Zwei seiner Kämpfe gehören zu den glanzvollen Höhepunkten der internationalen Boxgeschichte: Sein Sieg - durch technischen K.o. in der 15. Runde im Weltmeisterschaftskampf gegen Young Stribling (USA) am 3. Juli 1931 in Cleveland und sein K.o.-Sieg am 19. August 1936 in New York in der zwölften Runde über den Amerikaner Joe Louis, der dann am 22. Juni 1938 in New York die Revanche durch K.o. in der ersten Runde gewann.
So respektheischend sich die großartige Ring-Karriere auch darstellt, unbefangen und allein mit dem Maß leistungssportlicher Erfolge gemessen, erscheint zweifelhaft, ob sie den Vorsprung vor den dreimaligen Wimbledon-Siegen Boris Beckers, den sechsfachen Formel-1-Weltmeisterschaften in Folge von Michael Schumacher oder den Triumphen Franz Beckenbauers als Spieler und Trainer bei Fußball-Welt- und -Europameisterschaften objektiv verdient.
Doch in Volkes Mehrheitsmeinung rangiert Max Schmeling schier uneinholbar vor allen anderen deutschen Sportheroen - schon zu Lebzeiten glorifiziert und mit legendärem Ruhm ausgestattet, so als hätte es in den Jahrzehnten des Kampfes um Meister und Millionen und auch außerhalb des seilumspannten Vierecks Niederschläge, Fouls und eigenes Fehlverhalten nie gegeben.
Max Schmelings Leben ist in Wort, Bild und Ton ungezählte Male ausgeleuchtet worden, meist im Sinne der Heldenverehrung, seltener als kritische Zwischenrufe. Seine erste Autobiografie "Mein Leben - Meine Kämpfe" verfasste er als damals 25-Jähriger bereits 1930. Ebenfalls autobiografisch von Ghostwritern formuliert, folgten 1956 "8-9-Aus !", 1967 "Ich boxte mich durchs Leben" und zuletzt 1977 die "Erinnerungen" mit dem im besten Reportagestil beschriebenen ersten Kampf gegen Joe Louis.
Die lange Reihe biografischer Werke begann 1937 mit dem Buch "Max Schmeling - die Geschichte eines Kämpfers" von Arno Hellmis, dem Reporter der Rundfunkübertragungen beider Louis-Kämpfe. Nunmehr präsentiert der Berliner Publizist Volker Kluge, Jahrgang 1944, eine Schmeling-Biografie. Kluge ist der gegenwärtig wahrscheinlich beste Kenner der olympischen Geschichte Deutschlands und Autor zahlreicher sporthistorischer Werke, so der bisher in fünf Bänden vorliegenden unvergleichlichen Chronik "Olympische Sommerspiele/Olympische Winterspiele".
Über vormalige Geschehnisse und Eigenarten des Boxsports und speziell des Profiboxens wusste Kluge vor der ersten Begegnung mit Schmeling am 8. April 1990 wahrscheinlich nicht mehr, als er als Leiter der Sportredaktion des FDJ-Zentralorgans "Junge Welt" und Pressechef des Nationalen Olympischen Komitees der DDR wissen musste. Umso lobenswerter seine schriftstellerische Leistung.
Als Kluge nach zehnjähriger Recherche mit der eineinhalb Jahre dauernden Schreibarbeit begann, entstand in Abweichung von anderen Publikationen nicht eine Boxgeschichte mit schmückendem zeitgenössischen Rahmen, sondern eine mit wissenschaftlicher Akribie betriebene chronologische Beschreibung des Verhaltens und Handelns seines Protagonisten und seines Umfelds. Das Ergebnis ist keine neue Heldensaga, sondern trotz der unübersehbaren Wertschätzung Max Schmelings und der angemessenen Würdigung seines faszinierenden Lebensweges die Versachlichung eines unerklärbaren Mythos.
Die "gute" Niederlage
Das betrifft Max Schmelings Boxkarriere ebenso wie seine Rolle in der Berliner Gesellschaft an der Seite Anny Ondras und seine Beziehungen zu Größen des NS-Regimes. Weitgehend verzichtet Kluge auf Kommentierungen und Interpretationen; er bombardiert stattdessen seine Leser mit Fakten, Fakten und nochmals Fakten, häufig bis in allerkleinste Details. Als Belege und Komplettierungen der in die Teile I "Der Boxer" und II "Die Legende" unterteilten 15 Kapitel, alles in allem 450 Druckseiten, liefert er einen 85-seitigen Anhang, bestehend aus 1.382 (!) "Anmerkungen", eine von 1905 bis 2002 datierte "Zeittafel" und ein Literaturverzeichnis mit 100 Namen.
Max Schmelings letzte Biografie "Erinnerungen" vermied platte Schönfärbereien, insbesondere auch Verstrickungen mit dem NS-Regime. Sein Resümee des zweiten Louis-Kampfes: "Aus dem Abstand des Alters denke ich mitunter, dass jene Niederlage tatsächlich ihr Gutes gehabt hat. Ein Sieg über Joe Louis hätte mich vielleicht wirklich zum ‚Parade-Arier' des Dritten Reiches gemacht."
Gleichwohl sind alle Selbstbeschreibungen Schmelings zwangsläufig subjektiv, während Kluges Werk in objektiver Betrachtensweise verharrt, egal, ob der sportliche Auf- und Abstieg, die Ära unter dem Hakenkreuz, die so glückliche Ehe mit Anny Ondra fernab von Wäschekammern und ähnlichen Skandalen, die kurze Militärzeit mit dem Einsatz auf Kreta, der Verlust der Besitztümer in Ost- und Mitteldeutschland, die schwere Nachkriegszeit oder das wirtschaftliche und gesellschaftliche Comeback behandelt werden.
"Von Künstlern umschwärmt, von Politikern und Industriekapitänen umworben, war Schmeling immer mehr als ein Boxer; sicherlich auch, weil es ihm am besten gelang, den ewigen Widerspruch von Körper und Geist aufzuheben". So nimmt Kluge in seiner "Warm-up" überschriebenen Einleitung das Fazit seiner Untersuchung vorweg. Wer den nunmehr fast 99-jährigen Max Schmeling auf dem Weg zur Altersweisheit miterlebte, der spürt, dass noch Vieles hinzukam: Charisma, Bescheidenheit, die Ausstrahlung von Menschlichkeit und vor allem im Gesamtbild seiner Persönlichkeit uneingeschränkte Glaubwürdigkeit - vorzügliche Wesensarten, die gerade auch unter den Vorzeichen ihrer literarischen Versachlichung den unerklärbaren Mythos Max Schmeling begründen.
Volker Kluge
Max Schmeling. Eine Biografie in 15 Runden.
Aufbau Verlag, Berlin 2004; 535 S., 24,90 Euro
Willi Ph. Knecht lebt als Publizist in Berlin; er war Leiter der Abteilung Aktuelles und Magazine bei RIAS Berlin und Chefredakteur der "Olympischen Sport-Bibliothek".