Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
Gerlinde Kaupa

Cannabis: keine Kuscheldroge

Mittlerweile ist die Cannabisabhängigkeit der Grund für 25 Prozent aller Drogentherapien. Dieser Trend ist gefährlich: Cannabis ist zur Alltagsdroge geworden. Vor einer Verharmlosung der so genannten "weichen Drogen" kann ich deshalb nur warnen. Auch wer behauptet, der Konsum von Cannabis würde keine gesundheitlichen Schäden nach sich ziehen, sagt nach den neuesten Studien nicht die Wahrheit. Gerade in der Pubertät kann Cannabiskonsum zu Langzeitschäden des Gehirns mit erheblichen neurokognitiven Folgen bis hin zu Psychosen und Schizophrenie führen.

Im Laufe ihrer Entwicklung kommen Kinder und Jugendliche früher oder später mit Suchtmitteln in Kontakt, mit legalen ebenso wie mit illegalen. Sie sehen, wie in der eigenen Familie, im Freundeskreis, in der Schule und in ihrer Clique ohne weiteres Zigaretten, Alkohol und Medikamente konsumiert werden. Überwiegend handelt es sich dabei um den so genannten Probierkonsum. Doch wo hört der Probierkonsum auf und wo beginnt der problematische und missbräuchliche Konsum? Jugendliche Cannabiskonsumenten sehen nicht die Hintergrundfunktion der Droge als "scheinbaren" Problemlöser.

Cannabis ist heute als Alltagsdroge ebenso leicht und einfach zu bekommen wie die legalen Drogen Alkohol und Tabak. Die Forderung, Cannabis zu legalisieren, zu tolerieren und zu liberalisieren aufgrund der Tatsache, dass auch Alkohol und Tabak legal zu erwerben sind, ist für mich kein nachvollziehbares Argument. Mit allen Mitteln versuchen wir, die Jugendlichen über die gesundheitlichen Risiken der legalen Drogen aufzuklären und den Konsum dieser Drogen zu reduzieren. Cannabis ist keine Hippie- oder Kuscheldroge. Diese Toleranz, mit der die Gesellschaft mittlerweile der Droge Cannabis begegnet, ist absolut falsch am Platz. Besorgniserregend, ja gerade erschreckend ist die laxe Haltung und komplette Unwissenheit vieler Erwachsener gegenüber den Jugendschutzbestimmungen, wenn es um den Konsum sowohl legaler als auch illegaler Drogen bei Minderjährigen geht. Die erwachsene Gesellschaft muss wieder stärker Ihrer Verantwortung nachkommen, und nicht einfach aus verfehlter Toleranz wegschauen, wenn sich Jugendliche "zudröhnen".

Es ist belegt, dass Cannabis nach dem Rauchen eine weitere Einstiegsdroge mit Abhängigkeitssyndrom ist. Die meisten Konsumenten harter Drogen haben den Drogeneinstieg über Cannabis beziehungsweise Tabak gemacht. Daher liegt der Schlüssel gegen rauchende und kiffende Jugendliche in der Bekämpfung des Rauchens. Wenn es uns gelingt, die Zahl der jugendlichen Raucher zurückzudrängen, dann sinkt auch die Zahl derer, die Cannabis rauchen.

Der Entkriminalisierung von Cannabis erteile ich eine klare Absage. 2003 kam es offiziell zu rund 100.000 Drogenkonsumdelikten. Aber nur zehn Prozent der nach dem Gesetz als Straftäter deklarierten Personen wurden auch tatsächlich bestraft. De facto haben wir ja schon eine Entkriminalisierung. Würde man jedoch überhaupt nicht mehr strafrechtlich vorgehen, nur weil Cannabis mittlerweile in aller Öffentlichkeit konsumiert wird, wäre dies ein falsches Signal. Wie sollen Kinder und Jugendliche denn unterscheiden können, dass etwas ist illegal, aber nicht strafbar ist? Wo bleibt denn da unser Rechtsverständnis, wenn ich Cannabis entkriminalisiere und liberalisiere, aber dann doch nicht als legal einstufe? Es ist die die enorme Diskrepanz zwischen Drogenaufgriffen und Strafverfolgung, die zu einer Abstumpfung des Rechtsbewusstseins gegenüber Cannabis geführt hat. Was wir brauchen ist endlich eine Vereinheitlichung der Rechtspraxis in den Bundesländern. Die Tatsache, dass man in Schleswig Holstein 30 Gramm Cannabis straffrei besitzen darf, in Baden-Württemberg hingegen drei Gramm, führt zur Verunsicherung und Verharmlosung. Die Jugendlichen müssen sich auf klare Rechtsgegebenheiten verlassen können. Auch brauchen wir wieder ein Unrechtsbewusstsein gegenüber Cannabis. Dabei geht es mir nicht darum, den Eigenkonsum innerhalb der Grenzwerte auf die Stufe einer kriminellen Handlung zu heben.

Viel wichtiger erscheint es mir, umfangreiche und langfristige Präventionsmaßnahmen anzubieten und in der Gesellschaft zu kommunizieren. Wir müssen mit kontinuierlichen und langfristigen Projekten deutlich über die gesundheitlichen Risiken aufklären. Es ist alarmierend, wenn 78 Prozent der Jugendlichen der Meinung sind, der Konsum von Cannabis sei unproblematisch. Ähnliche Programme wie das europaweite Nichtraucherprogramm an Schulen "Be smart - don't start" sollte auch für die Cannabisprävention frühzeitig eingeführt werden. Bereits im Alter von zwölf Jahren kommen laut der aktuellen Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für Gesundheit Jugendliche in Kontakt mit Marihuana oder Cannabis. Auch wenn das erste Angebot nicht gleich zum Drogenkonsum führt, ist ein Wissen um die gesundheitsschädigenden Folgen zu diesem frühen Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung. Daher sollte bereits ab der fünften Klasse mit aufklärenden Maßnahmen hinsichtlich der Risiken von Cannabis, die von einem eingeschränkten Lernverhalten bis zu bleibenden psychischen Schäden reichen, begonnen werden.

Gerlinde Kaupa ist Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.