Eine gewerkschaftliche Strategie, die vor allem auf Verweigerung und Blockieren setzt, ist zum Scheitern verurteilt", giftete Schmoldt in Richtung IG Metall und ver.di und qualifizierte deren Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz als "schlichten Populismus". Peters zahlte in gleicher Münze zurück. Die Vorwürfe des Kollegen Schmoldt seien "persönlich anmaßend und unkollegial und politisch dazu geeignet, die Gewerkschaften zu schwächen". Und im Kanzleramt freute sich derweil der Erfinder der Agenda 2010, wie im öffentlichen Streit der Spitzengewerkschafter deren Widerstandsautorität gegen seine Politik zerbröselte.
Das ist Geschichte. Hartz IV setzte die Regierung wie geplant zum 1. Januar um. IG Metall und ver.di plädieren zwar immer noch für einen höheren Spitzensteuersatz und eine Vermögensteuer, aber es ist alles in allem ruhig geworden in und um die Gewerkschaften. Eines der Lieblingsprojekte von ver.di-Chef Frank Bsirske, das im vergangenen Jahr auch an der Uneinheitlichkeit des Arbeiterlagers scheiterte, wurde von der Politik wiederbelebt. Ausgerechnet Edmund Stoiber, über dessen Niederlage sich Peters und Co. bei der Bundestagswahl gefreut hatten, holte die Idee eines gesetzlichen Mindestlohns aus der Ablage. Da wird sie womöglich auch bald wieder verschwinden. Denn bereits im vergangenen Herbst hatte die Politik sich hinter den Gewerkschaften versteckt. Nach dem Motto: Die sind sich nicht einig, also können wir nichts machen.
Der Graben ist seitdem nicht flacher geworden. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, um auch die Arbeitnehmer in Wirtschaftsbereichen nach unten abzusichern, in denen es überhaupt keine Tarife gibt oder aber die Tarife nicht gezahlt werden. "Gegen einen freien Fall der Löhne über alle Branchen hilft nur ein gesetzlicher Mindestlohn", kommentierte Bsirske den Plan der Bundesregierung, das Entsendegesetz aus der Bauwirtschaft auf alle Branchen auszudehnen. Die Industriegewerkschaften, diesmal stehen Chemiker und Metaller in einer Reihe, lehnen einen gesetzlichen Mindestlohn ab, weil sich sich noch immer eines vergleichsweise hohen Organisationsgrads mit entsprechender Tarifbindung erfreuen. Ein gesetzlicher Mindestlohn, so die Befürchtung, würde die Tarifautonomie ankratzen - und irgendwann wäre der Lack ab vom deutschen System der Lohnfindung, dem Kerngeschäft der Gewerkschaften.
Dabei ist dieses System selbst einem rasanten Wandel unterworfen. Die Chiffren dafür lauten Pforzheim, Kamp-Lintfort und Sindelfingen. Im Tarifabschluss von Pforzheim ließ sich die IG Metall auf Öffnungsklauseln unter anderem zur Verlängerung der Arbeitszeit ein; an den Siemens-Standorten in Kamp-Lintfort und Bocholt musste sie materielle Einbußen von bis zu 30 Prozent für ihre Mitglieder akzeptieren, damit deren Arbeitsplätze nicht nach Ungarn verlagert wurden. Schließlich presste Daimler-Chrysler Betriebsrat und Gewerkschaft Einsparungen von 500 Millionen Euro ab. Im Gegenzug gab es langfristige Produktions- und Arbeitsplatzgarantien. Nach dem gleichen Muster folgte später ein neuer Haustarif bei Volkswagen. Siemens, Daimler-Chrysler, VW: Die stärksten Bataillone der IG Metall mussten zurückweichen vor der internationalen Standortkonkurrenz.
Verzicht auf Reizbegriffe
Der Beschäftigung sichernde Pragmatismus auf der betrieblichen Ebene findet noch keine Entsprechung im Umgang mit gesellschaftlichen und vor allem sozialpolitischen Reformen. Als DGB-Chef Michael Sommer im Februar die Notwendigkeit einer neuen Finanzarchitektur der Sozialsysteme einräumte und einen Dreiklang aus paritätischer Beitragsfinanzierung, Steuern und privater Vorsorge das Wort redete, schäumten Peters und ver.di-Chef Bsirske. Peters, den unsäglichen Streit mit Schmoldt noch in guter Erinnerung, mäßigte sich und beließ es bei der öffentlichen Empfehlung, "auf bestimmte Reizbegriffe zu verzichten, die dann vom Gegner instrumentalisiert werden". Sommer akzeptiert seit langem, dass die Höhe der Lohnzusatzkosten beschäftigungshemmend ist und plädiert für Freibeträge bei den Sozialabgaben. Das Problem der prekären Beschäftigungsverhältnisse (Mini- und Ein-Euro-Jobs) könnte mit einem Schlag gelöst sein, hoffen die DGB-Strategen und bringen zur Finanzierung eine Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel. Aber in die Offensive kommt Sommer damit nicht, denn Bsirske, Peters und Schmoldt halten davon nichts. Peters nennt den Ansatz, die Arbeitskosten stärker von den Sozialkosten zu entkoppeln, höhnisch "die neue Zauberformel". Im Ergebnis würden "die Arbeitnehmer die Zeche zahlen"; für Peters "eine Zumutung".
An Zumutungen haben die ehemaligen Bündnispartner in den letzten Jahren genug erfahren. Der DGB befürchtet das Abrutschen der Mitgliederzahl unter die Sieben-Millionen-Marke, der SPD kommt eine politische Mehrheit nach der anderen abhanden. Jetzt ist Burgfrieden, beide Seiten haben die Bundestagswahl 2005 im Blick. Die meisten Gewerkschafter haben trotz aller Bitterkeit über die rot-grüne Politik die Alternative vor Augen. Wenn Union und FDP die nächste Regierung bilden, dann sind Angriffe auf Tarifautonomie und Mitbestimmung so sicher wie die nächste Tarifrunde. Und diese Bedrohung ist so groß, dass die eigenen Differenzen dahinter verschwinden.
Alfons Frese ist Redakteur des "Tagesspiegel" in Berlin.