Wer einem ausländischen Besucher den aus zwei Fremdwörtern zusammengesetzten und doch so unverwechselbar deutschen Begriff "Exekutivföderalismus" verdeutlichen soll, dem bietet sich seit kurzem mit der Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung ein neues Anschauungsbeispiel. In der Kommission brüten die 16 Ministerpräsidenten und eine gleich große Zahl von nach Parteienproporz bestimmten Bundestagsabgeordneten über nichts Geringeres als über eine Reform des Föderalismus.
Mit am Verhandlungstisch sitzen auch sechs Vertreter der Landesparlamente, zwei Landtagspräsidenten und vier Fraktionsvorsitzende. Als beratende Mitglieder können sie sich an den Debatten beteiligen, mitentscheiden dürfen sie aber nicht. Damit unterscheidet sich ihr Status von dem eines Sachverständigen allein durch das Antragsrecht. Selbst diese Mitwirkung zweiter Klasse musste von den Vertretern der Landtage, immerhin direkt vom Volk legitimierte Abgeordnete, noch mühsam erstritten werden.
In der Zusammensetzung der Kommission ist damit auch der Verlierer von Entwicklungen im deutschen Föderalismus ablesbar, die zu seiner eingangs erwähnten Etikettierung geführt haben. Während der Bund etwa von seinen Kompetenzen zur konkurrierenden und Rahmengesetzgebung extensiv Gebrauch gemacht und damit den legislativen Spielraum der Länder begrenzt hat, sind diese zumal im Kontext der Verfassungsrevision 1992 durch erweiterte Mitwirkungsrechte kompensiert worden. Verlierer dieses Trade-off sind die Landtage, die von der Aufwertung des Bundesrates zu einer Art Nebenparlament der Regierenden nicht profitiert haben.
Welche Bedeutung haben diese Entwicklungen für die Zusammensetzung der Parlamente? Wodurch sind Karrieren und Arbeit der Landtagsabgeordneten charakterisiert? Wie sehen schließlich die Parlamentarier ihre eigene Tätigkeit, und mit welchen Problemen finden sie sich konfrontiert? Erkenntnisse über das weitgehend unbekannte Wesen Landtagsabgeordneter verspricht ein Forschungsprojekt zum parlamentarischen Führungspersonal im Rahmen eines an den Universitäten Jena und Halle beheimateten Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Neben einschlägigen Handbuch- und Archivmaterialien stützt sich das Projekt auf eine telefonische Befragung der Mitglieder von zehn Landtagen, an der sich mehr als 700 Abgeordnete beteiligt haben.
Erste Ergebnisse widerlegen ein zumal von der Boulevardpresse gern gepflegtes Vorurteil. Das Bild des Landtagsabgeordneten als eines Parlamentariers zweiter Klasse mit geringen Qualifikationen, der sich bei üppigen Diäten mit politischen Belanglosigkeiten beschäftigt, hat mit der Realität nichts zu tun. Wer lange genug fahndet, mag Abgeordnete finden, die diesem Zerrbild nahe kommen.
Die Regel sieht anders aus: Wer in ein Landesparlament gewählt wird, verfügt über einen hohen Bildungsstand, langjährige politische Erfahrung und ist durch ehrenamtliche Tätigkeiten bestens in das gesellschaftliche Leben integriert. Die Tätigkeit des Abgeordneten ist zudem längst zu einem Full-Time-Job geworden, der nach Angaben der Akteure eine wöchentliche Arbeitszeit zwischen 50 Stunden (sitzungsfreie Wochen) und 60 Stunden (Sitzungswochen) bedeutet.
Selbst wenn vor allem die Freiberufler unter den Abgeordneten ihren früheren Beruf nicht gänzlich aufgeben: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Landesparlamentarier hat auch dem eigenen Selbstverständnis nach die Politik längst zum Beruf gemacht.
Die Entwicklung vom Amateur- und Freizeit- zum Berufspolitiker lässt sich besonders deutlich in den ostdeutschen Landtagen beobachten, weil sie dort im Schnelldurchlauf vollzogen worden ist. Abgeordnete der ersten Stunde, die dem Trend zur Professionalisierung nicht gefolgt sind, haben in der Regel den Wiedereinzug in den Landtag verpasst.
Erfahrungsvorsprung
Auf unterschiedliche Grade der Professionalisierung in ost- wie westdeutschen Landesparlamenten verweist freilich die Binnendifferenzierung. Denn im Zentrum der parlamentarischen Entscheidungsfindung stehen vor allem die Abgeordneten, die dem Parlament seit drei oder mehr Legislaturperioden ununterbrochen angehören. Sie verfügen überdurchschnittlich häufig über Führungserfahrung auf parlamentarischer Ebene (Fraktionsvorstand, Ausschussvorsitz, Landtagspräsidium) oder in Regierungsämtern. Entsprechend stark sind die Anreize für Mandatsinhaber, erneut für den Landtag zu kandidieren. Folgerichtig schließen nur wenige Parlamentarier eine weitere Kandidatur für sich aus.
Bei vielen Politikern bildet das Landtagsmandat den Abschluss der politischen Karriere. Für eine beträchtliche Minderheit jedoch fungiert der Landtag eher als Durchgangsstation auf dem Weg in politische Spitzenpositionen (etwa im Kabinett) oder in andere politische Funktionen zumeist auf kommunaler Ebene. Besonders beliebt ist das Amt eines Bürgermeisters.
Leicht überschätzt wird die Bedeutung der Landtagszugehörigkeit für den Gewinn eines Bundestagsmandats. Zwar hat fast ein Fünftel der derzeitigen Bundestagsabgeordneten schon einmal einem Landtag angehört. Umgekehrt führt für eine Reihe von Berufspolitikern der Weg aber auch vom Bundestag in die Landesparlamente. Das Durchschnittsalter bei Mandatsantritt für MdB und MdL liegt jeweils deutlich über 40 Jahren, was dafür spricht, dass es sich im Regelfall um parallel verlaufende Karrieren handelt.
Die Analyse von Karrierewegen der Landtagsabgeordneten lässt eine Professionalisierung erkennen, die angesichts ihrer eher begrenzten Entscheidungskompetenzen Aufmerksamkeit verdient. Allerdings bleiben dabei einige der immer wieder beklagten Defizite ausgeblendet: die amateurhaft betriebene Medienarbeit vieler Abgeordneter, die bei Insidern als uninspirierend empfundenen Landtagsdebatten sowie die Abhängigkeit vom Informationsfluss aus der Exekutive, die durch die mäßige Personalausstattung eher verstärkt wird. Diese erklären sich oftmals gerade aus den Erwartungen der Wählerschaft und dem steigenden öffentlichen Legitimationsdruck. Manche Aspekte der Professionalisierung werden eben vom Wähler nicht honoriert - im Unterschied etwa zur lokalen Präsenz der Abgeordneten und der Vertretung partikularer lokaler Interessen.
Mitunter frustriert
Knapp die Hälfte der Landesparlamentarier betrachtet denn auch die unzureichende Akzeptanz in der Öffentlichkeit als ein großes oder sogar sehr großes Problem. Die Problemwahrnehmung ist unter den ostdeutschen Parlamentariern stärker als unter den westdeutschen. Nahezu jeder zweite ostdeutsche Landtagsabgeordnete gibt an, dass seine tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten geringer sind als erwartet; unter den westdeutschen MdL ist es nur jeder vierte. Offenbar begünstigt die längere politische und parteiliche Sozialisation der Abgeordneten im Westen die Ausbildung realistischerer Vorstellungen vom Mandat.
Kritischer sehen die westdeutschen MdL hingegen die Entwicklung des Parlaments als politisches Entscheidungsorgan. 60 Prozent konstatieren einen allmählichen Bedeutungsverlust, im Osten sind es 50 Prozent. Wie diesem begegnet werden kann, darüber existieren unterschiedliche Vorstellungen. Erweiterte Informationspflichten der Regierung und mehr Gesetzgebungsinitiativen aus dem Parlament heraus gelten als vordringliche Reformziele. Die westdeutschen Abgeordneten nennen zudem eine verbesserte Personal- und Sachmittelausstattung. In einem Punkt sind sich Ost und West jedenfalls einig: Bei allem Reformbedarf sollte das föderale System erhalten bleiben.
Chancen auf die angestrebte Re-Parlamentarisierung verspricht allein die Entflechtung von Bundes- und Landeskompetenzen und eine daraus resultierende Rückverlagerung von Entscheidungsbefugnissen auf die Länder. In dieser Sache haben die Landesparlamente mit ihrer Lübecker Erklärung vom März 2003 denn auch deutlich Position bezogen. Ebenso wichtig wie ihr Inhalt ist, dass es den Landtagen gelungen ist, überhaupt einmal über Landesgrenzen hinweg als kollektiver Akteur in Erscheinung zu treten. Ob diese Einigkeit Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten.