Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 19 / 03.05.2004
Christoph Oellers

Der staatliche Raubzug war lange ein Tabu

Eine Ausstellung in München beschäftigt sich mit der Entrechtung und Enteignung der Juden
Das Münchner Kaufhaus Uhlfelder im Rosental war sehr beliebt. Wie Wertheim oder Tietz (später Hertie/Kaufhof) war das Warenhaus die Gründung eines jüdischen Geschäftsmannes in den 1870er-Jahren. In der Weimarer Republik expandierte es, wurde 1931 ausgebaut und hielt sich - trotz Schikanen - zunächst in der Nazizeit.

Der Pogrom vom 9. auf den 10. November 1938, die so genannte Reichskristallnacht, bereitete dem Haus ein Ende. Inhaber Max Uhlfelder konnte mit seiner Familie nach der KZ-Haft in Dachau noch auswandern, seine Schwester gehörte zum ersten Deportationszug Münchner Juden im November 1941. Sie wurde bei der Ankunft in Litauen ermordet.

Wer die Ausstellung "München arisiert - Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit" besucht, erfährt vom Uhlfelder-Schicksal allenfalls beiläufig. Das ist aber kein Mangel, sondern gehört zum Konzept. "Der Besucher soll nach 45 Minuten informiert sein", sagt Angelika Baumann vom Münchner Kulturreferat, die mit ihrem Kollegen aus dem Stadtarchiv, Andreas Heusler, für das Projekt verantwortlich ist. Ein Buch, das wissenschaftliche Aufsätze zum Thema enthält, ersetzt den herkömmlichen Katalog. Da findet der Interessierte genaueres zur jüdischen Gemeinde in München, zu Nutznießern der Arisierung, die auch nach 1945 ein Leben in Saus und Braus führen konnten, sowie Aufklärung über das Kaufhaus Uhlfelder. Rund 1.800 Betriebe waren 1937 in jüdischer Hand, zwei Jahre später hatten alle den Besitzer gewechselt.

Ebenso erging es Strickwaren Marx in der Augustenstraße. Das Fachgeschäft gründete Justin Marx 1920. Bereits 1931 übertrug er das Geschäft seiner Frau, die Katholikin war. Das verschonte den Laden vor den Boykottaktionen im April 1933, und in der "Reichskristallnacht" 1938 schlug die SA keine Scheiben ein. "Mein Vater hat sich dann bei Kommunisten in Aubing versteckt." Der 80-jährige Sohn Richard steht in der Ausstellung, in der Straße von damals, vor der Nummer 75 - in einer Straße aus Pappmaché. Er erinnert sich, wie er als "Halbjude" weniger gefährdet war und anderen zur Seite stehen konnte. "1941 kamen die jungen Familien zur Deportation nach Milbertshofen. Wir haben dann geholfen, dass sie was zu essen bekamen." Neben Marx gab es noch 19 jüdische Geschäfte in der Augustenstraße. "Wir haben die Straße wegen ihrer Durchschnittlichkeit ausgewählt", sagt Ausstellungsmacher Heusler.

Die Vermögensverwertungsstelle in München habe in typisch nationalsozialistischer Administrations-Akribie jegliches Eigentum in jüdischer Hand protokolliert und versteigert, berichtet Stadtführer Axel Drecoll. "Jeder Socken, jedes Hemd, jede Tischlampe und jeder Sessel" sei dabei einzeln erfasst worden, genauso wie das Guthaben eines deportierten Kleinkindes in Höhe von weniger als zwei Reichsmark.

Mit der Ausstellung, so unterstreicht Kulturreferentin Lydi Hartl, werde ein Thema aufgegriffen, das bislang im Bewusstsein der Öffentlichkeit kaum präsent sei. "Wir betreten Neuland", sagt sie und zitiert den israelischen Historiker Saul Friedländer, dass eine Gesellschaft ohne Erinnerung nicht möglich sei. Hartls Aussage bezieht sich zunächst auf den Gegenstand, auf das Thema Arisierung, das lange Zeit wegen der vielen Nutznießer vor allem in der Wirtschaft der bundesrepublikanischen Gesellschaft tabu war. "Der staatliche Raubzug hat weitgehend unter den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden", sagte Kulturreferentin Hartl bei der Ausstellungseröffnung. Manche seien bis heute Nutznießer. Zudem hat die Forschung das Thema vernachlässigt. Es gilt als letzter weißer Fleck der NS-Geschichte, weil die Vernichtung der Juden selbst, die Shoah, die Vorstufen in den Schatten stellte. Hartl meint mit ihrer topographischen Metapher aber auch die Form, wie das Projekt präsentiert wird. Es ist nicht nur auf Ausstellung und Buch beschränkt, sondern bezieht die Nutznießer von damals ein: Allianz, Staatsbibliothek, Kreisverwaltungsreferat etwa zeigen selbst kleine Ausstellungen oder betreiben Aufklärung in eigener Sache. Das Begleitprogramm umfasst Diskussionen, Vorträge, Lesungen und einen Workshop im Lenbachhaus, bei dem der Herkunft bestimmter Gemälde nachgegangen werden soll. In den Kammerspielen lesen Schauspieler aus jüdischen Erinnerungen, denen Aussagen der Profiteure gegenüber stehen. Derjenige, der sich nach dem Besuch der Ausstellung nicht mit dem Straßenzug aus Pappe und anderen Inszenierungen (an einem langen Kellerregal mit Umzugskartons ist die Entrechtung der Juden bis zur beginnenden Vernichtung dargestellt) zufrieden gibt, kann an Rundgängen teilnehmen, die ihn an Tatorte des damaligen Geschehens führen. Zum Beispiel zum wieder aufgebauten Gebäude des früheren Kaufhauses Uhlfelder, in dem heute das Stadtmuseum seine Dauerausstellung zum Nationalsozialismus ("Chiffren der Erinnerung") präsentiert. Nicht nur die Stadt München betritt Neuland, sondern im Idealfall der Bürger selbst, der seine Stadt, die mal "Hauptstadt der Bewegung" hieß, nach Besuch dieses Ausstellungsprojektes mit anderen Augen sehen wird.

Bis zum 13. Juni täglich in den Kunstarkaden (Sparkassenstraße 3). Das Buch "München arisiert - Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit" ist bei Beck erschienen (19,90 Euro), das Begleitprogramm unter "www.muenchen.de/rathaus/referate/kult/ansprech/stadtgeschichte/39241/index.html" abrufbar.


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