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August 07/1999
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Von den Müttern des Grundgesetzes zu den Töchtern der Emanzipation

FRAUEN(POLITIK) IM DEUTSCHEN BUNDESTAG SEIT 1949 VON KATJA LEYRER

Parlamentarischer Rat
Die vier weiblichen Mitglieder des Parlamentarischen Rates (von links nach rechts): Helene Wessel, Helene Weber, Frieda Nadig und Elisabeth Selbert

Am Anfang war vor allem Elisabeth Selbert aus Kassel. Die Rechtsanwältin und Notarin gehörte dem Parlamentarischen Rat an – genau vier Frauen zählte das erlauchte Gremium aus immerhin 65 Mitgliedern plus fünf Berliner Abgesandten. Dass die Gleichberechtigung von Frauen im Grundgesetz verankert wurde, ist insbesondere Frau Selbert und ihren Mitstreiterinnen zu verdanken, denn alle Fraktionen hatten sich in den ersten Beratungsrunden vehement dagegen gewandt.

Nach der ersten Bundestagswahl 1949 saßen genau 31 Frauen neben 378 Männern im Bundestag. Das waren 6,8 Prozent der Abgeordneten. Und die Zeichen waren keineswegs auf Gleichberechtigung gestellt, auch wenn das aktive und passive Wahlrecht für Frauen im Deutschen Reich bereits 1919 verkündet worden war. Familien­ und frauenpolitisch schienen die Parlamentarier der fünfziger Jahre in ihrer allergrößten Mehrheit weit hinter dem öffentlichen Diskussionsstand und Willen der Wählerinnen und Wähler hinterherzuhinken.

Die spätere Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm­Brücher, erinnerte sich beispielsweise an "den wirklich bösen Anti­Frauen­Geist" Franz­Josef Wuermeling, der in den fünfziger Jahren mit Erfolg die so genannte Zölibatsklausel für weibliche Beamte aufrechterhielt – Heirat war für Frauen in der Beamtenlaufbahn ein Entlassungsgrund.

Zwar wird aus heutiger Sicht mit Recht darauf verwiesen, dass Frauenpolitik nicht gleichbedeutend sei mit Familienpolitik – doch in den Anfängen des Deutschen Bundestages war diese Trennung erst zu vollziehen. Infolge des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz musste eine Familienrechtsreform erstritten werden, und auch in diesem Falle erwiesen sich die Parlamentarier als im wahrsten Sinne päpstlicher als der Papst.

Über Jahre zogen sich die Quereleien hin, denn vor allem die beiden großen christlichen Kirchen äußerten starke Einwände. Knackpunkt des umstrittenen Familiengesetzes, dessen Entwurf bereits 1952 fertig gestellt war, das aber erst 1957 endgültig abgestimmt wurde, war die Abschaffung des "eheherrlichen Entscheidungsrechtes", übersetzt: das alleinige Entscheidungsrecht des Ehemannes. Erst 1959 kam es mit seinen letzten Auswüchsen zu Fall, nachdem Frauenverbände einen Musterprozess vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hatten. Kinder der fünfziger Jahre werden sich erinnern, dass es der Vater war, der die Zeugnisse und Klassenarbeiten unterschreiben musste; und Ehefrauen aus dieser Zeit wissen, dass ihre Unterschrift auf einem Kaufvertrag keine Gültigkeit hatte, ehe der Gatte nicht sein Einverständnis bestätigte.

Im Vergleich dazu hat die heutige Gesetzgebung und auch die Realität von Frauenrechten viel von ihrem Muff verloren. Die Diskussionen bewegen sich (meist) auf einem höheren Niveau, und es gilt als selbstverständlich, dass Mädchen genau wie Jungen ein Recht auf Ausbildung haben, allein erziehende Mütter werden nicht mehr gemaßregelt, und die "Frau Minister" ist nicht unbedingt Gattin des Ministers, sondern eventuell selbst Ministerin in Amt und Würden. 1990 lag der Frauenanteil in Spitzenpositionen von Bundestag und Bundesregierung bei 15 Prozent. Das ist nicht viel, weist aber auf einen beinahe stetigen – langsamen – Anstieg seit Ende der sechziger Jahre hin. Bis dahin waren nämlich nur zwei bis sechs Prozent Frauen "an der Macht". Erstmals wurde 1972 mit Annemarie Renger eine Frau Präsidentin des Deutschen Bundestages. Und Mitte der achtziger Jahre verkündete gar ein amtierender Familienminister den "Abschied von der Männergesellschaft". Doch Heiner Geißlers neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau ist weder in der gesellschaftlichen Praxis noch in der Realität des Bundestages die Norm.

Die Wählerin ist daran nicht ganz unbeteiligt. Studien weisen darauf hin, dass die Wahlbeteiligung von Frauen stetig geringer wird und sie in ihrer Mehrzahl keineswegs "frauenpolitisch fortschrittlich" wählen. Ob das der allgemein beschworenen Politikverdrossenheit anzuhängen ist oder ein geschlechtstypisches Merkmal darstellt, darüber streiten sich weibliche und männliche Geister und Professoren. Fest steht allerdings, dass im neuen Bundestag der 14. Wahlperiode erstmals die 30­Prozent­Hürde überschritten wurde, was die Anzahl der weiblichen Abgeordneten betrifft. Damit steht das Parlament in einer weltweit recht hervorragenden Position – nur ein paar mehr Ministerinnen stünden der Regierung noch gut zu Gesicht, ehe sie den Emanzipationspreis erhalten kann. Übrigens verdankt der Bundestag diesen Wandel vor allem den Grünen und der PDS, deren Fraktionen beide einen überquotierten Frauenanteil aufweisen (57,4 und 58,3 Prozent), aber auch bei der SPD sind es immerhin 35,2 Prozent. F.D.P. (20,9 Prozent) und CDU (18,4 Prozent) fallen dahinter weit zurück.

Die durchschnittliche Bundestagsabgeordnete ist übrigens 47,7 Jahre alt und damit ein gutes Jahr jünger als ihr männlicher Durchschnittskollege.

Wie viele Frauenrechtlerinnen unter den derzeit 207 Parlamentarierinnen sind, erfasst die Statistik nicht. Eine von ihnen, die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth – übrigens die erste Frauenministerin der Bundesregierung – zählt mit Sicherheit zu ihnen. "Die Frauen in der Politik müssten erreichen, dass sich die gängigen Kommunikationsrituale der Plenardebatten ändern", forderte sie 1998. Und da stimmen ihr sicherlich auch nicht wenige Männer zu.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9907/9907018
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