Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 12.09.2005
Patrick Brauckmann/Volker Müller

Pioniergeist in der Baracke

Damals... vor 35 Jahren am 15. September: "heute im bundestag" erscheint zum ersten Mal

Wenn Kanzler und Oppositionsführerin sich im Bundestag ein Rededuell liefern, fangen die Fernsehkameras die Bilder ein und gehen die Sätze über die Ticker der Nachrichtenagenturen. Wenn dagegen in den Ausschüssen an strittigen Formulierungen in Gesetzestexten gefeilt wird, hat die Öffentlichkeit keinen Zutritt. Dass sie dennoch etwas darüber erfährt, ist "heute im bundestag" (hib) zu verdanken, dem Pressedienst des Parlaments. Vor 35 Jahren, am 15. September 1970, ist die erste Ausgabe von "hib" erschienen.

"Mehr Demokratie wagen" hieß die Losung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. Im Bundestag gewannen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an Bedeutung. Noch bis 1969 wurden Presseaufgaben für den Bundestagspräsidenten lediglich vom Präsidialbüro wahrgenommen. Doch ein Jahr später wurde das Presse- und Informationszentrum gebildet, bestehend aus den drei Referaten Presse/Rundfunk/Fernsehen, Parlamentskorrespondenz und Öffentlichkeitsarbeit. Hinter dem sperrigen Begriff "Parlamentskorrespondenz" verbarg sich eine neu geschaffene, lupenreine Nachrichtenredaktion. Sie hatte den Auftrag, den Abgeordneten und Journalisten praktische Arbeitshilfe zu geben und der Öffentlichkeit "die Funktionen unseres Parlaments zu verdeutlichen", wie es Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU/CSU) in einem Grußwort formulierte.

Dieser Aufgabe sollten die Parlamentskorrespondenten, allesamt gestandene Agentur- und Zeitungsjournalisten, durch einen neuen Pressedienst nachkommen. "hib" wurde auf Umweltpapier gedruckt, hatte einen knalligen roten Punkt als Erkennungszeichen auf jeder Seite und verbreitete mit Schreibmaschine geschriebene Kurznachrichten aus dem Parlament. Adressaten waren in erster Linie die Nachrichtenagenturen. Der Schwerpunkt lag von Anfang an auf der Berichterstattung aus den Bundestagsausschüssen, die in der Regel nichtöffentlich tagen. Die "hib"-Redakteure durften die Sitzungen mitverfolgen und verfassten Meldungen über Beschlüsse und Debattenverläufe. Namen von Abgeordneten wurden von Anfang an nicht genannt, um den nichtöffentlichen Charakter der Sitzungen zu wahren. Vielmehr kam es darauf an, der breiten Öffentlichkeit die Haltung der Fraktionen zu politischen Sachfragen so neutral und ausgewogen wie möglich darzustellen. Neben handwerklichem Können erforderte dies sowohl Sachkenntnis als auch politische Sensibilität. Erster Chefredakteur von "hib" war der 1999 verstorbene Hansjoachim Höhne, ein profilierter Agenturjournalist und Buchautor. Neben der Ausschussberichterstattung bedient "hib" die Presse seit 35 Jahren auch mit Meldungen über alle Initiativen, die im Parlament eingebracht werden: Gesetzentwürfe und Anträge, Anfragen der Fraktionen und die dazugehörigen Antworten der Bundesregierung sowie Unterrichtungen durch die Regierung.

Als die erste Ausgabe von "hib" erschien, hatte sich das Parlament nach der Sommerpause gerade zur Haushaltsberatung zusammengefunden. "Bundeshaushalt vorgelegt" war die erste Meldung überschrieben. Doch neben trockenen Zahlen hatte die Redaktion auch ein "buntes" Thema anzubieten: "Es riecht nach Lack und frischer Farbe" lautete der Titel einer Meldung über die Renovierung des damaligen Bonner Plenarsaals. Die Redaktion musste zunächst in einer Baracke außerhalb des Bundeshauses ihr Quartier aufschlagen.

Ein Mann der ersten Stunde ist Hans Leptien, der mit 27 Jahren von den "Kieler Nachrichten" nach Bonn wechselte. "Das war eine recht abenteuerliche Startphase. Schließlich haben wir mit der Berichterstattung aus dem Parlament und den Ausschüssen etwas bisher auf der Welt Einmaliges gemacht. Unsere Tätigkeit war ein Novum ohne Vorbild", erinnert sich der heutige Unterabteilungsleiter im Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. "Es hat einige Zeit gedauert, bis die Bericht-erstatter aus unserem Referat von den Abgeordneten und den Mitarbeitern des Bundestages voll akzeptiert wurden." Die Abgeordneten seien nicht immer begeistert gewesen über die Redakteure aus dem eigenen Haus. Vor allem in den ersten Jahren sei es zu einigen Spannungen gekommen. Der Pioniergeist der Gründertage habe aber dafür gesorgt, dass die Motivation enorm hoch war. Allein in den ersten vier Monaten erschienen 117 Meldungen. Optisch hat sich der Pressedienst in den 35 Jahren leicht verändert. Der knallige rote Punkt der ersten Ausgabe ist verschwunden. "hib" präsentiert sich auf heute auf hellerem Papier mit blauem Balken, vor allem aber im Internet unter "www.bundestag.de".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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