Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 27 / 03.07.2006
suk

Elementare Lebensbedürfnisse müssen vom Staat erfüllt werden

Anhörung zu illegalen Migranten

Inneres. Die Mehrzahl der Sachverständigen hat in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses Erleichterungen für illegal nach Deutschland eingewanderte Menschen angemahnt. "Nicht der Mensch ist illegal, sondern nur sein Aufenthalt", argumentierte etwa der Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., Bertold Sommer, am 26. Juni Im Mittelpunkt der Anhörung standen ein Gesetzentwurf der Bündnisgrünen zur "Verbesserung der sozialen Situation von Ausländerinnen und Ausländern, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben" (16/445) und ein Antrag der Linksfraktion "Für die unbeschränkte Geltung der Menschenrechte in Deutschland" (16/1202). Dabei stimmte die Mehrheit der Sachverständigen den wesentlichen Forderungen des Gesetzentwurfs zu.

Michael Bommes, Professor an der Universität Osnabrück, wies darauf hin, illegale Einwanderung sei "immer Ausdruck einer Leistungsschwäche von Staaten in Bezug auf Kontrolle". Menschen, die sich auf dem Territorium eines Staates aufhielten, hätten immer das "Recht auf Erfüllung elementarer Lebensbedürfnisse". Der Staat sei zu deren Erfüllung verpflichtet. Migranten hätten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus das Recht auf medizinische Versorgung oder Rechtsschutz. Gewähre man ihnen dies nicht, seien die Folgen für die gesamte Gesellschaft problematisch: Dies berge die Gefahr "dauerhaft nicht oder schlecht erzogener Kindern", einer "mangelnden Gesundheitsversorgung" und "Löchern bei der Durchsetzung des Rechts".

Indem der Staat das Personal öffentlicher Einrichtungen, die illegalen Migranten diese Rechte gewähren, zur Meldung über den Aufenthaltsstatus von Migranten verpflichte und so mit Kontrollaufgaben versehe, schränke er die Mitarbeiter in der Erledigung ihrer Aufgaben ein und schaffe so ein Rechtsproblem. Norbert Cyrus von der Universität Oldenburg betonte: "Erweiterte Schutzmaßnahmen zugunsten Illegaler führen nicht automatisch zu mehr illegaler Migration." Entscheidend seien Maßnahmen insbesondere im Bereich des Arbeitsmarktes, die die Anreize minderten, dass Arbeitgeber Ausländer illegal beschäftigten und ausbeuteten.

Cornelia Goesmann, Bundesärztekammer Berlin, und Ute Koch, Katholisches Forum Leben in der Illegalität, betonten die Notwendigkeit, die Meldepflichten insbesondere für Ärzte abzuschaffen. Ärzte seien verpflichtet, Patienten unabhängig von ihrem Status medizinisch zu versorgen. Sie dürften nicht dem Druck ausgesetzt sein, sich mit ihrem Handeln unter Umständen strafbar zu machen. "Die Frage nach dem Aufenthaltsstatus gehört nicht zur ärztlichen Anamneseerhebung", so Goesmann. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Kosten für die Behandlung illegaler Migranten nicht übernommen und vom einzelnen Arzt bezahlt werden müssten. Auch Koch betonte, der Staat habe selbstverständlich das Recht zur Kontrolle. Es dürfe nicht sein, dass humanitäre Helfer strafrechtliche Verfolgung befürchten müssten. Momentan befänden sich jene, "die Menschen in Notsituationen helfen" in einer "rechtlichen Grauzone".

Während Bertold Sommer mahnte, "das Prinzip der Menschenwürde muss letztlich Vorrang haben", sprachen sich Wilfried Schmäing vom Hessischen Ministerium des Inneren und für Sport, und Winfried Kluth, Professor der Universität Halle-Wittenberg, gegen die Forderungen des Gesetzentwurfs aus. Es sei die Aufgabe des Staates, den illegalen Aufenthalt von Menschen zu beenden, sagte Schmäing. Die öffentlichen Einrichtungen müssten deshalb den Status feststellen: "Warum soll der Staat seinen Angestellten erlauben, den illegalen Aufenthalt hinzunehmen?", so Schmäing. Auch Winfried Kluth stellte fest, es sei legitim, wenn der Staat Statusinformationen, die er über eine "Informationsamtshilfe" erhalte, auch verwerte. Bei den illegalen Migranten handele es sich "nicht nur um schicksalhaft Gestrandete", sondern auch um Personen, die mit "kriminellen Intentionen" ins Land gekommen seien. Das geltende Gesetzt räume Ermessensspielräume ein und bemühe sich um "Einzelfallgerechtigkeit". Die Forderung nach Abschaffung der Meldepflichten sei daher eine "Überreaktion".


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