Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 15 / 11.04.2005
Shlomo Spiro

"Für Israels Sicherheit paktieren wir sogar mit dem Teufel"

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen der Nachrichtendienste
Im Winter 1958 fuhr ein kleines Auto vor dem Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München vor, schmutzig und mit Schlamm bespritzt von der neunstündigen Fahrt von Paris. Nur wenige Augenzeugen waren während dieses historischen Augenblickes zugegen, als ein kleiner, elegant gekleideter Herr dem Wagen entstieg und von dem groß gewachsenen Chef des BND begrüßt wurde.

Der Besucher war Isser Harel, der Chef des israelischen Mossad. Er wurde empfangen von General Reinhard Gehlen, dem Präsidenten des neu gegründeten BND und ehemaligen Chef des Militärischen Nachrichtendienstes an der Ostfront während des Dritten Reichs. Das Treffen der Chefs der deutschen und israelischen Nachrichtendienste festigte eine Zusammenarbeit, die bereits 1955 begonnen hatte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich Gehlen den Amerikanern ergeben und der CIA seine umfassenden Kenntnisse über die Sowjetunion angeboten. Mit ihrer Zustimmung konnte er seine eigene nachrichtendienstliche Organisation mit Hauptsitz in der "Rudolf-Hess-Siedlung" in Pullach aufbauen. Mitte der 50er-Jahre wollte Gehlen allerdings seinen Dienst aus der Abhängigkeit von den USA lösen. Zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche seiner während des Krieges aufgebauten Netzwerke hinter dem Eisernen Vorhang entweder verschwunden oder in Auflösung begriffen. Gehlen suchte potenzielle Partner, die den BND mit Informationen über die DDR und den Warschauer Pakt versorgen könnten. Mit der Bitte um Hilfe wandte er sich an Israel, dessen Auslands-Nachrichtendienst Mossad im sowjetischen Machtbereich sehr aktiv war.

Weniger als zehn Jahre nach Kriegsende, hatten viele Mossad-Beamte entweder selbst den Holocaust überlebt oder Familienangehörige in den Konzentrationslagern der Nazis verloren. Viele von ihnen lehnten eine Zusammenarbeit mit den Deutschen ab, besonders mit Gehlen, der während des Dritten Reichs einen solch hohen Rang innegehabt hatte. Isser Harel wusste jedoch, dass sein Dienst strategische Partner finden musste, um Informationen über die arabischen Staaten zusammen zu tragen. "Für Israels Sicherheit werden wir sogar mit dem Teufel kooperieren", sagte er und akzeptierte eine begrenzte Zusammenarbeit mit dem BND. Er ernannte den in Paris ansässigen Mossad-Beamten Shlomo Cohen zum Verbindungsbeamten mit dem BND. Der gebürtige Hamburger war ein Meister der Anwerbung arabischer Diplomaten als Agenten und hatte innerhalb weniger Jahre zahlreiche Angehörige der arabischen diplomatischen Kreise in Bonn rekrutiert. Auf Seiten des BND war General Wolfgang Langkau zuständiger Verbindungsbeamter für den Mossad. Um ein Maximum an Sicherheit zu gewährleisten, führte Langkau seine Arbeit von einem Büro in München aus, da der Mossad befürchtete, Pullach sei von sowjetischen Spionen unterwandert.

In den ersten Jahren konzentrierte sich die Zusammenarbeit zwischen Mossad und BND auf Osteuropa und die arabischen Länder. Der Mossad wurde von jüdischen Immigranten, die nach Israel eingewandert waren, sowie von seinen Agenten hinter dem Eisernen Vorhang mit umfangreichen Informationen über die DDR und die Sowjetunion versorgt. Im Gegenzug erhielt er Informationen, die der BND mittels extensiver Kontakte in den arabischen Staaten, in erster Linie in Ägypten, Syrien und dem Irak, zusammen getragen hatte. Der BND belieferte den Mossad außerdem mit gefälschten Papieren und stellte falsche Identitäten für in arabische Städte entsandte Agenten zur Verfügung. Viele Mossad-Agenten waren deutsche Muttersprachler, die in Deutschland oder Österreich geboren waren und problemlos für deutsche Staatsbürger gehalten werden konnten. Der BND versorgte sie mit falschen Identitäten aus Gegenden, in denen Dokumente und Melderegister während der alliierten Bombenangriffe verloren gegangen waren. Die Mossad-Agenten wurden in arabische Hauptstädte entsandt, wo sie jahrelang unentdeckt unter ihrer deutschen Identität erfolgreich tätig waren.

Wolfgang Lotz und Aharon Moshel waren zwei dieser Agenten. Der in Mannheim geborene und später nach Israel ausgewanderte Lotz verbrachte ein Jahr in Deutschland, um sich eine falsche Identität als reicher ehemaliger Wehrmacht-Offizier und Pferdezüchter zu kreieren. 1961 wurde er nach Kairo entsandt, wo er ein Pferdegestüt eröffnete, das innerhalb kurzer Zeit zu einem Treffpunkt der Kairoer Gesellschaft wurde. Auf diese Weise hatte er Kontakt zu hochrangigen ägyptischen Politikern und Armeeoffizieren und konnte wichtige Informationen über Ägyptens Vorbereitungen für einen Krieg gegen Israel an das Mossad-Hauptquartier in Tel Aviv weitergeben. Moshel wurde als Journalist einer deutschen Tageszeitung nach Ägypten entsandt und schickte seine geheimen Berichte an eine fiktive "Tante" in Köln. Er trug ebenfalls umfangreiche Informationen zusammen, unter anderem einen Ausweis der ägyptischen Geheimpolizei, der von Mossad und BND für ihre eigenen Agenten kopiert wurde. Gehlen war sehr engagiert in der Ausbildung der Mossad-Agenten und nahm sogar persönlich mit ihnen zusammen an Schießübungen auf dem BND-Schießplatz teil. Mossad-Chef Harel war jedoch bestrebt, allzu enge Kontakte zu den deutschen Beamten zu vermeiden. Gehlens Bitte, Israel besuchen zu können, wurde abgelehnt, und Harel selbst zog einer Übernachtung in Deutschland die lange Rückreise nach Frankreich vor.

Am 6. November 1961 wurde der hochrangige BND-Beamte Heinz Felfe als KGB-Spion verhaftet. Felfe, ein ehemaliger SS-Obersturmbannführer und einer der engsten Vertrauten Gehlens, hatte zehn Jahre als Spion für die Sowjets gearbeitet und Dutzende von BND-Operationen an die sowjetische Seite verraten. Von einem Tag auf den anderen verlor der BND nahezu seine gesamte Basis hinter dem Eisernen Vorhang. Die Krise zwang Gehlen, verstärkt auf Unterstützung durch den Mossad zurückzugreifen, um die deutsche Regierung mit Informationen über die DDR zu beliefern. Dafür räumte er ihm die Möglichkeit ein, gegen deutsche Wissenschaftler vorzugehen, die Lang-

streckenraketen für die ägyptische Armee entwickelten. Ägyptens Präsident Nasser verkündete großspurig, dass seine "deutschen" Raketen jede jüdische Stadt in Israel zerstören würden. Mit der "Operation Damokles" wollte der Mossad das ägyptische Raketenprojekt zum Scheitern bringen. Viele deutsche Wissenschaftler, die während des Krieges an den V1- und V2-Projekten in Peenemünde gearbeitet hatten, wurden mit Einschüchterungsmethoden dazu gebracht, Ägypten zu verlassen. Andere wurden durch Briefbomben verletzt oder Opfer mysteriöser Überfälle. Innerhalb eines Jahres brach das ägyptische Projekt und mit ihm die Bedrohung israelischer Städte zusammen.

In den 60er-Jahren wurde Afrika zu einem weiteren Gebiet der Zusammenarbeit zwischen Mossad und BND. Sowohl Deutschland als auch Israel entwickelten enge Beziehungen zu den in die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staaten, welche an deutscher Technologie und an israelischer Ausbildung in den Bereichen Militär und Landwirtschaft interessiert waren. Der Mossad knüpfte enge Kontakte zu afrikanischen Führern und konnte dem BND umfassende Informationen über die Aktivitäten der DDR-Gewerkschaften in Afrika liefern, einschließlich des Weltgewerkschaftsbundes (WGB) und des Internationalen Verbandes der Freien Gewerkschaften (ICFTU), die ihren Sitz in Ost-Berlin hatten.

Im August 1966 erschütterte der Mossad die westlichen Nachrichtendienste, als er in Besitz eines irakischen Kampfflugzeugs vom Typ MiG-21 gelangte. Der Mossad hatte einen unzufriedenen irakischen Piloten rekrutiert, der sich bereit erklärte, für eine Million Dollar und eine neue Identität mit seinem Flugzeug nach Israel zu fliegen. Die MiG-21 war zu jener Zeit das modernste sowjetische Kampfflugzeug, ausgestattet mit streng geheimen Elektronik- und Waffensystemen. Die BND-Experten wollten so viel wie möglich über die MiG-21 in Erfahrung bringen, die von den Sowjets an alle Luftstreitkräfte des Warschauer Paktes geliefert wurde. Es gab sogar Pläne des BND, die MiG-21 für Testflüge nach Deutschland zu bringen. Dieser Vorschlag wurde verworfen, da die NATO-Streitkräfte geschult waren, die charakteristische Form der MiG sofort zu erkennen und das Auftauchen eines solchen Flugzeuges über der Bundesrepublik einen Alarmzustand hätte auslösen können. Stattdessen belieferte Israel den BND mit umfangreichen Erkenntnissen über die MiG, welche in Testflügen zusammen getragen wurden. Sie wurden an die Luftwaffe weitergeleitet und von dieser zur Neuausrichtung der deutschen Ausbildung und Taktik im Luftkampf verwendet.

Während des Sechstagekrieges 1967 gelangte die israelische Armee in den Besitz großer Mengen moderner sowjetischer Panzer, Artillerie, Flugzeuge und anderer Waffen. Viele dieser Waffensysteme wurden auch von der DDR verwendet. Der Mossad konnte dem BND zahlreiche sowjetische Waffentypen zu Test- und Auswertungszwecken zur Verfügung stellen. Die Bundeswehr führte umfangreiche Tests mit diesen sowjetischen Waffen durch und modifizierte viele ihrer eigenen Waffen, um der sowjetischen Bedrohung wirksam zu begegnen. Ein Beispiel hierfür war die Entscheidung der Deutschen, ihren Panzer Leopard II mit einem 120mm-Geschütz auszurüsten. Die NATO verwendete damals 105mm-Geschütze als Standard, und die deutsche Entscheidung führte zu Verstimmungen in Brüssel und Washington. Die deutschen Militärplaner hatten aber die Panzerung der sowjetischen T-62-Panzer getestet, die sie unter Geheimhaltung von Israel erhalten hatten, und wussten, dass die Stärke des NATO-Geschützes unzureichend war. Es gelang ihnen auch, die deutsche Regierung zu überzeugen, sich über NATO-Verträge hinweg zu setzen und der militärischen Schlagkraft Vorrang vor einer konformen Haltung in der Allianz einzuräumen.

In den 70er-Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel von den Themen des Kalten Krieges auf den Terrorismus. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen deutschen und palästinensischen Terrorgruppen waren beide Länder daran interessiert, Informationen gemeinsam auszuwerten und zusammen gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Israelische Agenten, die in palästinensischen Flüchtlingslagern aktiv waren, lieferten Informationen über RAF-Mitglieder, die im Libanon ausgebildet wurden. Durch eine schnelle und unbürokratische gemeinsame Nutzung der verfügbaren Informationen konnten zahlreiche terroristische Anschläge verhindert werden. Das Massaker an elf israelischen Sportlern, das durch palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele von München 1972 verübt wurde, verstärkte die Zusammenarbeit zur Terrorabwehr zwischen beiden Ländern.

Im Januar 1976 wurden drei palästinensische Mitglieder der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) am Flughafen von Nairobi festgenommen. Sie führten Waffen und tragbare Flugabwehrraketen mit sich, die sie gegen einen ankommenden EL-AL-Flug aus Tel Aviv einsetzen wollten. Einige Tage später wurden zwei deutsche RAF-Mitglieder, die nach ihren verschwundenen PFLP-Kameraden suchen wollten, bei ihrer Ankunft in Nairobi verhaftet. Diese Festnahmen stellten den Höhepunkt einer langen und komplexen deutsch-israelischen Operation dar, die zum Ziel hatte, die Bewegungen von Terrorverdächtigen zu überwachen. Die beiden Deutschen wurden unter Geheimhaltung nach Israel gebracht, vor Gericht gestellt und wegen Terrorvergehen zu Haftstrafen von jeweils sieben Jahren verurteilt. Ihre Freilassung erfolgte einige Jahre später in aller Stille. Mitte der 70er-Jahre unterstützte Israel Deutschland beim Aufbau der Anti-Terror-Einheit GSG-9, unter anderem durch die Ausbildung von GSG-9-Kommandeuren in Israel. Die enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Terrorabwehrexperten wurde während der erfolgreichen Befreiungseinsätze bei den Flugzeugentführungen von Entebbe und Mogadishu sichtbar.

Nach dem Libanon-Krieg 1982 verlagerte sich die Arbeit der Nachrichtendienste auf die Entführung westlicher Geiseln in Beirut sowie auf die neu aufgekommene Bedrohung in der Region, die Hisbollah. Der BND unterhielt gute Kontakte zum iranischen Nachrichtendienst und konnte mehrmals zwischen Israel und der Hisbollah vermitteln. Während diese Vermittlungsbemühungen sich in der Regel auf humanitäre Themen konzentrierten, wie beispielsweise den Austausch getöteter Soldaten oder die Freilassung von Gefangenen, wurden die Kontakte auch als indirekter, effektiver Kommunikationsweg zwischen Jerusalem und Teheran genutzt. Sie erlangten noch größere Bedeutung für die Stabilität im Nahen Osten, als offensichtlich wurde, dass der Iran die Hisbollah maßgeblich unterstützte und durch entsprechenden Druck auf die Organisation hinsichtlich der Angriffe gegen Israel mäßigenden Einfluss ausüben konnte.

Im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001 setzen Deutschland und Israel ihre lange Tradition der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste fort. Deutsche Nachrichtendienstchefs sind willkommene Gäste in Israel, während hochrangige israelische Vertreter ihre deutschen Kollegen zu Unterrichtungszwecken besuchen. Seit 50 Jahren haben sowohl der Mossad als auch der BND eine lange Entwicklung durchlaufen. Sie haben Großes für die Sicherheit geleistet und entscheidend zur Verständigung zweier Völker beigetragen, die mit einem schweren historischen Erbe zu kämpfen hatten.


Shlomo Shpiro ist Politikwissenschaftler und Terrorismusexperte an der Universität Tel Aviv.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.