Rede des israelischen
Staatspräsidenten
Rede des Präsidenten des Staates Israel, Moshe Katsav, vor dem Deutschen Bundestag und Bundesrat am 31. Mai 2005
Es gilt das gesprochene
Wort
Ich danke Ihnen, verehrte Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats, für die Einladung, anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland, die von der Knesset am 16. März 1965 beschlossen wurde, vor Ihnen zu sprechen.
Zwei begnadete Visionäre, Ministerpräsident David Ben Gurion und Bundeskanzler Konrad Adenauer haben die historische Aufnahme der Beziehungen ermöglicht, trotz der seelischen und politischen Aufruhren, die sie heraufbeschwor.
Die junge Generation in Deutschland hat gegen Ende der Sechziger Jahre ebenfalls zur Aufnahme der Beziehungen beigetragen, als sie verlangte, das Schweigen zu durchbrechen und zu erfahren, was in den furchtbaren Jahren tatsächlich vorgefallen war.
Die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel basieren auf einem von Deutschland im Zweiten Weltkrieg ausgelösten weltweiten Erdbeben. Unsere beiden Völker haben völlig unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus gezogen, sie führen jedoch zu einer gemeinsamen Herausforderung - die Lehre der Shoa an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Die Shoa ist ein gestaltendes Ereignis in der Geschichte des jüdischen und des deutschen Volkes. Sie überschreitet die Grenzen von Zeit und Raum, von Interessen und von Wirklichkeit, von Anschauungen und Meinungen.
Das Trauma der Shoa wird das jüdische Volk bis in alle Ewigkeit begleiten.
Für die Shoa kann es weder Vergeben noch Verzeihen geben. Zahlreich sind die Angehörigen des jüdischen Volkes, die die von den Nazis tätowierten Zahlen noch auf ihrem Arm tragen. Die seelischen Narben sind auch in der zweiten und dritten Generation noch spürbar. Die Familien der Opfer und Überlebenden der Shoa trauern und weinen bis zum heutigen Tag. Das jüdische Volk fühlt weiterhin den Schmerz und das Leid.
Die Shoa wird immer den Anfangs- und den Schlusspunkt bilden. Sie ist das schwarze Loch, in dem ein Großteil der Lichtstrahlen verschwindet.
Hier, in diesem Gebäude, begann die Tragödie, die zur systematischen Ausrottung des jüdischen Volkes führte. Hier in Berlin wurden die Entscheidungen gefällt, die zur größten Tragödie der Menschheit führten. Von hier nahm das Abscheu erregende Programm der "Endlösung der Judenfrage" seinen Lauf.
Ich, der Präsident des Staates Israel, stehe hier heute im Namen des jüdischen Volkes und beweine die Ermordung meines Volkes und sage: Nie wieder!
Wir, die Generation der Nachkriegszeit, haben die Aufgabe, gemeinsam die Lehren aus der Shoa zu ziehen und sie an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Wir, das jüdische Volk, glaubten, dass nach den Greueltaten der Nazis die Welt den Antisemitismus nie mehr dulden würde. Wir glaubten, der Antisemitismus bilde eine Erscheinung die der Geschichte angehört, der alten Welt, dem alten Europa.
Wir werden heute Zeugen einer Welle des wiederauflebenden Antisemitismus, wie wir sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gekannt haben, einer Welle, begleitet von aggressiver Hetzpropaganda.
Die Antisemiten nutzen die moderne Technologie, die Massenmedien, die Globalisierung und die Demokratie dazu aus, um die Thesen des Antisemitismus in nie dagewesener Stärke und Form zu verbreiten.
Der Antisemitismus ist nicht nur eine Tragödie für das jüdische Volk, sondern auch eine moralische und historische Niederlage für die Menschheit, die Niederlage der Führer der Welt, die Niederlage der freien Welt.
Wir möchten den Regierungen Europas unsere Wertschätzung ausdrücken, unter anderem der Bundesregierung, die mit entschiedenen Schritten gegen die Welle des Antisemitismus vorgehen - diese Maßnahmen reichen jedoch nicht aus. Unerlässlich sind Gesetzgebung und -ausführung, Erziehung und Aufklärung der Öffentlichkeit.
Leider fördern radikale islamistische Kräfte in Europa im Verbund mit rechtsextremen und linksextremen Kräften den Antisemitismus und den Antizionismus.
Der radikale, extremistische Islam bildet eine große Gefahr, die meisten Muslime Europas sind jedoch friedensliebende, moralische Bürger.
Im Sinne des Humanismus warnen wir vor einer antimuslimischen Welle. Wir, die Opfer der Verfolgung der in Vergangenheit, strecken unsere Hand aus.
Ich rufe die gemäßigten Muslime Europas und ihre Führer auf, gemeinsam auf eine freie, bessere Welt hinzuarbeiten und Toleranz und Verständigung zu verbreiten.
Wir pflegen mit einigen muslimischen Staaten gute Beziehungen.
Die wachsende Legitimation neonazistischer Kräfte und ihre zunehmende Verankerung in der deutschen Öffentlichkeit bereiten uns Sorgen.
Es besteht die Gefahr, dass das Anwachsen des Neonazismus das Ende des Nachkriegszeitalters verschiebt und die Entfernung vom Krieg verhindert.
Man muss jeden Ausdruck der neonazistischen Lehren schon in den Anfangsstadien bekämpfen, bevor sie sich ausbreiten und einnisten können.
Seien wir auf der Hut - lassen wir uns nicht überraschen, wenn die Terrororganisationen die Neonazis für die Ausführung von Terroranschlägen ausnutzen.
Ich schätze die absolute Ablehnung der Neonazis von Seiten der großen Mehrheit der Deutschen.
Ich schätze die beeindruckende Zahl der Deutschen, die vor dem Brandenburger Tor gegen die Neonazis demonstrierten.
Die deutsche Demokratie ist widerstandsfähig und wird Wege finden, gegen dieses Problem anzugehen.
Wir haben das moralische Recht von Deutschland zu verlangen, keinerlei neonazistische Philosophie in Deutschland Fuß fassen zu lassen.
Die Bundesrepublik ist es sich selbst schuldig, den Opfern der Shoa und dem jüdischen Volk, ihren eigenen Idealen und den Werten, nach denen die junge Generation erzogen und geformt wird. Die junge Generation muss davor bewahrt werden, von Hasspropaganda und Indoktrinierung verführt zu werden. Wie furchtbar wäre es, wenn diese Generation die Taten der Nazis als unterhaltenden Horrorfilm ansähe. Die Lehre der Shoa bildet die Möglichkeit, universelle Werte zu vermitteln. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie undemokratische Kräfte die demokratischen Einrichtungen ausnutzten, um an die Macht zu gelangen.
Die menschliche Naivität unterliegt im Kampf gegen die Demagogie und die Böswilligkeit. Es besteht die Gefahr, dass das Böse, die Abartigkeit und negative Kräfte den Glauben und die menschlichen Werte bezwingen. Die Demokratien verfügen nicht automatisch über genügende Abwehrkräfte gegen das Böse und die Tyrannei.
Mit dem Regime, das in den zwölf Jahren seines Bestehens die Welt in Schrecken versetzte, legte sich auch über Deutschland ein schwerer historischer Schatten, der zu einem Teil der deutschen Geschichte wurde.
Niemand darf die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit scheuen.
Diese Beschäftigung hat nicht das Ziel, Wunden wieder aufzureissen oder Beschuldigungen auszusprechen, sondern Lehren zu ziehen, um auf die nächsten Generationen anhand menschlicher Werte prägend einzuwirken.
Der 8. Mai 1945, der Tag der Befreiung, ist ein Freudentag für die Menschheit und auch für Deutschland. Nur auf diese Art und Weise kann man die Seele der Jugend stärken. Wir müssen den nächsten Generationen ganz klar verkünden, dass die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg für die Welt, für die Menschheit, für die universellen Werte, einen wichtigen Sieg darstellte - ein wichtiges Ereignis und eine wichtige Entwicklung in der deutschen Geschichte.
Verstehen Sie meine Worte nicht als die eines Moralpredigers - sie fügen sich in unseren Dialog ein. Wir stehen vor einer gemeinsamen Herausforderung.
Israel und Deutschland haben sich das Ziel gesetzt, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen, um den Herausforderungen die uns bevorstehen gerecht zu werden.
Zwischen unseren beiden Staaten herrscht eine politische Nähe, sorgen wir dafür, dass sie in gemeinsamen Werten, gemeinsamen Überzeugungen und gemeinsamen Wegen ihren Ausdruck findet.
Die furchtbare Shoa hat im 20. Jahrhundert stattgefunden, im Herzen Europas, in einem der fortschrittlichsten Länder der damaligen Zeit, einem Land, in dem die besten Musiker, Denker, Wissenschaftler und Forscher lebten. Keiner von uns weiss, was die Zukunft für ihn bereit hält, wie die Winde des Schicksals für ihn wehen, was sich in einem Jahrzehnt oder einer Generation ergeben wird - es ist unsere Aufgabe für die nächsten Generationen ein festes Fundament von Werten aufzubauen.
Verwandeln wir das Trauma der Vergangenheit in eine Hoffnung für die Zukunft, unsere besondere Beziehung in eine Brücke für die Freundschaft unter den Völkern, einen Anker gegen den Totalitarismus und für menschliche Werte - als Botschaft für Menschlichkeit gegen Rassismus und Antisemitismus.
Deutschland kann mit Stolz auf seine Errungenschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zurückblicken. Die Bundesrepublik ist zu einem integralen und wichtigen Bestandteil der internationalen Völkerfamilie geworden. Dank Ihrer Verbundenheit mit menschlichen Werten haben Sie Großes erreicht. Ich danke Deutschland für seinen Beitrag zur Stärkung des Staates Israel. Wir unterhalten umfassende Beziehungen im wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Bereich. Die Bundesrepublik ist unser wichtigster Handelspartner.
Auf internationaler Ebene ist Deutschland ein echter Freund Israels. Unsere Beziehungen basieren auf dem Glauben an gemeinsame Werte, auf gemeinsamen Interessen und auf den Schatten der Vergangenheit.
Schon mit der Gründung des Staates Israel mussten wir den Versuchen der arabischen Welt uns zu vernichten, entgegentreten. Seit der Staatsgründung haben wir rund eine Million Shoa-Überlebende aus Europa integriert, Millionen von Juden aus islamischen Ländern und aus der kommunistischen Welt. Wir haben sie alle aufgenommen, ihnen Unterkunft, Erziehung, Gesundheits- und soziale Fürsorge gewährleistet.
Wir haben vieles erreicht. Israel gehört zu den führenden Ländern der Welt in der wissenschaftlichen Forschung, auf dem Gebiet des Hi-Tech und in vielen weiteren Bereichen, obwohl wir seit der Staatsgründung Kriege, Terroranschläge und Blutvergießen erlebten.
In den vergangenen zwölf Jahren hat der Staat Israel mit einer historischen Entscheidung seine Haltung den Palästinensern gegenüber verändert. Dieser Kurswechsel begann mit den 1993 abgeschlossenen Osloer Verträgen, wurde durch die Annahme der Road Map vor zwei Jahren weitergeführt, durch die Israel seine Bereitschaft verkündete, die Gründung eines palästinensischen Staates zu unterstützen und reicht bis zum gegenwärtigen Abkopplungsplan, dessen Kern die Räumung der jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen ist - aber wir Israelis durften dabei nie einen einzigen Tag der Ruhe genießen.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen nicht die Israelis und die Palästinenser. Der echte Kampf findet zwischen den positiven, konstruktiven, überlegten palästinensischen Kräften und den negativen, zerstörerischen, fanatischen palästinensischen Gruppen statt.
Leider hängt das Schicksal des israelisch-palästinensichen Konfliktes nicht von politischen Prozessen ab, sondern davon, wer in der Auseinandersetzung zwischen den palästinensischen Kräften die Oberhand gewinnt. Wenn die rationalen Kräfte gewinnen, können wir zu einem Frieden und zu einer Aussöhnung gelangen.
Wenn die extremistischen Kräfte gewinnen, herrscht einer echte Gefahr der Eskalation.
Wir werden auf unseren Straßen, in unseren Cafes, unseren Restaurants, Diskotheken und an Autobushaltestellen kein Blutvergießen mehr dulden. Wir werden unter allen Umständen das Recht unserer Bürger verteidigen, ohne Furcht vor dem Terror zu leben.
Unsere Beziehungen mit den Palästinensern befinden sich auf dem tiefsten Punkt seit 1967, obwohl die politische Kluft zwischen der israelischen Haltung und der der Palästinensischen Behörde seit 1967 nie so klein war.
Versöhnung und Frieden mit den Palästinensern ist in Reichweite - man darf sie nicht auf das nächste Jahrzehnt oder gar die nächste Generation hinauszögern. Wir erleben eine historische, goldene Gelegenheit, die wir nicht versäumen dürfen.
Die freie Welt kann ihren Teil dazu beitragen, den israelisch-palästinensischen Konflikt beizulegen, indem sie ihren Einfluss geltend macht und ihr ganzes Gewicht darauf verlegt, von der Palästinensischen Behörde zu verlangen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, den palästinensischen Terror unverzüglich einzustellen.
Angesichts der Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, sind wir gezwungen, Sicherheitmaßnahmen zu ergreifen, die manchmal in der Weltöffentlichkeit auf Ungeduld und Unverständnis stoßen. Wir befinden uns allerdings in einem uns aufgezwungenen, ständigen Krieg gegen den Terrorismus.
Wir sehnen den Tag herbei, an dem wir Ressourcen freisetzen können, um Lösungen für die echten Probleme der Menschheit zu suchen - zum Beispiel die Armut, bisher unheilbare Krankheiten oder ökologische Katastrophen - anstatt den Terrorismus zu bekämpfen.
Es gibt noch immer muslimische Staaten und Organisationen, die zur Vernichtung des Staates Israel aufrufen.
Es ist eine große Bedrohung für Israel und die Stabilität in der Welt, wenn totalitäre Staaten, die die Terrororganisationen der Welt unterstützen, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommen. Das Zusammenspiel von Totalitarismus, Terrorismus und Atomwaffen ist eine echte Gefahr für die ganze Welt. Der Iran braucht keine Atomwaffen - der Iran besitzt keine Feinde, die seine Existenz bedrohen.
Ich wurde im Iran geboren - ich schätze die iranische Kultur und Geschichte, mein Bruder und mein Großvater sind im Iran begraben. Meine Familie hat mehr als 100 Generationen im Iran verbracht, nachdem wir aus Jerusalem vertrieben wurden. Israel steht in keinem Interessenkonflikt mit dem Iran. Wir haben keine gemeinsamen Grenzen. Der Iran hat sich jedoch zum entschiedensten Feind Israels erklärt und unterstützt den Terrorismus im Nahen Osten.
Atomwaffen für den Iran bedeuten eine direkte Bedrohung für den Staat Israel und den Nahen Osten - aber auch für die Staaten Europas.
Nur eine gemeinsame und entschiedene Haltung der Völkerfamilie kann die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen aufhalten und somit die Bedrohung der Stabilität und des Friedens in der Welt.
Sehr verehrte Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats, zum Abschluss möchte ich die Bundesrepublik Deutschland dazu aufrufen, mit uns gemeinsam die Grundlage für unsere Beziehungen in den kommenden 40 Jahren aufzubauen, um eine Botschaft in die Welt zu tragen, um eine bessere Welt zu schaffen, um gemeinsam die Lehren aus der furchtbaren Vergangenheit zu ziehen und sie an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Ich danke Ihnen, verehrte Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats, für die Einladung, anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland, die von der Knesset am 16. März 1965 beschlossen wurde, vor Ihnen zu sprechen.
Zwei begnadete Visionäre, Ministerpräsident David Ben Gurion und Bundeskanzler Konrad Adenauer haben die historische Aufnahme der Beziehungen ermöglicht, trotz der seelischen und politischen Aufruhren, die sie heraufbeschwor.
Die junge Generation in Deutschland hat gegen Ende der Sechziger Jahre ebenfalls zur Aufnahme der Beziehungen beigetragen, als sie verlangte, das Schweigen zu durchbrechen und zu erfahren, was in den furchtbaren Jahren tatsächlich vorgefallen war.
Die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel basieren auf einem von Deutschland im Zweiten Weltkrieg ausgelösten weltweiten Erdbeben. Unsere beiden Völker haben völlig unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus gezogen, sie führen jedoch zu einer gemeinsamen Herausforderung - die Lehre der Shoa an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Die Shoa ist ein gestaltendes Ereignis in der Geschichte des jüdischen und des deutschen Volkes. Sie überschreitet die Grenzen von Zeit und Raum, von Interessen und von Wirklichkeit, von Anschauungen und Meinungen.
Das Trauma der Shoa wird das jüdische Volk bis in alle Ewigkeit begleiten.
Für die Shoa kann es weder Vergeben noch Verzeihen geben. Zahlreich sind die Angehörigen des jüdischen Volkes, die die von den Nazis tätowierten Zahlen noch auf ihrem Arm tragen. Die seelischen Narben sind auch in der zweiten und dritten Generation noch spürbar. Die Familien der Opfer und Überlebenden der Shoa trauern und weinen bis zum heutigen Tag. Das jüdische Volk fühlt weiterhin den Schmerz und das Leid.
Die Shoa wird immer den Anfangs- und den Schlusspunkt bilden. Sie ist das schwarze Loch, in dem ein Großteil der Lichtstrahlen verschwindet.
Hier, in diesem Gebäude, begann die Tragödie, die zur systematischen Ausrottung des jüdischen Volkes führte. Hier in Berlin wurden die Entscheidungen gefällt, die zur größten Tragödie der Menschheit führten. Von hier nahm das Abscheu erregende Programm der "Endlösung der Judenfrage" seinen Lauf.
Ich, der Präsident des Staates Israel, stehe hier heute im Namen des jüdischen Volkes und beweine die Ermordung meines Volkes und sage: Nie wieder!
Wir, die Generation der Nachkriegszeit, haben die Aufgabe, gemeinsam die Lehren aus der Shoa zu ziehen und sie an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Wir, das jüdische Volk, glaubten, dass nach den Greueltaten der Nazis die Welt den Antisemitismus nie mehr dulden würde. Wir glaubten, der Antisemitismus bilde eine Erscheinung die der Geschichte angehört, der alten Welt, dem alten Europa.
Wir werden heute Zeugen einer Welle des wiederauflebenden Antisemitismus, wie wir sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gekannt haben, einer Welle, begleitet von aggressiver Hetzpropaganda.
Die Antisemiten nutzen die moderne Technologie, die Massenmedien, die Globalisierung und die Demokratie dazu aus, um die Thesen des Antisemitismus in nie dagewesener Stärke und Form zu verbreiten.
Der Antisemitismus ist nicht nur eine Tragödie für das jüdische Volk, sondern auch eine moralische und historische Niederlage für die Menschheit, die Niederlage der Führer der Welt, die Niederlage der freien Welt.
Wir möchten den Regierungen Europas unsere Wertschätzung ausdrücken, unter anderem der Bundesregierung, die mit entschiedenen Schritten gegen die Welle des Antisemitismus vorgehen - diese Maßnahmen reichen jedoch nicht aus. Unerlässlich sind Gesetzgebung und -ausführung, Erziehung und Aufklärung der Öffentlichkeit.
Leider fördern radikale islamistische Kräfte in Europa im Verbund mit rechtsextremen und linksextremen Kräften den Antisemitismus und den Antizionismus.
Der radikale, extremistische Islam bildet eine große Gefahr, die meisten Muslime Europas sind jedoch friedensliebende, moralische Bürger.
Im Sinne des Humanismus warnen wir vor einer antimuslimischen Welle. Wir, die Opfer der Verfolgung der in Vergangenheit, strecken unsere Hand aus.
Ich rufe die gemäßigten Muslime Europas und ihre Führer auf, gemeinsam auf eine freie, bessere Welt hinzuarbeiten und Toleranz und Verständigung zu verbreiten.
Wir pflegen mit einigen muslimischen Staaten gute Beziehungen.
Die wachsende Legitimation neonazistischer Kräfte und ihre zunehmende Verankerung in der deutschen Öffentlichkeit bereiten uns Sorgen.
Es besteht die Gefahr, dass das Anwachsen des Neonazismus das Ende des Nachkriegszeitalters verschiebt und die Entfernung vom Krieg verhindert.
Man muss jeden Ausdruck der neonazistischen Lehren schon in den Anfangsstadien bekämpfen, bevor sie sich ausbreiten und einnisten können.
Seien wir auf der Hut - lassen wir uns nicht überraschen, wenn die Terrororganisationen die Neonazis für die Ausführung von Terroranschlägen ausnutzen.
Ich schätze die absolute Ablehnung der Neonazis von Seiten der großen Mehrheit der Deutschen.
Ich schätze die beeindruckende Zahl der Deutschen, die vor dem Brandenburger Tor gegen die Neonazis demonstrierten.
Die deutsche Demokratie ist widerstandsfähig und wird Wege finden, gegen dieses Problem anzugehen.
Wir haben das moralische Recht von Deutschland zu verlangen, keinerlei neonazistische Philosophie in Deutschland Fuß fassen zu lassen.
Die Bundesrepublik ist es sich selbst schuldig, den Opfern der Shoa und dem jüdischen Volk, ihren eigenen Idealen und den Werten, nach denen die junge Generation erzogen und geformt wird. Die junge Generation muss davor bewahrt werden, von Hasspropaganda und Indoktrinierung verführt zu werden. Wie furchtbar wäre es, wenn diese Generation die Taten der Nazis als unterhaltenden Horrorfilm ansähe. Die Lehre der Shoa bildet die Möglichkeit, universelle Werte zu vermitteln. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie undemokratische Kräfte die demokratischen Einrichtungen ausnutzten, um an die Macht zu gelangen.
Die menschliche Naivität unterliegt im Kampf gegen die Demagogie und die Böswilligkeit. Es besteht die Gefahr, dass das Böse, die Abartigkeit und negative Kräfte den Glauben und die menschlichen Werte bezwingen. Die Demokratien verfügen nicht automatisch über genügende Abwehrkräfte gegen das Böse und die Tyrannei.
Mit dem Regime, das in den zwölf Jahren seines Bestehens die Welt in Schrecken versetzte, legte sich auch über Deutschland ein schwerer historischer Schatten, der zu einem Teil der deutschen Geschichte wurde.
Niemand darf die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit scheuen.
Diese Beschäftigung hat nicht das Ziel, Wunden wieder aufzureissen oder Beschuldigungen auszusprechen, sondern Lehren zu ziehen, um auf die nächsten Generationen anhand menschlicher Werte prägend einzuwirken.
Der 8. Mai 1945, der Tag der Befreiung, ist ein Freudentag für die Menschheit und auch für Deutschland. Nur auf diese Art und Weise kann man die Seele der Jugend stärken. Wir müssen den nächsten Generationen ganz klar verkünden, dass die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg für die Welt, für die Menschheit, für die universellen Werte, einen wichtigen Sieg darstellte - ein wichtiges Ereignis und eine wichtige Entwicklung in der deutschen Geschichte.
Verstehen Sie meine Worte nicht als die eines Moralpredigers - sie fügen sich in unseren Dialog ein. Wir stehen vor einer gemeinsamen Herausforderung.
Israel und Deutschland haben sich das Ziel gesetzt, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen, um den Herausforderungen die uns bevorstehen gerecht zu werden.
Zwischen unseren beiden Staaten herrscht eine politische Nähe, sorgen wir dafür, dass sie in gemeinsamen Werten, gemeinsamen Überzeugungen und gemeinsamen Wegen ihren Ausdruck findet.
Die furchtbare Shoa hat im 20. Jahrhundert stattgefunden, im Herzen Europas, in einem der fortschrittlichsten Länder der damaligen Zeit, einem Land, in dem die besten Musiker, Denker, Wissenschaftler und Forscher lebten. Keiner von uns weiss, was die Zukunft für ihn bereit hält, wie die Winde des Schicksals für ihn wehen, was sich in einem Jahrzehnt oder einer Generation ergeben wird - es ist unsere Aufgabe für die nächsten Generationen ein festes Fundament von Werten aufzubauen.
Verwandeln wir das Trauma der Vergangenheit in eine Hoffnung für die Zukunft, unsere besondere Beziehung in eine Brücke für die Freundschaft unter den Völkern, einen Anker gegen den Totalitarismus und für menschliche Werte - als Botschaft für Menschlichkeit gegen Rassismus und Antisemitismus.
Deutschland kann mit Stolz auf seine Errungenschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zurückblicken. Die Bundesrepublik ist zu einem integralen und wichtigen Bestandteil der internationalen Völkerfamilie geworden. Dank Ihrer Verbundenheit mit menschlichen Werten haben Sie Großes erreicht. Ich danke Deutschland für seinen Beitrag zur Stärkung des Staates Israel. Wir unterhalten umfassende Beziehungen im wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Bereich. Die Bundesrepublik ist unser wichtigster Handelspartner.
Auf internationaler Ebene ist Deutschland ein echter Freund Israels. Unsere Beziehungen basieren auf dem Glauben an gemeinsame Werte, auf gemeinsamen Interessen und auf den Schatten der Vergangenheit.
Schon mit der Gründung des Staates Israel mussten wir den Versuchen der arabischen Welt uns zu vernichten, entgegentreten. Seit der Staatsgründung haben wir rund eine Million Shoa-Überlebende aus Europa integriert, Millionen von Juden aus islamischen Ländern und aus der kommunistischen Welt. Wir haben sie alle aufgenommen, ihnen Unterkunft, Erziehung, Gesundheits- und soziale Fürsorge gewährleistet.
Wir haben vieles erreicht. Israel gehört zu den führenden Ländern der Welt in der wissenschaftlichen Forschung, auf dem Gebiet des Hi-Tech und in vielen weiteren Bereichen, obwohl wir seit der Staatsgründung Kriege, Terroranschläge und Blutvergießen erlebten.
In den vergangenen zwölf Jahren hat der Staat Israel mit einer historischen Entscheidung seine Haltung den Palästinensern gegenüber verändert. Dieser Kurswechsel begann mit den 1993 abgeschlossenen Osloer Verträgen, wurde durch die Annahme der Road Map vor zwei Jahren weitergeführt, durch die Israel seine Bereitschaft verkündete, die Gründung eines palästinensischen Staates zu unterstützen und reicht bis zum gegenwärtigen Abkopplungsplan, dessen Kern die Räumung der jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen ist - aber wir Israelis durften dabei nie einen einzigen Tag der Ruhe genießen.
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen nicht die Israelis und die Palästinenser. Der echte Kampf findet zwischen den positiven, konstruktiven, überlegten palästinensischen Kräften und den negativen, zerstörerischen, fanatischen palästinensischen Gruppen statt.
Leider hängt das Schicksal des israelisch-palästinensichen Konfliktes nicht von politischen Prozessen ab, sondern davon, wer in der Auseinandersetzung zwischen den palästinensischen Kräften die Oberhand gewinnt. Wenn die rationalen Kräfte gewinnen, können wir zu einem Frieden und zu einer Aussöhnung gelangen.
Wenn die extremistischen Kräfte gewinnen, herrscht einer echte Gefahr der Eskalation.
Wir werden auf unseren Straßen, in unseren Cafes, unseren Restaurants, Diskotheken und an Autobushaltestellen kein Blutvergießen mehr dulden. Wir werden unter allen Umständen das Recht unserer Bürger verteidigen, ohne Furcht vor dem Terror zu leben.
Unsere Beziehungen mit den Palästinensern befinden sich auf dem tiefsten Punkt seit 1967, obwohl die politische Kluft zwischen der israelischen Haltung und der der Palästinensischen Behörde seit 1967 nie so klein war.
Versöhnung und Frieden mit den Palästinensern ist in Reichweite - man darf sie nicht auf das nächste Jahrzehnt oder gar die nächste Generation hinauszögern. Wir erleben eine historische, goldene Gelegenheit, die wir nicht versäumen dürfen.
Die freie Welt kann ihren Teil dazu beitragen, den israelisch-palästinensischen Konflikt beizulegen, indem sie ihren Einfluss geltend macht und ihr ganzes Gewicht darauf verlegt, von der Palästinensischen Behörde zu verlangen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, den palästinensischen Terror unverzüglich einzustellen.
Angesichts der Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind, sind wir gezwungen, Sicherheitmaßnahmen zu ergreifen, die manchmal in der Weltöffentlichkeit auf Ungeduld und Unverständnis stoßen. Wir befinden uns allerdings in einem uns aufgezwungenen, ständigen Krieg gegen den Terrorismus.
Wir sehnen den Tag herbei, an dem wir Ressourcen freisetzen können, um Lösungen für die echten Probleme der Menschheit zu suchen - zum Beispiel die Armut, bisher unheilbare Krankheiten oder ökologische Katastrophen - anstatt den Terrorismus zu bekämpfen.
Es gibt noch immer muslimische Staaten und Organisationen, die zur Vernichtung des Staates Israel aufrufen.
Es ist eine große Bedrohung für Israel und die Stabilität in der Welt, wenn totalitäre Staaten, die die Terrororganisationen der Welt unterstützen, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommen. Das Zusammenspiel von Totalitarismus, Terrorismus und Atomwaffen ist eine echte Gefahr für die ganze Welt. Der Iran braucht keine Atomwaffen - der Iran besitzt keine Feinde, die seine Existenz bedrohen.
Ich wurde im Iran geboren - ich schätze die iranische Kultur und Geschichte, mein Bruder und mein Großvater sind im Iran begraben. Meine Familie hat mehr als 100 Generationen im Iran verbracht, nachdem wir aus Jerusalem vertrieben wurden. Israel steht in keinem Interessenkonflikt mit dem Iran. Wir haben keine gemeinsamen Grenzen. Der Iran hat sich jedoch zum entschiedensten Feind Israels erklärt und unterstützt den Terrorismus im Nahen Osten.
Atomwaffen für den Iran bedeuten eine direkte Bedrohung für den Staat Israel und den Nahen Osten - aber auch für die Staaten Europas.
Nur eine gemeinsame und entschiedene Haltung der Völkerfamilie kann die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen aufhalten und somit die Bedrohung der Stabilität und des Friedens in der Welt.
Sehr verehrte Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats, zum Abschluss möchte ich die Bundesrepublik Deutschland dazu aufrufen, mit uns gemeinsam die Grundlage für unsere Beziehungen in den kommenden 40 Jahren aufzubauen, um eine Botschaft in die Welt zu tragen, um eine bessere Welt zu schaffen, um gemeinsam die Lehren aus der furchtbaren Vergangenheit zu ziehen und sie an die nächsten Generationen weiterzugeben.
Quelle:
http://www.bundestag.de/geschichte/gastredner/katsav/rede_katsav/