußballspiels sind natürlich Tore und zwar möglichst viele und möglichst eines schöner als das andere. So gesehen, war das Treffen zwischen Hertha BSC und Borussia Dortmund am Ostersonnabend im Berliner Olympiastadion eine glatte Nullnummer, denn weder Marcelinho oder Bastürk auf Berliner, noch Rosicky oder Buckley auf Dortmunder Seite brachten den Ball über die Torlinie, geschweige denn irgendein anderer Spieler. Dennoch war das torlose Unentschieden ein sehr gutes Geschäft: Über 65.000 zahlende Besucher hatten die Kassen gefüllt. Sie waren nicht nur Zuschauer eines ansonsten recht unterhaltsamen Spiels, sondern mehr oder weniger unfreiwillige Kunden eines gigantischen Werbegeschäftes. Schon vor Beginn des Spiels machte sich eine Karawane von Limousinen der Marke Mercedes über die blaue Tartanbahn auf die Fahrt, begleitet von hübschen Mädchen. Ständig wechselnde Werbetafeln informierten den Besucher, der eigentlich sein teures Eintrittsgeld für ein Fußballspiel bezahlt hatte, darüber, dass die Reinigungsfirma Wall "nicht im Abseits steht" und dass die Berliner Volksbank eine Spezial-Bankcard für Fußballfreunde bereit hält. Als der Schiedsrichter endlich die Partie anpfiff, gab es vorher noch kurz eine Ansage mit den Sponsoren der Begegnung von Coca Cola bis Vattenfall, deren Liste zu lang ist, um sie hier noch einmal auszubreiten. So dass auch der Dümmste begreifen konnte, dass Werbung die Seele des Fußballgeschäfts ist. Und zwar flächendeckend.

Bei Hertha hat man sich inzwischen große Bildschirme zugelegt, auf denen nicht nur in der Halbzeitpause die übliche Reklame abläuft, die wir auch aus dem täglichen Fernsehen kennen, sondern während des Spiels Zwischenergebnisse mitgeteilt werden mit dem gar nicht leisen Verweis auf das Boulevardblatt "BZ", jenem "Instinktblatt des Boulettenwestberliners" (Christoph Dieckmann).

Fußball und Geld, das ist eine lange Geschichte. Schon in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als der Deutsche Fußballballbund (DFB) einen recht einsamen Kampf gegen den Berufssport führte, der nach seiner Meinung nicht in den Traditionen eines Friedrich Ludwig Jahn stand, bekamen die Spieler Geldzuwendungen. Den spektakulärsten Fall gab es beim FC Schalke 04, wo die Mannschaft gegen alle aktuellen Regeln Spesenbeiträge bekommen hatte, außerdem ein regelmäßiges Gehalt und Geschenke aller Art. Der Verein wurde von der Spruchkammer des Westdeutschen Spielverbandes (WSV) zu 1.000 Reichsmark Geldstrafe verurteilt, acht Vorstandsmitglieder wurden aus dem Verein ausgeschlossen und 14 Spieler zu Berufssportlern erklärt, so dass Schalke erst einmal nicht mehr am Spielbetrieb teilnehmen konnte. Das sollte sich in den kommenden Jahrzehnten noch öfters wiederholen. Inzwischen erlebt der deutsche Profifußball einen absoluten Boom in seinen beiden Bundesligen. Wie die "Süddeutsche Zeitung" kürzlich in einer Untersuchung mitteilte, zählte die Deutsche Fußball Liga bereits in der Vorrunde der laufenden Spielzeit mehr als 5,7 Millionen Zuschauer, das ist eine Steigerung um 7,5 Prozent. Die Umsätze der 36 Bundesligisten kletterten im vergangenen Geschäftsjahr um 19 Prozent auf über 1,5 Milliarden Euro. Das ist in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit und nur langsam schwindender Rezession ein beachtlicher Wirtschaftsposten. Wenn man sich das Bonitätsranking der 1. und 2. Bundesliga anschaut, gibt es bekannte Tabellenführer: Bayern München und SC Freiburg. In der zweiten Liga sind selbst Ostvereine wie Hansa Rostock und Erzgebirge Aue noch vor westdeutschen Traditionsver-einen wie 1860 München und Kickers Offenbach platziert. Es sieht so aus, dass die meisten Vereine ohne Probleme eine Lizenz für die nächste Saison erhalten, wo ihnen zusätzliche Einnahmen aus der Fernsehvermarktung winken, nachdem die Firma Arena den Vorzug vor Premiere erhalten hat. Natürlich drücken viele Vereine noch immer hohe Schuldenlasten, die aus überteuerten Spielertransfers und anderen unüberlegten finanziellen Transaktionen herrühren. Dennoch gibt es auch hier Erfolge, so konnten die Vereine ihre Verbindlichkeiten von 770,7 Millionen auf 716,7 Millionen Euro senken. DFL-Geschäftsführer Christian Müller erklärte in diesem Zusammenhang, man wolle darauf achten, dass die höheren Einnahmen aus der Fernsehvermarktung der schönsten Nebensache der Welt nicht nur in die Taschen der Spieler fließen, sondern der weiteren finanziellen Sanierung der Clubs gelten.

Natürlich hängt das erfolgreiche Merchandising des Fußballspiels mit der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Deutschland zusammen. Trotz der eher mäßigen Leistungen des deutschen Teams herrschen eine unheimliche Euphorie und ein ungebrochenes Vertrauen auf eine gute WM-Platzierung bei den Millionen Fußballfans. Geschäftliche Aspekte rücken dabei in den Hintergrund und belasten nicht die Seelenlage der Zuschauer "aufm Platz". Jüngstes Beispiel ist der Kampf der beiden Nationaltorhüter um den Platz eins im Team. Nachdem Jens Lehmann von Arsenal London Oliver Kahn (Bayern München) als Stammtorwart des deutschen Teams verdrängte und Nationaltrainer Jürgen Klinsmann mit seiner Entscheidung für Lehmann einen Punktsieg gegen die drei großen B's Beck-enbauer, Bayern-München und "Bild" gelandet hatte, glaubten viele an den großen Crash. Aber siehe da, Kahn schmiss nicht etwa wutentbrannt die großen Handschuhe in den Ofen, sondern erklärte sich öffentlich bereit, weiter in der Nationalmannschaft auf der Ersatzbank mitzumachen. Deutschlands Fußballfans, ergriffen ob soviel Großmut und Verzichtsbereitschaft, übersahen vermutlich, dass Oliver Kahn auch deshalb weitermachte, weil schon viele Werbespots mit ihm produziert worden waren.

So hat das Geschäft in diesem Fall die Seele veredelt, und Jürgen Klinsmann hat ein Problem weniger. Der teuerste deutsche Fußballprofi Deutschlands bekam von seinen neun Millionen Euro im Jahr nämlich drei von der Werbeindustrie. Kein Sponsor, ob Bitburger, Mercedes oder Adidas, will deshalb auf Kahn verzichten. Dabei hat der Werbefilm von Bitburger sogar einen pädagogischen Effekt: Ausgerechnet der ausgemusterte Torwart hechtet im Restaurant einem Ball hinterher, den Bastian Schweinsteiger mit der Hacke auf den an der Theke postierten Trainerstab um Jürgen Klinsmann abschoss. Kahn fängt diesen Ball, bevor er den Bundestrainer trifft.

Detlev Lücke arbeitet als Publizist in Berlin. Er ist ehemaliger Leitender Redakteur der Wochenzeitung "Das Parlament".


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