Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
Jörg Schallenberg

Fast ein Paradies für Senioren - der "Pflegestern" im bayerischen Poing

Ortsbesuch

Beim bayerischen Sozialministerium muss man nicht lange nachschauen, wenn man sich nach einer Kommune mit einer beispielhaften Politik im Umgang mit Senioren erkundigt. "Fahren sie doch nach Poing zum Pflegestern", sagt die Dame von der Pressestelle spontan.

"Pflegestern" - das klingt geradezu poetisch, doch hinter dem Begriff verbirgt sich in erster Linie ein ganz normaler kommunaler Dienstleistungsbetrieb. Auf den zweiten Blick steht der "Pflegestern" aber für ein ungewöhnliches Konzept kommunaler Zusammenarbeit bei der Betreuung und Versorgung alter Menschen. Kirchheim, Grafing und Poing sind drei Gemeinden mit 10.000 bis 13.000 Einwohnern, die im östlichen Umland von München liegen und sich allesamt ein eigenes Seniorenzentrum leisten, in dem sowohl Betreutes Wohnen als auch Pflegeplätze angeboten werden - was für Orte dieser Größe ebenso eine Seltenheit ist wie die Trägerschaft in kommunaler Hand.

Denn meist betreiben freie Wohlfahrtsverbände oder private Anbieter solche Häuser - und die sind "generell der Meinung, dass sich Häuser erst ab 60 bis 80 Pflegebetten rentieren", sagt Christian Kerschner-Gehrling. Der 33-Jährige kennt sich aus auf diesem Gebiet, denn zum einen hat er Betriebswirtschaft studiert, zum anderen fungiert er seit 2002 als Geschäftsführer der "Pflegestern GmbH" mit Sitz in Poing. Die Gesellschaft kümmert sich gemeinsam um die Verwaltung der drei Seniorenzentren, die so kostengünstig arbeiten können - obwohl Kirchheim nur über 64 Pflegeplätze verfügt, Grafing über 40 und Poing über 37. Über die Verwaltung hinaus kooperieren die Häuser bei der Essensversorgung oder beim unbürokratischen Austausch von Personal, wenn es in einem der Heime mal zu einem Engpass kommt.

Konzept über Landkreise hinweg

Durch das gemeinsame Konzept über Gemeinde- und sogar Landkreisgrenzen hinweg gilt das Modell im Osten von München mittlerweile als vorbildlich. Für Christian Kerschner-Gehrling liegen die Vorteile auf der Hand: Zum einen können ältere Menschen näher an ihrer gewohnten Lebensumgebung bleiben, als wenn ein großes, zentrales Heim seine Bewohner aus dem gesamten Landkreis zusammenzieht. Regelmäßige Besuche und die Einbindung der Verwandtschaft in die tägliche Arbeit sind so selbstverständlicher als anderswo. Zum anderen ist für den Pflegestern-Geschäftsführer das Engagement der Gemeinden wichtig: "Durch den kommunalen Hintergrund ist es beispielsweise viel einfacher, Ehrenamtliche zu gewinnen, denn die Bürger identifizieren sich stärker mit ?ihrem' Haus." Die Zahlen geben ihm recht: In Kirchheim arbeiten 100 Ehrenamtliche für das Seniorenhaus "Collegium 2000" - bei nur 11.500 Einwohnern.

Durch dieses Engagement lässt sich aber nicht nur das Angebot für die Bewohner ausweiten, sondern es entsteht auch, so Kerschner-Gehrling, "eine große Offenheit - die Ehrenamtlichen kommen ständig in die Häuser und damit die Nachrichten nach draußen. Wenn hier jemand das Husten anfängt, weiß es morgen die ganze Gemeinde." Was so locker dahingesagt klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Schließlich gehen immer wieder Pflegeskandale durch die Presse. "Wir könnten uns wundgelegene Körper über einen längeren Zeitraum nie leisten", versichert Christian Kerschner-Gehrling, "dann stünde ganz schnell der Bürgermeister persönlich vor der Tür und will wissen, was los ist." Schließlich würden sich Lokalpolitiker und Gemeinderäte für ein kommunales Seniorenzentrum im Besonderen in der Verantwortung fühlen, denn Defizite könnten sich möglicherweise negativ auf ihre Wiederwahl auswirken.

Anfangs umstritten

Dabei war das Konzept "Pflegestern" nicht unumstritten. In der örtlichen Presse konnte man monatelang mitverfolgen, wie sich in Poing die Parteien heftig über die Idee der kommunalen Trägerschaft befehdeten. Auch in Kirchheim setzte sich erst ein breites bürgerschaftliches Engagement über die anfänglichen Bedenken im Gemeinderat hinweg. Inzwischen hat sich die Idee der gemeinsamen Seniorenpolitik über Parteigrenzen hinweg durchgesetzt - wozu die Auslastung der Heime zu 99 Prozent sicher auch beiträgt. So ziehen die drei Bürgermeister der Gemeinden - je einer von der CSU, der SPD und den Freien Wählern - an einem Strang.

Zudem baut der "Pflegestern" das Angebot zur Versorgung von älteren Bürgern weiter aus. Zum betreuten Wohnen im Heim und der Pflege gesellt sich seit kurzem das Modell "Betreutes Wohnen zuhause", das laut Kerschner-Gehrling "die Lücke füllt zwischen einer gewissen Bedürftigkeit und den Anforderungen, die man für Pflegestufe 1 erfüllen muss". In Kirchheim kümmert sich zudem ein Senioren-Streetworker um ältere Leute, die sich in (sozialen) Schwierigkeiten befinden. Für solche ambulanten Einsätze arbeitet der "Pflegestern" mit privaten Diensten, der Caritas, der Arbeiterwohlfahrt und anderen Anbietern zusammen.

Das alles klingt gut - und doch gibt es einen Nachteil: Soviel kommunale Eigeninitiative funktioniert am ehesten in wirtschaftlich prosperierenden Regionen wie Oberbayern "Für die Erstinvestition muss schon etwas im Gemeindesäckel sein", sagt der Betriebswirt Kerschner-Gehrling. Denn nicht jeder Gemeinderat sieht sich in der Lage, ein komfortables Seniorenheim zu bauen, bevor die erste Miete fließt, oder verzichtet darauf, ein Grundstück gewinnbringend an einen Gewerbetreibenden zu veräußern, um es für die alten Menschen der Gemeinde zu reservieren.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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