Es klingt verlockend: Wäre es möglich, den Bewerber im Einstellungsgespräch nicht nur auf seine Qualifikation, Erfahrung und Charaktertauglichkeit zu prüfen, sondern ihn auch, im wahrsten Sinne des Wortes auf Herz und Nieren zu checken - dem Arbeitgeber böte das eine völlig neue Dimension der Personalauswahl. Der Amtsarzt könnte dem Aspiranten im Anschluss an das Gespräch einfach ein paar Haare abschneiden oder ihm mit einem Wattestäbchen durch den Mund fahren. Die so gewonnene DNA würde im Labor analysiert und alle Abweichungen von der Norm genau registriert werden. Das Ergebnis könnte sein: Der Bewerber bekommt trotz bes-ter Referenzen den Job nicht, weil er mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 oder 50 Prozent irgendwann einmal an einer Erbkrankheit erkranken könnte.
Eine Illusion? Wie der Fall einer hessischen Lehrerin zeigt, nicht ganz. Die damals 36-jährige Beamtenanwärterin hatte im Jahr 2004 bei einer obligatorischen amtsärztlichen Untersuchung angegeben, dass ihr Vater an einer tödlichen Erbkrankheit, der Nervenkrankheit Chorea Huntington, leidet. Obwohl der Amtsarzt sie als gesund einstufte, lehnte das Schulamt ihre Verbeamtung ab. Die Begründung: Es sei zu 50 Prozent davon auszugehen, dass sie Trägerin des Chorea-Huntington-Gens ist. Eine vorzeitige Dienstunfähigkeit sei zu befürchten. Darüber hinaus hatte die Frau es abgelehnt, einen Gentest durchzuführen. Sie klagte gegen ihren Arbeitgeber - und bekam Recht. Der Staat, so urteilte das Gericht, dürfe von einem Bewerber nicht verlangen, einen genetischen Test durchführen lassen, um Gewissheit über dessen gesundheitlichen Status zu bekommen. Dies wäre als massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte zu werten.
Die hessische Lehrerin ist ein Einzelfall - bislang. Denn noch gibt es kaum nennenswerte Berichte über ähnliche Praktiken. Wenn überhaupt, spielt sich in Deutschland die genetische Diskriminierung in einer Grauzone ab: Offiziell verlangen weder Versicherungen noch Arbeitgeber Gentests, wenn es um den Abschluss eines Arbeits- oder Versicherungsvertrages geht. Die deutsche Versicherungswirtschaft hat sich sogar bis zum Jahr 2011 in einem Moratorium verpflichtet, für den Abschluss einer Lebensversicherung keinen Gentest zu verlangen - obwohl auch ihr durchaus daran gelegen sein könnte, bei Kunden mit einer hohen Versicherungssumme einmal genauer hinzusehen.
Viele Politiker, Gewerkschafter und Datenschützer sind trotzdem beunruhigt. Sie fordern seit langem, der genetischen Auslese per Gesetz einen Riegel vorzuschieben. Die Enquete-Kommission des Bundestages "Recht und Ethik der modernen Medizin" hat im Mai 2002 in
ihrem Schlussbericht empfohlen, es Arbeitgebern gesetzlich zu untersagen, bei "Einstellungsuntersuchungen oder während der Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses" von Arbeitnehmern die Durchführung eines Gentests "zu verlangen oder nach früher durchgeführten Gentests zu fragen". Außerdem plädierte sie dafür, es Versicherungsunternehmen zu verbieten, die Ergebnisse prädiktiver (also voraussagender) Gentests zu verlangen, anzunehmen oder zu verwerten. Schließlich empfahl sie dem Bundestag, den gesamten Bereich der Gendiagnostik durch ein umfassendes Gendiagnostikgesetz zu regeln. Bis jetzt allerdings ohne Erfolg: Noch immer gibt es kein Gesetz, das den Einsatz von Gentests auf dem Arbeits- und Versicherungsmarkt verbietet.
Der Bundestagsabgeordnete René Röspel (SPD), in der vorigen Legislaturperiode Vorsitzender der Enquete-Kommission, beobachtet das mit großer Sorge: "Es besteht die grundsätzliche Gefahr, dass es für einige Personen unmöglich sein wird, eine Versicherung abzuschließen oder eine Anstellung zu finden, wenn man von ihnen einen Gentest verlangt. Aus den USA und Großbritannien sind bereits solche Fälle bekannt." Röspel meint daher, dass ein eindeutiges Verbot von Gentests "Sinn macht", wenn auch mit gewissen Einschränkungen: "Aus meiner Sicht muss der Arbeitnehmerschutz im Vordergrund stehen. Wo es im Inte-resse des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers liegt, kann ein Gentest sinnvoll sein. Aber auch, wenn es um den Schutz der Allgemeinheit geht. Denn einen rot-grün-blinden Busfahrer oder Elektriker habe ich vielleicht nicht so gern."
Gefahr der Stigmatisierung
Die Möglichkeiten der Gendiagnostik werfen aber noch ganz andere Probleme auf. Datenschutzrechtliche Fragen zum Beispiel, wie der Bundesdatenschutzbeaufragte Peter Schaar betont: "Genetische Daten besitzen eine Reihe von Eigenschaften, die dazu führen, dass ihr Schutz vor missbräuchlicher Verwendung besonders schwierig, aber gleichzeitig auch besonders erforderlich ist." Ergebnisse genetischer Untersuchungen könnten zur Stigmatisierung einer Person bis hin zu ihrem Ausschluss aus Versicherungs- und Arbeitsverhältnissen führen. Sie seien, so Schaar, daher eben auch für Dritte von besonderem Interesse, zudem leicht zu gewinnen und ließen Rückschlüsse auf die medizinische Konstellation von Blutsverwandten zu. Ein "grundsätzliches Verbot von Gentests vor Einstellungen oder vor dem Abschluss von Versicherungsverträgen" hält deshalb auch Schaar für unerlässlich, insbesondere wegen des Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung". Dabei handelt es sich um nichts Geringeres als das Recht auf Nichtwissen, die Möglichkeit also, selbst entscheiden zu können, ob man etwas über seine genetische Disposition erfahren möchte oder nicht. Schließlich kann ein bestimmtes Testergebnis auch eine große psychische Belastung darstellen: Wer erfährt, dass er mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit einmal an Darmkrebs erkranken oder mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent an Alzheimer sterben wird, wird das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zudem, betont René Röspel, betreffe ein solcher Schritt ja nicht nur den Getesteten selbst: "Wer einen Gentest macht, zieht immer auch seine Familie mit hinein, wenn er damit durch die Gegend läuft und erzählt, das der Test positiv ist. Brüder, Geschwister, Kinder - sie alle müssen dann ebenfalls mit der Verunsicherung leben, erkranken zu können."
Anders als bei Gendiagnosen
am Arbeitsplatz, wo Ausnahmeregelungen durchaus im Sinne des Arbeitnehmers sein können, besteht aufgrund dieser ethischen und datenschutzrechtlichen Besonderheiten zumindest im Bereich der Versicherungen weitgehend Einigkeit: Gentests haben hier nichts zu suchen. "Schon weil es Zufall ist", so Röspel, "ob ein Versicherungsfall eintritt oder nicht, ein Gen also tatsächlich zum Ausbruch der Krankheit führt, sollte ein Gentest keine Voraussetzung für den Abschluss einer Versicherung sein."
Doch davon abgesehen: Selbst wenn Gentests in begründeten Ausnahmefällen einmal eingesetzt werden dürfen - die "Wunderwaffe" in der Hand von Versicherern und Arbeitgebern sind sie ohnehin nicht. Denn noch ist die Gendiagnostik nicht in der Lage, anhand der Gene auch die Intelligenz und den Charakter eines Menschen zu erkennen oder gar Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck sicher zu prognostizieren. Es gibt also wenig Grund zur Beunruhigung: Auch in Zukunft wird es keine "Top Jobs für Top Gene" geben.
Johanna Metz ist Volontärin bei "Das Parlament".