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Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eröffnet Ausstellung "Nuria Quevedo im Deutschen Dom - Künstlerinnen im Exil"

Es gilt das gesprochene Wort!

Am heutigen Dienstag, 14.00 Uhr, hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Ausstellung "Nuria Quevedo im Deutschen Dom - Künsterinnen im Exil" eröffnet, die anlässlich des Internationalen Frauentages gezeigt wird. Wir dokumentieren den Redetext im Wortlaut:

"Eine spanische Künstlerin mit DDR-Vergangenheit zum Internationalen Frauentag im Deutschen Dom - vier Aspekte der Vielfalt deutscher und europäischer Geschichte und Gegenwart, die anregen, neugierig machen. Das ist schon Grund genug, diese Ausstellung freudig und gerne zu eröffnen.

Seit ein paar Jahren gibt es hier im Dom am Gendarmenmarkt eine Ausstellung zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, die - auf aktuellem Wissensstand - über die mitunter verschlungenen Wege, Irrwege und Umwege in unsere parlamentarische Demokratie informiert.

Politische Bildung - da sind sich alle schnell einig - ist unverzichtbar für die Demokratie. Doch selten wird gefragt: Erreicht die politische Bildung eigentlich ihre Adressaten? Macht sie wirklich neugierig auf Politik? Animiert sie zum Nachdenken über unsere Gesellschaft, über die Werte der Demokratie?

Ich finde, auch politische Bildung darf phantasievoll daherkommen, darf auch die Sinne und Emotionen und nicht nur den Verstand ansprechen, darf und muss die Jugendkultur, die neuen Medien, die Künste in ihrer Vielfalt mit einbeziehen.

Dass es unzählige Berührungspunkte, Überschneidungen, Abhängigkeiten zwischen großer Politik und privatem Leben, zwischen dem gesellschaftlich Machbaren und dem individuell Gewollten gibt, belegt die Parlamentarismus-Ausstellung sehr anschaulich: Sie ist dran am wirklichen Leben. Insbesondere die Dokumente zur Geschlechterfrage, bei der es immer noch um die Gleichstellung der Frauen, aber nicht mehr nur um gleiche Rechte in Beruf und Alltag geht, lassen diese Zusammenhänge erkennen.

Nahe liegender Weise hat sich die Gleichstellungsbeauftragte der Bundestagsverwaltung, Frau Lange, dieses vielschichtigen und noch immer unabgegoltenen Themas angenommen und eine eigene Projektreihe daraus gemacht. In diesem Rahmen werden heute die Bilder von Nuria Quevedo vorgestellt. Es gibt aber auch frauenpolitische Lesungen, Filmvorführungen und Gespräche. So gehört sich das aus Anlass des Internationalen Frauentages: Projekte zu machen, die diesen Tag mit all seinen Anlässen, Erinnerungen und Zielen so wichtig machen, wie er sein müsste, ihn politisch aufzuwerten, seiner Ritualisierung oder -wenn Sie so wollen -seiner schleichenden Banalisierung zu widersprechen. In der DDR war am Ende bloß übrig geblieben, dass die Frauen Pralinen und rote Nelken bekamen, eine Art real-sozialistischer Muttertag. Das war teilweise schon peinlich.

Die Projektreihe widmet sich thematisch wie biographisch den "Künstlerinnen im Exil". Nuria Quevedo ist eine dieser Künstlerinnen. Sie hat schon sehr früh, als Vierzehnjährige, erfahren müssen, was Emigration heißt: Verlust der Heimat, Verlust der Landschaft, Verlust von Angehörigen, Freunden, Nachbarn.

Nuria Quevedo kam mit ihren Eltern aus dem Spanien Francos in die damals noch junge DDR. Es muss für die Heranwachsende ein Kulturschock gewesen sein - dieser Wechsel von Barcelona nach Ost-Berlin. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es im damaligen Europa noch größere Unterschiede zwischen Orten und Kulturen gegeben hat. Aber auch heute ist es noch ein beträchtlicher Unterschied, ob man unter Katalanen, den Preußen in Spanien oder hier in Preußen selbst ist. Und damit ist nicht nur das Wetter gemeint.

Nach drei Studienjahren an der Arbeiter- und Bauernfakultät studierte Nuria Quevedo an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Es waren sehr turbulente und widersprüchliche Jahre - die Jahre des "Bitterfelder Weges", des Mauerbaus, des Kalten Krieges. Und ich glaube, in dieser Zeit der Ausbildung und Schärfung ihrer eigenen Ästhetik, ihrer eigenen künstlerischen Handschrift erwies sich für Nuria Quevedo die Erfahrung zweier Kulturen als vorteilhaft. Sie hat sich jedenfalls in der neuen Heimat kulturpolitisch nicht domestizieren lassen - nicht als Illustratorin und Grafikerin und schon gar nicht als Malerin, als die sie dann in den 70er Jahren verstärkt arbeitete. Einige ihrer strengen, scheinbar freudlosen Ölbilder sorgten in der DDR für ordentlichen Wirbel und heftige Debatten - etwa "Dreißig Jahre Exil" von 1972 oder "Eine Art, den Regen zu beschreiben" von 1980/81 - ein "Exilbild" ganz anderer Art. (Es ist schön, dass diese Bilder jetzt auch hier im Dom zu sehen sind.)

Mein Eindruck aus den 70er Jahren hat sich dann immer wieder bestätigt: Die Bilder der Nuria Quevedo sind einfach "anders". Sie verweigern sich routinierter Wahrnehmung. Sie standen und stehen quer zur großen Glücksverkündung (egal ob östlicher oder westlicher Prägung). Sie bürsten ästhetisch gegen den Strich des Gewohnten, des Konventionellen, des schnell Konsumierbaren.

Auch insofern ist sich Nuria Quevedo nach 1989 treu geblieben. Sie brauchte keinen neuen Aufbruch oder Umbruch. Sie hat ihre Themen, ihre Ästhetik fortgeschrieben. Auch heute machen Nuria Quevedos Arbeiten die Welt nicht schöner als sie ist: Sie künden nicht vom Paradies - sondern sie irritieren, sie provozieren. Sie zwingen den Betrachter zu gedanklicher Anstrengung, zum Nachdenken über unsere Gesellschaft - und damit auch zur Selbstfindung im Bild.

Liebe Nuria Quevedo, ich freue mich, dass einige Ihrer Arbeiten aus gut drei Jahrzehnten jetzt in einen Dialog treten mit unserer Ausstellung über die Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Ich bin sicher: diese zwei verschiedenen Weisen der Aneignung von Wirklichkeit ergänzen und bereichern einander, sie stellen eine spannende, eine lohnende Herausforderung für die Besucher dar.

Ich wünsche der Ausstellung viele neugierige Gäste und danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit."
Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2003/008
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