Künftig wird Heinz Fischer des Morgens von seiner Etagenwohnung an der Josefstädter Straße nicht mehr bis zum klassizistischen Prunkbau des Parlaments am Ring spazieren, sondern etwa 100 Meter vorher nach links zur barocken Hofburg abbiegen. Dort wird man "Guten Morgen, Herr Präsident" zu ihm sagen und ihm den Mantel abnehmen. Sein Büro wird ein wenig größer sein, die Wände aber etwa gleich hoch, und er wird dieselben Mitarbeiter darin vorfinden - allen voran den unermüdlichen Bruno Aigner, einen stillen Herrn mit Schnauzbart, der seit Jahrzehnten bei seiner Partei als "Querdenker" angestellt ist und so gut wie ganz allein die Parteilinke der SPÖ darstellt. Sonst ändert sich nichts. Auch wenn die Welt um ihn her sich rapide verändert: Österreichs neuer Präsident ist seit seiner Jugend in denselben Wiener Gebäuden unterwegs, hat Generationen kommen und gehen sehen und kennt jeden, der dort arbeitet, von klein auf.
Beständigkeit und Ausgleich
Das neuerdings so turbulente Österreich hat sich am Sonntag für zwei seiner alten Tugenden entschieden: Beständigkeit und Ausgleich. Der Sozialdemokrat, seit 35 Jahren mit Ehefrau Margit verheiratet, verkörpert beide ideal. Dem Volke ist er vor allem als Parlamentspräsident in Erinnerung, ein Amt, das er stolze zwölf Jahre ausübte. Begonnen hat er seine Karriere mit 24 Jahren, gleich nach Promotion und Referendariat als Sekretär der SPÖ-Fraktion im Nationalrat; 20 Jahre später war er ihr Chef. Dabei ist er kein grauer Bürokrat: Auch politische Gegner, wie sein ÖVP-Nachfolger Andreas Khol, schätzten sein Format und seine faire Amtsführung, Angestellte würdigen, dass er sie respektvoll und ohne Machtgehabe behandelt. Zuletzt gehörte der habilitierte Verfassungsjurist zu den wenigen in seiner Partei, die geistig noch die Brücke von Karl Marx und den großen österreichischen Linken, Victor Adler oder Otto Bauer, zum modernen Polit-Alltag schlagen konnten. So sanft und ruhig der Herr "Dr. Fischer" immer auftrat, so galt seine Sympathie doch immer auch den Initiativen der außerparlamentarischen Linken. Zwischen sozialistischer Überzeugung und staatstragendem Auftreten bestand, solange die SPÖ die Staatspartei schlechthin war, kein Widerspruch.
Dass der Mann nicht nur Freunde hat, trat erst in dem Wahlkampf zu Tage, den die ÖVP für ihre Kandidatin Benita Ferrero-Waldner führte. Zuletzt im Oktober, bei seinem 65. Geburtstag, hatte Fischer von allen Seiten so viele Komplimente gesammelt, dass er die Attacken gut parieren konnte. Sie galten paradoxer Weise alle gerade seinem friedlichen Wesen. So fiel den Kritikern auf, dass der Mann unter fünf höchst verschiedenen Parteichefs gearbeitet hatte und seine Karriere nicht einen einzigen Bruch aufwies. Tatsächlich hat der überzeugte Linke sein wachsendes politisches Gewicht niemals je in eine Waagschale geworfen. Gut war Fischer immer, wenn es galt, diskret Kontakte anzuknüpfen - etwa als er liberalen Haider-Dissidenten half, eine eigene Partei zu gründen. Wenn der politische Streit dagegen laut wurde, gab er stets nur durch eine Art Zwinkern zu erkennen, wo seine Sympathien lagen - etwa als sich noch mitten im Wahlkampf seine SPÖ zu den extrem rechten "Freiheitlichen" öffnete und Fischer nur durch die Blume zu verstehen gab, dass ihm das nicht recht war. In die neue, konfliktreiche Atmosphäre passten solche verhalten Botschaften immer schlechter hinein.
Nach mehr als 40-jähriger Karriere ist Fischer, Vater zweier erwachsener Kinder, nun da angekommen, wo ihn niemand mehr absägen oder maßregeln kann. Ob er tatsächlich, wie im Wahlkampf versprochen, das "Gewissen der Politik" sein kann, hängt nicht von ihm allein ab. Die Österreicher erwarten von ihrem Präsidenten, anders als die benachbarten Deutschen, keine großen Reden, sondern eher ein majestätisches Auftreten. Dass der neue Präsident dieses Bedürfnis befriedigen möchte, darf man allerdings bezweifeln.
Norbert Mappes-Niediek