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Dezember 12/1999
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"Ich bin das Ohr für viele Sorgen"

Sie ist zierlich, klein und die einzige Frau unter den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführern. Aber wenn es um die Sache geht, steht Kristin Heyne von Bündnis 90/Die Grünen durchaus ihren Mann, ist kompetent und durchsetzungsstark. Blickpunkt Bundestag sprach mit ihr im Rahmen der Interview­Reihe mit den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführern der fünf Bundestagsfraktionen im Deutschen Bundestag.

Kristin Heyne, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Kristin Heyne, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Blickpunkt Bundestag: Die Grünen als Regierungsfraktion in Berlin ­ müssen Sie sich manchmal noch in den Arm kneifen, um zu wissen: Ich träume nicht?

Heyne: Manchmal schon. Der Übergang von der Opposition zur Regierungsfraktion war gar nicht so einfach zu handhaben. Hinzu kam als zweiter großer Schritt der Umzug nach Berlin. Manche Rede im Plenum und manche Antragsformulierung klang mehr nach heftiger Opposition als nach Regierungsfraktion.

Ist es überhaupt ein Traum für eine ursprüngliche Protest­ und Basispartei, zu regieren?

Unsere Wähler und Parteimitglieder sehen dies durchaus differenziert. Diejenigen, die uns wegen unserer kompromisslosen Kritik geliebt und gewählt haben, sind jetzt ein wenig enttäuscht, weil Regieren nun einmal mit Kompromissen verbunden ist. Insofern war und ist für meine Partei der Weg von der Oppositions­ in die Regierungspolitik schon ein riskanter Übergang. Aber man kann diesen Weg nicht halb gehen. Deshalb bemühen wir uns durch eine verlässliche und gute Politik um zusätzliche Wählergruppen.

Als kleinerer Koalitionspartner haben sich die Grünen in wichtigen Fragen gegenüber der großen SPD nicht oder wenig durchsetzen können. Wie hoch liegt die Frust­Schwelle der Grünen?

Ich finde, dass wir uns angesichts des Wahlergebnisses ­ wir haben eine 6, die SPD aber eine 40 vor dem Komma ­ nicht zu verstecken brauchen. Wir haben eine ganze Menge in Gang gesetzt. Und auch bei der Atompolitik werden wir Erfolg haben.

Grundlage der rot­grünen Zusammenarbeit ist der Koalitionsvertrag. Der ist indes für Kanzler Schröder, wie er sagt, "keine Bibel", sondern dehn­ und auslegbar. Stimmen Sie dem zu?

Nein, der Koalitionsvertrag muss gelten, muss die Basis des gemeinsamen Regierungshandelns sein. Wenn etwas zu verändern ist ­ und das kommt natürlich vor im Laufe der Zeit -, müssen wir es gemeinsam und im Einvernehmen tun.

Wie würden Sie nach einem Jahr die Zusammenarbeit in der Koalition charakterisieren?

Wir mussten uns aneinander gewöhnen, mussten über schmerzhafte Wahlerfahrungen lernen, dass der Erfolg nur ein gemeinsamer ist. In der Opposition kann jeder für sich kämpfen, in der Regierung geht das nur gemeinsam. Diese Lektion ist, so hoffe ich, inzwischen bei allen angekommen.

Sie sind Parlamentarische Geschäftsführerin einer Fraktion, in der mehr als bei anderen Fraktionen Quoten eine Rolle spielen: Strömungs­, Frauen­, Ostquote. Erschwert dies Ihre Arbeit?

Bei der Personalauswahl ist es manchmal etwas schwieriger. Aber wir sind ja dabei, unsere Strukturen zu vereinfachen. In der Regierung muss man schnell handeln und mit einer Stimme sprechen können.

Die Grünen gelten als schwierige Truppe. Stimmt das?

Nein, ich finde, meine Fraktion steht gar nicht schlecht da. Das Problem einer Vielstimmigkeit lag nicht bei uns.

Wie schwer haben Sie es mit der Fraktionsdisziplin, also der Forderung nach Präsenz und Geschlossenheit?

Als kleinere Regierungsfraktion haben wir es natürlich schwer, bei allen Themen und in allen Gremien präsent zu sein. Das ist eine sehr große Belastung für alle Kolleginnen und Kollegen. Viele von ihnen müssen zwei Ausschüsse betreuen. Dann auch noch möglichst oft im Plenum zu sein, ist schwierig. Dennoch dränge ich darauf, denn Politik wird auch im Plenum gemacht. Dass man möglichst geschlossen für die eigene Politik votiert, gehört ­ oder sollte es zumindest ­ zu den parlamentarischen Selbstverständlichkeiten.

Wie stark stimmen Sie sich in Ihrer Arbeit mit der Bundespartei ab?

Das ist eine ziemlich enge Kooperation. Wir treffen uns in jeder Sitzungswoche. Und auch das Telefon bleibt nicht ungenutzt.

Welchen Stellenwert hat das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers in der grünen Bundestagsfraktion?

Es wird durchaus ernst genommen. Die Parlamentarische Geschäftsführung ist eine wichtige Service­Station in der Fraktion. Zudem bin ich das Ohr für viele Sorgen. Das fängt an beim Fahrdienst, geht über Tagesordnung und Redezeiten bis hin zur Klärung innerfraktioneller Konflikte.

Was sind für Sie die wichtigsten Fähigkeiten, über die ein Parlamentarischer Geschäftsführer verfügen sollte?

Er oder sie muss vor allem durchsetzungsfähig und entscheidungsfreudig sein. Aber auch zuhören und Probleme lösen können, gehört dazu.

Wie ist das Verhältnis der Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen untereinander? Gibt es so etwas wie einen "esprit de corps"?

Dadurch, dass man sehr ähnliche Aufgaben in den jeweiligen Fraktionen hat und sich die Probleme häufig gleichen, hat man viel Verständnis füreinander. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die klare Konkurrenz zwischen den Geschäftsführern der Regierungs­ und Oppositionsseite, die besonders bei Geschäftsordnungsdebatten deutlich wird.

Gibt es innerhalb der Koalition Vorabsprachen zwischen den Geschäftsführern von SPD und Grünen?

Ja, selbstverständlich. Manchmal geschieht dies auf verabredeten Sitzungen, manchmal auf schnellen Zuruf. Da besteht eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Als wie mächtig empfinden Sie Parlamentarische Geschäftsführer bei der Binnenarbeit des Bundestages?

Wir schaffen den Rahmen und die Abläufe, und das kann natürlich politisch durchaus sehr bedeutsam sein. Man sollte dies aber auch nicht zu hoch hängen: Der Rahmen muss stimmen, der Inhalt aber auch.

Einige Abgeordnete kritisieren, dass die Geschäftsführer zu viel reglementieren, dem Parlament und den Abgeordneten zu wenig Freiräume lassen. Ein berechtigter Einwand?

Ich denke, eher nein. Ich habe auch noch nicht viel Kritik gehört. Ich bin immer froh, wenn die Abgeordneten möglichst Vieles unter sich selbst regeln. Aber da, wo es nicht gut läuft, ist es meine Aufgabe einzugreifen.

In den großen Fraktionen gilt das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers als Sprungbrett für weitere Karrieren. Gilt dies auch für die Grünen?

Die Karriereplanung bei den Grünen ist wohl eher nicht vergleichbar mit der in anderen Fraktionen. Ich freue mich, dass ich gut in dieses Amt zu passen scheine. Was später kommt: Schauen wir mal.

Kristin Heyne

Kristin Heyne, geboren im Februar 1952 in Aumühle bei Hamburg, hat zwei Kinder. Nach dem Abitur studierte sie in Göttingen und Hamburg und legte ihr Staatsexamen für das Lehramt an Volks­ und Realschulen in den Fächern Mathematik und Theologie ab. Nach Tätigkeiten in der Krankenpflege und der Erwachsenenbildung war sie ab 1990 Lehrerin an einer Grundschule. 1989/90 war sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Kristin Heyne wurde 1994 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt und ist seit Oktober 1998 Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9912/9912052
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