Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 09 - 10 / 28.02.2005
Rolf Clement

Deutschland ist größter Truppensteller für NATO-Einsätze

Transatlantisches Bündnis bei seiner Brüsseler Tagung auf Reformkurs

Alle 26 NATO-Staaten beteiligen sich an den Wiederaufbaumaßnahmen für den Irak. Mit dieser Nachricht wartete NATO-Generalsekretär Jaap den Hoop Scheffer zum Abschluss des Treffens der Staats- und Regierungschefs der Allianz am 22. Februar in Brüssel auf. Einige NATO-Staaten beteiligen sich an dem Ausbildungsprogramm für die irakischen Streitkräfte im Irak. Die 159 Ausbilder, auf die die Allianz ihren Bedarf in den vergangenen Monaten reduziert hatte, wurden inzwischen bereitgestellt.

Es gibt drei Möglichkeiten, sich an den Aufgaben im Irak zu beteiligen: Zum einen in der Ausbildungsmission im Irak, an der sich Deutschland nicht beteiligen will. Die zweite Möglichkeit ist die Übernahme von Aufgaben außerhalb des Iraks. Deutschland bildet in den Vereinigten Arabischen Emiraten Soldaten aus. Ein erster Lehrgang für Soldaten, die LKW fahren sollen, ist bereits abgeschlossen. Deutschland hat dafür auch rund 100 Fahrzeuge bereitgestellt. Frankreich will ebenfalls Polizisten außerhalb des Irak ausbilden. Bei den vorherigen Treffen in Nizza und bei der Sicherheitskonferenz in München hatten die USA und NATO-Offizielle noch gesagt, es könne nur gelten, was im Irak selbst geschehe. Die dritte Möglichkeit ist die Einzahlung in einen Treuhandfonds, den die NATO für den Irak betreibt.

Die Staats- und Regierungschef erteilten zudem NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer den Auftrag, bis zu den nächsten Ministerräten einen Vorschlag für die Reform der NATO zu erarbeiten. Damit griffen die Gipfelteilnehmer die Diskussion auf, die auf zwei Ebenen in den vergangenen Wochen geführt wurde: Zum einen soll die NATO wieder zu einem Konsultationsforum für transatlantische Sicherheitskooperation werden. Dass dies gegenwärtig nicht so ist, haben de Hoop Scheffer in den vergangenen Monaten immer wieder und zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz auch Bundeskanzler Schröder betont. Gleichzeitig verbanden sie dies mit dem Wunsch, dass die NATO eine derartige Rolle wieder übernehmen sollte.

Eine Themenliste könnte jenes "Statement" sein, mit dem die Beratungen der Staats- und Regierungschefs anstelle eines eigentlich verbindlicheren Kommuniques zusammengefasst wurden. Dort wurde eine kurze Sachstandsbeschreibung der Konflikte im Nahen Osten, für Iran, Afghanistan, Irak und Kosovo beschrieben. Wegweisungen, wie sich die NATO einen Fortgang der Krisenbewältigung vorstellen könnte. Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die NATO in Brüssel als Teil der deutschen Staatsräson. Allerdings wiederholte er seinen Vorschlag nicht mehr, dass dieses Reformpapier von einer Expertengruppe, die im wesentlichen aus Elder Statesmen bestehen sollte, angefertigt werden soll. Nach den Beratungen im NATO-Rat auf Regierungschefebene meinte er, die Reform könne auch von einer Gruppe unter der Ägide des NATO-Generalsekretärs erarbeitet werden. In der geschlossenen Sitzung hatte US-Präsident Bush mit einer Handbewegung in Richtung auf den deutschen Kanzler gesagt, man könne diese strategischen und politischen Diskussionen schon jetzt führen.

Bush bezeichnete die NATO als die erfolgreichste Militärallianz der Menschheitsgeschichte. Sie sei für die Außen- und Sicherheitspolitik der USA unverzichtbar. Einige Wermutstropfen in die Beratungen goss Frankreichs Staatspräsident Chirac, der zwar feststellte, Frankreich würde sich in die Missionen der NATO einbringen, aber gleichzeitig den Schwerpunkt französischer Sicherheitspolitik bei der Europäischen Union beschrieb.

Die zweite Ebene der Reform sind die Finanzstrukturen der NATO, über die vor allem die Verteidigungsminister bei ihrem Treffen in Nizza gesprochen haben. Gegenwärtig muss jedes Land, das Truppen für NATO-Missionen bereitstellt, die Kosten für diesen Einsatz selbst tragen. Deutschland ist mit rund 5.000 Soldaten im NATO-Einsatz der derzeit größte Truppensteller. Hinzu kommt, dass kleinere Länder, vor allem aus dem Kreis der neuen Mitglieder, bei der Übernahme von Missionen die anderen Staaten bitten müssen, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen.

Gleichzeitig werden alle Länder nach einem Schlüssel, in den vor allem das Bruttosozialprodukt eingeht, zur Finanzierung der allgemeinen NATO-Aufgaben herangezogen. Deutschland ist hier mit einem Anteil in der Größenordnung von 18 Prozent beteiligt. Die großen NATO-Länder empfinden das als ungerecht, weil sie als Truppensteller und Beitragszahler überproportional zur Finanzierung der NATO-Aufgaben herangezogen werden. Allerdings ist allen klar, dass diese Reform sehr schwer zu bewerkstelligen sein wird. Denn kaum ein Land ist bereit, seine Beiträge an die NATO zu erhöhen.

Während sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel über den Irak verständigten, führten die Verteidigungsminister eine Diskussion über Afghanistan erfolgreich fort. Nach dem Treffen in Nizza konnte de Hoop Scheffer mitteilen, dass die zweite Phase der Wiederaufbauteams jetzt in Gang gesetzt werden kann. Es haben sich ausreichend Länder gefunden, die Truppen für weitere Missionen bereitstellen. Somit können zusätzliche Wiederaufbauteams eingerichtet werden. Bis jetzt hat die NATO vor allem im Nordwesten Regionen zu stabilisieren versucht. Jetzt sollen die Regionen im Nordosten unterstützt werden. Italien, Spanien und auch kleinere Länder wie Litauen haben sich in dieser Zielstellung engagiert.

Die Staats- und Regierungschefs der Allianz trafen sich außerdem in Brüssel mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, der sich für die Unterstützung der NATO während der Wahlauseinandersetzung in seinem Land bedankte. Generalsekretär de Hoop Scheffer sicherte dem ukrainischen Präsidenten Unterstützung für sein "ehrgeiziges Reformprogramm" zu. Juschtschenko meinte, Ziel seiner Politik sei die Integration in die transatlantischen und europäischen Strukturen. Aber noch sei es nicht so weit, dass die Ukraine einen Aufnahmeantrag stellen wolle.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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