Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 21-22 / 17.05.2004
Helmut Däuble

Die Identität des alten Kontinents ist im Fluss

Auf der Suche nach einem europäischen Selbstverständnis
Die Suche nach der so genannten europäischen Identität ist im Jahr der großen Osterweiterung im vollen Gange. Noch ist unklar, wo sie zu finden ist, ob es sie überhaupt gibt oder geben wird. Auch bleibt unklar, ob wir ein europäisches Wir-Gefühl unbedingt brauchen.

Befragen wir die Bürger Europas direkt, so lässt sich laut Eurobarometer feststellen, dass nur etwa einer von zehn befragten EU-Bürgern sich in erster Linie als Europäer definiert. Neun von zehn Befragten dagegen geben klar an, dass ihre primäre kollektive Identität nach wie vor auf ihre nationale Zugehörigkeit bezogen bleibt. Eine genauso klare Sprache spricht die Wahlbeteiligung bei der Europawahl. Beteiligten sich 1994 noch 64 Prozent an der Wahl, so sank die Wahlbeteiligung im Jahre 1999 auf 48 Prozent. Durch diese Zahlen wird erkennbar, was nach wie vor wirklich zählt in Europa: die eigene Nationalität und die nationale Politik. Mögen wir vielleicht schon ein wenig Europäer geworden sein, aber vorrangig sind wir es ganz sicher nicht. Europäer sind wir erst in zweiter Linie, wenn überhaupt.

Plausible Erklärungen dafür liegen auf der Hand. Solange die wirklich relevanten politischen Entscheidungen - seien es die aktuellen Reformpakete, sei es das noch zu verabschiedende Zuwanderungsgesetz - immer noch auf weitgehend nationaler Ebene angesiedelt sind, wird der Bezug auf dieses (nationale) Kollektiv vorrangig bleiben. Und solange man das Europaparlament als Abschiebebahnhof für mehr oder weniger verdiente nationale Politiker missbraucht, wird "Europa" auch als kaum etwas anderes wahrgenommen werden können denn als ein Verwaltungsapparat zur Umverteilung von Mitteln. Jedenfalls nicht als eine Entität, die eine breite europäische Bindewirkung erzielen kann.

Des Weiteren hat ein politisches Gebilde, das sich auf einen Schlag durch die Osterweiterung fast verdoppeln lässt, ohne klar erkennen zu lassen, welche Länder noch dazu kommen könnten, wo also eine Grenze liegen könnte, die Innen von Außen, die Eigen von Fremd unterscheidet, keine Substanz, auf die sich so etwas wie ein essentielles Zusammengehörigkeitsgefühl beziehen könnte.

Die Diskussion, ob die Türkei dazugehören sollte, belegt nur: Wir Europäer wissen nicht, wer wir sind, wir wissen nicht, was uns aneinander bindet. Kurz gesagt ist alles Gerede vom europäischen Wir-Gefühl das Lippenbekenntnis von Europa-Politikern auf Europa-Tagen, die es dieser Tage zuhauf gibt. Ihre Anstrengungen, die Europa-Idee zu lancieren, sind jedoch eher als der Ausdruck nach dem Bedürfnis einer europäischen Identität zu verstehen, als dass sie diese bereits verkörpern würden.

Was ein genuines Wir-Gefühl entstehen lässt, ist der Glaube, dass man eine Gemeinschaft mit anderen bildet, die in Krisenzeiten zu gegenseitiger Loyalität verpflichtet. Es ist die Bereitschaft, für das Eigene einer Wir-Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, Opfer zu bringen.

Eine solche Situation mag zukünftig kommen, sie muss es aber nicht. Um nur zwei hypothetische Szenarien anzudeuten: Es könnte zum einen sein, dass eine ökologische Katastrophe, wie etwa das Überfluten einzelner Teile Europas, "uns Europäer" zwingt, die Flutopfer europäisch zu versorgen und damit eine europäische Initiative zu erwecken, die mit globaler Wirkung ein weitaus stärkeres Engagement zum Klimaschutz voranbringt. Zum anderen wäre eine militärische Bedrohung denkbar, die allerdings als klassische Kriegsgefahr glücklicherweise nicht mehr in Sicht ist. Solche Gedankenspiele, die sich ausmalen, dass Europa in einen konventionellen Krieg gerät, der die Europäer in Europa als Kollektiv bedroht, sind momentan erfreulicherweise müßig. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass eine Art von asymmetrischem terroristischen Krieg "gegen" Europa auf uns zukommt, der in Madrid seinen Ausgang genommen haben mag. Auch wenn das rein fiktive Annahmen sind, so weiß man doch nicht zuletzt seit Jürgen Kockas Forschungsarbeiten zur Nationenentwicklung des 19. Jahrhunderts, welche Rolle der "Krieg als Geburtshelfer von Nationalstaaten" gespielt hat.

Dass sich solche engen kollektiven Bindungen, die sich in selbstverständlichen Treueverhältnissen in Fällen eines Aufeinanderangewiesenseins manifestieren, auch missbrauchen lassen, zeigen die nationalistischen Ausschweifungen des 20. Jahrhunderts überdeutlich.

Eine europäische Identität wird es wohl nur geben können, wenn wir, die Europäer, etwas haben, das im breiten Konsens als etwas spezifisch verteidigungswürdig Europäisches wahrgenommen wird. Eine Integration ist nur möglich, wenn die Differenz zu Anderen, wenn die Grenze des Eigenen den Mitgliedern einer Wir-Gruppe ebenso bewusst und ersichtlich ist, wie den Nichtdazugehörigen.

Aber gibt es nicht schon ein Bündel von gemeinsamen Werten bzw. Kriterien, die neue EU-Mitglieder erfüllen müssen und zu denen etwa Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz und Religionsfreiheit gehören, um nur einige zu nennen? Sicher, doch sind diese Werte in je eigener Kombination zwischenzeitlich glücklicherweise in vielen Teilen der Welt anzutreffen. Gerade die europäische Form der Demokratieausbreitung, die gelungene Universalisierung der Aufklärung, die globalisierte Modernisierung, welche allesamt von Europa ausgingen, haben die Europäer zunächst und paradoxerweise um ihre Eigentümlichkeiten gebracht. Der Erfolg Europas, die Europäisierung der Welt ist eine der Ursachen, warum wir Schwierigkeiten bei der Identitätssuche haben, um das Wort Identitätskrise zu vermeiden.

Die schnellste Form der Neukonstruktion Europas ist verführerisch, letztlich jedoch der falsche Weg, der zu einem maroden Fundament eines geeinten Europas führt. Die Rede ist von der Heerschar an Intellektuellen, die uns Europa als etwas ewig schon Existentes nahe bringen wollen, dessen "natürliche und geschichtliche" Zusammengehörigkeit bisher schlicht übersehen worden sein soll. Diese "Produzenten von kollektiver Identität" (Bernhard Giesen) erzählen uns die Geschichte Europas als Geschichte von zahllosen Jahrtausende alten Gemeinsamkeiten. Die gemeinsame Geschichte, die gemeinsame Religion (natürlich das Christentum), die gemeinsamen Sitten wie Recht und politische Kultur, ja überhaupt die gemeinsame europäische Kultur, die sich in der Literatur, in der Kunst, in der Musik und in der Architektur zeigt, seien doch offensichtlich. Haben wir nicht auf unseren neuen Euro-Geldscheinen Bauwerke unterschiedlicher Jahrhunderte, die als paneuropäisch gelten?

So wie die "Erbfeindschaft" zwischen Deutschen und Franzosen als ewig und naturgegeben angesehen wurde und über Jahrhunderte hinweg rückerzählt und tradiert wurde, so wird gegenwärtig Europa als natürliche Entität narrativ reproduziert. Keine Talkshow über das Thema "Europäische Identität", ohne dass die Ursprungslegende von Zeus und der entführten Prinzessin erzählt wird, kein Schulbuch und keine Erziehungsinstanz, die nicht vehement - und dabei die Grenze der Indoktrination bereits überschreitend - darauf hinweisen, dass zahlreiche "Konstanten unseres gewachsenen geistigen Besitzes als Europäer" (Deutscher Lehrerverband) uns gleichsam automatisch die Zusammengehörigkeit sowie ein paneuropäisches Bewusstsein bescheren. Selbst die Präambel der im Entstehen begriffenen Verfassung für Europa gründet sich stolz fast schon überheblich auf ein altes schon immer zusammengehöriges Europa: "In dem Bewusstsein, dass der Kontinent Europa ein Träger der Zivilisation ist und dass seine Bewohner, die ihn schon seit den Anfängen der Menschheit in immer neuen Schüben besiedelt haben, im Laufe der Jahrhunderte die Werte entwickelt haben, die den Humanismus begründen: Gleichheit der Menschen, Freiheit, Vorrang der Vernunft, ..."

Faschismus und Stalinismus scheinen demnach nichts typisch Europäisches zu sein, Holocaust und Archipel Gulag gelten hierbei wohl nur als bedauerliche Ausnahmeerscheinungen und Entgleisungen eines ansonsten zivilisierten Europas. Seit den bahnbrechenden Arbeiten von Eric Hobsbawm und Benedict Anderson über die "Erfindung der Nation" sind wir Europäer zu aufgeklärt, als dass wir das Beharren auf der Zeitlosigkeit der kulturellen und zivilisatorischen europäischen Leistungen als Grundlage eines Zusammengehörigkeitsgefühls nicht als Konstrukt durchschauen könnten. In Krisenzeiten hätte eine solche artifizielle Identität keine Chance europäische Loyalität und Solidarität zu gewährleisten.

Was also könnte eine europäische Identität tatsächlich begründen, was ist verteidigungswürdig Bindendes? Was den ideellen Kern eines europäischen Selbstverständnisses ausmacht, ist oft deutlicher zu erkennen, wenn man den Blick von außen auf dieses Gebilde wirft. Getan hat das für uns der amerikanische Politologe Robert Kagan, der Europa in einem heftigst diskutierten Artikel wie folgt beschreibt: "Europa hat sich von der Macht losgesagt, es bewegt sich auf eine Welt zu, die fest in Gesetze und Regeln, in transnationale Vereinbarungen und Kooperationen eingebunden ist. Man betritt ein posthistorisches Paradies der Gewaltfreiheit und des relativen Wohlstands, in dem sich Immanuel Kants Ideal vom ewigen Frieden verwirklicht" (Die Zeit 1. Juli 2002). Kagan betrachtet das pazifistisch gewordene und auf Multikulturalismus eingeschworene Europa, das nur noch die außenpolitischen Mittel der "Diplomatie, Verhandlungen, Geduld, wirtschaftliche(n) Beziehungen und politischen Bemühungen, die Anwendung von Anreizen statt Sanktionen, kleine Schritte und gezügelten Ehrgeiz" kennen würde, mit verständnisvollem Paternalismus. Letztlich hält er diese Grundhaltungen jedoch für naiv. Nur weil Europa relativ schwach geworden wäre, neige es zur "Abneigung gegenüber Gewalt als politischem Instrument in internationalen Beziehungen". Kagan führt diese "friedfertige Kultur" zurück auf seine "von Kriegen verdüsterte Vergangenheit". Sein Ratschlag mündet darin, diese Schwächephase zügig zu überwinden. Europa solle seine "militärischen Fähigkeiten" ausbauen und so endlich wieder in die Hobbe?sche Welt zurückkehren, in der es gilt, gemeinsam mit den USA die zahlreichen Schurkenstaaten dieser Welt zu bekämpfen.

Doch gerade diese Orientierung an möglichst friedfertiger Beilegung von Konflikten, der strikten Beachtung von Völkerrecht, der Unterstützung der Vereinten Nationen als einer Institution, die zukünftig keiner Supermacht mehr unterlegen ist, der Absage an Unilateralismus und der Beförderung von multilateralem Handeln machen einen Kern an europäischem Selbstverständnis aus, der es gerade gegenüber den USA wert ist, verdeutlicht und verteidigt zu werden. Es gibt eine überwiegende Mehrheit in der europäischen Bevölkerung, die der gegenwärtigen Politik der USA, die Krieg und militärische Gewaltanwendung als selbstverständliches Mittel der Politik wieder hoffähig zu machen sucht, ablehnend gegenüberstehen. Eine Krieg-als-Fortsetzung-der-Politik-Ideologie steht dem europäischen Selbstverständnis diametral gegenüber.

Europäisches Selbstverständnis ist allerdings nicht das gerade Gegenteil solcher fundamentalistischen Grundhaltungen. Nicht radikaler Pazifismus ist zu einer europäisch geteilten Überzeugung gegenüber martialischem Hegemonialstreben geworden, sondern der vorsichtige Umgang mit militärischen Mitteln, ihr Einsatz nur als Ultima Ratio.

Doch sind antimilitaristische und antiimperialistische Grundhaltungen nicht die einzigen Einstellungen, die zu einem europäischen Bindegewebe werden könnten. Vielleicht lässt sich das, was uns Europäer tatsächlich eng verbindet, als ein generelles Misstrauen und eine generelle Distanz zu fundamentalistischen Vorstellungen von Politik bezeichnen. Diese gemeinsame Haltung resultiert aus zahlreichen negativen Erfahrungen, die Europa in seiner Geschichte durchleben musste. Die Überwindung von Faschismus und Kommunismus, die konsequente Wehrhaftigkeit gegenüber Rechts- wie Linksextremismus lassen sich dabei als zentrale Schubkraft einer europäischen Integrationslokomotive benennen. Das, was heute unsere selbstverständliche Zuwendung zu Menschen- und Bürgerrechtsfragen und deren Schutz ausmacht, ist Resultat aus der radikalen Verneinung solcher Rechte durch die beiden genannten fundamentalistischen Großideologien des 20. Jahrhunderts. Antifundamentalismus als Nukleus einer europäischen Identität ist also das Ergebnis aus bitteren historisch-gesellschaftlichen Lernprozessen. In der Abwehr von gegenwärtigen Fundamentalismen liegt demnach eine große Chance, dass die durchaus schon vorhandenen Keimzellen eines europäischen Bewusstseins und Wir-Gefühls sich zu einem lebendigen Gebilde entwickeln.

Antifundamentalismus ist Europäern auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu eigen geworden. Die Abwehr eines entfesselten Neoliberalismus wie zugleich einer alle gesellschaftlichen Bereiche penetrierenden Staatswirtschaft sind gleichermaßen europäisch geteilte his-torische Lernerfahrungen. Die Überwindung der sozialistischen Staatswirtschaften in Osteuropa ist daher sicherlich eine der größten antifundamentalistischen Erfolge, den die Idee des Liberalismus vorzuweisen hat. Insbesondere die Abwehr von leistungshemmenden, wenn nicht leistungsabtötenden staatlichen Bevormundungen und von Staatsinterventionismus bleibt als Lernerfahrung auch weiterhin europäisches Selbstverständnis. Doch gehört zur Idee Europa nicht nur die unersetzliche private Leistungsorientierung, sondern immer auch die sozialstaatliche Wohlfahrtsorientierung für diejenigen, die nicht in dem Maße leistungsfähig sind, wie es eine marktorientierte Leistungsgesellschaft erfordert.

Wenngleich Sozialreformen aus vielerlei Gründen unabdingbar geworden sind, ist der ungebändigte Neoliberalismus doch in seinen Forderungen nach einer radikalen Beschneidung zu einer fundamentalistischen Ideologie geworden, die vergisst, welche Bindewirkungen aus dem Zusammenspiel von Leistungs- und Wohlfahrtsorientierungen entstehen. Es gilt, die wohltemperierte Balance zwischen Leistung und Solidarität zu reformieren und neu gestaltet zu bewahren. Auch wenn der Sozialstaat dahingehend reformiert und modernisiert werden muss, dass eine wagemutige individuelle Leistungsorientierung befördert wird, besteht momentan viel eher die Gefahr, dass der Neoliberalismus die europäische Gesellschaften spaltet anstatt zu deren Integration beizutragen. Der Neoliberalismus angelsächsischer Prägung kann also kein Modell für Europa sein.

Der andere gefährliche Fundamentalismus, den die Europäer gemeinsam abweisen müssen, ist der religiöse Fanatismus. Die bereits als Konsequenzen aus dem 30-jährigen Krieg sich allmählich entwickelnde Säkularisierung sowie Trennung von Kirche und Staat haben sich in Europa als Basisüberzeugungen durchgesetzt, und selbst wenn sich noch große europäische Volksparteien mit dem C des Christentums im Namen schmücken, so ist auch bei diesen Parteien die Trennung von Kirche und Staat weitgehend selbstverständlich geworden. Keine europäische Bewegung, die sich für einen Gottesstaat einsetzen würde, hätte heute eine Chance im Gegensatz zum arabischen Raum, wo islamistische Fanatiker den Märtyrertod zu sterben bereit sind, um dieses Ziel zu erreichen. Doch ist bei all dieser aufgeklärten europäischen Grundhaltung islamistischem Fanatismus gegenüber nicht zu übersehen, dass Fundamentalismus nicht spezifisch für den Islam, sondern bei allen Glaubensgruppen vorzufinden ist. In der Abwehr eines religiösen Fanatismus jeglicher Herkunft könnten aufgeklärte europäische Christen, Juden, Muslime, Atheisten usw. sich ihrer antifundamentalistischen Gemeinsamkeiten gewahr werden und so ihr diesbezügliches europäisches Selbstverständnis als starke Bindekraft wahrnehmen. Noch verhindert die Vorstellung vom "Kampf der Kulturen" und die häufig vorfindliche Wahrnehmung des Islam als einer "uneuropäischen" Religion jedoch die Ausbildung eines solcherart geprägten aufgeklärten europäischen Wir-Gefühls. Bezeichnenderweise gilt für uns Europäer auch in dieser Frage, sich von der dominierenden US-amerikanischen Weltneuordnungsideologie zu distanzieren, die sich in göttlichem Auftrag einer Welt der Bösen gegenübersieht und damit selbst sehr nahe an religiösem Fundamentalismus steht.

Zusammenfassend lässt sich nun festhalten, dass die Essenz einer europäischen Identität längst vorhanden ist. Die im Wesentlichen aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erwachsene und die Europäer einigende Grundhaltung ist die des Anti-Fundamentalismus, der Ablehnung von Extremismus, Fanatismus und politischem Messianismus. Eine europäische Identität muss deswegen nicht antiamerikanisch sein. Mit den USA bleiben wir gemeinsam westlichen Werten verpflichtet und teilen eine Demokratie und Menschenrechte prinzipiell achtende politische Kultur. Doch ist der Westen insgesamt groß und erwachsen genug geworden, dass eine Emanzipation des Ziehsohns Westeuropa und dessen Vermählung mit Osteuropa samt Gründung eines eigenen Hausstands überreif geworden ist.

Nach dem Ende des Kalten Krieges braucht der Westen auch interne Gegenmodelle, die um die jeweils bessere Form der Umsetzung von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft ringen. Es ist jedoch nur sehr schwer vorherzusagen, ob sich die Europäer der Gemeinsamkeiten als Kohäsionskräfte ihrer eigenen kollektiven Identität bedienen. Die Zukunft ist so wenig determiniert, wie sich eine kollektive Identität einer Großgruppe überstülpen lässt. Letztere entsteht im oft harten Diskurs und der Verteidigung nach innen wie nach außen. Hoffnung besteht jedoch, dass ein Europa ohne Katastrophen zusammenwächst und antifundamentalistisch sowie demokratisch bleibt.

Der Autor ist Politologe mit einem Lehrauftrag an der Hochschule Ludwigsburg.


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