Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
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Detlev Lücke

Aufgekehrt...


Seit er die Menschen kenne, liebe er die Tiere, soll der große Philosoph Schopenhauer gesagt haben. Oder war es der große Philosoph Nietzsche? Egal. Wenn es nach dieser Definition ginge, wären unsere Politiker große Tierfreunde. Das ist ja auch schon was. Heuschrecken, Kartoffelkäfer, Mopsfledermäuse und so weiter und so fort wären nur Metaphern im Sinne Schopenhauers oder Nietzsches. Wir wollen auch nicht den erzieherischen Aspekt dieser Tierbenennungen unterschätzen. Wer hätte je gewusst, was eine Mopsfledermaus ist? Gibt es sie überhaupt? Oder sind wir zu einem physiognomischen Vergleich mit dem verdienstvollen Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz inspiriert, der von ihnen sprach? Wie auch immer. Zitate aus dem Tierreich sind dem Deutschen Bundestag immanent. Da waren die Abgeordneten aller Parteien stets sozusagen tierisch gut. Herdentrieb? Wir wollen uns hier nur an eine Debatte aus dem Parlament von April 1974 erinnern. Herbert Wehner (SPD) an Franz Josef Strauß (CDU/CSU): "Sie sind der Rüde!" Der Abgeordnete Rawe (CDU/CSU): "Typisch Wehner, jetzt bellt er wieder!" Noch was gefällig? Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt nach Zurufen von der Opposition: "Ihr seid ja nervöse Hühner. Ihr freut euch den ganzen Morgen, wenn eure Matadore pampig werden, und dann könnt ihr die Antwort nicht aushalten." Gut gekräht, Herr Schmidt.

Wenn man so will, durchzieht die ganze deutsche Nachkriegspolitikgeschichte das Tier. Übelkrähe beschimpfte schon genannter Wehner den Abgeordneten Wohlrabe. Als ein CDU-Parlamentarier in irgendeinem Zusammenhang davon sprach, dass die Maus keinen Faden abbeiße, knallte Wehner zurück: "Sie sind keine Maus, sondern eine Ratte."

Auffällig ist, dass die früher gern ins Spiel gebrachten animals - sehen wir mal von den Schmeißfliegen ab - sich durchaus artikulieren konnten, während Heuschrecken und Kartoffelkäfer ziemlich atonal wirken. Natürlich hat der Innenminister mit seinem Vergleich des schwarz-gelben Insekts und der gleichfarbigen CDU-CSU-FDP Mannschaft auch was für den Ost-West-Dialog getan. Denn wir armen ostdeutschen Mittsechziger mussten in den Mittfünfzigern auf die Kolchosenäcker krauchen, um den dort angeblich von den Amis (Antiamerikanismus!) abgeworfenen Kartoffelkäfern per Sammeln den Garaus zu machen.

Genug davon. Schon Peter Rühmkorf dichtete dereinst: "Ich bin der Kohl, ich bin der Kolk, der Rabe schwarz wie Priem. Ich liebe das gemeine Volk und halt mich fern von ihm." Und die Tiere? Lassen sich alles gefallen? Von wegen. Ein riesiger Bienenschwarm hat gerade das englische Dorf Holywell Green drei Tage lang in Angst und Schrecken versetzt, landete auf Autos, Bäumen und Straßenlaternen. Vielleicht ein Politiker vor Ort? Hilfe kam jedenfalls nicht. Die Polizei teilte mit, sie sei nicht zuständig. Bienen stünden unter Artenschutz und seien keine Schädlinge. Deshalb: Vorsicht vor Tiervergleichen!


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.