Und dann so etwas. "Wir sind geschockt.": So kleidet Claude Bloch seine Gefühlslage nach dem für Saargemünd bis dahin Unfasslichen in Worte. Auf dem Friedhof des lothringischen Grenzorts wurden Grabsteine von über 60 Juden umgeworfen. Zum ersten Mal, klagt der Vorsitzende der lokalen Jüdischen Gemeinde, sei es in der Stadt zu solch einem antisemitischen Akt gekommen. Parolen wurden auf den Grabsteinen nicht hinterlassen, aber die Stoßrichtung ist klar: Nur im jüdischen Sektor des Friedhofs wurde dieser Vandalismus verübt.
Mittlerweile wird auch das Mosel-Departement von jener Welle neonazistischer, antisemitischer und ausländerfeindlicher Übergriffe heimgesucht, die schon seit längerem über das benachbarte Elsass schwappt und die sich gegen jüdische Friedhöfe und moslemische Einrichtungen, zuweilen aber auch gegen christliche Grabstätten, wie etwa in dem kleinen Ort Niederhaslach, richtet. Selbst Schulen, Bus-Wartehäuschen und Weltkriegs-Denkmale waren schon betroffen. So wurden in Straßburg an eine Moschee und zwei Schulen Hakenkreuze geschmiert. In Soultz entdeckte man an einem moslemischen Gotteshaus Hakenkreuze, fast 50 dieser faschistischen Symbole waren es an einer Schule in Guebwiller. In Straßburg verunzierten Unbekannte das Privathaus eines moslemischen Geistlichen und zündeten eine Fußmatte vor der Tür an; dieses Gebäude war zuvor schon einmal mit Hakenkreuzen beschmiert worden.
All das sind Vorkommnisse aus diesem Jahr. Damit setzt sich eine hässlische Serie fort, die in den 90er-Jahren mit Einzelfällen begann und seit 2001 in größerem Stil zu beobachten ist: In Frankreich zählt ausgerechnet das Elsass zu jenen Gegenden, die am stärksten von fremdenfeindlichen, antisemitischen und neonazistischen Attacken betroffen sind. Dabei leidet dieser Landstrich bereits unter dem politisch-medialen Echo, das von den spektakulären Wahlerfolgen des politischen Rechtsextremismus um Jean-Marie Le Pen provoziert wird und dunkle Schatten auf die Region wirft. Das Jahr 2004 markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung: In jenen zwölf Monaten wurden über 110 Vorfälle dieser Art registriert. 2005 ging die Zahl der Übergriffe offenbar zurück, doch muss man die Gesamtbilanz abwarten: Die Polizei ist inzwischen zurückhaltender bei der Veröffentlichung einzelner Vorfälle, auch die Medien kochen das Thema nicht mehr so hoch.
Der dramatischste Übergriff war die 2004 erfolgte und bis heute nicht aufgeklärte Schändung von 127 Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof von Herrlisheim bei Colmar mit pronazistischen und antisemitischen Symbolen: Neben Hakenkreuzen hinterließen die Täter auf Deutsch Sprüche wie "Adolf Hitler", "Juden raus" oder "Ein Volk, ein Reich, ein Führer". Hunderte protestierten bei Kundgebungen am Friedhof gegen diese Aktion, eine Delegation des israelischen Parlaments reiste an, sogar der Europarat verurteilte diese "Beleidigung der Geschichte und der Millionen Opfer des Holocausts". Staatspräsident Jacques Chirac und Sozialistenführer Francois Hollande empörten sich in Paris über die "widerwärtige Tat" und den "schändlichen Akt". Die Kirchen publizierten Solidaritätserklärungen. Größere und kleinere Demonstrationen gegen Attacken auf jüdische oder moslemische Einrichtungen finden im Elsass immer mal wieder statt, vor allem in Straßburg.
Unpolitische Einzelfälle?
So spektakulär diese Übergriffe sind, so groß die Betroffenheit in der Öffentlichkeit ist, so häufig protestiert wird: Aufgeklärt werden diese Aktionen nur sehr selten, man weiß wenig über die Täter und auch nicht viel über deren politisch-organisatorischen Hintergrund - wobei die Ideologie natürlich auf der Hand liegt. Ermittlerteams der Polizei und selbst der französische Inlandsgeheimdienst blieben bislang ohne großen Erfolg. Die Kooperation mit der Polizei in Baden wegen eventueller Kontakte zwischen der elsässischen und deutschen Szene führte bisher ebenfalls nicht weiter. 2002 wurden einmal in Straßburg sechs Jugendliche erwischt, die im Gebäude eines jüdischen Friedhofs eine selbstgebastelte und nicht explodierende Bombe deponiert hatten.
Man weiß, dass im Elsass ein kleines neonazistisches Netzwerk existiert. Gegenüber einer Regionalzeitung sprach ein Vertreter des Geheimdienstes von lediglich 60 bis 80 Anhängern dieser Szene, in den 90er-Jahren waren es noch mehr. Feste Strukturen gibt es nicht, die Sympathisanten treffen sich in losen Freundesgrüppchen. Der Geheimdienst hält es für einen Irrtum, von einem "Wiedererstarken einer neonazistischen Bewegung" in der linksrheinischen Provinz zu sprechen. Eher sei die Bemalung von Grabsteinen im Schutz der Nacht ein "Zeichen der Schwäche": Öffentliche Präsenz wage man seit langem nicht mehr zu zeigen. Bisher gibt es keine Belege für eine Verbindung zwischen den antijüdischen wie antimoslemischen Attacken und dieser Neonazi-Szene. Dieser Befund gilt auch für das "Elsass-Korps", das vom Pariser Innenministerium verboten wurde. Diese Demonstration von Härte durch die Staatsmacht dürfte vor allem Aktionismus sein, um in der Öffentlichkeit Wirkung zu erzielen: Für das Verbot des "Elsass-Korps", das als neonazistisch orientierte Mini-Gruppe seine aktive Hochzeit längst hinter sich hat, musste mangels eines konkreten Tatverdachts eigens ein Gesetz aus dem Jahr 1936 über "Kampfgruppen und bewaffnete Milizen" bemüht werden. Polizei wie Geheimdienst sind der Meinung, dass für die meisten Übergriffe einzelne Jugendliche verantwortlich sind, die eher unpolitisch sind und die sich besonders durch die Medienresonanz auf Aktionen dieser Art zu neuen Taten inspiriert fühlen. Der Colmarer Staatsanwalt Pascal Schultz ist indes überzeugt, dass speziell die Schändung des Herrlisheimer Friedhofs wie auch eines Kriegsdenkmals in den Vogesen das Werk "perfekt organisierter Gruppen" war, die "wie Kommandos" vorgegangen seien.
Ob die Polizei künftig mehr Erfolge bei der Aufklärung erzielt, steht dahin. Jedenfalls stellt sich die Frage nach Zusammenhängen zwischen den strafrechtlich zu klassifizierenden Übergriffen und dem politischen Rechtsextremismus. Im Elsass und im lothringischen Mosel-Departement erzielt schließlich der Front National Jean-Marie Le Pens bei Wahlen seit langem Traumergebnisse weit über dem französischen Schnitt, im Elsass reüssiert zudem die regionalistische Rechtsaußen-Partei "Das Elsass zuerst". Bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2002 landete Le Pen im Elsass und in Nordlothringen mit jeweils rund 24 Prozent sogar auf Platz eins. Bei den Regionalwahlen 2004 fuhren der Front National und "Das Elsass zuerst" in der Rheinprovinz zusammen fast 30 Prozent ein. Beide Parteien weisen jede Verbindung zu militanten Neonazi-Gruppen, wie etwa martialisch aussehenden Skins, strikt von sich.
Beweise für Verwicklungen der rechtsextremen Parteien in die zahlreichen Übergriffe lassen sich bislang nicht finden. Allerdings kommt ein Bericht des Innenministeriums über die Kräfte von rechtsaußen in Frankreich zum Ergebnis, dass deren politischer Einfluss beim Anwachsen von antisemitischen und ausländerfeindlichen Tendenzen nicht zu unterschätzen sei: Insofern trage die extreme Rechte eine große Verantwortung für militante Aktionen. In einem bestimmten ideologischen Klima - das lehrt die politische Erfahrung - werden bestimmte Grenzen eben leichter überschritten.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.