Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 03 / 17.01.2005
Biggi Bender

Das Strafrecht reduziert den Konsum nicht

Sucht existiert in allen Gesellschaften, losgelöst davon, ob der Umgang mit Suchtstoffen restriktiv oder liberal gehandhabt wird. Jede Droge hat schädliche gesundheitliche Auswirkungen. Der Konsum von Drogen ist umso problematischer, je früher der Konsum beginnt. Es können Abhängigkeiten insbesondere auf der körperlichen Ebene (Alkohol, Tabak, Heroin) oder der psychischen Ebene (Cannabis, Spielsucht, Magersucht) entstehen. Es gibt nicht den Drogenkonsumenten: Es gibt Gelegenheitsraucher und süchtige Raucher, Genusstrinker und alkoholabhängige Trinker, Cannabisprobierkonsumenten und "Dauerkiffer". Sucht und Abhängigkeit sind Ausdruck von psychischen und physischen Problemen. Die betroffenen Personen sind krank und bedürfen der Hilfe.

Die Situation in Deutschland ist dadurch geprägt, dass Jugendliche immer früher damit beginnen, Tabak, Alkohol und Cannabis zu probieren und zu konsumieren. Die Unterscheidung zwischen legalen (Tabak, Alkohol) und illegalen Drogen (Cannabis, Ecstasy, Heroin) hat zur Konsequenz, dass Alkohol und Tabak frei verkäuflich sind und mit Einschränkungen beworben werden dürfen. Besitz, Verkauf und Werbung für illegale Drogen sind verboten.

Grüne Drogenpolitik will alle Süchte in den Blick nehmen. Der Jugendschutz steht im Mittelpunkt. Prävention und Aufklärung sind erstes Gebot. Wo Sucht schon entstanden ist, sind Hilfe und Unterstützung notwendig und Repression nur in Ausnahmefällen hilfreich. Im Sinne dieser Politik sind aus dieser Legislaturperiode zum Beispiel der Aktionsplan Drogen und Sucht, der trotz massiver Proteste auch Tabak und Alkohol beinhaltet, die Tabaksteuererhöhungen, die Abgabe auf Alkopops und der laufende Versuch der heroingestützten Behandlung Drogenabhängiger zu nennen.

Die Debatten zur Drogenpolitik sind nicht mehr so stark von Polemik und ideologischen Scheuklappen geprägt wie früher. Wir sind einer parteiübergreifenden Drogenpolitik im Bereich der illegalen harten Drogen einen großen Schritt näher gekommen, wie sich am Beispiel des Heroinprojektes zeigt.

Gleichzeitig existiert jedoch ein hoch emotional besetztes Thema: Welcher Umgang ist bezüglich des Konsums von Cannabis der richtige? Während den Grünen unterstellt wird, Auswirkungen des Konsums von Cannabis zu verharmlosen, wird der CDU/CSU und großen Teilen der SPD vorgeworfen, die mit dem Cannabiskonsum verbundenen Probleme hochzustilisieren.

Auch im Bereich Cannabis ist grüne Devise, auf Aufklärung und Prävention zu setzen sowie in den Fällen, wo es notwendig ist, Behandlungs- und Therapieangebote zu machen. Die Illegalität erschwert die Prävention; denn wer redet schon gerne über Verbotenes?

Bei der Differenzierung zwischen legalen und illegalen Drogen wird mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Abgewogen werden muss die Gesundheitsschädigung und das Abhängigkeitspotenzial auf der einen Seite und die Einschränkung der freien Entscheidung auf der anderen Seite. Bei der Anwendung einheitlicher Maßstäbe ist nicht zu begründen, warum Cannabis anders als Alkohol und Tabak zu behandeln ist. Zu berücksichtigen ist zum Beispiel, dass Cannabis, im Gegensatz zu Alkohol und Tabak, keine physische (zum Teil jedoch psychische) Abhängigkeit verursacht. Das Abhängigkeitsrisiko für Alkohol und Tabak liegt bedeutend höher als das Risiko, eine Cannabisabhängigkeit zu entwickeln. Geschätzt wird, dass 2,2 Prozent der 14- bis 24-Jährigen Cannabis-Konsumenten im Laufe ihres Lebens abhängig werden.

Sehr restriktive Zugangswege wie zum Beispiel in den USA führen nicht zu weniger Konsum von Drogen als liberale Regelungen, wie beispielsweise in den Niederlanden. Deutschland "leistet" sich die Belastung von Polizei, Staatsanwaltschaft und zum Teil die Gerichte durch später oft eingestellte Verfahren und kriminalisiert Jugendliche (meist Probier- oder Gelegenheitskonsumenten). Eine ganze Generation fühlt sich verfolgt und sieht nicht ein, was das Unrecht sein soll.

Gefahr der Regelmäßigkeit

Ziel grüner Präventionspolitik ist, dass Jugendliche so spät wie möglich mit dem Konsum von Zigaretten, Alkohol und Cannabis experimentieren und sich keine regelmäßigen Konsummuster herausbilden. Leider führt das Strafrecht oft dazu, dass beim Cannabiskonsum in Schulen bewusst weggesehen wird, statt präventiv zu handeln. Denn ein Hinweis zur "Schadensminimierung" wie "Wer Cannabis raucht, sollte dieses jedenfalls nicht in Kombination mit Alkohol oder Ecstasy tun" kann als Aufforderung zum Konsum einer illegalen Droge verstanden werden.

Wir begrüßen, dass im Mai 2004 die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen sich zum Umgang mit Cannabiskonsumenten geäußert hat und feststellt, dass: "der Cannabiskonsum ordnungspolitisch über- und gesundheitspolitisch unterbewertet wird; der Konsum von Cannabis für Jugendliche mit hoher Konsumfrequenz erhebliche gesundheitliche Risiken birgt; qualifizierte Prävention, Beratung und Therapie notwendig sind; das Strafrecht über Jahre hinweg einen Beweis schuldig geblieben ist, den Konsum von Cannabis zu reduzieren und dies den Erfordernissen glaubwürdiger Cannabisprävention widerspricht.

Diese Stellungnahme bestärkt Bündnis 90/Die Grünen darin sich weiterhin für die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten einzusetzen. Dabei steht die Umsetzung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1994 (bundesweite Vereinheitlichung der "geringen Menge", bei der ein Strafverfahren eingestellt wird) und 2002 (Fahrerlaubnisverordnung - kein Führerscheinentzug bei bloßem Besitz von Cannabis) als erster konkreter Schritt im Vordergrund.

Biggi Bender ist gesundheits- und drogenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.