Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 45 / 07.11.2005
Joachim Rogge

Die schlechte Stimmung ist Humus für die Demagogen

Rechtsextremismus ist in Frankreich längst salonfähig geworden
Der Boden ist bereitet - nun wollen sie ernten. Ein noch "besseres Ergebnis" als 2002 stellt Jean-Marie Le Pen seinen Anhängern bei den Präsidentschaftswahlen in 18 Monaten in Aussicht. Damals war der Chef des rechtsextremen Front National (FN) in die Stichwahl gegen Jacques Chirac gezogen. Fünf Millionen Franzosen hatten dem Populisten, dessen Kandidatur viele zuvor noch unter der Rubrik Folklore abgelegt hatten, ihre Stimme gegeben. Eine zersplitterte Linke, aber auch ein Rumoren im Volk, das im abgehobenen Paris niemand wahrgenommen hatte, verschafften Le Pen diesen sensationellen Triumph.

Dass es nach diesem Schock noch dicker kommen sollte, zeigte sich drei Jahre später. Massiv lehnten die Franzosen den EU-Verfassungsvertrag im letzten Mai in einem Referendum ab. Nicht zu Unrecht schrieben sich auch Frankreichs rechtsradikale und -populistische Parteien den Verdienst an dieser Abfuhr auf die Fahnen. Angst vor der Zukunft und Angst vor den Fremden - ein gewaltiges "ras-le-bol", "Schnauze voll", brach sich an den Wahlurnen Bahn. Seither ist die Stimmung im Land nicht besser geworden. Humus ist das für Demagogen vom Schlag Le Pens, aber auch für den nationalkonservativen Adligen Philippe de Villiers, dessen "Mouvement pour la France" längst auch im Wählerreservoir des Front National fischt.

Man möge sich nicht täuschen: Nur, weil die Rechtsextremen wegen des französischen Mehrheitswahlrechts kaum Mandatsträger vorzuweisen haben und damit öffentlich kaum sichtbar sind, ist ihr Einfluss doch greifbar. Vor allem der Front National Le Pens ist längst salonfähig geworden und über Jahre zur dritten politischen Kraft hinter Konservativen und Sozialisten aufgestiegen. Inzwischen verfügt er über ein stabiles Wählerreservoir zwischen zwölf und 15 Prozent. Bei jeder landesweiten Wahl blickt Frankreich beschämt und entsetzt auf die Prozentsäule der Rechtsextremen - um kurz darauf wieder zur Tagesordnung überzugehen. Der industriell ausgeblutete französische Norden, das reiche Elsass, der französische Süden, Boom-Region unter hohem Einwanderungsdruck, sind seit Jahren die regionalen Hochburgen. Der Pariser Politologe Emmanuel Todd sieht in den wachsenden Erfolgen des FN vor allem einen Aufschrei des Frankreichs von unten, das sich nicht mehr gehört fühlt.

Die Statistik gibt ihm Recht. Der Zulauf kommt von Arbeitern, die früher links wählten, von Arbeitslosen, die früher kommunistisch wählten, von kleinen Gewerbetreibenden und Handwerkern, die Europas offene Grenzen als persönliche Bedrohung begreifen, von kleinen Angestellten, die um ihre Jobs fürchten. Den "polnischen Klempner" als Inbegriff unfairer Konkurrenz hatte vor allem Philippe de Villiers während der EU-Referendumskampagne geschickt als Zerrbild popularisiert. Zehn Jahre nachdem Jacques Chirac angetreten war, den "sozialen Riss" im Land zu kitten, ist der Graben eher noch größer geworden. Den unteren sozialen Schichten geht es schlecht. Und vor allem Le Pen schwingt sich einmal mehr zum Anwalt der kleinen Leute auf.

"Sozial links, ökonomisch rechts und national Franzose" - das ist der dröhnende Dreiklang des Rechts-populisten. "Frankreich zuerst" - die Anklänge an faschistische Parolen sind nicht zufällig. Marschall Petain, der Nazi-Kollaborateur und Vichy-Chef, ist in Le Pens Augen ein Großer der französischen Geschichte, "kein Verräter". Seit einem halben Jahrhundert gehört der polemisierende Rabauke, der auch handgreiflich werden kann, zum politischen Inventar der Republik. Mit 28 Jahren zog der Bretone 1956 erstmals in das französische Parlament ein, im Schlepptau des Populisten Pierre Poujade, der sich als Sprachrohr unzufriedener Händler und Handwerker gerierte. Der Poujadismus blieb eine kurze Episode. 1958 zog Le Pen als Unabhängiger auch in die erste Nationalversammlung der Fünften Republik ein. Der Algerien-Krieg, der Rückzug Frankreichs ließen den früheren Algerienkämpfer immer weiter nach rechts abdriften. Charles de Gaulle wurde zum Erzfeind wie später Jacques Chirac, in Le Pens Augen ein "maskierter Linker", der das Land verkommen lasse.

In den 60er- und 70er-Jahren gelang es Le Pen nicht mehr, ins Parlament einzuziehen. Und nach der Gründung des FN 1972 musste er noch ein Dutzend Jahre warten, ehe die Partei den Durchbruch auf der großen Bühne schaffte. Zehn Mandate errang der FN bei der Europawahl 1984. Seither gehört die Partei zum Inventar der Republik. Zwei Jahre später zog Le Pen mit seinen 34 Gefolgsleuten wieder in die Pariser Nationalversammlung ein. Zu verdanken hatte Le Pen dies ausgerechnet dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, der Mitte der 80er-Jahre das Verhältniswahlrecht einführte - in der Absicht, die Rechte zu spalten.

Enge Kontakte pflegte Le Pen in den 80er-Jahren mit den italienischen Faschisten um Gianfranco Fini. Mit den Abgeordneten der deutschen "Republikaner" und des belgischen Vlaams Blok schmiedete er nach der Europawahl 1989 ein Bündnis. Doch sich einzureihen, kam für den aufbrausenden Bretonen nie in Frage. Nicht an Haiders oder Berlusconis Erfolgen wolle er sich orientieren, betonte er, sondern: "Das Vorbild bin ich."

Zwischenzeitlich schien er Kreide gefressen zu haben. "Ich bin kein Rassist", beteuerte Le Pen im Wahlkampf 2002 treuherzig, verwies auf seine schwarze Köchin und den afrikanisch-stämmigen Gärtner. Manche fremdenfeindliche und antisemitische Entgleisung früherer Jahre, die ihm Ermittlungsverfahren und gleich zwei Mal den Verlust der Immunität im Europa-Parlament einbrachte, nannte er "unglücklich". "Ich bin halt nicht perfekt." Doch das ist nur Wortgeklingel, das bürgerliche Wähler beruhigen soll.

Le Pen, der bei einer Saalschlacht 1958 das linke Auge verlor, ist ein politischer Überlebenskämpfer. 1998 schien der FN nach der Parteispaltung am Ende zu sein, als Le Pens rechte Hand, Bruno Mégret, die Partei im Streit um die Führung verließ und die Hälfte der Kader ihm folgten. Die "Mégristen" freilich führten sich selbst ins politische Abseits, landen bei Wahlen längst unter ferner liefen. Inzwischen ist der Egomane an der Spitze wieder dabei, auch andere Getreue zu vergraulen. Den letzten verbliebenen Bürgermeister mit FN-Parteibuch, Jacques Bompard aus Orange, hat Le Pen im Oktober ziemlich rabiat gegen den Willen der allerengsten Führung aus dem FN-Politbüro geschmissen. Bompard, ein alter Kamerad aus den Gründungstagen, keilt seither rüde zurück. "Die Führung verbunkert sich hinter einem alternden und tyrannischen Chef." Schade um die Wähler, sagt Bompard. "Sie werden woanders hingehen."

Vor allem der zunehmend populistische Kurs des achtfachen Vaters aus der katholischen Vendée, Graf de Villiers, macht Le Pen, der jede Stimme braucht, um sich 2007 wie versprochen selbst zu übertreffen, zu schaffen. Und Innenminister Nicolas Sarkozy, Frankreichs populärster Politiker, besetzt von Kriminalität bis Einwanderung hochaktiv jene Themenfelder, mit denen der Demagoge vom Dienst sonst die Emotionen schürt. Dass Le Pen seinen Zenit längst überschritten hat, glauben, ähnlich wie der "Ketzer" Bompard, viele in der Partei. Nur offen wagt das keiner zu sagen.


Der Autor arbeitet als freier Journalist in Paris.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.