Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 10.07.2006
Martin Ebbing

Warten auf Teheran

Vor dem G8-Gipfel - der Streit um das iranische Atomprogramm geht in die nächste Runde
Alle drängen auf eine Antwort. Es sei eher eine Frage von Wochen, nicht von Monaten, in denen man mit einer Reaktion aus Teheran rechne, erklärte die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice, nachdem der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Javier Solana, den neuen Verhandlungsvorschlag in Teheran übergeben hatte. Ein guter Monat ist seither vergangen, ohne dass sich die iranischen Machthaber auf eine offizielle Stellungnahme hätten festlegen lassen.

Der Vorschlag enthält einige positive Punkte, aber auch einige Ambiguitäten, die weiterer Klärung bedürfen", lautete die ursprüngliche Reaktion von Chef-Unterhändler Ali Laridschani. Man werde das Papier sorgfältig prüfen und dann wissen lassen, was man davon halte. Bislang lässt diese Antwort auf sich warten. Präsident Mahmoud Ahmadinedschad kündigte an, vor Ende August sei nicht damit zu rechnen, Larijani sprach von "Anfang August" - in beiden Fällen aber zu spät für das Gipfeltreffen der G8 am 15. Juli in St. Petersburg, wo über das weitere Vorgehen gegenüber dem Iran entschieden werden soll.

Es liegt auf der Hand, warum der Iran mit seiner Antwort keine allzu große Eile hat. Der Vorschlag, auf den sich die fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland nach schwierigen Verhandlungen geeinigt haben, ist kein unverbindliches Angebot, sondern ein Ultimatum. Sollte Teheran die Offerte ablehnen, drohen Sanktionen, die bereits in einem umfangreichen Katalog aufgelistet sind. Zudem ist die Aufnahme von Verhandlungen an die Vorbedingung geknüpft, dass der Iran seine Arbeiten an der Urananreicherung für unbestimmte Zeit aussetzt. So lange Teheran sich alle Möglichkeiten offen hält, drohen keine Sanktionen und es kann weiter an der Anreicherung gearbeitet werden.

Zersplitterter Machtapparat

Die Wartezeit nutzt der Iran zum einen dazu, das Papier gründlich zu analysieren. Der Vorschlag ist bis heute nicht veröffentlicht worden, aber die groben Umrisse sind bekannt. Angeboten wird dem Iran eine umfassende Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Nutzung der Nuklearenergie sowie eine garantierte Lieferung von Brennstoff für seine zukünftigen Atomreaktoren. Hinzu kommen Vereinbarungen im Bereich des Handels, das Versprechen von vermehrten Investitionen, Kooperation im wissenschaftlichen Bereich sowie eine Energiepartnerschaft. Es soll ein regionaler Dialog initiiert werden, an dessen Ende Sicherheitsvereinbarungen sowie die Anerkennung der territorialen Integrität der beteiligten Staaten stehen soll. Schließlich soll das Ziel eines Nahen Ostens frei von Massenvernichtungswaffen unterstützt werden.

Im Gegenzug soll der Iran besser mit der Internationalen Atomenergiebehörde kooperieren, sein Atomprogramm einer verschärften internationalen Kontrolle unterwerfen und so lange auf jegliche Urananreicherung verzichten, bis das Vertrauen in die friedlichen Absichten Teherans wieder hergestellt ist.

Ein solches Paket enthält in der Tat viele Fragen, die einer genaueren Prüfung und Definition bedürfen. Wie kann sich Teheran beispielsweise absichern, dass die versprochenen Investitionen tatsächlich eintreffen und wie viel ist die Garantie der Lieferung von Brennstäben für die Reaktoren tatsächlich wert? Gleichzeitig spitzt das Verhandlungsangebot eine im Iran seit Jahren schwelende Debatte zu, der man nun nicht weiter ausweichen kann: Wie soll man es mit dem Westen halten?

Auch wenn sich das Regime nach außen hin immer um größtmögliche Geschlossenheit bemüht, ist der Machtapparat in Wirklichkeit in zahlreiche Gruppen und Fraktionen zersplittert, zwischen denen die Übergänge teilweise fließend sind und die sich je nach Situation neu formieren können. Präsident Ahmadinedschad, der aufgrund seiner Leugnung des Holocaust, seiner antisemitischen Äußerungen und seiner scharfmacherischen Töne international viel Aufsehen erregt, ist dabei nur eine, wenn auch keine unwichtige Stimme in einem Konzert von Entscheidungsträgern, deren jeweiliger Einfluss nicht unbedingt an ein offizielles Amt geknüpft sein muss.

Grob lassen sie sich in vier Gruppen einteilen. Die pro-westlichste Position nehmen die Reformer ein, die bei den vergangenen Wahlen nahezu alle Ämter verloren haben und deren Bedeutung im politischen Diskurs deshalb derzeit relativ gering ist. Sie suchen eine Annäherung an den Westen. Sie wollen den Iran aus der internationalen Isolation herausführen und sind um einen Dialog - auch mit den USA - bemüht. In der Nuklearfrage sind sie kompromissbereit, weil sie erneute Konfrontationen vermeiden wollen. Die Technokraten, zu denen sowohl der ehemalige Präsident Rafsanjani wie der ehemalige Chefunterhändler Rohani gehören, sind in erster Linie an der wirtschaftlichen Entwicklung des Irans interessiert, durch die allein die zahlreichenden sozialen Spannungen abgebaut werden können, die die Überlebensfähigkeit der islamischen Republik bedrohen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist ihrer Ansicht nach aber ohne Kooperation mit dem Westen nicht möglich, weshalb sie im Notfall auch in der Atomfrage zu Zugeständnissen bereit sind, um diese Zusammenarbeit nicht zu gefährden.

Der derzeitige Chefunterhändler Laridschani zählt zu den klassischen Konservativen, die den Prinzipien der Revolution weiterhin treu, aber realistisch genug sind, um zu wissen, dass der Iran keine Insel ist und ein gewisses Maß an Flexibilität unausweichlich ist. Sie lehnen im Grundsatz nicht jede Kooperation mit dem Westen in der Atomfrage ab, halten aber daran fest, dass das Ziel ein eigenständiges Programm sein muss, zu dem auch die Fähigkeit zur eigenen Urananreicherung gehört.

Ahmadinedschad ist das Sprachrohr der radikalen Konservativen, die fast von der politischen Bühne verschwunden waren, aber durch die Übernahme der Regierung bei den jüngsten Wahlen wieder erheblich an Einfluss gewonnen haben. Ihre Haltung gegenüber dem Westen ist konfrontativ. Sie glauben, man müsse dem Druck von außen mit Selbstbewusstsein entgegen treten. Nur indem es gelinge, aus eigener Kraft den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt zu meistern, könne es gelingen, sich gegenüber dem feindlichen Westen zu behaupten. Sollte der Iran ein heimliches Atomwaffenprogramm betreiben, dann rekrutieren sich die Akteure aus diesem Lager.

Als Vermittler zwischen diesen Strömungen agiert Staats- und Religionsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei. Seine Aufgabe besteht darin, eine Entscheidung im größtmöglichen Konsens herbeizuführen. Gelingt dies nicht, hat er das letzte Wort.

Hinter den Kulissen wird derzeit heftig debattiert und gestritten, ob ein Handel mit dem Westen überhaupt abgeschlossen werden kann, und wenn ja, zu welchem Preis. Wenig von diesen Diskussionen dringt in die Öffentlichkeit. In einem Punkt hat Khamenei aber die Richtung schon einmal vorgegeben: Der Iran möchte die Verhandlungen nicht auf der Grundlage der von sechs Unterstützern des Vorschlags vorgegebenen Bedingungen, sondern nach seinen eigenen Vorstellungen führen.

"Wir werden mit niemandem darüber verhandeln, ob wir die nukleare Technologie nutzen können", so der oberste Revolutionsführer. "Aber wenn sie unser Recht auf Atomenergie anerkennen, dann sind wir bereit, über Kontrollen, Überwachung und internationale Garantien zu verhandeln." Er sehe zudem keinen "Nutzen" in Gesprächen mit den USA über die Nuklearkontroverse.

Geschick Irans

Die letzte Bemerkung ist ein Hinweis darauf, dass die Mehrheit des iranischen Machtapparates ihr tief sitzendes Misstrauen gegenüber Washington auch weiterhin nicht überwinden kann. Direkte Kontakte werden von den Konservativen immer noch argwöhnisch als eine mögliche Falle betrachtet. In einem Zeitungsinterview verdächtigte Chefunterhändler Laridschani die USA auch weiterhin, Pläne für einen Regimewechsel zu betreiben. Die Atomfrage sei nur der Vorwand, um Teheran in die Enge zu treiben.

Khameineis Vorgabe wird bereits umgesetzt. Irans Emissäre verkünden unisono, dass eine Aussetzung der Arbeiten an der Urananreicherung als Vorbedingung für Gespräche nicht in Frage komme. Offen lassen sie dabei, ob der Ausbau der bestehenden Anlage damit gemeint ist, oder ob sie sich mit dem Weiterbetrieb der existierenden 164 Zentrifugen zufrieden geben würden. Dazu kündigte Außenminister Manuchehr Mottaki für den August einen iranischen "Gegenvorschlag" an, auf dessen Basis man verhandeln wolle.

Mit Geschick werden so unterschiedliche Signale gesendet, mit der die einheitliche Haltung der Gegenseite ausgehebelt werden könnte. Russland und China, die sich bislang noch nicht dazu bekannt haben, Sanktionen gegen den Iran mit zu tragen, werden Teherans Verhandlungsbereitschaft hervorheben und sich gegen Strafmaßnahmen sperren. Die USA sowie Großbritannien und Frankreich werden darauf verweisen, dass Teheran die Vorbedingung für Verhandlungen ablehnt, und einen Sanktionsbeschluss des UN-Sicherheitsrates fordern. Die Bundesregierung, die glaubt, mit einer iranischen Urananreicherung im kleinen Maßstab leben zu können und eine Eskalation gern vermeiden möchte, sitzt zwischen den Stühlen.

Es wird deshalb beim G8-Gipfel in St. Petersburg nicht einfach, vielleicht sogar unmöglich werden, eine gemeinsame Position auf das bisherige Ausbleiben einer Antwort aus Teheran zu finden.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.