Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 50-51 / 06.12.2004
Zur Druckversion .
Dirk Klose

Von der Seele geschrieben

Hans-Peter Schwarz über Adenauer

Immer wieder trifft man auf das interessante Phänomen, dass Autoren ein Thema, an dem sie jahrelang, ja mitunter Jahrzehnte gearbeitet haben, einfach nicht aus dem Kopf kriegen, obwohl ein stattliches Hauptwerk längst vorliegt. Das führt dann dazu, dass in vielen Fällen noch einmal wie im Fluge ein Text, sei es ein Essay, eine Erzählung oder eine wissenschaftliche Abhandlung niedergeschrieben wird. Sie zählen oft zum Besten, was der Autor geschrieben hat. "Alles muss raus", könnte man ein Schlussverkaufsmotto heranziehen, um das Bemühen zu charakterisieren, endlich den Kopf freizubekommen.

Der Zeithistoriker und frühere Bonner Ordinarius für Politikwissenschaft Hans-Peter Schwarz hat sein Leben lang über die Geschichte der Bundesrepublik und insbesondere über Adenauer als einem ihrer maßgeblichen Protagonisten gearbeitet. Und noch immer ist er an mehreren großen Editionen beteiligt, so an der Aktenedition zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik, an den Akten zur Deutschlandpolitik und an anderen Projekten über den ersten Kanzler.

In diesem Jahr wurde er 70 Jahre alt, und mit dem kleinen Bändchen "Anmerkungen zu Adenauer" hat er sich wohl selbst das schönste Geburtstagsgeschenk gemacht. Wie selbstverständlich fließen immenses Wissen, historisches Urteilsvermögen und eleganter Stil zusammen. Die Lektüre ist reines Vergnügen, zuerst und vor allem wegen der intensiven Argumentation, die Bekanntes vielen neuen und gewichtigen Aspekten gegenüberstellt und die den Leser nicht mit einem fertigen Geschichtsbild zurücklässt, sondern ihm Anlass zu weiterem Nachdenken gibt.

Natürlich schreibt Schwarz "pro domo", aber in keiner Zeile devot oder anbiedernd. Wo er Grund zur Anerkennung sieht - beim konsequenten Willen des Kanzlers zur Westbindung der Bundesrepublik, zur Wiederbewaffnung, zur Sicherung der Vormacht der CDU - da geschieht es nüchtern und abwägend auch mit den Argumenten der Gegner. Und er verschweigt die "Nachtseiten" - so das vielleicht anregenste Kapitel - nicht: Das unbeirrte Machtstreben Adenauers, seine Rücksichtslosigkeit, sein Sarkasmus, seine zuweilen bedenkliche Skrupellosigkeit in verfassungsrechtlichen Fragen und sein "Ellenbogenstil".

Der "bierernst-redliche" Heinemann

Apropos Gegner: Adenauer hatte immens viele Gegner in Politik und Publizistik, und eigentlich erst aus der Rückschau staunt (und bewundert) man so richtig, wie er dieses jahrelange Trommelfeuer ausgehalten, ja letztlich unbeschadet überstanden hat. Manche waren nach Schwarz nur Leichtgewichte, "eher Un-Gewichte": der biedere Ollenhauer in der "traurigen Rolle des gesamtdeutschen Jakob", der aufbrausende Thomas Dehler, der "bierernst-redliche" Protestant Heinemann oder der "altertümliche Bismarckianer Paul Sethe". Aber der "krypto-nationalistische Intellektuelle" Rudolf Augstein war natürlich ein anderes Kaliber; seine publizistische Dauerkritik aus Hamburg blieb in der Öffentlichkeit nicht ohne Wirkung; Schwarz konstatiert mit Genugtuung den späten Friedensschluss der beiden Männer.

Der Autor verhehlt seine Vorlieben und Abneigungen nicht; gemäßigt konservative Denker wie Arnold Gehlen, Golo Mann oder Theodor Eschenburg zitiert er gern und zustimmend; das linke Feld - da tritt man ihm wohl nicht zu nahe - ist ihm suspekt, ja eigentlich zuwider, wovon Formulierungen wie "linksgewirkte Intellektuelle" und "linke Segmente in der deutschen Öffentlichkeit" zeugen. Wie Adenauer misst auch Schwarz das Handeln am Ergebnis, und hier kann er sich mit seinem Helden bestätigt fühlen: Nicht Kurt Schumachers Politik eines Offenhaltens der deutschen Frage, sondern die feste Einbindung in den Westen führte letzten Endes zur Wiedervereinigung des geteilten Landes. Schwarz lässt offen, ob die deutsche Einheit für Adenauer wirklich Herzenssache war.

In sieben Kapiteln rekapituliert Schwarz Person und Politik des ersten Bundeskanzlers, jedes einzelne intensiv geschrieben, mit vielen wenig bekannten Zitaten und Äußerungen und breiter Argumentation. Am Ende fragt er, ob man sich heute "an der Spitze der dahinsiechenden Bundesrepublik" eine Persönlichkeit wie Adenauer wünschen solle. Die Antwort gibt das Buch.

Hans-Peter Schwarz

Anmerkungen zu Adenauer.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004; 224 S., 17,90 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.