Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
Detlev Lücke

Aufgekehrt...

"Du bist verrückt, mein Kind, Du musst nach Berlin. Wo die Verrückten sind, da jehörste hin." Wer denkt nicht gern an diesen hymnischen Gesang, wenn er von den neuesten Ereignissen aus der deutschen Hauptstadt hört. Okay, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wusste in einer Quizsendung nicht, wie man Rhythmus schreibt. Das ist angesichts der zunehmenden Kreolisierung unserer Muttersprache, wie es ein Leipziger Linguist nennt, keine Schande mehr. Auch dass er sich bei den Grundrechenarten vertan hat, ist verzeihlich. Punkt geht vor Strich! Solche Blödsinnsregeln kennt nur die Mathematik, und für solche Dinge hat er seinen Finanzmenschen Sarrazin. Aber dass er nicht gewusst hat, wann der Zweite Weltkrieg begann, ist für einen Politiker jener Metropole, von der die Sache ausging, schon blamabel. Vielleicht sollte Klaus Wowereit froh sein, dass er nicht noch gefragt wurde, wie lange der 30-jährige Krieg dauerte.

Andererseits: Haben die bedauerlichen Blackouts des Regierenden nicht auch etwas Tröstliches? Nach dem PISA-Schock weiß nun jeder Berliner Hauptschüler, dass auch ihm der Weg zur höheren Laufbahn nicht verwehrt ist. Gibt jedoch schon die historische Unbeschlagenheit Wowereits dem interessierten Zeitgenossen so manches Rätsel auf, ist auch das Verwaltungshandeln in der Stadt an der Spree voll undurchsichtiger Ratschlüsse. Seit über fünf Jahren kämpft ein eher banaler Bratwurststand um seine Existenz. Erst versorgte er ebenso hungrige wie sparsame Politiker am Pariser Platz. Auch Finanzminister Eichel wurde dort des öfteren gesehen. Dann mussten die Wurstmaxes weichen. Wegen der Würde des Platzes vorm Brandenburger Tor! Der sieht inzwischen aus wie ein Schlachtfeld, weil die so genannte Kanzler-U-Bahn gebaut wird. Die Bratwürste verschlug es erst knapp vor den Reichstag, aber auch da war es zu würdig, dann vor den Tiergarten. Die Kunden zogen mit. Jetzt soll die Currywurst ganz verschwinden. Dabei hätte der US-Präsident beinahe Kerry geheißen! Ein Kiosk soll den Schandfleck ersetzen, wenn es nach den Lokalpolitikern geht. Sie wollen bei dieser Gelegenheit auch gleich den Bundespressestrand entsorgen, wo man an lauen Sommerabenden mit einem Glas Caipirinha den Ausflugsdampfern auf der Spree zuprosten konnte. Es habe Beschwerden gegeben, von zwölf Bürgern. Oder waren es 14? Insgesamt haben tausende Leute dort ihren vergleichsweise harmlosen Spaß gehabt. Auch sei den Verwaltungslöwen irgendein Geruch aufgestoßen. Wenn man seine Nase überall reinsteckt...

Angesichts dieser Malaisen bleibt nur ein Wunsch. Wäre es nicht möglich, dass die Föderalismuskommission, wenn sie schon nicht den Hauptstadt-Status Berlins als Aufgabe von Bund und Ländern regeln wollte, sie dann wenigstens den Erhalt der Wurstbude und des Bundespressestrandes mit Bestandsgarantie ins Grundgesetz schreibt? Das wäre doch ein Anfang auf dem gemeinsamen Weg von Politik und Bürgern, bei dem es ständig um die Wurst geht.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.