Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
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Martin Teschke

Zurück in die Schublade und alles neu?

Das Antidiskriminierungsgesetz soll Beschäftigte vor Benachteiligung schützen

Wenn kurz vor der parlamentarischen Sommerpause das Antidiskriminierungsgesetz (ADG) auf dem Terminplan steht, dürfte es im Deutschen Bundestag hoch hergehen. Die Opposition und die Arbeitgeberverbände zeichnen das Schreckensbild eines bürokratischen Monsters, das Milliarden Euro verschlingt und obendrein eine noch nicht abzusehende Zahl von Arbeitsplätzen vernichtet. Die rot-grüne Regierungskoalition und die Gewerkschaften polemisieren, wer gegen das Gesetz sei, wolle in Wahrheit nur weiter diskriminieren. Doch worum geht es eigentlich?

Das Gesetz soll verhindern, dass jemand aufgrund von Alter, Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung benachteiligt wird. Es gilt zwar auch im Zivilrecht, der Schwerpunkt des Gesetzes aber liegt im Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben. Künftig sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, Beschäftigte vor Diskriminierung zu schützen. Dies gilt für Auswahlverfahren, Einstellungsbedingungen ebenso wie für Kündigungen, den beruflichen Aufstieg, Fortbildungen und so weiter. Wenn ein Arbeitgeber dabei zum Beispiel aus rassistischen Motiven handelt, macht er sich eines Diskriminierungstatbestandes schuldig und muss mit einer Schadenersatzklage rechnen. Beim Bundesfamilienministerium wird eine unabhängige Antidiskriminierungsstelle installiert. Diese Schlichtungs- und Koordinierungseinrichtung soll Betroffene über ihre Rechte informieren, ihnen Beratung vermitteln und eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten anstreben. Im Einzelfall läuft das folgendermaßen ab: Die Beschäftigten haben grundsätzlich ein Beschwerderecht. Wenn ein Arbeitnehmer sich von einem Kollegen, einem Vorgesetzten oder vom Arbeitgeber selbst diskriminiert fühlt, kann er beim Arbeitgeber Beschwerde einlegen. Dieser muss der Beschwerde nachgehen. Tut er dies nicht oder weist die Beschwerde zurück, hat der Arbeitnehmer vor Gericht die Möglichkeit, die Diskriminierung glaubhaft zu machen; der Arbeitgeber muss dann nachweisen, dass eine Benachteiligung nicht vorgelegen hat. Sonst hat er Schadenersatz zu leisten - nach der Gesetzesvorlage etwa in Höhe von drei Monatsgehältern.

Genau hier setzt die Kritik von Opposition und Ar-beitgebern an: die Furcht vor einer "Flut von Klagen und Prozessen". Der Deutsche Industrie- und Han-delskammertag (DIHK) beispielsweise entwirft ein seiner Meinung nach keineswegs übertriebenes Szenario: Angenommen ein Einzelhändler für Damenunterwäsche suche in einer Stellenausschreibung eine junge dynamische Verkäuferin mit guten Deutschkenntnissen; dieser Einzelhändler müsse sich nun einen Rechtsanwalt zulegen, da er befürchten müsse, gleich drei Gruppen benachteiligt zu haben - graue Panther, Männerschutzverbände und ethnische Minderheiten. Mit dem ADG, so die Argumentation von Opposition und Arbeitgeberverbänden, sei der Klagelust von abgewiesenen Bewerbern und "windigen" Rechtsanwälten Tür und Tor geöffnet. Träfe die Befürchtung ein, kämen auf die Unternehmen in der Tat Milliarden-Belastungen zu. Die Versicherungswirtschaft hat bereits reagiert: Als erste Versicherung bereitet der Gerling-Konzern Allgemeine Versicherung eine Police für Arbeitgeber gegen Diskriminierungsklagen vor. Die rot-grüne Regierungskoalition verweist hingegen auf die Erfahrungen mit dem Paragrafen 611a BGB, der die Schadenersatzansprüche von diskriminierten Männern und Frauen im Arbeitsrecht seit 1980 regelt.

Nach einer Recherche der Hans-Böckler-Stiftung in der Datenbank Juris sind in den vergangenen 25 Jahren bei den Arbeitsgerichten lediglich 112 Antidiskriminierungsprozesse geführt worden. Zum Vergleich: In demselben Zeitraum gab es mehr als 50.000 Arbeitsrechtsfälle. Stellvertretend für zahlreiche Branchen betont die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), das Gesetz sei zu bürokratisch, rechtlich zu unausgegoren, weshalb die Unternehmen nun ihre Rechtsabteilungen ausweiten müssten. Das aber koste Geld, das bei der Schaffung neuer Stellen fehle.

Was also ist zu tun? Das Antidiskriminierungsgesetz einfach wieder streichen? Dafür ist es längst zu spät. Ein ADG ist bereits im Koalitionsvertrag von 1998 festgeschrieben worden. Außerdem haben die europä-ischen Staats- und Regierungschefs Mitte 2000 ein Antidiskriminierungsgesetz beschlossen, das bis Mitte 2003 in nationales Recht umgesetzt werden sollte. Bereits im Sommer 2001 legte die damalige Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin dazu einen Ministerentwurf vor, der aber nach dem Protest der Kirchen wieder in der Schublade verschwand. Ende 2004 hat die EU-Kommission Deutschland wegen der verspäteten Umsetzung vor dem Europäischen Ge-richtshof verklagt; Der Bundesrepublik droht nun eine Konventionalstrafe in Millionenhöhe.

Schlusslicht Deutschland

Das weiß auch die Opposition. Maria Eichhorn, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen, und Jugend in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordert deshalb auch nicht die Abschaffung des Antidiskriminierungsgesetzes, sondern: "Zurück in die Schublade und alles neu!" Die Bundesregierung soll "sich auf die Umsetzung der europäischen Vorgaben" beschränken. Rot-Grün bestreitet hingegen, dass es die EU-Vorgaben übererfüllt. Im Kern habe man im Arbeitsrecht sogar lediglich den Paragraphen 611a BGB um Punkte wie Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft ergänzt. Dies entspreche den Regelungen, wie sie auch die anderen EU-Mitglieder getroffen hätten.

Was beide Lager gern verschweigen: Deutschland gehört in Sachen Antidiskriminierungsgesetz zu den Schlusslichtern der Europäischen Union. Andere Länder gehen noch über die Vorgaben der EU hinaus. In den Niederlanden beispielsweise gibt es sogar mehr Merkmale, die Diskriminierung definieren. Dort fallen auch eine Diskriminierung nach Personenstand und eine Benachteiligung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten unter das Gesetz. Großbritannien wiederum räumt seinen Schiedsstellen außergewöhnlich große Kompetenzen ein. Ein Unternehmer ist dort zur Auskunft verpflichtet. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, drohen Sanktionen. In Frankreich führt sogar ein hochrangiger Manager die Antidiskriminierungsstelle. Der scheidende Renault-Chef Louis Schweitzer leitet die "Hohe Behörde zum Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichheit".

Die Frage bleibt, ob das Gesetz Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt (siehe Kasten) wirklich nachhaltig beseitigen kann. Die Europa-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin warnt: "Die Regelungen könnten sich zu einem Einstellungshindernis entwickeln", sagte die FDP-Politikerin. "Recht führt zu Bewusstseinsänderung", hält Heide Pfarr dagegen. Die Professorin und wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung beruft sich auf das seit 1980 geltende Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts: Das Verbot "hat den Frauen ja nicht geschadet, obwohl das auch bei Erlass dieses Gesetzes behauptet worden war".

Das Institut für Menschenrechte, namentlich Direktor Heiner Bielefeldt und seine Kollegin Petra Follmar-Otto, hat es in einer Stellungnahme folgendermaßen formuliert: "Eine umfassende Politik der Antidiskriminierung kann sich nicht in rechtlichen Vorschriften und der Schaffung von Klagemöglichkeiten erschöp-fen - so wichtig diese auch sind -, sondern muss brei-ter ansetzen." Die Wissenschaftler nennen Bildung, Erziehung, öffentliche Kampagnen und Medien, um "einen Wandel in den Einstellungen der Menschen zu erreichen und damit auf einer Ebene wirksam zu wer-den, die sich rechtlicher Regelung prinzipiell ent-zieht". Sicher ist damit zweierlei. Erstens: Das Antidiskriminierungsgesetz wird noch über Jahre umstritten sein. Zweitens: Das Antidiskriminierungsgesetz wird noch in diesem Jahr kommen. Es ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Stimmt die von den unionsregierten Ländern dominierte Länderkammer mit einfacher Mehrheit gegen das Gesetz, kann der Bundestag mit der Kanzlermehrheit das Votum des Bundesrats überstimmen. Die Opposition bräuchte im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit, die sie aber auch nach ihrem Wahlsieg im Mai in Nordrhein-Westfalen nicht hat.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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