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Arbeiten:
Es gibt viel zu tun! GLASKLAR „Arbeiten“ begleitet die
Abgeordneten durch die Sitzungswoche, schaut sich an, wie ein
Gesetz entsteht und hat junge Menschen getroffen, die im Bundestag
arbeiten. Und was macht eigentlich ein Bundestagspräsident und
was eine Fraktionsvorsitzende? GLASKLAR hat einfach mal
nachgefragt.
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Internet. Die Plattform bietet Chats mit Abgeordneten des
Bundestages, Diskussionsforen, Abstimmungen, Nachrichten und
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Wenn der Bundestag Großes angeht, ist das öffentliche Interesse auch entsprechend groß. Nun ist die größte Verfassungsänderung in der Geschichte der Republik in Kraft getreten: die Föderalismusreform. Doch groß ist in der Bevölkerung vor allem der Fragebedarf. Was ist da eigentlich passiert? Wie wirkt es sich aus? Was bekomme ich davon zu spüren? Nachfolgend beschreibt BLICKPUNKT BUNDESTAG den Reformprozess, zeigt die Zusammenhänge auf, stellt Bewertungen zusammen und erläutert Details. Damit sich vor dem Hintergrund der politischen Debatte jeder selbst ein Bild machen kann, um was es sich bei diesem Regelwerk handelt: um eine „föderale Jahrhundertreform“, wie die Koalition sagt, oder um einen „faulen Kompromiss“, wie die Opposition kritisiert.
Zweifellos ist es ein Projekt von historischem Rang. Seit Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 stellte es, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der Verabschiedung im Bundestag erläuterte, „sowohl von der Anzahl wie auch von der Bedeutung der damit verbundenen Änderungen her die größte Ergänzung beziehungsweise Änderung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland dar“. Die Ausgangslage fasste Bundeskanzlerin Angela Merkel in dem Satz zusammen: „Für viele Bürger war und ist nicht mehr klar, wer wofür zuständig ist.“ Deshalb biete die Föderalismusreform die historische Chance, verflochtene Verantwortlichkeiten neu zu ordnen und eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen. Die Bilanz der Kanzlerin: „Damit wird staatliches Handeln durchschaubarer.“
Unterm Strich bekamen die Länder 16 neue Kompetenzen, der Bund sechs. Das lässt bereits in der Summe erahnen, welche Sprengkraft die Details in den Bundestagsfraktionen entfalteten. SPD-Fraktionschef Peter Struck erwähnte vor allem das (schließlich auch wieder gelockerte) Kooperationsverbot auf dem Feld von Forschung und Lehre, das den Abgeordneten Bauchschmerzen bereitete. Auch beim Umweltrecht hätten sich die Fachpolitiker im Bundestag mehr erhofft. Warum der Strafvollzug zurück zu den Ländern wanderte, hinterfragte Struck mit der Bemerkung: „Der Sinn erschließt sich vielen hier im Hause nicht“, und er kündigte an, darauf zu achten, dass es nun nicht zu einem „Länderwettbewerb um den härtesten Knast in Deutschland“ kommen werde. Dennoch blieb auch Struck dabei: Ohne diese Föderalismusreform wäre Deutschland in „akute Handlungsunfähigkeit geraten“.
Kunststück Organisation
Viele der Bedenken waren von Mitte Mai bis Anfang Juni bei der größten Sachverständigenanhörung in der Geschichte des Parlaments vorgetragen worden. Bundestag und Bundesrat hatten sie gemeinsam organisiert, und an sieben Tagen fielen alle anderen Sitzungen aus, damit die Abgeordneten 56 Stunden lang fast fünf Dutzend renommierten Wissenschaftlern und anderen Sachverständigen zuhören und sie durch Fragen zu Einschätzungen bewegen konnten. Doch schon am ersten Tag räumte einer der Staatsrechtler gegenüber dem SPDBerichterstatter Joachim Stünker ein, auch die Wissenschaftler würden keinen Entwurf liefern können, auf den sich zwölf Experten einigen könnten. Das zu leisten, sei Aufgabe der Politik.
Wozu sich zwölf Staatsrechtslehrer außerstande sahen, mussten 16 Landesregierungen, fünf Bundestagsfraktionen und 614 Abgeordnete auf die Beine stellen. Alles andere also als ein leichtes Unterfangen. Schon vom Volumen her. Müssen die im Parlament eingesetzten Berichterstatter sonst die Details eines recht übersichtlichen einzelnen Gesetzes im Blick behalten, sammelten sich nun allein bei einem der SPD-Berichterstatter, Joachim Stünker, 28 Aktenorder. „Da gibt es in meinem Büro mittlerweile ein richtiges Archiv zur Föderalismusreform“, berichtet der Abgeordnete, der schon der sogenannten „Kombo“, der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, angehörte.
Es war denn auch ein kleines Kunststück, diese Menge organisatorisch in den Griff zu bekommen. Deshalb hatte jede Fraktion mehrere Berichterstatter. Und die unterteilten die Föderalismusreform in mehrere Themenpakete, setzten Arbeitsgruppen ein, in denen die Einschätzungen der Fachpolitiker gebündelt und verknüpft wurden, entwickelten Leitlinien für die Meinungsbildung und tagten und tagten und tagten. So kam die komplette SPD-Fraktion allein zu vier Sitzungen zusammen, um die Reform im Beisein aller Fraktionsmitglieder durchzusprechen.
Die Frage, die viele Abgeordnete beschäftigte: Wie soll ein solcher Kraftakt, der ohne Beispiel in Sondergremien zwischen Bundestag und Bundesrat ausgehandelt war, schließlich durch das parlamentarische Verfahren gebracht und noch einmal auf Herz und Nieren geprüft und beraten werden? „Wir wussten am Anfang nicht, wie das laufen sollte“, erinnert sich die Unions-Berichterstatterin Daniela Raab. Auf Vorschlag des Bundestages einigten sich Bundestag und Bundesrat schließlich auf eine gemeinsame Anhörung, die absolut paritätisch ablief. Die beiden Verfassungsorgane bestellten je Bereich sieben Sachverständige, und im Vorsitz wechselten sich der Rechtsausschussvorsitzende des Bundestages, Andreas Schmidt (CDU/CSU), und der Innenausschussvorsitzende des Bundesrats, der schleswig- holsteinische Innenminister Ralf Stegner (SPD), ab. „Alle Bedenken, dass das einen Kuddelmuddel geben könnte, fielen vom ersten Tag an unter den Tisch“, betont Raab. Das habe alles „wunderbar“ funktioniert. Auch die Opposition würdigt übereinstimmend die Verhandlungsführung.
Spektrum der Sichtweisen
Die Zusammenarbeit habe auch ein Stück „vertrauensbildend“ gewirkt und manche Vereinbarung ermöglicht, die zunächst undenkbar schien. „Das verlief alles auf fachlicher Ebene und nicht entlang der Parteigrenzen“, hebt Raab hervor. Dieses Erlebnis habe allen regelrecht „gutgetan“. Und ihr SPDKollege Stünker erinnert sich an das erste Herantasten, als die Bundesländer auf eine Art Parallelgesetzgebung hinauswollten und lange vor Entstehen der großen Koalition SPD und Union im Bundestag gemeinsam das Modell der Bundesgesetzgebung mit Abweichungskompetenz entwickelten – und fortan gemeinsam dafür warben, bis es nach wenigen Veränderungen so tatsächlich in die Verfassung Eingang fand.
Die Wahrnehmung der Opposition weicht von den erfreulichen Eindrücken der Koalition allerdings deutlich ab. Nach dem Eindruck von Wolfgang Wieland, Berichterstatter von Bündnis 90/Die Grünen, entstand die „Situation einer Basar-Demokratie“. Die Länder hätten sich „jedes Weniger an Positionen, jedes Zurück an Kompetenzen an anderer Stelle bezahlen lassen“. Für Wieland hat die Föderalismusreform damit ihr Ziel verfehlt. „Wir wollten die Bundesrepublik fit machen für den europäischen Wettbewerb, für den internationalen Wettbewerb. Aber das ist so nicht erfolgt.“
Wie lief die Meinungsbildung bei den Grünen, die intern in launiger Formulierung (und ähnlich in anderen Fraktionen) als Frontstellung zwischen „Zentralisten“ und „Dezentralisten“ beziehungsweise zwischen „Jakobinern“ und „Föderasten“ bezeichnet wurde? Nach Wieland konnten sich beispielsweise nur baden-württembergische Parteifreunde mit dem Mehr an Bildungskompetenzen für die Länder anfreunden. Aufgrund wiederholter Nachfragen und vor allem durch Debatten in den Bundesarbeitsgemeinschaften „Bildung“ sowie „Demokratie und Recht“ hätten sich die Einschätzungen aus Stuttgart jedoch als Einzelstimmen herausgestellt.
Anders bei der FDP. Sie erlebte, wie auch andere Parteien mit Regierungsverantwortung in den Ländern, dass bundespolitische Beschlusslagen auf Länderebene weniger Bedeutung besitzen als die jeweiligen Länderinteressen. Es habe zwar immer wieder Sitzungen und Telefonkonferenzen gegeben, berichtet Sabine Leutheusser- Schnarrenberger über die Meinungsfindung zwischen FDP-Bundesebene und FDP-Landesebene, doch letztlich hätten die Parteifreunde in den Landesregierungen (anders als die Bundestagsfraktion) der Reform zugestimmt – nicht zuletzt mit Verweis auf die Aufwertung der Landtage.
Was bringt die Praxis?
Auch Die Linke. macht einen Unterschied zwischen Landesregierungen und Landtagen. So habe die Fraktion im Bundestag mit den Landtagsfraktionen übereingestimmt, „die Macht der Exekutive im Bundesrat zugunsten eines parlamentarisierten Verfahrens zurückzuschrauben“, wie Berichterstatter Wolfgang Neskovic festhält. Innerhalb der Partei sei bereits 2001 eine Bund-Länder-Projektgruppe gebildet worden, die dann in der Bundestagsfraktion durch die Bund-Länder-Koordination betreut worden sei. Und die kam zu dem Schluss: „Durch die Föderalismusreform werden Kleinstaaterei und Wettbewerbsföderalismus zulasten der gleichwertigen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gefördert.“ Daraus entwickelte sich die ablehnende Haltung zur Reform.
Wie sehen nun die Perspektiven aus? „Die Reform war notwendig und muss sich nun in der Praxis bewähren“, sagt Stünker (SPD). Nach dem zähen Tauziehen kann sich Raab (CDU/CSU) kaum ein besseres Ergebnis denken: „Unterm Strich ist es das, was wir uns vorgestellt hatten“ – freilich könne die Reform erst fruchten, wenn auch die Finanzbeziehungen neu geregelt seien. Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) sieht „viel Arbeit auf die Verfassungsgerichte von Bund und Ländern“ zukommen, da sich das Ganze „so zerkleckert“ habe. Auch beim Abweichungsrecht sei wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen: „Der Bund macht, einzelne Länder weichen ab, der Bund macht neu, die Länder weichen wieder ab, und kein Mensch blickt mehr durch – bei diesem Pingpong-Effekt ist doch der Streit programmiert“, sagt Wieland voraus. Einen „Wettlauf nach unten“ sieht Neskovic (Die Linke.) unter anderem beim neuen Beamtenrecht auf die Republik zukommen. Die Qualität des öffentlichen Dienstes werde vor allem in den finanzschwachen Ländern absinken.
Und Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht die Reform nicht nur als Berichterstatterin im Bundestag, sondern auch als Landesvorsitzende in Bayern. Mit dem Inkrafttreten beginne nun der „Lackmustest“. Beispielsweise müsse in Bayern jetzt ein Jugendstrafvollzugsgesetz her, auch die Abschaffung des Ladenschlusses oder die Übernahme der Kinderbetreuung. „Da wird jetzt abzutesten sein, wie ernst es die Länder meinten: Ging es ihnen nur um mehr Kompetenzen auf dem Papier, oder wollen sie nun tatsächlich mit eigenen Kompetenzen und mit eigenem Geld etwas verändern?“
Zweite Stufe Finanzen
Einig sind sich alle Fraktionen darüber, dass nun möglichst bald die Stufe zwei der Föderalismusreform folgen muss: die Neugliederung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Aber die Skepsis überwiegt. Leutheusser- Schnarrenberger sieht zu wenig Engagement bei den Landesregierungschefs, die sich zum Teil nun auf Landtagswahlen einstellten und deswegen wenig Bereitschaft zu einem neuen Kraftakt hätten. Neskovic fordert eine neue Bundesstaatskommission mit breiter wissenschaftlicher und öffentlicher Beteiligung; eine reine Regierungskommission, wie von den Ministerpräsidenten vorgeschlagen, sei „unannehmbar“. Wieland sieht wachsenden Handlungsdruck – vor allem auf die ärmeren Länder. „Ein Land wie Bremen muss sich wirklich fragen lassen, ob es sich die Selbstständigkeit noch erlauben kann.“
Damit spricht Wieland bereits die „Stufe drei“ der Föderalismusreform an. Die Länderneugliederung. Eine verbreitete Meinung dazu im Bundestag formulierte Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach so: „Wenn die Menschen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen haben, wenn sie sich mit einem Land, mit einem Stadtstaat identifizieren, dann kann es nicht Sache anderer sein, ihnen diese Identifikation zu nehmen. Deswegen müssen wir die Menschen zunächst von der Notwendigkeit einer Länderneuordnung überzeugen.“ Und sie danach selbst darüber abstimmen lassen.
Auch Stünker ist überzeugt: „Wenn wir die Finanzverfassung wirklich auf neue, tragfähige Beine stellen wollen, wird das mit 16 Ländern nicht funktionieren.“ Der nächste Schritt müsse deshalb ebenfalls gewagt werden: in der Finanzkraft vergleichbare Einheiten zu schaffen, die dann auch miteinander in den berühmten Wettbewerb treten könnten.
„Neue Dynamik in der
Gesetzgebung“: Interview Hans-Peter
Schneider