Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 22 / 30.05.2005
jök

Bedenken der Juristen aufgegriffen

Politikerdiskussion

Die von Staatsrechtlern kontrovers geführte Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der Vertrauensfrage wurde auch von Politikern aufgegriffen, die deren Bedenken aufnahmen. So sprach sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse für eine Grundgesetzänderung aus, um dem Parlament das Recht zur Selbstauflösung zu geben. "Nach 50 Jahren ist die Bundesrepublik eine stabile Demokratie. Wir müssen keine Ängste haben, dass sich die Verhältnisse aus der Weimarer Republik wiederholen." Als SPD-Politiker fügte er hinzu, die Neuwahlen seien "ein geradezu wagemutiger Schritt, der auf entsetzliche Weise schief gehen kann". Es gebe jedoch sehr viele plausible Gründe für die Entscheidung nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen: "Es wäre ein furchtbares Jahr geworden, wenn wir noch bis 2006 gewartet hätten", meinte Thierse, der seit 15 Jahren auch stellvertretender SPD-Vorsitzender ist.

Politisch argumentierte auch der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Kemper, der mit den Worten zitiert wurde: "Gerhard Schröder ist ein guter Kanzler. Es gibt keinen Grund, ihm das Vertrauen zu entziehen. Die von Müntefering und Schröder angeführten Gründe für Neuwahlen, etwa eine Blockademehrheit der Union im Bundesrat, taugten nur als Gründe für einen Ausstieg aus der Regierung. Es sei kein Argument dabei, die rotgrüne Regierung fortzuführen und die Bundestagswahl zu gewinnen. Denn die Mehrheit im Bundesrat setze sich anschließend auch nicht anders zusammen.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jerzy Montag suchte seine Haltung durch ein Gutachten zu untermauern. Darin schreibt er, das Verfassungsgericht habe hohe Hürden vor eine Auflösung des Bundestages gestellt. Unter anderem dürfe sich der Bundeskanzler "der stetigen parlamentarischen Unterstützung durch die Mehrheit des Bundestags" nicht mehr sicher sein. "Eine solche Situation ist zur Zeit im Bundestag noch nicht gegeben", heißt es in der Vorlage. Schröder könne sich "auf eine knappe, aber stabile Mehrheit stützen". Erläuternd fügte Montag hinzu, Schröder und Müntefering müssten erklären, warum die Koalition keine Mehrheit mehr habe. "Und das kann nur bedeuten, die SPD-Fraktion steht nicht mehr hinter dem Kanzler." Die Grünen seien koalitionstreu. "Wir stehen zur rotgrünen Koalition. An uns liegt es nicht", betonte Montag und warnte vor einer "künstlichen Abstimmung mit einem künstlich negativen Ergebnis". SPD-Fraktionsvize Michael Müller stimmte Montag indirekt zu. Der entscheidende Punkt sei, dass es sich nicht um einen Vertrauensverlust nach innen handele. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer Vertrauensfrage gab er sich dennoch optimistisch. "Wir werden ein Verfahren finden, das sauber ist."

CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble bezeichnete Schröders Schritt als "ein Stück weit problematisch aber legitim". Ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages befürwortete er aber nicht. "Der entscheidende Punkt ist, dass man die zentrale Rolle des Präsidenten hier nicht verändern sollte".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.