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Arbeiten:
Es gibt viel zu tun! GLASKLAR „Arbeiten“ begleitet die
Abgeordneten durch die Sitzungswoche, schaut sich an, wie ein
Gesetz entsteht und hat junge Menschen getroffen, die im Bundestag
arbeiten. Und was macht eigentlich ein Bundestagspräsident und
was eine Fraktionsvorsitzende? GLASKLAR hat einfach mal
nachgefragt.
www.glasklar-bundestag.de
Politik aktiv gestalten:
Mitmischen.de ist das Jugendforum des Deutschen Bundestages im
Internet. Die Plattform bietet Chats mit Abgeordneten des
Bundestages, Diskussionsforen, Abstimmungen, Nachrichten und
Hintergrundberichte zu aktuellen politischen Themen.
www.mitmischen.de
Dora und Oleksiy nehmen am Internationalen Parlaments-Praktikum des Deutschen Bundestages teil. Das baut Brücken und legt ein Fundament.
Dora sagt, seit sie in Berlin ist und hier im Bundestag ein Praktikum absolviert, hätten sich eine Menge Dinge verändert. Die 29-jährige Ungarin zeigt dabei ihr schönstes Lachen und schickt hinterher: „Ich kann mir jetzt vorstellen, später im politischen Journalismus zu arbeiten, über Politik zu berichten. Und mit meinem Abgeordneten“, sagt sie, „habe ich großes Glück.“ Das freut Willi Zylajew natürlich, denn umgekehrt gilt das mit dem Glück auch. Der Abgeordnete bildet zum zweiten Mal im Rahmen des Internationalen Parlaments-Praktikums (IPP) des Deutschen Bundestages aus. Aus Überzeugung. „Man muss fördern, wenn man später fordern will“, sagt er. Bei ihm sieht fördern so aus: Dora Gyárfás verbringt ein Viertel ihrer Zeit mit Büroarbeit, ein Viertel mit Recherchen nach Vorgaben des Abgeordneten, ein Viertel mit Recherchen nach eigener Neigung und im vierten Viertel sollen parlamentarische Abläufe beobachtet werden. Morgen zum Beispiel im Ausschuss für Gesundheit, in dem Zylajew sitzt. Drei Erfahrungen, sagt der, könne man hier vermitteln. „Erstens: Hier wird auch nur mit Wasser gekocht. Zweitens: Man kann hier vielfältig arbeiten und sich eine Arbeitsorganisation schaffen. Drittens: Der Einblick in Arbeitsabläufe hilft, alles besser zu durchschauen und schafft Nähe zur Praxis.“
Dora hat bereits ein interessantes Leben gelebt, bevor sie nach Berlin und in den Bundestag kam. Aufgewachsen in Budapest, ist sie bereits mit 14 Jahren fürs Fernsehen entdeckt worden. Vielleicht lag es an dem Stepptanz, den sie beim Casting vorführte, sicher auch daran, dass sie einfach gut aussieht, wahrscheinlich aber vor allem an ihrem Talent, locker und intelligent über die Dinge zu reden. Jedenfalls wurde sie Moderatorin des vom ungarischen Fernsehen ausgestrahlten Jugendprogramms. Das bescherte ihr wöchentlich einen schulfreien Tag und den Entschluss, nach dem Abitur an der ungarischen Theater- und Filmakademie zu studieren. Abschluss im Jahr 2001. „Dann wollte ich noch einmal etwas ganz Verrücktes machen und habe zwei Jahre bei VIVA als Moderatorin gearbeitet.“
Nebenjob Moderatorin
Gearbeitet hat Dora immer, auch während des zweiten Studiums an der Corvinus Universität in Budapest, Fach Internationale Beziehungen. Sie hat für Magazine geschrieben, Radiound Fernsehsendungen moderiert und dabei gelernt und gelernt. In ihrem Diplom steht, dass sie Expertin für Außenpolitik ist. „Ich fand Außenpolitik immer spannender als Innenpolitik und jetzt sehe ich hier, wie interessant Innenpolitik sein kann. Gesundheitspolitik zum Beispiel, das ist sehr kompliziert und alles verändert sich schnell. Ich kann durch dieses Praktikum zusehen und lernen, wie Politik gemacht wird. Dann gibt es noch die Bildungsprogramme der Stiftungen der Parteien. Jeder Tag hat für mich neue Herausforderungen. Heute zum Beispiel musste ich Zusagen und Absagen schreiben. Bald werde ich den Wahlkreis meines Abgeordneten kennen lernen.“
Und dann ist da noch Berlin. Dora wohnt in Kreuzberg und sie will diese Stadt am liebsten ganz und gar kennen lernen. Und jeden deutschsprachigen Film sehen, der in die Kinos kommt, und den ungarischen Länderabend mit vorbereiten und über die Zukunft nachdenken. „Ein Praktikum beim ZDF würde ich gerne machen.“ Warum nicht? Die Welt oder ein guter Teil von ihr steht Menschen wie Dora, die neugierig sind und nie aufhören zu lernen, offen. Vorausgesetzt, es gibt Leute wie den Abgeordneten Zylajew, die Neugier und Lernlust fördern. Dafür ist der Bundestag ein guter Ort.
Der Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup) ist seit vielen Jahren Hauptberichterstatter für das IPP. Es liegt ihm am Herzen, junge, wissbegierige Menschen, vor allem auch aus jungen, sich entwickelnden und erfindenden Demokratien in Osteuropa zu unterstützen. Dafür benutzt er hin und wieder gern große Worte, denn es ist ein großes Anliegen, Praktikantinnen und Praktikanten in die „Werkstatt der Demokratie“, wie er es nennt, einzuführen. „Das IPP ist in dieser Hinsicht eine weltweit einmalige Initiative. Auch deshalb, weil sich seit vielen Jahren Abgeordnete aller Fraktionen engagieren. Darauf sind wir stolz und das wollen wir so weiterführen.“
Oleksiy Semeniy heißt in diesem Jahr sein Praktikant. Man könnte den 28-jährigen Ukrainer schon jetzt zu jenen zählen, die die geistige Elite seines Landes bilden können und vielleicht auch bilden werden. Oleksiy hat einen Ausbildungsweg hinter sich, der zweieinhalb Seiten umfasst und die Frage aufwirft, ob die Tage in der Ukraine womöglich mehr als 24 Stunden haben. „So ist das nicht“, sagt Oleksiy, „aber ich habe schon in der siebten Klasse beschlossen, dass ich später Politik studieren will, internationale Beziehungen. Ich wollte möglichst viel von der Welt kennen lernen und mit anderen Menschen zu tun haben. Nicht mit Dingen. Mit Menschen.“
Oleksiy Semeniy ist ein ernsthafter Mensch. Er lächelt nicht oft, aber wenn, dann ist es kein diplomatisches, sondern ein fröhliches Lächeln. Er hat ein Staatsexamen am Kiewer Institut für Internationale Beziehungen gemacht, eines in Militärausbildung, er hat eine Bachelorarbeit zum Thema „Die EU-Osterweiterung: Bedeutung und Folgen für Europa“ geschrieben, noch ein Staatsexamen „Internationale Systeme und globale Entwicklung“ gemacht, er hat in Münster promoviert zum Thema „Die Rolle Deutschlands in der EU-Osterweiterung“ und war in dieser Zeit Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er spricht Deutsch und Englisch, hat Grundkenntnisse in Chinesisch und Latein. Was will er da noch im Bundestag lernen?
„Ich will das Parlament von innen kennen lernen, wissen, wie sich Abgeordnete in bestimmten Situationen verhalten, wie sie ihre Ziele durchsetzen, wie politische Kompromisse entstehen. Wissen Sie, über das Wetter, den Sport und die Politik können wir theoretisch alle reden. Aber wie werden Entscheidungen wirklich getroffen? Wie funktioniert eine langjährige, eine erfahrene Demokratie? Bei uns in der Ukraine steht alles noch auf Anfang. Wir haben damit begonnen, eine parlamentarische Demokratie aufzubauen. Ich möchte später gern mein eigenes Land stark machen. Denn es hat große Chancen.“
Olympionike des Wissens
Dass Oleksiy Semeniy sein Land liebt, spürt man. Er kennt dessen Geschichte, weiß, welche Wunden geschlagen wurden und welche Erfolge gefeiert. Vor zehn Jahren war der damals 17-Jährige Zweitbester bei der ukrainischen Olympiade in Geschichte. Und wenn man Oleksiy nach wichtigen Ereignissen und Personen seiner Landesgeschichte fragt, redet er noch schneller als sonst, als gelte es, alles innerhalb weniger Minuten klar zu machen. Er spricht über den Kosakenführer Bogdan Chmelnitzki und all die Versuche im Laufe der Jahrhunderte, die Ukraine zu einem unabhängigen Staat zu machen.
Das sind die großen Bögen, die das Leben spannt und dazu führen, dass einer tut, was er tut. Hier aber, im Deutschen Bundestag, ist Oleksiy Semeniy ganz im Heute und Jetzt. Jeden Tag. Sein Terminkalender ist so voll wie der seines Abgeordneten und klar ist: Hier haben die Tage auf jeden Fall nur 24 Stunden. Aber Ausschuss für Kultur und Medien muss sein, gleichnamige Arbeitsgruppe der Fraktion ebenso, Arbeitskreis Küste, Plenarsitzung und Büroarbeit sind wichtig, Berlin darf nicht fehlen. Und vielleicht passen ja noch ein paar Termine dazwischen. Fußball zum Beispiel. Er liebt das Spiel, ist ein großer Fan seiner Nationalmannschaft und von Dynamo Kiew.
Oleksiy lebt und arbeitet nach dem Motto, die Chancen zu nutzen, die man geboten bekommt und sich selbst erkämpft hat. Er hat sich schon mit 13 auf den Weg gemacht und ist weit gekommen.
Das Internationale Parlaments-Praktikum des Deutschen Bundestages ist dafür da, Menschen wie Dora Gyárfás und Oleksiy Semeniy zu unterstützen: in ihren Bemühungen um ihren eigenen Bildungsweg, ihrem Streben nach einer ausgefüllten, sinnvollen Arbeit, in ihrem Hoffen auf eine gute Zukunft und in ihrem Anliegen, später einmal in ihrem Land Bestes zu leisten. Das ist die Botschaft. Und sie macht seit 22 Jahren die Runde.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 6. Juli 2006
Internationales Parlaments-Praktikum
(IPP)
Das vom Deutschen Bundestag finanzierte IPP gibt es seit 22 Jahren.
Mehr als 100 Abgeordnete engagieren sich dafür, indem sie in
der fünfmonatigen Ausbildung die „Patenschaft“
für eine Praktikantin oder einen Praktikanten übernehmen.
Die Teilnehmer erhalten ein Stipendium von monatlich 511 Euro aus
den Mitteln des Bundestages. Die Unterkunft ist frei.
Voraussetzungen für die Teilnahme sind Interesse an Politik,
gute Deutschkenntnisse und ein abgeschlossenes Hochschulstudium.
Ausgewählt werden die Praktikanten zusammen mit den drei
Berliner Universitäten, den deutschen Botschaften und den
Parlamenten in den jeweiligen Ländern.