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Ein kurzer, aber heftiger Wahlkampf ist vorüber. Im Ringen um das Vertrauen der Menschen setzten die Parteien auch neue Instrumente ein. Weblogs und Internet-Chats ergänzten mittlerweile etablierte Mittel wie die minutiös inszenierten Wahlparteitage oder die Wortgefechte der Parteispitzen im TV. Blickpunkt Bundestag lud die Fraktionen des noch amtierenden Bundestages zur Wahlkampfnachlese ein: Nimmt die Inszenierung nach amerikanischem Vorbild zu oder war diesmal mehr Sachlichkeit Trumpf?
Experten wie Professor Josef Klein aus Mainz beantworten diese Frage differenziert. Der Sprachwissenschaftler, der die deutschen Wahlkämpfe seit Jahren beobachtet, hält Theatralisierung und Sachlichkeit für die beiden Pole des Verhaltens der Parteien im Wahlkampf. Viele ihrer Instrumente enthielten eine Mischung dieser beiden Elemente.
Typisch für Theatralisierung oder Inszenierung sind nach seiner Meinung die Wahlparteitage, die immer mehr nach amerikanischem Muster ablaufen – vom musikalisch begleiteten Einzug des Spitzenkandidaten über den mit hoch gehaltenen Pappschildern inszenierten Jubel der Anhänger bis hin zu dem mit der Stoppuhr gemessenen Applaus.
Wo bleibt die Sachlichkeit? „Die braucht andere Orte als Parteitage“, erläutert Klein. Sachlichkeit im wissenschaftlichen Sinne gebe es in Wahlkämpfen ohnehin nicht. Schließlich werde die Auseinandersetzung vielfach um Zahlen geführt, um die der Arbeitslosen, um die Steuerpolitik, das Plus oder Minus bei den Renten. Hierbei lasse sich eine politische Position nur vertreten, wenn über komplizierte und relativ trockene Sachverhalte geredet werde. Diese würden aber notwendigerweise vereinfacht, vor allem im Fernsehen wegen der knappen Sendezeit. So werde oft nur die halbe Wahrheit mitgeteilt, nämlich die Ausschnitte, die für die eigene Partei günstig sind. Glatt gelogen werde dagegen selten, meint der Wissenschaftler.
Aber fragwürdige Attacken gibt es ab und zu – mit Plakaten, TV-Spots und anderen Werbemitteln. Als Beispiel nannte der Deutsche Werberat Kondome mit der Empfehlung „Guido verhüten“, die die Grünen verteilt hätten. Die SPD behandelte in einem Werbespot ausführlich den Brutto-Netto-Patzer von Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Und die CDU nutzte eine Plakatserie, um Rot-Grün die Verantwortung für die Staatsschulden und für sämtliche fünf Millionen Arbeitslose zuzuschieben.
Volker Nickel, Sprecher des Kontrollorgans der Werbewirtschaft, betonte im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, solche aggressiven Reklamezüge der Parteien hielten den für die Wirtschaft geltenden Werbevorschriften oft nicht stand. Bei kommerzieller Werbung verbiete das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb beispielsweise, Konkurrenten zu diffamieren.
Für die meisten Bürger fand der Wahlkampf vor dem heimischen Fernsehgerät statt. Praktisch jeden Abend bot einer der großen Sender einen Beitrag zur Wahl an. Der absolute Hit war das so genannte Duell der beiden Spitzenkandidaten. Es fand 21 Millionen Zuschauer, sechs Millionen mehr als das von ARD und ZDF vor drei Jahren gesendete Duell. Einige Wahlforscher meinen, das Duell vom 4. September 2005 habe einen Umschwung zugunsten des Kanzlers ausgelöst. So heißt es in einer Wahlanalyse der Konrad-Adenauer-Stiftung, Gerhard Schröder seien die TV-Duelle 2002 wie auch 2005 bei der Mobilisierung seiner Anhänger zugute gekommen.
Aber nicht nur das Duell-Spektakel, auch die Sendungen mit Sachinformationen kamen gut an. Solche Beiträge hatten nach ARD-Angaben mehr Zuschauer als beispielsweise die Porträts der Spitzenkandidaten. ARD-Medienreferent Camille Zubayr erklärt dieses höhere Interesse an Sachinformation mit der hohen Zahl der Unentschiedenen noch kurz vor der Wahl. Diese hätten in den Wahlsendungen nach Argumenten gesucht.
Nach Argumenten suchten vor allem Jüngere auch im Internet, das – wie der Koblenzer Sprachwissenschaftler Hajo Diekmannshenke auf einer Tagung über „Sprache und Politik“ berichtete – spätestens im Wahlkampf des Jahres 2002 von Parteien als Kommunikationsinstrument entdeckt worden war. Zwar gab es schon früher erste Ansätze der Nutzung des Internets für die politische Kommunikation. So gründete die SPD schon Mitte der 90er Jahre ihren ersten „virtuellen Ortsverein“, doch wurde das Internet als Wahlkampfplattform im Vergleich zu den USA oder Großbritannien vergleichsweise spät systematisch genutzt.
Bereits 2002 und stärker noch in diesem Wahlkampf traten neben Parteiprogramme und Informationsmaterialien zum Ausdrucken oder Herunterladen auch internetspezifische Angebote. Diese umfassten E-Cards, Multimediaangebote oder spezielle Kampagnen-Websites, auf denen die Aussagen des politischen Gegners aufgegriffen – und angegriffen – wurden. „Negative Campaigning“ nennt sich die neue Wahlkampfdisziplin.
Viele Bundestagskandidaten boten den Wahlberechtigten in Internetgesprächen, den Chats, Entscheidungshilfe. Erstmals wurden 2005 auch in Deutschland Weblogs, kurz Blogs, als Wahlkampfinstrument eingesetzt. Dabei handelt es sich um einfach zu erstellende Seiten im weltweiten Netz, die chronologisch sortierte Einträge enthalten, die kommentiert und verlinkt werden. Allerdings ist das Echo bei vielen Wahlblogs noch gering. Carsten Kluth vom Berliner „Blogkonzept“ schätzt die Zahl der reinen Wahlblogs in Deutschland auf weit über 100. Einige sind von den Parteien eingerichtet, andere werden von Unterstützern geführt.
Eines der beliebtesten Instrumente im Netz war der Wahl-O-Mat. Mehr als fünf Millionen testeten in den drei Wochen vor der Wahl ihre Entscheidung. Mit Rücksicht auf die Nachwahl in Dresden blieb der Wahl-O-Mat weiter online. Anhand von 30 politischen Thesen konnten die Nutzer feststellen, welche Partei ihren eigenen Ansichten am besten entsprach. Außerdem konnten sie über Links zusätzliche Informationen zu den Themen abrufen.
Dieses Instrument, das die Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt hatte, war vor allem deshalb so erfolgreich, weil eine überparteiliche Institution dahinter stand. Auch der Run auf die Webseite der Bundeszentrale belegt das. Während vor dem Wahlkampf zuletzt monatlich etwa sechs Millionen Zugriffe registriert wurden, schnellte diese Zahl im September, und zwar allein in den knapp drei Wochen bis zum Wahltag, auf 13 Millionen hoch.
Das Interesse der Wahlberechtigten an Antworten auf ihre politischen Fragen war also riesengroß. Dennoch haben alle großen Parteien im Wahlkampf gegenüber 2002 ihre Ausgaben gekürzt. Nicht nur wegen der kurzen Vorbereitungszeit, sondern auch schlicht aus Geldmangel gaben sie mit insgesamt etwas mehr als 65 Millionen Euro bundesweit deutlich weniger aus als vor drei Jahren.
Text: Klaus Lantermann
Fotos: Picture-Alliance
Erschienen am 30. September 2005
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