Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
Sylke Wagner

Das Rathaus ist nur geborgt

Cross Border Leasing gilt als profitable Geldquelle - doch sie birgt Risiken

Not macht erfinderisch. Und die Finanznot ist groß in deutschen Kommunen. In dieser angespannten Finanzlage haben Städte und Gemeinden eine wundersame Geldvermehrung entdeckt: das so genannte Cross Border Leasing. Ein Geschäft mit Steuerschlupflöchern, das, scheinbar frei von Nebenwirkungen, den Kommunen in den vergangenen fünf Jahren so manche Million in die leeren Kassen gespült hat. Allein den 20 Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die solche Cross Border-Verträge abgeschlossen haben, hat dies ein Plus von rund 350 Millionen Euro beschert. Doch ist Cross Border Leasing ein lukratives Geschäft oder vielmehr ein finanzpolitisches Hasardeur-Spiel? Schließlich gibt es auch andere Arten, kommunale Betriebe zu privatisieren.

Es klingt einfach: Ein großer US-amerikanischer Investor mietet für 99 Jahre die Abwasserkanäle, die Müllverbrennungsanlage, das U-Bahnnetz oder gar das Rathaus einer deutschen Kommune. Die Stadt least die Immobilien und Anlagen zurück - mit einer Laufzeit von 25 bis 30 Jahren. Was sich so verlockend für beide Seiten anhört, ist eine lupenreine Scheininvestition. Denn der US-Investor hat kein wirkliches Interesse an der Immobilie in Deutschland. Er ist lediglich an der Abschreibung interessiert, die er beim amerikanischen Fiskus geltend machen kann. Die deutschen Städte kassieren für ihre freundliche Mithilfe bei der Steuervermeidung in den USA einen Millionenbetrag. In der Regel beträgt dieser Barwertvorteil vier Prozent der Vertragssumme. Rund 36 Milliarden Euro haben deutsche Kommunen in den vergangenen Jahren nach Übersee verleast. Das jedenfalls hat das nordrhein-westfälische Innenministerium ausgerechnet.

Für den amerikanischen Geschäftspartner ist der Deal ungleich lohnender. Für ihn springt allein durch die Steuerersparnis ein Gewinn von rund 300 Prozent heraus. Häufig lässt er sich auch noch eine garantierte Verzinsung seiner Gebühreneinnahmen mit in die Verträge schreiben - so geschehen bei den Berliner Wasserbetrieben, die teilweise verleast wurden. Kommt der vereinbarte Gewinn nicht zustande, haftet schlimmstenfalls sogar das Land. In Berlin könnte dies zu der absurden Situation führen, dass ein sinkender Verbrauch die Wasserkosten steigen lässt. Schließlich muss der Vertrag erfüllt werden.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) warnt Städte und Gemeinden vor dieser Art der Geldbeschaffung, und die bayerische Landesregierung hatte sogar überlegt, diese Geschäfte per Gesetz zu unterbinden. Da die Steuereinsparungen von 20 bis 35 Prozent der US-Trusts vor allem zu Lasten der amerikanischen Steuerzahler gehen, hat der Gesetzgeber in Washington gehandelt und das Steuerschlupfloch dicht gemacht. Am 17. Juni des vergangenen Jahres stimmte der US-Kongress einer entsprechenden Gesetzesänderung zu. Denn ursprünglich wurde diese Steuerregelung geschaffen, um den Absatz der US-Flugzeugindustrie im Ausland abzukurbeln und nicht, um klamme deutsche Kommunen zu sanieren.

Die Gesetzesänderung in den USA kann auch Auswirkungen auf bereits bestehende Verträge haben, warnen Kritiker wie der Bundesrechnungshof. Haben die Kommunen beispielsweise keine Rückversicherung für Risiken durch Änderungen im Steuerrecht abgeschlossen, müssen sie bei etwaigen Vertragsausstiegen der amerikanischen Investoren mit Regressansprüchen rechnen. Gerichtsstand im Falle einer Klage sind stets die USA. Deutsches Recht hat keine Gültigkeit. Die Kommunen liefern sich letztlich durch die Cross Boarder-Geschäfte amerikanischem Recht mit all seinen finanziellen Unwägbarkeiten aus.

Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) hält die Risiken beim Cross Border Leasing trotzdem für "beherrschbar". Vermutlich werde dieser Lösungsansatz zur Sanierung der Kommunalfinanzen "aus Unkenntnis als hochriskant dargestellt", glaubt die Kammer. Die IHK übersieht bei ihrem Lob für die kreative Haushaltspolitik der Städte und Gemeinden jedoch, dass diese ihren politischen Gestaltungsspielraum für viele Jahre aufgeben. Denn die Kommunen sind verpflichtet, die verleaste Anlage für die gesamte Leasingzeit von durchschnittlich 25 bis 30 Jahren zu betreiben. Niemand kann jedoch wissen, ob beispielsweise die Kapazitäten der Müllverbrennungsanlage in einem Jahrzehnt noch benötigt werden, oder ob Kläranlagen aufgrund neuer Technologien in der Zwischenzeit modernisiert werden könnten. Die Kommunen müssten dann zum Nachteil ihrer Bürger an den bestehenden Anlagen festhalten. Zudem sind Städte und Gemeinden verpflichtet, ihre Klär- oder Müllverbrennungsanlage im gleichen Zustand wie bei Vertragsabschluss zu erhalten. Sind sie dazu nicht in der Lage, drohen Schadensersatzforderungen, die schnell über dem eingespielten Barwertvorteil liegen können.

Widerstände aus der Bürgerschaft

In der Bürgerschaft hat sich inzwischen häufig Widerstand gegen die Geschäfte mit amerikanischen Trusts formiert. Viele Steuerzahler in betroffenen Städten und Gemeinden verlangen die Offenlegung der häufig mehr als 1.000 Seiten starken Verträge, die ausschließlich auf Englisch formuliert sind. Nicht einmal die Stadträte erhielten bislang Einsicht in die Unterlagen. Die Cross Border-Geschäfte gingen an den gewählten Vertretern häufig schlicht vorbei. Im Oktober 2003 sammelte eine Initiative in Frankfurt knapp 50.000 Unterschriften gegen die Verpachtung der U-Bahn und kippte die Pläne der Stadt damit. In Bergisch-Gladbach sprachen sich mehr als 96 Prozent der Bürger gegen Leasingverträge mit einem US-Investor aus.

Zwar erkennen immer mehr Kommunen das Cross Border Leasing als risikoreiches Geschäft mit zweifelhaftem Erfolg. Dennoch sind die Not und das Bestreben in Städten und Gemeinden, die Kassen zu füllen, ungebrochen. Die Stadt Essen zum Beispiel hatte im Dezember 2003 ein Defizit von 340 Millionen Euro. Die Prognose für 2006: 1,9 Milliarden Euro. "Grundsatz muss daher sein: Effizientere Dienstleistungen durch mehr Wettbewerb", erklärt die Bundes-CDU und verlangt als Konsequenz die Privatisierung weiterer Aufgaben in den Kommunen. Bei allen nicht hoheitlichen Aufgaben müssten sich Städte und Gemeinden dem Wettbewerb mit der Privatwirtschaft stellen, so die Union. Zu den nicht hoheitlichen Aufgaben zählen unter anderem der Betrieb von Strom-, Wasser- und Abwasserbetrieben, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie Kindergärten.

Bei der Privatisierung kommunaler Betriebe bieten sich zwei Modelle an: Zum einen können Städte und Gemeinden beispielsweise das Freizeitbad unter privatwirtschaftlicher Leitung betreiben. Zum anderen können sie Firmen mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben beauftragen - etwa wenn Private die Müllabfuhr im Auftrag der Kommune übernehmen. Durch den privaten Betrieb kann sowohl privates Know-how als auch privates Kapital mobilisiert werden. Zudem bietet dies eine Chance für mehr Wirtschaftlichkeit und Flexibilität, da das oberste Ziel von Privatinvestoren die Gewinnmaximierung ist. Für die Bürger kann dies im Idealfall niedrigere Gebühren bedeuten, wenn die Betriebe wirtschaftlicher arbeiten. Bisher werden Gebührensenkungen aber nur selten an die Bürger weitergegeben, weil es zunächst um städtische Haushaltssanierung geht.

"Ein Verkauf von Tafelsilber, also von rentablen kommunalen Unternehmen", sei dagegen keine Lösung zur Behebung der Finanznot der Städte, erklärte Gerhard Widder, Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), auf dem Bundeskongress des Verbandes kommunale Abfallwirtschaft im vergangenen September und warnte vor dem Ausverkauf der Gemeinden, nur um kurzfristig Etatlöcher zu stopfen. Der Verkauf von Vermögen könne zwar im laufenden Jahr das Defizit verringern, langfristig überdecke diese Art der Finanz- und Haushaltspolitik jedoch die Notwendigkeit zu strukturellen Reformen, so Widder.

Der Mehrzahl der Kommunen ist jedoch vor allem am kurzfristigen Effekt - dem Ausgleich des aktuellen Defizits in der Kasse - gelegen. Langfristige Überlegungen wie der wirtschaftlichere Betrieb der städtischen Unternehmen stehen meist erst an zweiter Stelle. Bevor städtische Unternehmen verkauft würden, müsse zunächst geprüft werden, ob Gebühren in "verantwortungsvollem Maße" erhöht werden könnten und ob Tarifrecht sowie Arbeitszeitregelungen noch den Anforderungen entsprächen, forderte VKU-Präsident Gerhard Widder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit kommunalem Vermögen auf.

Die Autorin ist promovierte Volkswirtschaftlerin und freie Journalistin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.