Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
Eva Haacke

Vom schwierigen Leben auf Pump

Städte und Kommunen sind hoch verschuldet: Einige beängstigende Details

Den meisten Städten und Gemeinden geht es nicht besser als vielen ihrer Einwohner: Sie leben auf Pump. Defizite und Verschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland haben Rekordniveau erreicht. München steht mit rund 2,1 Milliarden Euro in der Kreide, Frankfurt mit 1,9 Milliarden, Leipzig mit knapp 900 Millionen und Halle mit über 316 Millionen. Das sind nur einige Beispiele: Bundesweit belaufen sich die Schulden der Städte und Gemeinden auf über 100 Milliarden Euro. Und dies besagt nur die offizielle Statistik; real sind sie weit höher.

Der hohe Schuldenstand ist umso verblüffender, denn streng genommen dürfen sich Kommunen nur soweit verschulden, dass sie neben den laufenden Ausgaben dauerhaft den gesamten Schuldendienst (Zinsen und Tilgungen) aus den Einnahmen ihres Verwaltungshaushalts leisten können. Die Folge ist, dass strukturschwache Städte mit schwacher Steuerkraft und hohen Sozialhilfebelastungen wesentlich geringere Verschuldungsmöglichkeiten besitzen als vergleichbare Städte mit hoher Wirtschaftskraft. Doch das gilt mittlerweile nur noch in der Theorie. Wie kommt es zu der hohen Verschuldung?

"Tatsächlich ist es leider fast schon üblich, dass Städte mit defizitären Haushalten zum Teil über mehrere Jahre zur Finanzierung ihrer laufenden Ausgaben auf Kassenkredite zurückgreifen", sagt Volker Bestlein, Sprecher des Deutschen Städtetages. Einen Kassenkredit kann man sich wie einen Überziehungskredit beim Girokonto vorstellen, nur dass Städte und Gemeinden zwei bis drei Prozent Zinsen zahlen, während der Normalbürger mit zwölf und mehr Prozent dabei ist.

Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen vertuschen nach Einschätzung des Bundes der Steuerzahler ihren wahren Schuldenstand mit Hilfe von Kassenkrediten. "Bezieht man diese Kredite mit ein, betragen die Schulden der Städte und Gemeinden in NRW fast 32 Milliarden Euro", erklärt Haushaltsexperte Eberhard Kanski vom Steuerzahlerbund. "Offiziell ausgewiesen werden aber nur 25 Milliarden Euro." In machen Städten übersteigen die kurzfristigen Kredite die langfristigen Schuldverpflichtungen: In Wuppertal etwa stehen den langfristigen Verbindlichkeiten von 463 Millionen Euro zusätzliche Kassenkredite von rund 498 Millionen Euro gegenüber - insgesamt also 961 Millionen Euro Schulden. Oberhausen hat 340 Millionen Euro langfristige Schulden und muss 610 Millionen Euro kurzfristige Kredite bedienen. Das wahre Ausmaß der Verschuldung wird so verschleiert.

Eigenbetriebe in der Kreide

Ähnlich trübe ist das Bild in Hessen: Die fünf großen hessischen Städte sind wesentlich höher verschuldet, als offiziell ausgewiesen. Frankfurt, Wiesbaden, Kassel, Darmstadt und Offenbach kommen im Jahr 2004 real auf knapp 5,18 Milliarden Euro Schulden und damit auf etwa zwei Milliarden mehr als in der amtlichen Statistik. Bundesweit werden durchschnittlich bereits 17 Prozent der Schulden über Kassenkredite finanziert. In den neuen Bundesländern verlief die Verschuldung noch rasanter als im Westen: Bereits nach fünf Jahren standen sie - je Einwohner gerechnet - annähernd so hoch in der Kreide wie die westdeutschen Kommunen nach 45 Jahren. Tendenz: steigend. So wuchsen die Kredite in Mecklenburg-Vorpommern 2004 auf 10,6 Milliarden Euro; von den sechs kreisfreien Städten schafft nur Stralsund einen ausgeglichenen Haushalt. In Brandenburg finanziert etwa Cottbus 42,3 Prozent seines Verwaltungshaushalts über Kassenkredite, in Eisenhüttenstadt sind es 41,5 Prozent.

Ein anderer, beliebter Weg der Kreditaufnahme ist die Verschuldung von städtischen Eigenbetrieben und Krankenhäusern, "die ebenfalls nicht in der Statistik auftauchen, obwohl die Städte für diese ausgelagerten Schulden voll verantwortlich sind", sagt Ulrich Fried, Chef des hessischen Steuerzahlerbundes. Überall lauern solche finanziellen Tretminen, und die Belastungen kumulieren sich von Jahr zu Jahr. Zum größten Problem der Kommunalhaushalte entwickeln sich die Soll-Fehlbeträge. Das sind die höheren laufenden Ausgaben früherer Jahre, die erst im Nachhinein zu finanzieren sind. Diese "Verlustvorträge" - ein weiteres Instrument, um einen Haushaltsplan besser aussehen zu lassen, als er ist - wuchsen in den 160 größten Städten Deutschlands 2004 um fast elf Prozent.

Als "Vorzeige-Schuldenberater" wenn es um städtische Finanzen geht, gilt laut der "Welt am Sonntag" der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin. Zum sechsten Mal in Folge präsentierte er einen ausgeglichenen Haushalt. Die Verbindlichkeiten Düsseldorfs sind seit seinem Amtsantritt von 1,6 Milliarden auf 989 Millionen Euro gesunken. Die Stadt zahlt rund 36 Prozent weniger Zinsen als noch vor fünf Jahren. Erwins Konzept ist vielschichtig. Erstens geht er unkonventionelle Wege. Gerade hat er zum Beispiel eine Wandelanleihe auf die RWE-Aktien der Stadt aufgenommen. Zweitens setzt er auf die Privatisierung kommunalen Vermögens. Einen Teil der Stadtwerke verkaufte Erwin für rund 450 Millionen Euro; das Geld floss komplett in die Entschuldung. Drittens hat er eisernes Sparen als Devise ausgegeben.

Viertens nutzt Erwin so genannte Cross-Boarder-Leasing-Geschäfte, das heißt, er hat Düsseldorfs Straßenbahnschienen und Tunnel an einen ausländischen Investor verkauft, der rund zwei Milliarden Dollar investierte und daraus im Heimatland Steuervorteile ziehen kann. Schließlich gibt es für fragwürdige Großprojekte keine Subventionen. Mit Investoren verhandelt Erwin direkt, er hasst Dienstwege. Die Bürger sind jedenfalls zufrieden mit dem Schuldenabbau: Trotz Ärger um Erwins persönliche Steuererklärung wurde er Ende September vergangenen Jahres glatt wiedergewählt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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