Der Bundespräsident ist das deutsche Staatsoberhaupt. Zu politischer Neutralität verpflicht, lässt er für die Dauer der Amtszeit seine Parteimitgliedschaft ruhen. Ihm ist es untersagt, der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft anzugehören. Er repräsentiert die Bundesrepublik nach innen wie nach außen, vertritt den Bund völkerrechtlich, übt das Begnadigungsrecht aus, schlägt dem Bundestag den Bundeskanzler zur Wahl vor. Die Bundesgesetze fertigt der Präsident aus, ohne dass ihm dabei - so die herrschende Lehre - ein materielles Prüfungsrecht zusteht. In einigen wenigen Fällen haben die Präsidenten die Ausfertigung unterlassen. Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder den zuständigen Bundesminister (nicht bei der Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers). Die Machtbefugnisse des Staatsoberhaupts sind damit beschränkt. Immerhin verfügt es bei parlamentarischen Krisen über eine gewisse Nothelferfunktion. Ersten: Wenn der für das Amt des Kanzlers vorgeschlagene Kandidat auch im dritten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlt, obliegt es dem Bundespräsidenten, ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen (Art. 63, Abs. 4 GG). Zweitens: Nach einer gescheiterten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers, eine Auflösung des Bundestages nicht folgt, kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates für eine abgelehnte Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand erklären. Lehnt der Bundestag sie danach erneut ab, erlangt die Vorlage der Regierung Gesetzeskraft, sofern der Bundesrat zustimmt (Art . 81, Abs. 1 und 2 GG).
Weder der eine noch der andere Fall ist bisher eingetreten. Das parlamentarische System erwies sich als überaus stabil. Der jeweilige Kanzler bekam stets im ersten Wahlgang eine Mehrheit, und den Fall, dass nach einer gescheiterten Vertrauensfrage keine Auflösung des Bundestages folgt, hat es nicht gegeben. Allerdings: Nach zwei gescheiterten Vertrauensfragen (1972 und 1982) konnte der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers gemäß Art. 68 entscheiden, den Bundestag aufzulösen. In beiden Fällen kam er dem Wunsch des Kanzlers nach. War die Entscheidung 1972 unumstritten (die Regierung unter Willy Brandt besaß keine Mehrheit), so stellte sich die Situation zehn Jahr später anders dar. Zwar wünschten alle Parteien die Auflösung des Bundestages und damit Neuwahlen, doch hatte die neue Regierung aus Union und FDP nach dem erfolgreichen Konstruktiven Misstrauensvotum eine klare Mehrheit. Neuwahlen waren gewünscht, sei es, um die Regierung zu legitimieren, sei es, um sie wieder abwählen zu lassen. Die Entscheidung von Bundespräsident Carstens, das Parlament aufzulösen und damit den Weg für Neuwahlen zu ebnen, löste ein zwiespältiges Echo aus. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage einiger Bundestagsabgeordneten mit sechs gegen zwei Stimmen ab.
Ungeachtet der bescheidenen Kompetenzen bemühen sich die Parteien darum, eine Person ihres Vertrauens in das Amt zu bekommen. Sie hoffen, von dem hohen Ansehen des Präsidenten zu profitieren. Durch öffentliche Reden kann er Akzente setzen, auf die Meinungsbildung einwirken, ja, das politische Klima prägen. Wichtig ist vor allem die Integrationsfunktion des Präsidenten. Insofern dürfen Parteienabsprachen vor den Wahlen nicht verwundern, sind sie unvermeidlich.
Wahlprozedur
Die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten. Sie tritt nur zu diesem Zweck alle fünf Jahre zusammen. Die Bundesversammlung setzt sich aus den Mitgliedern des Bundestages zusammen und einer gleich großen Anzahl von Mitgliedern, die die Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmen. Auf diese Weise wird eine breite Legitimation gewährleistet. Die Mitglieder müssen nicht aus den Reihe der Landtagen stammen. Die Parteien nennen häufig Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. So gehören dieses Jahr zu den Mitgliedern der Kabarettist Otfried Fischer und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer - jeweils für die SPD -, die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und der Rektor der Technischen Universität Chemnitz Klaus-Jürgen Matthes - jeweils für die CDU -, die Schauspielerin Nina Hoss für die Grünen, der Chef der "Rotkäppchen"-Sektkellerei Gunter Heise für die FDP, die Ski-Doppel-Olympiasiegerin Rosemarie Mittermaier für die CSU, der Olympiasieger im Kugelstoßen Udo Beyer für die PDS.
Den von den Landesparlamenten bestellten 603 Mitgliedern stehen "nur" 602 Bundestagsabgeordnete gegenüber. Warum? Am 17. April 2004, zu einem Zeitpunkt, als die von den Bundesländern bestellten Mitgliedern bereits benannt waren, starb die direkt in den Bundestag gewählte Abgeordnete Anke Hartnagel. Ein solches Mandat darf gemäß einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1998 nicht ersetzt werden.
Gewählt ist, wer im ersten und im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erreicht - diesmal also mindestens 603 Stimmen. Im dritten Wahlgang genügt die relative Mehrheit. Der Bewerber muss das 40. Lebensjahr erreicht haben. Anschließende Wiederwahl ist einmal zulässig. Diese Grundgesetzbestimmung ist so zu verstehen, dass der Bundespräsident trotz zweimaliger Wahl wieder gewählt werden kann, wenn er einmal ausgesetzt hat. Beispielsweise: Richard von Weizsäcker scheiterte 1969 bei einer Abstimmung innerhalb der Unionsfraktion an Gerhard Schröder, fünf Jahre später in der Bundesversammlung an Walter Scheel. Hätte Weizsäcker 1969 und 1974 die Bundespräsidentenwahlen gewonnen, so wäre es durchaus möglich gewesen 1984 und 1989, wie geschehen, das Amt des Bundespräsidenten zu übernehmen - unter der Voraussetzung eines Nichtantritts bei der Wahl 1979.
Bonn und Berlin
Die erste Wahl am 12. September 1949 fand in Bonn statt - die Berliner Mitglieder zählten noch nicht mit -, die zweite am 17. Juli 1954, die dritte am 3. Juli 1959, die vierte am 1. Juli 1964 und die fünfte am 5. März 1969 jeweils in Berlin. Da die Sowjetunion wegen des Status von Berlin dagegen protestierte, tagte die Bundesversammlung fortan in Bonn: zur sechsten Wahl am 15. Mai 1974, von der siebten Wahl 1979 an jeweils am 23. Mai, dem Tag, an dem das Grundgesetz in Kraft trat. Nach der deutschen Einheit war Berlin wieder der Ort der Wahl. Am 23. Mai 2004 kommen die Mitglieder der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten im Reichstag zusammen.
Bei den bisherigen elf Bundespräsidentenwahlen - viermal gewann ein Kandidat der CDU, je zweimal einer der SPD und der FDP - genügte sechsmal ein erster Wahlgang - bei der zweiten Wahl von Theodor Heuss 1954, der zweiten Wahl von Heinrich Lübke 1969, der Wahl von Walter Scheel 1974, der Wahl von Karl Carstens 1979, den beiden Wahlen von Richard von Weizsäcker 1984 und 1989 -, dreimal ein zweiter Wahlgang - bei der jeweils ersten Wahl von Heuss 1949 und Lübke 1959 sowie der Wahl von Johannes Rau 1999. Drei Wahlgänge waren 1969 nötig, als sich der Sozialdemokrat Gustav W. Heinemann knapp gegen den Christdemokraten Gerhard Schröder durchsetzte, und 1994, als Roman Herzog (CDU) über Johannes Rau (SPD) triumphierte. Die FDP gab in diesen beiden Fällen ihre Stimmen nicht einheitlich ab. Schon immer spielten parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle. Die jeweilige Opposition deutete ihren Sieg als Vorwegnahme des Regierungswechsels. 1969 traf dies zu, 1979 nicht - oder jedenfalls nur mit Verzögerung. Wie es diesmal sein wird, hängt nicht nur vom Ausgang der Wahl am 23. Mai ab, sondern auch von dem der nächsten Bundestagswahlen.
Von Theodor Heuss bis Johannes Rau
Der erste Bundespräsident war der Publizist und Schriftsteller Theodor Heuss (vom 13. September 1949 bis 12. September 1959), zugleich der erste Vorsitzende der FDP. Der Liberale (1884 bis 1963), der in der Weimarer Republik dem Reichstag angehört und dem "Ermächtigungsgesetz" 1933 zugestimmt hatte, setzte sich gegen seinen Konkurrenten, den Vorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher, klar durch, weil er die Unterstützung der Union gefunden hatte. Die FDP machte sich ihrerseits drei Tage später erfolgreich für die Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler stark. Der Wiederwahl von Heuss stimmten 1954 auch die meisten Repräsentanten der SPD zu.
Die behutsame Amtsführung von Heuss, die sich als stilbildend erwies, ließ wenig Wünsche offen. Er suchte keine Kraftproben mit dem Kanzler, um die Grenzen seiner Kompetenzen wissend. Durch sein weltoffenes Auftreten, das allen nationalistischen Attitüden abhold war (der Begriff "Kollektivscham" stammt von ihm), gewann er schnell viele Sympathien, auch im Ausland. Der Versuchung, die Verfassung zu ändern und eine dritte Amtszeit vorzusehen, unterlag er nicht.
Auf Theodor Heuss folgte Heinrich Lübke von der CDU - vom 13. September 1959 bis 30. Juni 1969). Der Sauerländer (1894 bis 1972) gehörte als Zentrumsmann dem Preußischen Landtag an (1931 bis 1933) und war von 1953 bis 1959 Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zunächst beanspruchte Kanzler Adenauer das höchste Staatsamt, doch als dieser die politischen Möglichkeiten des Amtes gering einschätzte, fiel die Wahl auf den als redlich geltenden Sauerländer.
Lübke erfreut sich durch seine unprätentiös-bescheidene Art zunächst großes Respekts. Die SPD unterstützte seine Wiederwahl 1964, sah sie in ihm doch einen Verfechter der von ihr gewünschten "Großen Koalition". Er erwies sich als "politischer" Präsident. Die zweite Amtszeit war durch linkische rhetorische Auftritte getrübt. Er trat zum 30. Juni 1969 vorzeitig zurück, um Bundespräsidenten- und Bundestagswahl zeitlich zu entzerren, so die offizielle Begründung. Der aufrechte Mann ist vielfach verkannt worden. Die aus dem Osten lancierten Vorwürfe, er sei "KZ-Baumeister" gewesen, erwiesen sich als haltlos.
Mit Gustav W. Heinemann (vom 1. Juli 1969 bis 30. Juni 1974) kam der erste Sozialdemokrat in das höchste Staatsamt. Der erste Innenminister der Bundesrepublik (1899 - 1976) gehörte zunächst der CDU an, verließ diese wegen der Wiederbewaffnungspolitik der Bundesrepublik, gründete eine (erfolglose) Gesamtdeutsche Volkspartei und trat schließlich in die SPD ein, für die er das Amt des Bundesministers der Justiz zur Zeit der Großen Koalition ausübte (1966 - 1969). Er wurde mit den Stimmen vieler FDP-Vertreter in der Bundesversammlung gewählt. Sein Wort einen Tag nach der Wahl, es habe sich ein
"Stück Machtwechsel" vollzogen, löste Aufsehen aus.
Heinemann war kein bequemer Präsident. Sein Engagement galt unter anderem gesellschaftlichen Randgruppen. Des öfteren erinnerte der "Bürgerpräsident", dem Staatsvergottung nichts bedeutete, an demokratische Traditionen in der deutschen Geschichte (wie die Revolution 1848). Ihm ging es wesentlich darum, die studentische Protestbewegung in die demokratische Gesellschaft zu integrieren. Seine Schnörkellosigkeit erteilte jeder Art von Pomp eine Absage.
Walter Scheel - vom 1. Juli 1974 bis 30. Juni 1979 - folgte Heinemann, dessen Wahl nicht zuletzt auf ihn zurückging. Der FDP-Politiker (geb. 1919) fungierte als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in einer von der Union geprägten Regierung (1961 bis 1966) und als Bundesaußenminister in der sozial-liberalen Regierung (1969 bis 1974). Hatte Scheel selbstbewusst auf das Amt des Bundespräsidenten mit Unterstützung der SPD hingearbeitet, so blieb ihm eine zweite Amtsperiode wegen einer Unionsmehrheit in der Bundesversammlung versagt.
Die "rheinische Frohnatur" wusste über die "politischen Fronten" hinweg zu integrieren, obwohl er unmittelbar davor noch als Außenminister im politischen Tageskampf stand. Der bisher jüngste Präsident in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland rückte das Prinzip der "Aussöhnung" in den Vordergrund seiner Reden. Beim Thema Terrorismus, etwa im "deutschen Herbst" 1977, nahm er kein Blatt für den Mund. In dieser für die Existenz des politischen Gemeinwesens zentralen Frage war mit ihm nicht zu spaßen.
Die absolute CDU/CSU-Mehrheit ermöglichte Karl Carstens die Präsidentschaft - vom 1. Juli 1979 bis 30. Juni 1984. Das Amt des Bundestagspräsident (1976 bis 1979) war für ihn (1914 bis 1992), der zuvor in der Wissenschaft - Professor für Staats- und Völkerrecht -, als Staatssekretär im Auswärtigen Amt, im Verteidigungsministerium, im Bundeskanzleramt sowie als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundstagsfraktion Meriten erworben hatte, eine Art Generalprobe für das höchste Staatsamt.
Hatte die SPD Carstens zuvor als "Hardliner" heftig abgelehnt, so ebbte die Kritik während seiner Amtszeit stark ab. Der Bundespräsident hielt sich mit parteipolitisch gefärbten Äußerungen zurück und baute eine gute Beziehung zu Bundeskanzler Schmidt auf. Mit der Übernahme der Regierung durch die Union verbesserte sich das Ansehen Carstens'. Gleichwohl kam schon aus Altersgründen eine zweite Amtszeit nicht in Frage. In seinen Reden warb der Pflichtmensch Carstens, der zur Popularität des Wanderns beitrug, für die institutionellen Grundfesten der demokratischen Ordnung.
Mit Richard von Weizsäcker stammte der nächste Bundespräsident - vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1994 - ebenfalls aus der CDU. Die SPD stellte bei beiden Kandidaturen keine Konkurrenten auf. Wohl nichts demonstriert augenfälliger die Zustimmung der SPD zu einem Mann, der in der "falschen Partei" sei. Weizsäcker (geb. 1920) fungierte zwischen 1964 bis 1981 - mit einer längeren Unterbrechung in den 70er-Jahren - als Präsident des Evangelischen Kirchentages und übte zwischen 1981 und 1984 das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin aus.
Für manche gilt Weizsäcker als eine Art "Bilderbuchpräsident": glaubwürdig, integer, souverän. Der rhetorisch brillante Präsident sorgte immer wieder für Aufmerksamkeit und fand stets Gehör. Das Thema "Vergangenheitsbewältigung" wurde in den verschiedensten Formen variiert. Am bekanntesten ist wohl seine Rede 40. Wiederkehr des 8. Mai 1945, einem Tag der "Befreiung". Allerdings: Was zuvor nicht eingetreten war und später nicht mehr eintreten sollte - die Öffentlichkeit nahm Weizsäcker zum Teil als Konkurrenz zu Bundeskanzler Helmut Kohl wahr beziehungsweise baute eine solche auf.
Mit Roman Herzog setzte sich die Liste der Bundespräsidenten aus den Reihen der CDU fort - vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1999. Vorgesehen war zunächst der sächsische Justizminister Steffen Heitmann, der wegen einer Reihe als missverständlich geltender Interviews von seiner Kandidatur zurücktrat. Herzog (geb. 1934) war früher Staatsrechtsprofessor, Minister in Baden-Württemberg (1978 bis 1983) und Präsident des Bundesverfassungsgerichts (1987 bis 1994). Er wies keine so enge Nähe zur Bundespolitik auf wie seine Vorgänger. Eine Wiederwahl fasste Herzog von vornherein nichts ins Auge, wiewohl sich später ein kurzfristiges Schwanken einstellte.
Herzogs unverkrampfte Art kam bei den meisten Bürgern gut an. Furore machte seine "Berliner Rede" aus dem Jahre 1997, in der er von dem "Ruck" sprach, der durch unsere Gesellschaft gehen müsse. Klare Worte überlagerten zuweilen diplomatische Wendungen. Diese Authentizität steigerte seine Popularität, wobei Herzog keinem Populismus Vorschub leistete. Die Kritik aus den Reihen der SPD verstummte bald.
Der Konkurrent Herzogs, Johannes Rau, wurde sein Nachfolger - vom 1. Juli 1999 bis 30. Juni 2004. Der Bundespräsident (geb. 1931), der auch Stimmen von FDP-Delegierten bekam, begann seine parteipolitische Karriere bei der Gesamtdeutschen Volkspartei und trat erst 1957 in die SPD ein. Zwischen 1970 und 1978 Minister für Wissenschaft und Forschung in Nordrhein-Westfalen, nahm er zwei Jahrzehnte lag das Amt des Ministerpräsidenten im größten Bundesland wahr (1978 - 1998). 1987 scheiterten seine Bemühungen als sozialdemokratischer Kanzlerkandidat. Gleich Herzog stellt er sich nicht wieder zur Wahl.
Mit 68 Jahren war Rau bei Beginn seiner Amtszeit der älteste Bundespräsident. Nach einem eher mühsamen Start, zum Teil bedingt durch gesundheitliche Probleme, erwarb er sich durch seine humorvolle Art Achtung bei Andersdenkenden, ebenso durch sein praktiziertes Motto: "versöhnen statt spalten" Wie seinen zwei Vorgängern lag ihm die innere Einheit Deutschlands am Herzen. Als Christ wandte sich Rau gegen die menschliche Hybris, alles "Machbare" auch als "machbar" anzusehen.
Horst Köhler oder Gesine Schwan?
Da die Union mit Unterstützung der Liberalen eine Mehrheit in der Bundesversammlung besitzen, war sie am Zug. Viele wollten Wolfgang Schäuble. Doch konnte sich dieser nicht durchsetzen, weil die Parteivorsitzende Angela Merkel auf die FDP Rücksicht nehmen musste oder so tat, als ob sie es musste. Ein langwieriges Hin und Her - drastische Begriffe wie "Posse" oder "Ränkespiel" für solche Vorgänge sind wohl nicht übertrieben - führte schließlich, für die meisten überraschend, zur Aufstellung des Ökonomen Horst Köhler. Die FDP stimmte dem zu.
Nachdem die Entscheidung für Horst Köhler, den Direktor des Internationalen Währungsfonds, gefallen war, präsentierte die SPD mit Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin und Präsidentin der Universität in Frankfurt an der Oder, flugs ein respektables Pendant. Die Grünen stellten sich hinter dieses überraschende Votum. Zum ersten Mal treten als Kandidaten keine "Parteipolitiker" an. Beide Persönlichkeiten, deren Bekanntheitsgrad sich vor der Nominierung im Promillebereich bewegt hat, sind nach ihrem Lebensweg höchst geeignete Kandidaten. Sie lassen eine gewisse Distanz zum Parteienbetrieb erkennen, betreiben eine Art Kandidatenwahlkampf, wiewohl die Bevölkerung nicht darüber befindet, ob sie präsidiabel sind.
Die Union verfügt über 539 Stimmen und die FDP über 83. Damit geraten SPD (459 Stimmen) und Grüne (90 Stimmen) ins Hintertreffen, zumal nicht alle der 31 Wahlmänner der PDS Gesine Schwan unterstützen dürften. Drei Stimmen fallen in die Rubrik "Sonstige" - je ein Repräsentant des SSW und der DVU sowie der fraktionslose Abgeordnete Martin Hohmann. Die Mehrheitsverhältnisse sind eindeutig. Die Wahl ist geheim. Überraschungen sind nicht auszuschließen. Schwan setzt insbesondere auf weibliche "Wahlmänner" aus den Reihen von Union und FDP. Wer sie als "Zählkandidatin" abwertet, unterhöhlt das demokratische Wahlverständnis, ganz unabhängig von ihren Aussichten. Am 23. Mai, dem Verfassungstag, fällt die Entscheidung, wer als Nachfolger von Johannes Rau das Amt des Bundespräsidenten bekleidet.