1949-89: DDR-Volkskammer
1949: Gründung der DDR
1949 beginnen die Vorbereitungen zur Gründung der Deutschen
Demokratischen Republik (DDR). Der von der SED anberaumte
2. Volkskongress wählt einen - wiederum von der SED gelenkten -
"Volksrat". Dieser legt einen Verfassungsentwurf vor, der in
Artikel 6 die strafrechtliche Verfolgung jeder Art von
"Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen"
vorsieht und damit zum Instrument politischer Verfolgung wird.
Im Mai 1949 findet die Wahl zum Dritten Volkskongress statt. Die in der sowjetischen Besatzungszone entstandenen Parteien können dabei bereits nicht mehr miteinander konkurrieren, sondern nur - zu einem Block der Nationalen Front zusammengeschlossen - auf einer Einheitsliste kandidieren. Von vornherein wird die Sitzverteilung unabhängig vom Wahlergebnis festgelegt.
Am 7. Oktober 1949 findet die Gründung der DDR statt, indem sich der Deutsche Volksrat als "Provisorische Volkskammer" konstituiert. Erst ein Jahr später finden die ersten Volkskammerwahlen statt.
Volkskammerwahlen - weder frei noch
geheim
Obwohl besonders die erste Verfassung der DDR den Eindruck
vermittelt, dass der Staatsaufbau ähnlich dem in der Weimarer
Republik als parlamentarische Demokratie gestaltet wird, besteht
diese Ähnlichkeit nur auf dem Papier.
Die Verfassung ist nur eine Fassade, hinter der sich die tatsächlichen Machtverhältnisse verbergen. In Wirklichkeit gibt es weder freie noch geheime Wahlen. Frei sind die Wahlen nicht, weil es nur eine Einheitsliste gibt. Und geheim sind sie nicht, weil offene Stimmabgabe zunehmend als staatsbürgerliche Pflicht gilt und die Benutzung der Wahlkabinen ebenso wie eine Ablehnung der Liste oder eine Wahlenthaltung berufliche und andere Nachteile zur Folge haben können.
Wie bei der ersten, so steht auch bei allen weiteren Wahlen die Sitzverteilung der zur "Nationalen Front" zusammengeschlossenen und von der SED kontrollierten Parteien und Organisationen in der Volkskammer von vornherein fest.
Volkskammer ohne Macht
Als unabhängiges Parlament kann man die Volkskammer nicht
bezeichnen; es gibt weder im Plenum noch in den Ausschüssen
politische Debatten im Sinne der Erörterung von Vorlagen oder
Sachverhalten aus unterschiedlichen Standpunkten. Ebenso wenig
obliegt es der Volkskammer, die Regierung zu kontrollieren.
Deshalb ist auch die Bezeichnung der Volkskammer als oberstes Machtorgan irreführend. Die Volkskammer hat selbst keine eigene Macht; diese ist vielmehr bei den Führungsorganen der SED konzentriert. Ebenso wenig ist eine Opposition erlaubt.
Da die von der Partei- und Staatsführung getroffenen Entscheidungen nur mit Zustimmung zur Kenntnis genommen werden dürfen, braucht die Volkskammer in der Regel auch nur zwei- bis dreimal jährlich zusammenzutreten, um die vom Ministerrat, dem Staatsrat oder den Fachabteilungen des Zentralkomitees der SED formulierten Gesetze einstimmig zu beschließen.
1989/90: Erste freie Volkskammerwahl
Zu einer echten Volksvertretung wird die Volkskammer erst mit der
friedlichen Revolution von 1989. Auf den Massendemonstrationen
werden freie, den Volkswillen zum Ausdruck bringende
Volkskammerwahlen gefordert. Der Runde Tisch, gebildet aus
Vertretern der alten Parteien, der neu entstandenen SPD und
oppositionellen Bürgerrechtsgruppen, nimmt diese Forderungen
auf und drängt die neue Regierung unter Modrow (SED/PDS) zu
einem Verfassungswandel und zur Festsetzung eines Wahltermins.
Am 18. März 1990 finden die ersten und einzigen freien Parlamentswahlen in der DDR mit einer Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent statt. Die von der CDU geleitete "Allianz für Deutschland" gewinnt mit knapp 48 Prozent die Wahl.
In der konstituierenden Sitzung am 5. April wählt die Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl (CDU) zu ihrer Präsidentin. Lothar de Maizière (CDU) wird Ministerpräsident und bildet eine große Koalition aus CDU, SPD, Liberalen, DSU und einem parteilosen Abgeordneten.